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Das Nachsynodale Apostolische Schreiben „Amoris laetitia“:
Ein pastorales Dokument, das die Lehre der Kirche voraussetzt

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Theologisches 46 (5–6/2016) 203–220

Mit dem am 19. März 2016 unterzeichneten und am 8. April 2016 veröffentlichten Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Amoris laetitia“ von Papst Franziskus kommt ein Prozess zu seinem relativen Abschluss, der sich in zwei Bischofssynoden mit dem Ehesakrament und der darauf gründenden Familie befasst hatte.[1] Was nun folgt und ansteht, ist der Prozess der Aneignung und der Rezeption dieses Dokuments, das in gewisser Weise als Frucht dieser Synoden, aber auch als deren Weiterführung gelten darf.

Die Bischofssynoden als solche haben beratenden Charakter; dies gilt auch für die jeweiligen Ergebnisse. Aus den Schlussdokumenten der letzten beiden Synoden über die Familie zitiert der Papst in „Amoris laetitia“ des Öfteren[2] und macht sich diesbezügliche Aussagen dadurch zu eigen. Das nun vorliegende Apostolische Schreiben ist ein pastorales Dokument, welches die Lehre der Kirche voraussetzt.[3] Es geht Papst Franziskus darum, im Kontext des „Jahres der Barmherzigkeit“ die Wertschätzung der Kirche für die Menschen in Ehe und Familie zum Ausdruck zu bringen und ihre Berufung als Weg zur Heiligkeit aufzuzeigen. Ein besonderer Akzent liegt in der Sorge der Kirche für Menschen in Schwierigkeiten, um sie zu begleiten und um jenen, die in ihrer ehelichen und familiären Berufung versagt haben, einen Weg der Umkehr zu eröffnen.

In neun Kapiteln geht Franziskus „in unterschiedlicher Darstellungsweise“ ein auf das, was ihn im Hinblick auf Ehe und Familie zutiefst bewegt und er der Kirche zur weiteren Reflexion und pastoralen Umsetzung vorlegen will.[4]

Die Überschriften der jeweiligen Kapitel lauten:

  1. Im Licht des Wortes
  2. Die Wirklichkeit und die Herausforderungen der Familie
  3. Auf Jesus schauen – die Berufung der Familie
  4. Die Liebe in der Ehe
  5. Die Liebe, die fruchtbar wird
  6. Einige pastorale Perspektiven
  7. Die Erziehung der Kinder stärken
  8. Die Zerbrechlichkeit begleiten, unterscheiden und eingliedern
  9. Spiritualität in Ehe und Familie

In Bezug darauf wird in diesem hinführenden Kommentar jeweils eine kurze Zusammenfassung dieser Kapitel gegeben, bei der auch auf Einzelfragen eingegangen werden soll. Diese Überlegungen können nicht alle Aspekte dieses Schreibens darstellen und erörtern. Ungeachtet gewisser inhaltlicher und methodischer Schwierigkeiten wird das Ziel verfolgt, das Dokument gemäß einer Hermeneutik der Reform in Kontinuität zu lesen.[5]

 

1. Im Licht des Wortes (Nr. 9–30)

Ausgehend von der göttlichen Offenbarung wird der Plan Gottes in Bezug auf Ehe und Familie vorgestellt. Die Heilige Schrift zeigt an vielen Stellen die Berufung des Menschen als Mann und Frau zur Liebe auf.[6] Die Frau und der Mann sind füreinander geschaffen und in Liebe füreinander bestimmt. In der Einheit der Liebe und des Lebens sollen sie einander Beistand im Leben leisten, großherzig Kindern das Leben schenken und ihren Auftrag in der Welt erfüllen, um so einst ins himmlische Vaterhaus einzugehen. Dabei wird nicht nur die ursprünglich sehr gute Schöpfungsordnung thematisiert, sondern es kommen auch die Auswirkungen der Sünde der Stammeltern und der individuellen Sünden der Menschen auf Ehe und Familie zur Sprache. Ehe und Familie stellen nicht nur eine Idylle dar (wie dies in Psalm 128 nahegelegt wird), sondern es ist mit der konkreten Wirklichkeit von Ehe und Familie in der menschlichen Geschichte mitunter auch ein „blutbefleckter Weg des Leidens“[7] verbunden. Gottes Beistand ist den Ehen und Familien in guten wie in schlimmen Zeiten zugesagt. Der Blick auf die Heilige Familie von Nazareth schenkt bleibende Orientierung für die Ehen und Familien. Die Familie als solche ist ein Abbild der göttlichen Dreieinigkeit.

2. Die Wirklichkeit und die Herausforderungen der Familie (Nr. 31–57)

Die schon im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Familiaris consortio“ von Johannes Paul II. vorgenommene Situationsanalyse der Familien in der heutigen Zeit[8] wird hier aktualisiert; Papst Franziskus schließt sich weitgehend der Einschätzung und Beurteilung der „Zeichen der Zeit“ durch die beiden letzten Bischofssynoden an. So kommt unter anderem der verstärkte Individualismus zur Sprache, der Auswirkungen auf den Lebensstil der Einzelnen und das Zusammenleben in der Familie hat, besonders im Hinblick auf verbindliche Entscheidungen, das gelebte Miteinander der Gatten und die Erfüllung der elterlichen Aufgaben in der Erziehung der Kinder. Eine geburtenfeindliche Mentalität und eine verhütungsfördernde Politik werden kritisiert.

Im materiellen Bereich ist sowohl ein Zuviel als auch ein Zuwenig für die Entfaltung der Familien hinderlich. Sexuelle Ausbeutung von Kindern sowie kriegerische Gewalt und Terrorismus stellen skandalöse Wirklichkeiten und schlimme Heimsuchungen dar. Die Herausforderungen der Familien in Hinblick auf die Annahme von Menschen mit Behinderung sowie die Situation von Familien, die sich auf der Flucht oder im Zustand der Migration befinden, werden angesprochen. Die Leugnung des sowohl biologisch als auch soziokulturell bedeutsamen Unterschieds von Mann und Frau in der Gender-Ideologie wird kritisch thematisiert. Die willkürliche Trennung von Sexualität und Fruchtbarkeit im Hinblick auf Verhütung und künstliche Befruchtung wird als unvereinbar mit der Würde des Menschen und seiner Berufung aufgezeigt. Die Analyse ist insgesamt von einer großen Nüchternheit getragen, auch bezüglich der Unfähigkeit und die Schwierigkeiten mancher Familien im Hinblick auf das Leben aus dem Glauben und dessen Weitergabe.

3. Auf Jesus schauen – die Berufung der Familie (Nr. 58–88)

Dieses Kapitel ist der Darstellung der Lehre der Kirche über Ehe und Familie gewidmet. Jesus Christus hat den göttlichen Plan für Ehe und Familie wiederhergestellt und führt ihn zu seiner Vollendung.[9] Als unverzichtbarer Wert wird an die Unauflöslichkeit der Ehe erinnert. Es folgt in diesem Rahmen eine kurze Zusammenfassung der Ehelehre des 2. Vatikanischen Konzils und der nachfolgenden Päpste (Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI.). Speziell gewürdigt wird die von Johannes Paul II. in seinen Katechesen vorgelegte „Theologie des Leibes“[10], die sich Franziskus durch wiederholte Zitate im vorliegenden Schreiben zu eigen macht und die er selber dann auf praktisch-konkrete Weise weiterführt. Die Sakramentalität der Ehe erfährt eine besondere Beachtung[11], wobei es nicht nur um den Moment der Konsenserklärung geht, sondern um einen lebenslangen Weg der Gatten in der Einheit ihrer Liebe mit Christus. Dabei ist auch die „auf menschliche Weise gelebte und durch das Sakrament geheiligte geschlechtliche Vereinigung … für die Eheleute ein Weg des Wachstums im Leben der Gnade.“[12] Das eheliche Gut soll christozentrisch verstanden werden.

Angesprochen werden auch schwierige Situationen, die um der Liebe zur Wahrheit willen gut zu unterscheiden sind[13]; dabei spielt auch der individuelle Grad der Verantwortung eine Rolle. Die Weitergabe des menschlichen Lebens in Treue zum göttlichen Plan und die Erziehung der Kinder sind ein wichtiges Anliegen der kirchlichen Lehrverkündigung. Die Botschaft der Enzyklika „Humanae vitae“ sei wiederzuentdecken. Die kirchliche Berufung von Ehe und Familie wird herausgestellt. Dieser Abschnitt bietet eine gelungene Synthese der kirchlichen Lehre zu Ehe und Familie und lädt ein, genau darauf verstärkt Bezug zu nehmen und die Schätze der entsprechenden lehramtlichen Dokumente neu zu heben.

4. Die Liebe in der Ehe (Nr. 89–164)

In gewisser Weise handelt es sich hier um den Höhepunkt des päpstlichen Schreibens zu Ehe und Familie. Die Gnade des Ehesakraments ist ja tatsächlich dazu bestimmt, die Liebe der Ehegatten zu vervollkommnen und ihnen Anteil an einer letztlich in Gott gegründeten Freude zu geben.[14] Zuerst wird eine ausführliche inhaltliche Auslegung des „Hohenliedes der Liebe“ aus 1 Kor 13 geboten, die ausgeht von einer sprachlichen Analyse der Worte und nach ihrem Sinn fragt, der dann in besonderer Weise auf Ehe und Familie angewandt wird. Tatsächlich sind hier wertvolle Einsichten enthalten, die sich im meditativen Lesen erschließen und an Braut- und Eheleute vermittelt werden können.

Ein wichtiges Thema ist das Wachstum in der vollkommenen ehelichen Liebe. Es ist gerade die zwischen Mann und Frau bestehende und zur Verbindlichkeit der Hingabe der Personen herangereifte Liebe, welche die Ehe als Institution miteinschließt und die in ihrer inneren Logik daraufhin ausgerichtet ist: „Die Ehe als gesellschaftliche Institution ist Schutz und Bahn für die gegenseitige Verpflichtung und für die Reifung der Liebe, damit die Entscheidung für den anderen an Festigkeit, Konkretheit und Tiefe zunimmt und damit sie zugleich ihre Aufgabe in der Gesellschaft erfüllen kann. Darum geht die Ehe über jede flüchtige Mode hinaus und dauert fort. Ihr Wesen ist in der Natur des Menschen selbst und in seinem sozialen Charakter verwurzelt. Sie schließt eine Reihe von Verbindlichkeiten ein, die jedoch aus der Liebe selbst hervorgehen, aus einer so entschlossenen und großherzigen Liebe, dass sie fähig ist, die Zukunft zu wagen.“[15]

Es werden wichtige Unterscheidungen auf der Grundlage der Analyse des hl. Thomas von Aquin[16] angesprochen, die von Johannes Paul II.[17] und Benedikt XVI.[18] vertieft worden waren. Die eheliche Liebe „ist eine ‚affektive‘, geistige und oblative, ‚schenkende‘ Vereinigung, die aber auch die Zärtlichkeit der Freundschaft und die erotische Leidenschaft umfasst, obschon sie fähig ist weiterzubestehen, auch wenn die Gefühle und die Leidenschaft schwächer werden.“[19] Die sinnlich-erotische Liebe hat hier ihren Platz, wobei der Eros einer fortschreitenden Reinigung durch das Feuer der göttlichen Liebe bedarf, um in den Dienst des Sich-Schenkens der Personen gestellt werden zu können, das in der Annahme und Erziehung von Kindern bereit ist mitzuwirken am Schöpfungswerk Gottes. Liebe und Ehrfurcht gehören zusammen; es bedarf der Vermenschlichung der Triebe. Dies ist gerade angesichts der Formen von sexueller Gewalt und Ausbeutung zu betonen.

Ehe und Jungfräulichkeit werden als komplementäre Berufungen angesehen, die je auf ihre Weise wichtige Aspekte des christlichen Lebens zum Ausdruck bringen.[20] „Die Jungfräulichkeit ist eine Form des Liebens. Als Zeichen erinnert sie uns an die vorrangige Bedeutsamkeit des Gottesreiches, an die Dringlichkeit, sich vorbehaltlos dem Dienst der Verkündigung zu widmen (vgl. 1 Kor 7,32). Zugleich ist sie ein Abglanz der Fülle des Himmels, wo ‚die Menschen nicht mehr heiraten (werden)‘ (Mt 22,30).“[21] Der Wert der Ehe als Gnadengabe und Berufung darf gemäß dem christlichen Verständnis nicht herabgesetzt werden.[22] Denn auch verheiratete Menschen sind in der Treue zum Geist der evangelischen Räte „zu jener Vollkommenheit“ berufen, „die der Liebe entspringt. Diese Vollkommenheit ist für jeden Menschen … möglich und erreichbar.“[23] Umgekehrt ist es für einen jungfräulich lebenden Menschen möglich, „in manchen Ehen ein deutliches Zeichen der großherzigen und unerschütterlichen Treue Gottes zu seinem Bund (zu) finden, das sein Herz zu einer konkreteren und hingebungsvolleren Verfügbarkeit anspornt.“[24]

5. Die Liebe, die fruchtbar wird (Nr. 165–198)

Im Wesen der ehelichen Liebe liegt es, dass sie über sich selbst hinausweist und bereit ist, Kindern das Leben zu schenken. Papst Franziskus hebt den Reichtum kinderreicher Familien hervor, die eine Freude für die Kirche und einen Wert für die Gesellschaft darstellen. Sowohl die Liebe der Mutter als auch die des Vaters werden in ihrer jeweiligen Eigenart und Unersetzlichkeit gewürdigt. Über die biologische Fruchtbarkeit hinaus gibt es Formen der erweiterten Fruchtbarkeit, die sich in der Adoption von Kindern und in der Liebe zu den Armen und Schwachen zeigen. Die Sorge für die alten Menschen wird besonders hervorgehoben.

Im Zusammenhang der Achtung des eigenen Leibes und des ehelichen Ein-Fleisch-Werdens sowie des geistlichen Wachstums der Familie insgesamt wird die Beziehung zur heiligen Eucharistie als „Eingliederung in einen einzigen kirchlichen Leib“[25] hervorgehoben. Es gilt den Leib des Herrn in der Eucharistie von gewöhnlicher Speise zu unterscheiden, damit man sich nicht das Gericht Gottes zuzieht, indem man isst und trinkt (vgl. 1 Kor 11,17–34).[26] Gottes- und Nächstenliebe gehören auch hier zusammen. So führt der Papst beispielhaft aus: „Wenn diejenigen, die zur Kommunion gehen, sich dagegen sträuben, sich zu einem Einsatz für die Armen und Leidenden anregen zu lassen, oder verschiedene Formen der Trennung, der Verachtung und der Ungerechtigkeit gutheißen, werden sie die Eucharistie unwürdig empfangen.“[27]

6. Einige pastorale Perspektiven (Nr. 199–258)

In diesem Abschnitt geht es – in Fortführung der bereits bisher von der Kirche vorgelegten Weisungen und Anregungen[28] – vor allem um die Vorbereitung der einzelnen und der Paare auf den Empfang des Ehesakraments und um die pastorale Begleitung der Eheleute und Familien, damit sie in der Liebe Frucht bringen können. Gerade angesichts so mancher Herausforderungen durch Konflikte und Krisen verschiedenster Art gilt ja, dass Vorbeugen besser als Heilen ist. Praktisch gesehen besteht im Bereich von Ehevorbereitung und Ehebegleitung ein enormes Potential der Verbesserung, das sich nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern vor allem im Hinblick auf die Qualität der Angebote auswirken wird müssen. So gesehen bietet das päpstliche Schreiben „Amoris laetitia“ hier eine hilfreiche Erinnerung an bereits bestehende Weisungen, aber auch eine heilsame Mahnung und Ermutigung für weitere pastorale Initiativen, die auf den Kern des ehelichen und familiären Lebens in der Gemeinschaft mit Jesus Christus und in Einheit mit der Kirche ausgerichtet sind.

Unter anderem stellt der Papst in Blickrichtung auf das Konkrete fest: „Sowohl die unmittelbare Vorbereitung als auch die Begleitung über längere Zeit müssen sicherstellen, dass die Verlobten die Heirat nicht als das Ende eines Weges ansehen, sondern die Ehe als eine Berufung annehmen, die sie vorwärtstreibt, mit dem festen und realistischen Entschluss, alle Prüfungen und schwierigen Momente gemeinsam zu durchleben. Die Seelsorge in der Vorbereitung auf die Ehe und die Ehepastoral müssen vor allem eine Seelsorge der Bindung sein, wo Elemente vermittelt werden, die helfen, sowohl die Liebe reifen zu lassen als auch die schweren Zeiten zu überstehen. Diese Elemente sind nicht einzig und allein doktrinelle Überzeugungen, sie dürfen nicht einmal auf die wertvollen spirituellen Ressourcen beschränkt werden, welche die Kirche immer darbietet, sondern müssen auch praktische Wege, gut ‚inkarnierte‘ Ratschläge, aus der Erfahrung erwachsene Vorgehensweisen und psychologische Orientierungen sein. All das bildet eine Pädagogik der Liebe, welche die heutige Sensibilität junger Menschen nicht unbeachtet lassen darf, um sie innerlich bereit zu machen.“[29]

Auch komplexe und irreguläre Situationen werden bereits hier angesprochen[30]; ebenso die Begleitung von Paaren in konfessionsverschiedenen und religionsverschiedenen Ehen. Hier werden sakramentale Grenzen benannt, die nicht überschritten werden können.[31] Menschen mit homosexuellen Tendenzen gebührt eine besondere Zuwendung; doch gibt es – wie Papst Franziskus mit den Synodenvätern feststellt – „keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn.“[32]

Weitere Ausführungen beziehen sich auf den Umgang mit dem Tod eines geliebten Menschen, vor allem eines Ehepartners oder eines Kindes. Kirchliche Trauerbegleitung hat eine besondere Priorität, wobei das Gebet für die Verstorbenen als Ausdruck der Verbundenheit mit ihnen hervorgehoben wird.

7. Die Erziehung der Kinder stärken (Nr. 259–290)

Die Aufgabe christlicher Eltern besteht nicht allein darin, Kindern physisch das Leben zu schenken und sie mit dem materiell Notwendigen zu versorgen, sondern die Erziehung ist wesentlich ein personaler Beitrag zu ihrer geistigen und religiösen Formung. In diesem Prozess soll die Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Kinder gefördert werden; sie dürfen jedoch nicht sich selbst überlassen werden, weil sie der Orientierung bedürfen. Auf der Grundlage einer bedingungslosen Annahme der Kinder in Liebe hat auch die Strafe einen Wert als Ansporn, „wenn zugleich die Bemühungen gewürdigt und anerkannt werden und wenn das Kind entdeckt, dass seine Eltern ein geduldiges Vertrauen behalten. Ein liebevoll zurechtgewiesenes Kind fühlt sich beachtet, nimmt wahr, dass es jemand ist, und merkt, dass seine Eltern seine Möglichkeiten anerkennen.“[33]

Es ist primär das Recht der Eltern, für die Erziehung ihrer Kinder zu sorgen und sicherzustellen, dass diese in Einklang mit ihrer Werthaltung und religiösen Überzeugung erfolgt. Der Beitrag kirchlicher Schulen wird hervorgehoben. Die Sexualerziehung soll eine altersgemäße Hinführung zu den menschlichen und christlichen Werten auf diesem Gebiet darstellen und die Schamhaftigkeit und Keuschheit beachten und fördern.[34] Wenn „Amoris laetitia“ eingangs von der besonderen Kompetenz der Bischöfe und Bischofskonferenzen gesprochen hat, bestimmte Fragen für ihren Bereich verbindlich zu regeln – unbeschadet der Notwendigkeit einer Einheit der Lehre und der pastoralen Praxis in der Universalkirche[35] –, so sind angesichts des oft „wertfreien“, ja ideologisch befrachteten Sexualkundeunterrichts in vielen Ländern hier die Bischöfe besonders gefordert, klar und eindeutig Stellung zu nehmen und die Elternrechte zu stärken.

Entscheidend ist die Weitergabe des Glaubens in den Familien. So zeigt sich die Familie als „Subjekt pastoralen Handelns“[36] – nicht zuletzt in der Übung der Werke der geistigen und leiblichen Barmherzigkeit.

8. Die Zerbrechlichkeit begleiten, unterscheiden und eingliedern (Nr. 291–312)

Dieses Kapitel stellt eine Herausforderung für eine wahrhaft kirchliche Hermeneutik dar. Was hier zur Sprache kommt, sind nicht primär normtheoretische Überlegungen, die andernorts vom Lehramt der Kirche in aller Ausführlichkeit vorgelegt worden sind[37], sondern in der Perspektive des Guten Hirten, der sich um jedes einzelne seiner Schafe kümmert und besonders dem verloren gegangenen nachgeht, wird hier nach Wegen gesucht, Ehepaaren in Krisen sowie Menschen in irregulären Situationen, in die sie durch größere oder geringere Schuld gelangt sein mögen, die Nähe der Kirche zu bezeugen. Diese Integration all jener, die guten Willens sind, sieht nicht ab von den objektiven Forderungen der Gebote Gottes, deren zentralstes das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe ist, sondern will einen Weg der Bekehrung eröffnen, und zwar gerade auch dort, wo Betroffene vielleicht den Eindruck haben, sich in einer festgefahrenen Situation zu befinden.

Die Sünde des Ehebruchs stellt ein großes Unrecht dar und darf in keiner Weise gerechtfertigt oder verharmlost werden.[38] Während aber die Sünde zu verurteilen ist, ist der Sünder zu lieben. So heißt es einleitend zu diesem Kapitel: „Die Synodenväter haben zum Ausdruck gebracht, dass die Kirche, obwohl sie der Überzeugung ist, dass jeder Bruch des Ehebandes ‚Gottes Willen zuwiderläuft, (sich) auch der Schwäche vieler ihrer Kinder bewusst (ist)‘. Erleuchtet durch den Blick Jesu Christi, ‚wendet sich die Kirche liebevoll jenen zu, die auf unvollendete Weise an ihrem Leben teilnehmen. Sie erkennt an, dass Gottes Gnade auch in ihrem Leben wirkt und ihnen den Mut schenkt, das Gute zu tun, um liebevoll füreinander zu sorgen und ihren Dienst für die Gemeinschaft, in der sie leben und arbeiten, zu erfüllen.‘“[39] Dabei geht es stets um die nötige Umkehr zu Gott in der Erfüllung seiner Gebote.[40]

Die Betrachtungsweise dieses Kapitels stellt das subjektive Moment stärker hervor als in bisherigen lehramtlichen Stellungnahmen. „Amoris laetitia“ führt aus, dass objektiv schwere Sünden nicht immer subjektiv schwerwiegend sein müssen, da es Faktoren gibt, welche die Verantwortlichkeit für eine Sünde vermindern können.[41] Dies ist keine neue Lehre; wohl aber dient sie dem Anliegen des Papstes, der die betreffenden Gläubigen im Rahmen geistlicher Begleitung und Unterscheidung verstärkt ins Leben der Kirche integrieren will, auch unter dem Vorzeichen des „Jahres der Barmherzigkeit“. Allerdings ist dabei der Sakramentenempfang nicht das erste Ziel, sondern steht erst am relativen Abschluss eines echten Bekehrswegs, der auch eine Ordnung der objektiven Verhältnisse im Sinne der Gebote Gottes anzielt. Dass diese Ordnung in der Lehre und Disziplin der Kirche präsent bleiben muss, wird unbeschadet der pastoralen Ausrichtung des Dokuments anerkannt.

Die Unterscheidung der verschiedenen Situationen betroffener Menschen geschieht um der Liebe zur Wahrheit willen, wie dies schon „Familiaris consortio“ verlangt hatte.[42] Es geht im Hinblick auf eine solche Unterscheidung auch um ein Ausloten dessen, in welcher Form für solche Menschen ein Bekehrungsweg möglich ist. So heißt es: „Die Unterscheidung muss dazu verhelfen, die möglichen Wege der Antwort auf Gott und des Wachstums inmitten der Begrenzungen zu finden. In dem Glauben, dass alles weiß oder schwarz ist, versperren wir manchmal den Weg der Gnade und des Wachstums und nehmen den Mut für Wege der Heiligung, die Gott verherrlichen. Erinnern wir uns daran, dass ‚ein kleiner Schritt inmitten großer menschlicher Begrenzungen … Gott wohlgefälliger sein [kann] als das äußerlich korrekte Leben dessen, der seine Tage verbringt, ohne auf nennenswerte Schwierigkeiten zu stoßen‘. Die konkrete Seelsorge der Amtsträger und der Gemeinden muss diese Wirklichkeit mit einbeziehen.“[43]

Wenn es in Bezug auf die Möglichkeit des Lebens und Wachsens in der Gnade Gottes in einer objektiven Situation der Sünde, „die nicht schuldhaft ist oder es zumindest nicht völlig ist“, heißt, es solle hier die „Hilfe der Kirche“ angeboten werden, merkt das Dokument in der Fußnote an: „In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der Sakramente sein.“[44] Verschiedentlich wird gerade diese Fußnote je nach Standpunkt als problematisch oder als hochwillkommen empfunden.[45] Eine an sich unverfängliche Aussage wird in der gegenwärtigen Rezeption als Öffnung der Kirche über die bisher geltende Disziplin hinaus gedeutet, und zwar bei Personen, die trotz aufrechter Ehe in einer neuen zivilen Verbindung leben (sog. wiederverheiratet Geschiedene).[46]

Das päpstliche Schreiben nimmt in diesem Zusammenhang Bezug zu Darlegungen des heiligen Kirchenlehrers Thomas von Aquin. Er hatte unter anderem festgestellt, dass der Mensch im Geschehen der Rechtfertigung mit der heiligmachenden Gnade zugleich die göttlichen Tugenden erhält, aber auch alle übrigen Tugenden, und zwar in eingegossener Form. Dennoch sei es möglich, dass ein solcher Mensch, der im Stand der Gnade steht, bestimmte Tugendakte nicht verwirklichen kann, da dieser Betätigung zum Beispiel die Macht eingefleischter Gewohnheiten entgegensteht.[47] „Amoris laetitia“ setzt dies nun – über Thomas hinausgehend – in Beziehung zu Menschen, die sich in einer objektiv ungeordneten, also irregulären Situation in Hinblick auf ihre Ehe befinden: Es sei auch hier möglich, dass aufgrund schuldmindernder Faktoren die volle subjektive Verantwortlichkeit für ein Fortbestehen dieser Unordnung nicht gegeben sei und sich die betreffende Person daher im Stand der Gnade befinde. Freilich kann es sich hier nur um ein Wahrscheinlichkeitsurteil handeln, da dem Menschen ein sicheres Wissen über den eigenen Gnadenstand, aber auch über den Gnadenstand anderer Menschen im Normalfall nicht möglich ist.[48]

Folgt aus dem eine Zulassung zu den Sakramenten im Einzelfall, nach Prüfung der möglichen Verantwortlichkeit durch einen Priester im „forum internum“? Könnte eine solche Zulassung über den in „Familiaris consortio“, Nr. 84, beschriebenen Fall des Zusammenlebens mit Vorsatz zu sexueller Abstinenz hinaus erfolgen?[49] Lässt „Amoris laetitia“ eine solche Deutung zu, wenn angemerkt wird, „dass die Konsequenzen oder Wirkungen einer Norm nicht notwendig immer dieselben sein müssen“[50]? Oder muss man nicht vielmehr sagen: Da es sich um eine Änderung der geltenden Disziplin handeln würde, müsste eine solche auch ausdrücklich verlautbart werden? Dies aber tut der Papst an keiner Stelle, und so bleibt die Einschätzung legitim, sich auch weiterhin im betreffenden Fall genau auf jene Bedingung zu beziehen, wie sie in „Familiaris consortio“ beschrieben ist: dass eben ganz konkret und unverzichtbar neben allen sonstigen, auch individuellen Erfordernissen der zumindest ansatzweise gegebene Vorsatz zur sexuellen Enthaltsamkeit für sogenannte wiederverheiratete Geschiedene als Zeichen der Umkehr zu werten ist[51], aufgrund dessen eine sakramentale Absolution und der Empfang der Eucharistie – unter Vermeidung öffentlichen Ärgernisses – möglich sind.[52]

Die Autorität des heiligen Thomas von Aquin wird im Hinblick auf die gebotene Unterscheidung der Situationen nochmals herangezogen, da dieser im Hinblick auf die Erkenntnis und Anwendung konkreter Normen im Zusammenhang mit der praktischen Vernunft ausführt: „Obgleich es im Bereich des Allgemeinen eine gewisse Notwendigkeit gibt, unterläuft desto eher ein Fehler, je mehr man in den Bereich des Spezifischen absteigt … Im Bereich des Handelns … liegt hinsichtlich des Spezifischen nicht für alle dieselbe praktische Wahrheit oder Richtigkeit vor, sondern nur hinsichtlich des Allgemeinen; und bei denen, für die hinsichtlich des Spezifischen dieselbe Richtigkeit vorliegt, ist sie nicht allen in gleicher Weise bekannt … Es kommt also umso häufiger zu Fehlern, je mehr man in die spezifischen Einzelheiten absteigt.“[53]

Würde man diese Aussage so deuten, dass die Lehre der Kirche im Hinblick auf die objektive sittliche Verwerflichkeit jedes geschlechtlichen Aktes außerhalb der Ehe Ausnahmen zulassen müsste und damit solche Akte nicht mehr als in sich schlecht betrachtet werden dürften, so wäre tatsächlich ein Bruch mit der Tradition gegeben.[54] Dies ist gemäß der Intention des Verfassers des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens und der Natur eines lehramtlichen Dokuments jedoch auszuschließen.

Thomas von Aquin geht es vielmehr um die „Verlängerung“ sittlicher und rechtlicher Normen ins Konkrete; dies kann nicht ohne Bezug auf den Einzelfall erfolgen, und unter Einbeziehung der Tugend der Klugheit. Hier ist es tatsächlich nicht möglich, a priori eine vollständige normative Beschreibung all dessen vorzulegen, was konkret in einer Situation zu tun ist.[55] Dennoch gibt es Handlungen, die immer in sich schlecht sind und deren objektive Qualität nicht von den Umständen und der Intention abhängt; sie sind daher nie zu rechtfertigen und jedenfalls zu unterlassen („semper et pro semper“). Bei Handlungen, die sittlich geboten sind, ist hingegen eine Einbeziehung der konkreten Umstände stets nötig. Sie sind „semper et non pro semper“ zu verwirklichen.[56]

Dem Papst geht es um die Vermeidung vorschnellen Urteilens über die subjektive Situation von Menschen, die in einem objektiv ungeordneten Stand leben und auch um die Vermeidung einer lehramtlichen oder kanonistischen Vorgabe von Lösungen für den Einzelfall; denn hier hat das Gewissen, das freilich der Bildung und Formung bedarf, seinen unersetzbaren Ort.[57] Die geistliche Begleitung, d.h. all das, was ins „forum internum“ gehört, soll die einzelnen Christen dabei in kompetenter Weise unterstützen. In keiner Weise geht es um eine Relativierung der sittlichen Normen, sondern um ihre gleichsam punktgenaue Anwendung in komplexen Situationen.

Da also nicht der Sakramentenempfang das erste Ziel ist, sondern die Ermöglichung von Bekehrung durch verstärkte Integration ins kirchliche Leben[58], bleiben die Weisungen Johannes Pauls II. in „Familiaris consortio“ vollinhaltlich aufrecht: „Zusammen mit der Synode möchte ich die Hirten und die ganze Gemeinschaft der Gläubigen herzlich ermahnen, den Geschiedenen in fürsorgender Liebe beizustehen, damit sie sich nicht als von der Kirche getrennt betrachten, da sie als Getaufte an ihrem Leben teilnehmen können, ja dazu verpflichtet sind. Sie sollen ermahnt werden, das Wort Gottes zu hören, am heiligen Messopfer teilzunehmen, regelmäßig zu beten, die Gemeinde in ihren Werken der Nächstenliebe und Initiativen zur Förderung der Gerechtigkeit zu unterstützen, die Kinder im christlichen Glauben zu erziehen und den Geist und die Werke der Buße zu pflegen, um so von Tag zu Tag die Gnade Gottes auf sich herabzurufen. Die Kirche soll für sie beten, ihnen Mut machen, sich ihnen als barmherzige Mutter erweisen und sie so im Glauben und in der Hoffnung stärken.“[59]

9. Spiritualität in Ehe und Familie (Nr. 313–325)

In diesem Kapitel wird der Weg zur Heiligkeit in Ehe und Familie beleuchtet, und zwar im Licht des Ostergeheimnisses Jesu Christi, aber auch in Verbundenheit mit seinem Leiden und Sterben. „Eine gut gelebte Gemeinschaft in der Familie ist ein echter Weg der Heiligung im gewöhnlichen Leben wie auch des mystischen Wachstums, ein Mittel zur innigen Vereinigung mit Gott. Denn die geschwisterlichen und gemeinschaftlichen Anforderungen des Lebens in der Familie sind eine Gelegenheit, das Herz immer mehr zu öffnen, und das ermöglicht eine immer vollkommenere Begegnung mit dem Herrn.“[60]

Die kirchliche Dimension einer solchen Spiritualität wird hervorgehoben, denn die Nahrung der Eucharistie sei „Kraft und Anreiz, den Ehebund jeden Tag als ‚Hauskirche‘ zu leben.“[61] In der Verbundenheit mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn gelangen die Ehegatten dazu, eine „Spiritualität der ausschließlichen, aber nicht besitzergreifenden Liebe“[62] zu leben, die zu einer „Spiritualität der Fürsorge, des Trostes und des Ansporns“[63] nicht nur für einander und die eigenen Kinder, sondern auch in der geistlichen Fruchtbarkeit nach außen hin im Raum von Kirche und Gesellschaft wird.

Fazit:

Es gilt, das Nachsynodale Apostolische Schreiben „Amoris laetitia“ trotz eines schwierigen Kontextes der Rezeption und so mancher im Dokument selber gegebener „Stolpersteine“[64] als Ermutigung für die Familien selber und für eine Pastoral zu sehen, welche die Familien im Zentrum des kirchlichen Wirkens sieht. Die Anwendung der traditionellen Kriterien zur Unterscheidung, wie sie in „Familiaris consortio“ für eine spezielle Zielgruppe formuliert wurden, wird weiterhin vorausgesetzt, um den jeweiligen Personen in ihren speziellen Umständen und Verhältnissen gerecht zu werden, aber dabei die Gefahren der Willkür und des Subjektivismus zu vermeiden.[65]

Vor allem aber wird es vor Ort nötig sein, die kirchliche Ehevorbereitung und die Ehebegleitung zu stärken, damit die Familien als „hauptsächliche Subjekte der Familienpastoral“[66] ihre ureigene Aufgabe des Zeugnisses für Christus und des Dienstes für Kirche und Gesellschaft gut erfüllen können und sich so die „Freude der Liebe“ als wirksam für das Heil der Menschen erweist. Damit aber ist schon die mittel- und langfristige Rezeption dieses Apostolischen Schreibens angesprochen, für die freilich jetzt schon die Grundlagen in einem angemessenen Verständnis und in einem verantwortungsbewussten kirchlichen Handeln zu legen sind.


[1] Vgl. Papst Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben „Amoris laetitia“ über die Liebe in der Familie, 19. März 2016, im Folgenden abgekürzt mit AL; 3. Außerordentliche Generalversammlung der Bischofssynode zum Thema: „Die pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie im Kontext der Neuevangelisierung”, 05.-19.10.2014; 14. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode zum Thema: „Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute”, 04.-25.10.2015. Vgl. Christoph Kardinal Schönborn (Hg.), Berufung und Sendung der Familie. Die zentralen Texte der Bischofssynode. Mit einem Kommentar von P. Michael Sievernich SJ, Freiburg 2015. Zu beachten ist auch: Conferenza Stampa per la presentazione dell’Esortazione Apostolica post-sinodale del Santo Padre Francesco “Amoris laetitia”, sull’amore nella famiglia, 08.04.2016.

[2] In den diesbezüglichen Anmerkungen von AL wird auf das Schlussdokument der III. Außerordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode mit der Kurzbezeichnung Relatio Synodi 2014 32mal verwiesen, auf jenes der XIV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode mit dem Kurztitel Relatio finalis 2015 53mal.

[3] Dies wird erkennbar durch den oftmaligen Bezug auf die maßgeblichen kirchlichen Dokumente zur Lehre von Ehe und Familie (wie vor allem „Casti connubii“ von Papst Pius XI., „Humanae vitae“ von Papst Paul VI. und „Familiaris consortio“ von Papst Johannes Paul II.), aber auch durch die ausdrücklich erklärte Absicht des Papstes, „an einige Grundfragen der Lehre der Kirche über Ehe und Familie erinnern“ zu wollen (AL 6).

[4] „Beim Aufbau des Textes werde ich mit einer von der Heiligen Schrift inspirierten Eröffnung beginnen, die ihm eine angemessene Einstimmung verleiht. Von da ausgehend werde ich die aktuelle Situation der Familien betrachten, um ‚Bodenhaftung‘ zu bewahren. Danach werde ich an einige Grundfragen der Lehre der Kirche über Ehe und Familie erinnern, um so zu den beiden zentralen Kapiteln zu führen, die der Liebe gewidmet sind. In der Folge werde ich einige pastorale Wege vorzeichnen, die uns Orientierung geben sollen, um stabile und fruchtbare Familien nach Gottes Plan aufzubauen; in einem weiteren Kapitel werde ich mich mit der Erziehung der Kinder beschäftigen. Danach geht es mir darum, zur Barmherzigkeit und zur pastoralen Unterscheidung einzuladen angesichts von Situationen, die nicht gänzlich dem entsprechen, was der Herr uns aufträgt, und zum Schluss werde ich kurze Leitlinien für eine Spiritualität der Familie entwerfen.“ – AL 6.

[5] Hier legt sich ein Vergleich mit der Rezeption der Dokumente des 2. Vatikanischen Konzils nahe: Benedikt XVI. hat in seiner Weihnachtsansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie am 22. Dezember 2005 eine „Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches“ von einer „Hermeneutik der Reform unter Wahrung der Kontinuität“ unterschieden. Der Passauer Bischof Stefan Oster sieht in der Rezeption von „Amoris laetitia“ Parallelen zum kirchlichen und medialen Umgang mit den Texten des 2. Vatikanischen Konzils: vgl. Stefan Oster, Ein guter oder ein schlechter Text? Kath.net, 13. April 2016. Antonio Livi sieht das Dokument unbeschadet seiner guten Intention der Möglichkeit „böswilliger Interpretationen“ ausgesetzt, in: National Catholic Register, 04/14/2016.

[6] Eröffnet wird dieses Kapitel mit einer Meditation über Ps 128,1–6. Bezug genommen wird unter anderem auf das Buch Genesis (vgl. Gen 1,27–28; auch in der Relation von Mt 19,4 zu Gen 2,24), das Buch Jesus Sirach (Sir 36,29), das Hohelied (Hld 2,16; 6,3), das Buch Hosea, die Evangelien und den Epheserbrief (Eph 5,21–33).

[7] So lautet die Überschrift zu AL 19–22.

[8] Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben „Familiaris consortio“ über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute, 22. November 1981, Nr. 4–10: „Die Familie heute – Licht und Schatten“.

[9] „Christus hat Ehe und Familie erlöst (vgl. Eph 5,21–32) und nach dem Bild der Heiligsten Dreifaltigkeit, dem Geheimnis, aus dem jede wahre Liebe entstammt, wiederhergestellt. Der eheliche Bund, der in der Schöpfung grundgelegt und in der Heilsgeschichte offenbart wurde, erhält die volle Offenbarung seiner Bedeutung in Christus und in seiner Kirche. Ehe und Familie empfangen von Christus durch die Kirche die notwendige Gnade, um Gottes Liebe zu bezeugen und ein gemeinsames Leben zu leben.“ – AL 63.

[10] Vgl. Johannes Paul II., Die menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan. Eine Theologie des Leibes, hg. von Norbert und Renate Martin, Kisslegg 20082. Zur Einführung vgl. Josef Spindelböck, Theologie des Leibes kurzgefasst. Eine Lesehilfe zu „Liebe und Verantwortung“ von Karol Wojtyła sowie zu den Katechesen Johannes Pauls II. über die menschliche Liebe, Kleinhain 2015.

[11] Wichtig ist die Bekräftigung der Wahrheit, „dass es ‚zwischen Getauften keinen gültigen Ehevertrag geben (kann), ohne dass er zugleich Sakrament ist‘.“ – AL 75 mit Verweis auf CIC, can. 1055 §2.

[12] AL 74.

[13] Vgl. Johannes Paul II., Familiaris consortio, Nr. 84.

[14] Vgl. AL 89 mit Verweis auf KKK 1641.

[15] AL 131.

[16] Vgl. Thomas von Aquin, STh I q.20 a.1 ad 3; I-II q.26 a.3; I-II q.110 a.1; II-II q.27 a.2; ScG III q.123.

[17] Vgl. die metaphysische, psychologische und ethische Analyse der Liebe in: Karol Wojtyła, Liebe und Verantwortung. Eine ethische Studie. Auf der Grundlage des polnischen Textes neu übersetzt und herausgegeben von Josef Spindelböck, Kleinhain 20102, 109–206.

[18] Vgl. vor allem Benedikt XVI., Enzyklika „Deus caritas est“ über die christliche Liebe, 25. Dezember 2005, Nr. 2–18.

[19] AL 120.

[20] Dies geschieht mit Berufung auf Johannes Paul II., Katechese bei der Generalaudienz am 14. April 1982.

[21] AL 159.

[22] Freilich ist hier die Feststellung Johannes Pauls II. in „Familiaris consortio“, Nr. 16, mitzudenken: „Indem sie das Herz des Menschen auf besondere Art freimacht und ‚es so zu größerer Liebe zu Gott und zu allen Menschen entzündet‘, bezeugt die Jungfräulichkeit, dass das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit die kostbare Perle ist, welche verdient, jedem anderen, selbst hohen Wert vorgezogen, ja als einziger endgültiger Wert gesucht zu werden. Deshalb hat die Kirche im Lauf ihrer Geschichte immer die Erhabenheit dieses Charismas über das der Ehe verteidigt, eben aufgrund seiner ganz einzigartigen Verbindung mit dem Reich Gottes.“

[23] AL 160 zitiert Johannes Paul II., Katechese bei der Generalaudienz vom 14. April 1982.

[24] AL 162.

[25] AL 186.

[26] Wenn Papst Franziskus diesen in der gegenwärtigen Katechese und Pastoral vielfach vernachlässigten Aspekt eigens hervorhebt, so muss man ihm dafür dankbar sein. Die Beachtung der Voraussetzungen für einen würdigen und fruchtbringenden Kommunionempfang ist wichtig auch für ein rechtes Verständnis jener Situationen, in denen Personen aufgrund ihrer inneren Disposition oder auch aufgrund rechtlicher Hindernisse am sakramentalen Empfang der Eucharistie gehindert sind.

[27] AL 186.

[28] Vgl. Familiaris consortio, Nr. 66; Päpstlicher Rat für die Familie, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe, 13. Mai 1996; Österreichische Bischofskonferenz, Standards der Eheseminare für Brautpaare, 9. November 2007, in: Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz, Nr. 45, 1. Mai 2008, 11–18.

[29] AL 211.

[30] Ausführlicher erfolgt dies dann im 8. Kapitel von AL.

[31] In AL 247 verweist der Papst ausdrücklich auf die für konfessionsverschiedene Paare geltenden Bestimmungen des kirchlichen Rechts, auf die auch das Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen vom 25. März 1993 Bezug nimmt.

[32] AL 251 zitiert die Relatio finalis 2015, Nr. 76, und verweist auf das Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre vom 3. Juni 2003 („Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen“).

[33] AL 269.

[34] AL erwähnt nicht ausdrücklich, dass der primäre und eigentliche Ort der Sexualerziehung die Familie ist. Wie Papst Franziskus allerdings die Erziehung insgesamt primär der Kompetenz der Eltern zuweist, so gilt dies für ihn auch im Bereich der Sexualerziehung. Vgl. Päpstlicher Rat für die Familie, Menschliche Sexualität: Wahrheit und Bedeutung, 8. Dezember 1995.

[35] Vgl. AL 3: „Selbstverständlich ist in der Kirche eine Einheit der Lehre und der Praxis notwendig; das ist aber kein Hindernis dafür, dass verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden, weiterbestehen. Dies wird so lange geschehen, bis der Geist uns in die ganze Wahrheit führt (vgl. Joh 16,13), das heißt bis er uns vollkommen in das Geheimnis Christi einführt und wir alles mit seinem Blick sehen können. Außerdem können in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen gesucht werden, welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen.“

[36] AL 290 verweist auf die Relatio finalis 2015, Nr. 93.

[37] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung „Persona humana“ zu einigen Fragen der Sexualethik, 29. Dezember 1975; Johannes Paul II., Enzyklika “Veritatis splendor” über einige grundlegende Fragen der kirchlichen Morallehre vom 6. August 1993.

[38] Im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Amoris laetitia“ wird es – bis auf das im Folgenden zitierte Beispiel – vermieden, von „Ehebruch“ und „Unzucht“ zu sprechen. Dies tut der Klarheit in der Sache einen gewissen Abbruch, obwohl anzuerkennen ist, dass gegenüber Betroffenen, die sich umkehrwillig zeigen, eine harte und anklagende Sprache zu vermeiden ist.

[39] AL 291 mit Zitaten aus Relatio Synodi 2014, Nr. 24 und 25.

[40] Viermal spricht das Schreiben ausdrücklich von „Umkehr“ bzw. „umkehren“: vgl. AL 18, 78, 201 und 297.

[41] Vgl. AL 203 mit Berufung auf KKK 1735 und 2352.

[42] „Die Hirten mögen beherzigen, dass sie um der Liebe willen zur Wahrheit verpflichtet sind, die verschiedenen Situationen gut zu unterscheiden. Es ist ein Unterschied, ob jemand trotz aufrichtigen Bemühens, die frühere Ehe zu retten, völlig zu Unrecht verlassen wurde oder ob jemand eine kirchlich gültige Ehe durch eigene schwere Schuld zerstört hat. Wieder andere sind eine neue Verbindung eingegangen im Hinblick auf die Erziehung der Kinder und haben manchmal die subjektive Gewissensüberzeugung, dass die frühere, unheilbar zerstörte Ehe niemals gültig war.“ – Johannes Paul II., Familiaris consortio, Nr. 84.

[43] AL 305 mit Hinweis auf Evangelii gaudium, Nr. 44.

[44] AL 305 zusammen mit Fußnote 351.

[45] Diesbezügliche kirchliche und mediale Erwartungen wurden verstärkt durch die auf ausdrückliche Einladung von Papst Franziskus erfolgte Ansprache von Walter Kardinal Kasper beim außerordentlichen Konsistorium der Kardinäle am 20. Februar 2014. Vgl. Walter Kasper, Bibbia, eros e famiglia, in: Il Foglio, 1. März 2014, Vaticano Esclusivo I-III; dt. Walter Kasper, Das Evangelium von der Familie. Die Rede vor dem Konsistorium, Freiburg im Breisgau 2014. Kritisch dazu: John Corbett O.P.; Andrew Hofer O.P.; Paul J. Keller O.P.; Dominic Langevin O.P.; Dominic Legge O.P.; Kurt Martens; Thomas Petri O.P.; Thomas Joseph White O.P., Neue Vorschläge für die pastorale Sorge bezüglich der Geschiedenen und Wiederverheirateten: Eine theologische Bewertung, in: Forum Katholische Theologie 30 (2014) 161–185.

[46] Johannes Paul II. hatte in „Familiaris consortio“, Nr. 84, klar festgestellt: „Die Wiederversöhnung im Sakrament der Buße, das den Weg zum Sakrament der Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt werden, welche die Verletzung des Zeichens des Bundes mit Christus und der Treue zu ihm bereut und die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das nicht mehr im Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe steht. Das heißt konkret, dass, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen – zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder – der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können, ‚sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind‘.“ Der objektive Widerspruch solcher Lebensverhältnisse zu den Geboten Gottes wird dabei als Begründung für die Unmöglichkeit des Kommunionempfangs angeführt, solange eben dieser Widerspruch andauert. Vgl. auch KKK 1650.

[47] Vgl. STh I-II q.65 a.3 ad 2 und 3; De malo, q.2. a.2.

[48] Das Konzil von Trient hatte gegenüber dem Fiduzialglauben Luthers festgestellt: „Keiner vermag mit der Sicherheit des Glaubens, dem kein Trug zugrunde liegen kann, zu wissen, dass er die Gnade Gottes erlangt hat.“ – Dekret über die Rechtfertigung, Kapitel 9, in: DH 1534.

[49] Zu einer solchen Bewertung gelangen Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof Heiner Koch und Bischof Franz-Josef Bode in ihrer Stellungnahme vom 8. April 2016 zu „Amoris laetitia“: „Nur im Blick auf die jeweilige Lebensgeschichte und Realität lässt sich gemeinsam mit den betroffenen Personen klären, ob und wie in ihrer Situation Schuld vorliegt, die einem Empfang der Eucharistie entgegensteht.“ Verneint wird dies hingegen von Livio Melina, dem Präsidenten des „Pontificio Istituto Giovanni Paolo II“, in: kath.net, 18.04.2016.

[50] AL 300. Die entsprechende Fußnote 336 ergänzt: „Auch nicht auf dem Gebiet der Sakramentenordnung, da die Unterscheidung erkennen kann, dass in einer besonderen Situation keine schwere Schuld vorliegt.“

[51] Damit vereinbar ist die Feststellung in Fußnote 364 des Dokuments: „Vielleicht aus Skrupel, der hinter einem großen Verlangen nach Treue zur Wahrheit verborgen ist, verlangen manche Priester von den Büßern einen Vorsatz zur Besserung ohne den geringsten Schatten. Damit verschwindet die Barmherzigkeit unter dem Streben nach einer vermeintlich reinen Gerechtigkeit. Es lohnt sich darum, sich an die Lehre des heiligen Johannes Paul II. zu erinnern, der sagte, dass die Vorhersehbarkeit eines neuen Fallens ‚der Echtheit des Vorsatzes keinen Abbruch (tut)“ (Schreiben an Kardinal William W. Baum anlässlich des von der Apostolischen Pönitentiarie veranstalteten Kurses für Jungpriester und Weihekandidaten [22. März 1996], 5: Insegnamenti XIX, 1 [1996], S. 589).

[52] Dies wird vom Dokument selbst nahegelegt, insofern in Fußnote 239 im Zusammenhang von Familiaris consortio, Nr. 84, auf die „von der Kirche angebotene Möglichkeit, ‚wie Geschwister‘ zusammenzuleben“ Bezug genommen wird. Kritisch muss jedoch die in diesem Zusammenhang erfolgte Verknüpfung mit Gaudium et spes, Nr. 51, gesehen werden, wo auf die Schwierigkeiten sexueller Enthaltsamkeit im Hinblick auf die eheliche Treue hingewiesen wird. Das Wahrheitsmoment dieser Verknüpfung liegt im hohen sittlichen Anspruch der sexuellen Enthaltsamkeit bei einem fortbestehenden Zusammenleben; die Differenz liegt darin, dass es sich – wie die Kirche und der Papst voraussetzen – um keine rechtmäßige Ehe vor Gott und der Kirche handelt. Dennoch hat diese neue Gemeinschaft auch neue sittliche Verpflichtungen begründet, weshalb eine Trennung dieser Personen tatsächlich nicht in jedem Fall möglich und angeraten erscheint.

[53] „Sed ratio practica negotiatur circa contingentia, in quibus sunt operationes humanae, et ideo, etsi in communibus sit aliqua necessitas, quanto magis ad propria descenditur, tanto magis invenitur defectus. … In operativis autem non est eadem veritas vel rectitudo practica apud omnes quantum ad propria, sed solum quantum ad communia, et apud illos apud quos est eadem rectitudo in propriis, non est aequaliter omnibus nota. … Et hoc tanto magis invenitur deficere, quanto magis ad particularia descenditur …“ – Thomas von Aquin, STh I-II q.94 a.4.

[54] Zu den in sich schlechten Handlungen gibt es klare Aussagen in „Veritatis splendor“, Nr. 79–83, und in „Persona humana“, Nr. 7, wird die christliche Lehre betont, „nach der jede geschlechtliche Hingabe des Menschen nur innerhalb der Ehe erfolgen darf.“

[55] AL 305 zitiert eine Aussage des Dokuments der Internationalen Theologischen Kommission (Auf der Suche nach einer universalen Ethik. Ein neuer Blick auf das natürliche Sittengesetz, 2009, 59): „Das natürliche Sittengesetz sollte also nicht vorgestellt werden als eine schon bestehende Gesamtheit aus Regeln, die sich a priori dem sittlichen Subjekt auferlegen, sondern es ist eine objektive Inspirationsquelle für sein höchst personales Vorgehen der Entscheidungsfindung.“

[56] Treffend hat es Johannes Paul II. in „Veritatis splendor“, Nr. 52, formuliert: „Das Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe hat in seiner Dynamik keine obere Grenze, wohl aber hat es eine untere Grenze: unterschreitet man diese, verletzt man das Gebot. Zudem hängt das, was man in einer bestimmten Situation tun soll, von den Umständen ab, die sich nicht alle von vornherein schon voraussehen lassen; umgekehrt aber gibt es Verhaltensweisen, die niemals, in keiner Situation, eine angemessene – das heißt, der Würde der Person entsprechende – Lösung sein können.“

[57] „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.“ – AL 37.

[58] Im Sinne eines recht verstandenen „Gesetzes des Gradualität“ gibt es dabei Stufen des inneren Wachstums auf dem Weg der Gnade, die anerkannt werden müssen, ohne eine „Gradualität des Gesetzes“ selber zu vertreten, d.h. ohne Abstriche an der Norm, die die Kirche verkündet, bzw. am Ideal der christlichen Ehe vorzunehmen. Vgl. AL 293–295.

[59] Johannes Paul II., Familiaris consortio, Nr. 84.

[60] AL 316.

[61] AL 318.

[62] Vgl. AL 319–320.

[63] Vgl. AL 321–324.

[64] In Fällen fehlender Eindeutigkeit oder bei gewissen Inkonsistenzen in der Darlegung der Lehre lässt sich klärend feststellen: „In diesem Bereich von Äußerungen der Klugheit ist es vorgekommen, dass Lehrdokumente nicht frei von Mängeln waren. Die Hirten haben nicht immer gleich alle Aspekte oder die ganze Kompliziertheit einer Frage erfasst. Aber man würde in Gegensatz zur Wahrheit geraten, wollte man aus einigen bestimmten Fällen schließen, das Lehramt der Kirche könne sich bei seinen Klugheitsurteilen gewöhnlich täuschen, oder es würde sich nicht des göttlichen Beistands erfreuen, der der unverkürzten Ausübung seiner Sendung verheißen ist. Da der Theologe in der Tat sein Fach nicht ohne bestimmte Kenntnisse der Geschichte gut vertreten kann, so ist er sich der Abklärung von Fragen im Lauf der Zeit bewusst. Dies darf nicht im Sinn einer Relativierung der Glaubensaussagen verstanden werden. Er weiß vielmehr, dass gewisse Urteile des Lehramtes in der Zeit, in der sie ausgesprochen wurden, gerechtfertigt sein konnten, weil diese Aussagen wahre Feststellungen mit anderen, die nicht sicher waren, unentwirrbar vermischt haben. Erst die Zeit hat eine Unterscheidung gestattet, und als Ergebnis vertiefter Studien kam ein wirklicher Fortschritt in der Lehre zustande.“ – Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion „Donum veritatis“ über die kirchliche Berufung des Theologen, 24. Mai 1990, Nr. 24. Im Übrigen ist all das zu beachten, was das 2. Vatikanische Konzil in „Lumen gentium“, Nr. 25, über die rechte Haltung gegenüber dem Lehramt des Papstes zum Ausdruck gebracht hat: „Dieser religiöse Gehorsam des Willens und Verstandes ist in besonderer Weise dem authentischen Lehramt des Bischofs von Rom, auch wenn er nicht kraft höchster Lehrautorität spricht, zu leisten; nämlich so, dass sein oberstes Lehramt ehrfürchtig anerkannt und den von ihm vorgetragenen Urteilen aufrichtige Anhänglichkeit gezollt wird, entsprechend der von ihm kundgetanen Auffassung und Absicht. Diese lässt sich vornehmlich erkennen aus der Art der Dokumente, der Häufigkeit der Vorlage ein und derselben Lehre, und der Sprechweise.“

[65] Tatsächlich wäre eine authentische päpstliche Interpretation von „Amoris laetitia“ im Lichte von „Familiaris consortio“, Nr. 84, hilfreich; von der Sache her ist sie die einzig mögliche; der Text von AL lässt zu viel Interpretationsspielraum für jene, die ihn losgelöst von der bisherigen Lehre oder in Kontrast zu ihr lesen. Vgl. Bishop Athanasius Schneider speaks on „Amoris laetitia“.

[66] Vgl. AL 200.