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Den Menschen um Gottes willen gehorchen
Moraltheologische Überlegungen zum 4. Gebot Gottes – eine katechetische Darlegung anhand des „Katechismus der Katholischen Kirche“ (Juli 2004)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: 4-teilige Radioserie im Juli 2004 in „Radio Maria Österreich“ sowie „Radio Horeb“

Liebe Hörerinnen und Hörer von „Radio Maria Österreich“ und „Radio Horeb“!

Wie in den vorigen Jahren, so ist es auch heuer wieder möglich, dass ich in diesem Sommermonat Juli im Rahmen einer 4teiligen Radioserie zu Ihnen sprechen darf. Die Darlegungen wollen sich mit dem 4. Gebot Gottes befassen. Es lautet: „Du sollst Vater und Mutter ehren, damit du lange lebest und es dir wohl ergehe auf Erden.“ So ist es uns jedenfalls in der katechetischen Langfassung vertraut.

Im Buch Exodus werden uns jene Worte in Bezug auf das 4. Gebot Gottes überliefert, wie sie Gott dem Mose auf der zweiten Tafel des Bundesgesetzes am Sinai übergeben hat:

„Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt“ (Ex 20,12).

Im Neuen Testament haben sowohl Jesus Christus wie auch die Apostel wiederholt auf die Geltung dieses Gebotes Gottes hingewiesen. So schreibt Paulus im Brief an die Epheser: „Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern, wie es vor dem Herrn recht ist. Ehre deinen Vater und deine Mutter: Das ist ein Hauptgebot, und ihm folgt die Verheißung: damit es dir gut geht und du lange lebst auf der Erde“ (Eph 6,1–3).

Wir haben teil an einem kulturellen Klima, in dem sowohl das Wort und der Begriff des Gehorsams und des Gehorchens verpönt sind wie auch die Anwendung in der Sache. Was zählt, ist der freie, autonome Mensch. Gehorsam wird sehr schnell mit Zwang und Unfreiheit gleichgesetzt. Man will nicht abhängig sein, sondern sein Leben in eigener Vollmacht bestimmen. Zwar hat das Schlagwort der „antiautoritären Erziehung“ bereits ausgedient, doch auch die Single-Existenzen unserer Zeit sind nicht gern bereit, sich jemandem anderen unterzuordnen und tun sich schwer, Kinder überhaupt anzunehmen, geschweige denn sie in den familiären Bezug von Liebe, Achtung und Gehorsam einzuführen. Auch in der Kirche stößt die Rede und Praxis des Gehorsams gegenüber der kirchlichen Autorität auf so manche Widerstände. Selbst Gutwillige haben zuweilen Probleme damit. Und, Hand aufs Herz: Wer von uns könnte sagen, dass er immer gern gehorcht hat oder gehorcht?

Wenn schon im Paradies der vollkommene Gehorsam der Stammeltern gegenüber Gott durch ihre Sünde ein Ende fand, dann darf es uns nicht wundern, dass auch wir vielfältig versucht sind, jenes sanfte Joch des recht verstandenen Gehorsams abzuschütteln, zu dem uns Christus durch die Hingabe seines Lebens im Gehorsam gegenüber seinem himmlischen Vater befreit hat.

Anhand des „Katechismus der Katholischen Kirche“ (= KKK), dessen endgültige deutsche Fassung seit dem Jahr 2003 als Neuübersetzung gemäß der lateinischen „editio typica“ vorliegt, wollen wir uns dem wichtigen Thema des 4. Gebotes Gottes zuwenden. Sie finden die entsprechenden Abschnitte in den Nummern 2196–2257.

Thematisch wird es um folgende Bereiche gehen:

I. Die Familie im Plane Gottes (KKK 2201–2206)

II. Familie und Gesellschaft (KKK 2207–2213)

III. Pflichten der Familienmitglieder (KKK 2214–2231)

IV. Familie und Reich Gottes (KKK 2232–2233)

V. Autoritäten in der Gesellschaft (KKK 2234–2246)

Das vierte Gebot Gottes weist uns auf die Ordnung der Liebe hin, wie sie vor allem in der Familie Gültigkeit hat. Der Katechismus stellt fest (Nr. 2197): „Gott hat gewollt, dass wir nach ihm auch unsere Eltern ehren, denen wir das Leben verdanken und die uns den Glauben vermittelt haben. Wir sind verpflichtet, alle zu ehren und zu achten, die Gott zu unserem Wohl mit seiner Autorität ausgestattet hat.“

Dieser menschliche Gehorsam wird also um der Liebe und Autorität Gottes willen jenen geleistet, die Gott zu seinen Stellvertretern hier auf Erden bestimmt hat. In besonderer Weise sind es die Eltern, die die Vaterstelle Gottes gegenüber den ihnen anvertrauten Kindern zu vertreten haben. Ihnen gebührt daher Liebe, Ehrfurcht und Achtung sowie Gehorsam.

Verschiedene Lebensbereiche werden durch das 4. Gebot Gottes angesprochen. Dabei zeigt sich, dass zwischen einem unmittelbaren, einem näheren und einem weiteren Sinn zu unterscheiden ist. Ausdrücklich wendet sich das Gebot „an die Kinder und betrifft ihre Beziehungen zu Vater und Mutter, denn diese ist die grundlegendste aller Beziehungen“. Das Gebot des Gehorsams schließt dann aber „auch die Verwandtschaftsbeziehungen mit den übrigen Familienmitgliedern ein. Es verlangt, den älteren Verwandten und den Vorfahren Ehre, Liebe und Dank zu erweisen. Schließlich erstreckt es sich auch auf die Pflichten der Schüler gegenüber dem Lehrer, der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern, der Untergebenen gegenüber ihren Vorgesetzten, der Bürger gegenüber ihrem Vaterland und gegenüber denen, die es verwalten und regieren.“ (KKK 2199)

Jener Gehorsam, den wir anderen Menschen gegenüber um Gottes willen leisten, ist jedoch keine Einbahnstraße. Vielleicht ist das auch die Wurzel für so manches Fehlverständnis von Gehorsam, dass man einerseits diesen bloß in menschlicher Willkür begründet hat und andererseits zu wenig die jeweilige Pflicht der anderen, d.h. der Eltern, Vorgesetzten und übrigen Autoritäten betont hat. Sie sind ja aufgrund ihrer besonderen Verantwortung umso stärker dazu aufgerufen, in Liebe, mit Einsatzfreude und kluger Tatkraft für die ihnen Anvertrauten zu sorgen. Die Forderung des Gehorsams darf nicht zum Hebel der Ungerechtigkeit und Unterdrückung werden, sondern ist auf das Wohl der betroffenen Personen gerichtet. Wörtlich schreibt der Katechismus dazu:

„Im weiteren Sinn schließt dieses Gebot auch die Pflichten von Eltern, Vormündern, Lehrern, Vorgesetzten, Behörden und Regierenden mit ein, all jener also, die über andere Menschen oder über eine Gemeinschaft Autorität ausüben.“ (KKK 2199)

Die Bedeutung des Gehorsams ist nur dadurch einsichtig zu machen, dass wir die soziale Natur des Menschen bedenken: Die menschliche Person ist kein isoliertes Einzelwesen, sondern auf andere angewiesen. Dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch für uns Erwachsene. Wir brauchen die Hilfe anderer und sind selber dazu aufgerufen, den anderen Menschen Hilfe zu leisten. Diesen Dienst an der Gemeinschaft üben jene in besonderer Weise aus, welche von Gott eine Aufgabe mit Verantwortung anvertraut erhalten haben. So kann der recht verstandene Gehorsam als Antwort auf die maßvoll und klug ausgeübte Autorität beitragen zum Wohl der Personen und Gemeinschaften. Die Befolgung des Gebotes Gottes, dass wir Vater und Mutter ehren sollen sowie ihnen und den anderen menschlichen Autoritäten um Gottes willen gehorchen sollen, bringt nach den Worten des Katechismus „neben geistlichen auch zeitliche Früchte, nämlich Frieden und Wohlergehen. Die Missachtung dieses Gebotes hingegen zieht schwere Nachteile für menschliche Gemeinschaften und Einzelpersonen nach sich“ (KKK 2200).

Wenden wir uns daher nun der ersten wichtigen Thematik im Zusammenhang des 4. Gebotes Gottes zu. Es geht um:

I Die Familie im Plane Gottes (KKK 2201–2206)

Hier gilt es sich zuerst klar zu werden darüber, was mit Familie im Sinn der Schöpfungsordnung und vor allem im christlichen Sinn gemeint ist.

Die recht verstandene Familie setzt die Ehe voraus, also eine auf Dauer ausgerichtete, personale Gemeinschaft von Mann und Frau, die sich durch gegenseitiges Einverständnis (Konsens) das Versprechen der unbedingten und unverbrüchlichen Treue geben, bis der Tod sie scheidet. Dabei sind „Ehe und Familie … auf das Wohl der Gatten sowie auf die Zeugung und Erziehung von Kindern hingeordnet“ (KKK 2201). Aufgrund dessen entstehen ganz von selber persönliche Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Familie und grundlegende Verantwortungen und Zuständigkeiten, je eigene Rechte und Pflichten (vgl. KKK 2203)

So kann man in kurzen Worten sagen: „Ein Mann und eine Frau, die miteinander verheiratet sind, bilden mit ihren Kindern eine Familie.“ (KKK 2202) Die Familie ist die ursprüngliche Form der Gemeinschaft. Sie besitzt Rechte, die aus dem Menschsein als solchen kommen und letztlich in Gott gründen, der den Menschen als Mann und Frau nach seinem Abbild erschaffen hat (vgl. Gen 1,27). Gott hat Mann und Frau bereits im Paradies füreinander bestimmt und ihnen aufgetragen, fruchtbar zu sein und die Erde zu bevölkern.

Im christlichen Verständnis verdient es jene Familie, deren Eltern und Kinder getauft sind, mit Recht „Hauskirche“ genannt zu werden (vgl. FC 21), denn sie „ist eine Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe; wie im Neuen Testament angedeutet wird, kommt ihr in der Kirche eine einzigartige Bedeutung zu“ (KKK 2204). In ihr verwirklicht sich die Gemeinschaft der Kirche auf hervorragende Weise. In der Liebesgemeinschaft der menschlichen Personen einer Familie soll „ein Zeichen und Abbild der Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes im Heiligen Geist“ (KKK 2205) gegeben sein. Dabei weist der Katechismus hin auf das gemeinsame Gebet in der Familie und auf die Teilnahme der Familie an der heiligen Messe. Auf diese Weise wirkt die „christliche Familie … evangelisierend und missionarisch“ (ebd.).

Wo sonst als in der wahrhaft christlichen Familie sollte all das verwirklicht werden, wovon der Katechismus in Nr. 2206 folgendermaßen feststellt:

„Die Familienbeziehungen bewirken eine besondere gegenseitige Nähe der Gefühle, Neigungen und Interessen, vor allem, wenn ihre Mitglieder einander achten. Die Familie ist eine Gemeinschaft mit besonderen Vorzügen: sie ist berufen, ‚herzliche Seelengemeinschaft, gemeinsame Beratung der Gatten und sorgfältige Zusammenarbeit der Eltern bei der Erziehung der Kinder’ zu verwirklichen (GS 52, 1).“

Aufbauend auf unseren grundlegenden Anmerkungen beschäftigt uns nun das Thema:

II Familie und Gesellschaft (KKK 2207–2213)

Wie sieht es aus um den Stellenwert der Familie in unserer Gesellschaft? Einerseits vernehmen wir immer wieder Bekenntnisse zur Familie, und es gibt auch zahlreiche politische und gesellschaftliche Initiativen zur Stärkung und Förderung der Familien. Dennoch befindet sich die Institution Familie in einer Krise: Die Hauptursache dafür ist in einer Erosion, also in einem Abbau des Wertebewusstseins zu suchen. Dies hängt nicht unwesentlich mit dem Verlust des Glaubenslebens bei vielen und ihrer abnehmenden Verbindung mit der Kirche zusammen. Dazu kommen politische Weichenstellungen, die sich als fatal für die Familien erwiesen haben: Zu nennen sind unter anderem die Erleichterung der rechtlichen Möglichkeiten für Scheidung und Abtreibung, die Bestrebungen zur Einführung der so genannten „Homo-Ehe“ sowie die nicht unerheblichen wirtschaftlichen Belastungen für kinderreiche Familien.

Und doch gilt es, die Familie in ihrem Eigenwert auch gesellschaftlich und politisch anzuerkennen und sie zu fördern. Denn sie ist „die Urzelle des gesellschaftlichen Lebens“, wie der Katechismus der Katholischen Kirche betont (KKK 2207). Man kann sogar feststellen (ebd.): „Die Autorität, die Beständigkeit und das Gemeinschaftsleben innerhalb der Familie bilden die Grundlage von Freiheit, Sicherheit und Brüderlichkeit innerhalb der Gesellschaft. Die Familie ist die Gemeinschaft, in der man von Kind auf lernen kann, die sittlichen Werte zu achten, Gott zu ehren und die Freiheit richtig zu gebrauchen. Das Familienleben ist eine Einübung in das gesellschaftliche Leben.“

Ja, in der Familie sollen die Kinder wahre Menschlichkeit erfahren, indem sie mit Liebe beschenkt werden und lernen, Verantwortung zu übernehmen. Die Familie öffnet sich auch nach außen hin, und darum gilt:

„Die Familie soll so leben, dass ihre Mitglieder lernen, sich um Junge und Alte, um Kranke, Behinderte und Arme zu kümmern und sich ihrer anzunehmen. Es gibt zahlreiche Familien, die zeitweilig nicht imstande sind, diese Hilfe zu leisten. Dann ist es Sache anderer Personen oder Familien, subsidiär auch Sache der Gesellschaft, für die Bedürfnisse dieser Menschen zu sorgen“ (KKK 2208). Schon der Jakobusbrief stellt fest, es sei „ein reiner und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, … für Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind, und sich vor jeder Befleckung durch die Welt zu bewahren“ (Jak 1,27).

Aufgrund dieser gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Familie ist daher zu fordern, dass die Familie „durch geeignete soziale Maßnahmen zu unterstützen und zu schützen“ ist (KKK 2209). Nicht ein schrankenloser Eingriff in die Rechte der Familie darf das Ziel der politischen und gesellschaftlichen Kräfte sein, sondern ihre wirksame Unterstützung gemäß dem Prinzip der Subsidiarität. Dieses besagt, dass die kleineren gesellschaftlichen Einheiten anerkannt werden sollen und in ihrer Eigentätigkeit gestärkt werden müssen.

Insbesondere sind es die Verantwortlichen der staatlichen und übrigen politischen Gemeinschaften und Ordnungseinheiten, die herausgefordert sind. Sie dürfen der Familie nicht gleichgültig gegenüberstehen. Nach den Worten des 2. Vatikanischen Konzils (GS 52) hat es die Staatsgewalt als ihre besondere Pflicht anzusehen, „die wahre Eigenart von Ehe und Familie anzuerkennen, zu hüten und zu fördern, die öffentliche Sittlichkeit zu schützen und den häuslichen Wohlstand zu begünstigen.“

Konkret sind es folgende Bereiche, wo die öffentliche und staatliche Unterstützung der Familien Not tut (vgl. KKK 2211):

  • Es geht zuerst ganz grundsätzlich um die Sicherung der „Freiheit, eine Familie zu gründen, Kinder zu haben und sie gemäß den eigenen moralischen und religiösen Überzeugungen zu erziehen“.
  • Dabei ist der „Schutz des Fortbestehens des Ehebandes und der Institution der Familie“ ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anliegen.
  • Zu achten und rechtlich zu garantieren ist auch „die Freiheit, seinen Glauben zu bekennen, weiterzugeben und die Kinder mit Hilfe der dazu notwendigen Mittel und Institutionen in diesem Glauben zu erziehen“.
  • Wesentlich zur Entfaltung des Familienlebens gehören „das Recht auf Privateigentum, die Freiheit, selbständig oder unselbständig zu arbeiten, eine Wohnung zu erhalten und das Recht, auszuwandern“.
  • Nicht zu vergessen ist ein sozialer Anspruch der Familien und ihrer Angehörigen im Hinblick auf „das Recht auf medizinische Betreuung, auf Beistand im Alter und auf Kindergeld“
  • Ganz allgemein geht es, auch die Familien betreffend, um „den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit, insbesondere gegenüber Gefahren wie Drogen, Pornographie und Alkoholismus“.
  • Zuletzt nennt der Katechismus noch „die Freiheit, Familienverbände zu bilden und so bei den staatlichen Institutionen vertreten zu sein.“

All dies sind wichtige Aspekte und Schwerpunkte auch der politischen Arbeit. Es braucht hier Christen, die aus ihrer Glaubensüberzeugung heraus tätig werden bzw. mit den politischen Verantwortungsträgern in Verbindung treten, um ihre Anliegen wirksam zu präsentieren und zu vertreten. Wir brauchen – auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene – gleichsam eine „Lobby für die Familien“!

Es geht beim Inhalt des 4. Gebotes Gottes nicht nur um die Familie, sondern auch um die „anderen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft“, wie der Katechismus feststellt. Es heißt in Nr. 2212: „In unseren Geschwistern sehen wir Kinder unserer Eltern; in unseren Vettern und Basen Nachkommen unserer Ahnen; in unseren Mitbürgern Söhne und Töchter unseres Heimatlandes; in allen Getauften Kinder unserer Mutter, der Kirche; in jedem Menschen einen Sohn oder eine Tochter dessen, der ‚unser Vater’ genannt werden will. Dadurch erhalten unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen einen persönlichen Charakter. Der Nächste ist kein bloßes ‚Individuum’ innerhalb der Masse, sondern ‚jemand’, der aufgrund seiner bekannten Herkunft besondere Aufmerksamkeit und Achtung verdient.“

Wesentlich ist immer die personale Dimension. Es geht nicht nur im gesellschaftliche Einrichtungen und Gebilde – um so genannte „Institutionen“ – und auch nicht um bloße Rechtsverhältnisse, sondern immer um Personen in ihren Beziehungen zueinander. Darum stellt der KKK in Nr. 2213 fest: „Die menschlichen Gemeinschaften setzen sich aus Personen zusammen. Sie gut zu regieren besteht nicht bloß darin, dass Rechte gewährleistet, Pflichten erfüllt und Verträge eingehalten werden. Gerechte Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Regierenden und Bürgern setzen das natürliche Wohlwollen voraus, das der Würde menschlicher Personen entspricht, die auf Gerechtigkeit und Brüderlichkeit bedacht sind.“

III Pflichten der Familienmitglieder (KKK 2214–2231)

Wir wenden uns nun der Ordnung in der Familie zu, wie sie nach dem Plan und Willen Gottes bestehen soll. Eltern und Kinder tragen füreinander Verantwortung. In Liebe und Ehrfurcht kommt es darauf an, dass jeder seinen Ort in der Familie begreift und beiträgt zum Wohl aller. So ist zuerst nach Aufgaben und Pflichten der Kinder (KKK 2214–2220), dann nach jenen der Eltern (KKK 2221–2231) zu fragen.

Aufgaben und Pflichten der Kinder

Kinder haben sittliche Pflichten, sobald sie zum geordneten Gebrauch ihrer Vernunft gelangt sind. Dieses geistige Erwachen vollzieht sich stufenweise und kann nicht auf einen einzigen Moment oder auf eine fixe zeitliche Bezugsgröße hin bestimmt werden. Die Erziehung der Eltern wird daher von Anfang an dafür Sorge zu tragen haben, dass die Kinder als eigenständige Personen wahrgenommen und in Liebe angenommen werden. Die Pflichten der Kinder gegenüber den Eltern sind als Antwort zu verstehen, welche Kinder entsprechend ihrer natürlichen und übernatürlichen Berufung gegenüber jenen geben sollen und geben wollen, die ihnen Liebe, Geborgenheit und Wohlwollen erweisen.

Es geht also hier nicht darum, gleichsam von außen irgendwelche Forderungen aufzuerlegen, die für die Kinder eine Überforderung darstellten und daher letztlich unzumutbar werden. Vielmehr ist es nötig, jenes Grundverhältnis von Liebe und Vertrauen als nötige Rahmenbedingung des kindlichen Gehorsams zu sehen. Dann sind die Achtung der Kinder gegenüber den Eltern und ihr Gehorsam gleichsam eine natürliche Folge dessen, was in der guten Familie von vornherein grundgelegt ist. In diesem Sinn stellt auch der „Katechismus der Katholischen Kirche“ in Nr. 2214 fest, dass die „Achtung der minderjährigen oder erwachsenen Kinder vor Vater und Mutter … aus der natürlichen Zuneigung“ erwächst, „die sie miteinander vereint.“ Auf diese Weise wird das Gebot Gottes erfüllt.

Gott selber ist der Ursprung des Lebens, in ihm ist letztlich jede Elternschaft verankert (vgl. Eph 3,15). So „gründet die Ehre der Eltern“ in der Vaterschaft Gottes (KKK 2214).

Als erste kindliche Pflicht gegenüber den Eltern ist die Achtung zu nennen, welche mit der kindlichen Liebe verbunden ist (KKK 2215): Sie „entspringt der Dankbarkeit“ gegenüber den Eltern, die den Kindern „das Leben geschenkt“ und ihnen „durch ihre Liebe und Arbeit … ermöglicht haben, an Größe, Weisheit und Gnade zu wachsen.“

Das alttestamentliche Buch Jesus Sirach drückt es so aus:

„Ehre deinen Vater von ganzem Herzen, vergiss niemals die Schmerzen deiner Mutter! Denk daran, dass sie dir das Leben gaben. Wie kannst du ihnen vergelten, was sie für dich taten?“ (Sir 7,27–28).

Eine weitere wesentliche Pflicht der Kinder, welche ebenso aus der Kindesliebe folgt, ist der Gehorsam gegenüber den Eltern. Wenn das Kind den Eltern folgt und ihnen gehorcht, tut es nicht etwas, was seiner Würde und seinen Rechten widerspricht. Vielmehr geht es um die für das Kind notwendige Leitung und Anleitung zum Guten, welche durch die Eltern verwirklicht werden soll. Wenn ein Kind die Eltern liebt, wird es ihnen auch gerne gehorchen.

Einzelne Akte des Ungehorsams sollen je nach Inhalt und Umständen und entsprechend der Reifestufe eines Kindes zwar ernst genommen werden. Zugleich sind sie jedoch auf die eigentlichen Ursachen hin zu befragen. Nicht immer ist es einfach kindlicher Trotz; es können auch Schwierigkeiten des Kindes sein, die es ihm nicht ermöglichen, den Sinngehalt eines Gebotes zu erfassen oder dieses zu erfüllen. Gute Eltern werden sich hier in Liebe immer neu zu bemühen haben und damit rechnen, dass gerade die Übung des kindlichen Gehorsams einen ständigen Lernprozess voraussetzt.

Wieder ist es die Heilige Schrift aus dem Buch der Sprichwörter, die hier vom KKK (in Nr. 2216) zitiert wird:

„Achte, mein Sohn, auf das Gebot deines Vaters, missachte nicht die Lehre deiner Mutter! ... Wenn du gehst, geleitet sie dich, wenn du ruhst, behütet sie dich, beim Erwachen redet sie mit dir“ (Spr 6,20–22). „Ein weiser Sohn ist die Frucht der Erziehung des Vaters, der zuchtlose aber hört nicht auf die Mahnung“ (Spr 13,1).

Entsprechend der Lebenserfahrung, wie sie Eltern und Erziehern zu Eigen sein sollte und auch gemäß den Erkenntnissen der Psychologie ist der kindliche Gehorsam je nach Entwicklungs- und Altersstufe des Kindes verschieden einzufordern.

Was gilt im frühkindlichen Alter bzw. so lange, als das Kind der direkten Erziehungsautorität der Eltern unterstellt ist? Der KKK stellt in Nr. 2217 fest: „Solange das Kind bei den Eltern wohnt, muss es jeder Aufforderung der Eltern gehorchen, die seinem eigenen Wohl oder dem der Familie dient.“ Hier wird also zugleich das Ziel des kindlichen Gehorsams herausgestellt: Es geht nicht um die Willkür der Eltern, die auf diese Weise ihre Machtposition demonstrieren sollen oder ihre Launen ausleben dürften. Vielmehr stehen immer das Wohl des Kindes und damit zugleich das Gesamtwohl der Familie im Mittelpunkt. Anders hätte ein sittlich verantworteter Gehorsam gar keinen Sinn und wäre er auch nicht möglich.

Ja, es gibt auch eine unüberschreitbare Grenze für den kindlichen Gehorsam gegenüber den Eltern oder anderen Personen, die von ihm Gehorsam verlangen können: Die Grenze markiert das Gebot Gottes, das die Würde des Kindes und anderer Menschen schützt. So heißt es ausdrücklich (in Nr. 2217): „Falls jedoch das Kind im Gewissen überzeugt ist, dass es unsittlich wäre, einem bestimmten Befehl zu gehorchen, soll es ihm nicht Folge leisten.“ Die Kirche macht sich mit dieser klaren und eindeutigen Feststellung zum Anwalt des Kindes, dessen Gewissen zu schützen ist. Die Eltern sind nicht Herren ihrer Kinder, sondern die Kinder sind ihnen zum Schutze und zur Ermöglichung ihrer Entfaltung anvertraut. Die Eltern sollen vielmehr Sorge tragen für die rechte Gewissensbildung ihrer Kinder entsprechend den Geboten Gottes und der Kirche. Es geht darum, dass Kinder befähigt werden, „den vernünftigen Vorschriften ihrer Erzieher und all derer zu gehorchen, denen sie von den Eltern anvertraut wurden“ (KKK, ebd.). Wenn die richtigen Voraussetzungen des Gehorsams gegeben sind, dann gelten die Worte des Apostels Paulus, die er im Brief an die Kolosser an die Kinder richtet: „Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem; denn so ist es gut und recht im Herrn“ (Kol 3,20).

Sicher gilt bei zunehmendem Alter und zunehmender Einsicht, dass die Kinder nicht in allen Dingen die Eltern fragen müssen. Sie wissen vielmehr durch ihre bisherige Erziehung im Grunde Bescheid über wichtige Dinge ihres Lebens. Freilich gibt es auch jetzt noch Fragen, die sie mit den Eltern ausdrücklich beraten und entscheiden sollen. Dazu schreibt der Katechismus in Nr. 2217: „Auch wenn sie größer werden, sollen die Kinder ihre Eltern weiterhin achten. Sie sollen ihren Wünschen zuvorkommen, ihren Rat suchen und ihre gerechtfertigten Ermahnungen annehmen. Die Pflicht, den Eltern zu gehorchen, hört mit der Volljährigkeit der Kinder auf, doch schulden sie ihnen für immer Achtung. Diese wurzelt in der Gottesfurcht, einer der Gaben des Heiligen Geistes.“

Man kann also sagen: Die Art und Weise, wie das 4. Gebot Gottes gegenüber den Eltern zu erfüllen ist, mag sich im Laufe der Jahre der Entwicklung und Reifung wandeln. Die Grundhaltung der „Pietas“, der recht verstandenen Ehrfurcht und Liebe, bleibt aber stets als Maß und Ziel des rechten Verhaltens vorgegeben. Auf diese Weise verbindet sich die Kindesliebe und die Achtung gegenüber den Eltern mit der Liebe und Ehrfurcht gegenüber Gott selber, als dessen Kinder wir alle durch die Taufe angenommen sind.

Wir wenden uns noch den erwachsenen Kindern zu: Auch diesen ruft das vierte Gebot Gottes ihre Pflichten gegenüber den Eltern in Erinnerung. „Im Alter, in Krankheit, Einsamkeit oder Not sollen sie ihnen, so gut sie können, materiell und moralisch beistehen“ (KKK 2218). In der Weise, wie die Eltern früher für die Kinder Sorge getragen haben und auf diese Weise ihrer Verantwortung gerecht geworden sind, sollen sich auch erwachsene Kinder ihrer Eltern annehmen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, je nachdem es die Umstände erforderlich machen und die Möglichkeit dazu besteht. Auf diese Weise erfüllen erwachsene Kinder ihre Dankespflicht gegenüber den Eltern, denen sie selber viel verdanken.

Dies wird wiederum im Buch Jesus Sirach deutlich zum Ausdruck gebracht:

„Der Herr hat den Kindern befohlen, ihren Vater zu ehren, und die Söhne verpflichtet, das Recht ihrer Mutter zu achten. Wer den Vater ehrt, erlangt Verzeihung der Sünden, und wer seine Mutter achtet, gleicht einem Menschen, der Schätze sammelt. Wer den Vater ehrt, wird Freude haben an den eigenen Kindern, und wenn er betet, wird er Erhörung finden. Wer den Vater achtet, wird lange leben, und wer seiner Mutter Ehre erweist, erweist sie dem Herrn“ (Sir 3,2–6).

„Mein Sohn, wenn dein Vater alt ist, nimm dich seiner an, und betrübe ihn nicht, solange er lebt. Wenn sein Verstand abnimmt, sieh es ihm nach, und beschäme ihn nicht in deiner Vollkraft! ... Wie ein Gotteslästerer handelt, wer seinen Vater im Stich lässt, und von Gott ist verflucht, wer seine Mutter kränkt“ (Sir 3,12–13.16).

Klarerweise hat die recht verstandene Kindesliebe eine positive Auswirkung auf das ganze Familienleben. Dazu schreibt der Katechismus in Nr. 2219: „Die Kindesliebe begünstigt die Harmonie des ganzen Familienlebens; sie beeinflusst auch die Beziehungen zwischen den Geschwistern. Die Achtung vor den Eltern durchstrahlt die Atmosphäre innerhalb der Familie.“

Es gilt wohl ganz allgemein für unser christliches Leben, dass wir die Dimension der Dankbarkeit wieder neu entdecken sollen. Sie hilft uns, die guten Gaben Gottes und der Menschen bewusst wahrzunehmen und auf ihren personalen Ursprung zurückzuführen. Wenn man hier das übernatürliche Leben mit einbezieht, also die Gemeinschaft mit Gott, dann kann man wohl sagen: „Die Christen sind jenen besondere Dankbarkeit schuldig, denen sie die Gabe des Glaubens, die Gnade der Taufe und das Leben in der Kirche verdanken. Es kann sich dabei um die Eltern, um andere Familienmitglieder, um die Großeltern, um Seelsorger, Katecheten, Lehrer oder Freunde handeln.“ (KKK 2220)

Der Apostel Paulus wendet sich an Timotheus und weist beispielsweise hin auf den „aufrichtigen Glauben, der schon in deiner Großmutter Loïs und in deiner Mutter Eunike lebendig war und der nun, wie ich weiß, auch in dir lebt“ (2 Tim 1,5).

Verantwortung, Aufgaben und Pflichten der Eltern

In unserer Sendung über das 4. Gebot Gottes, in der wir gerade die Pflichten der Familienmitglieder behandeln, soll es nun ausdrücklich um die Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern gehen.

Elternschaft ist nicht nur eine biologische Kategorie. Es gibt ja das Sprichwort: „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr.“

So stellt auch der „Katechismus der Katholischen Kirche“ fest, dass sich die Liebe der Ehegatten in ihrer Fruchtbarkeit nicht darauf beschränkt, Kinder zu zeugen: „sie muss sich auch auf ihre sittliche Erziehung und ihre geistliche Bildung erstrecken. Die Erziehung durch die Eltern ‚ist so entscheidend, dass sie dort, wo sie fehlt, kaum zu ersetzen ist’ (GE 3). Das Grundrecht und die Grundpflicht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, sind unveräußerlich“ (KKK 2221).

Bei dieser Erziehung werden die Eltern anerkennen, dass Kinder nicht ihr Eigentum sind, über das sie nach Belieben verfügen können. Christliche Eltern sollen vielmehr ihre Kinder „als Kinder Gottes ansehen und sie als menschliche Personen achten.“ Gemeinsam müssen Eltern und Kinder danach trachten und in diesem Sinn auch die Kinder durch ihre Erziehung anhalten, „das Gesetz Gottes zu erfüllen, indem sie selbst gegenüber dem Willen des Vaters im Himmel gehorsam sind“ (KKK 2222).

Im Epheserbrief heißt es: „Ihr Väter, reizt eure Kinder nicht zum Zorn, sondern erzieht sie in der Zucht und Weisung des Herrn!“ (Eph 6,4).

Auf jeden Fall sind die Eltern „die Erstverantwortlichen für die Erziehung ihrer Kinder.“ Dabei sollen sie „ein Zuhause schaffen, wo Zärtlichkeit, Vergebung, gegenseitige Achtung, Treue und selbstlose Dienstbereitschaft herrschen.“ Zwar ist das Wort „Tugend“ nicht gerade modern, und doch führt nichts daran vorbei, dass es um eine Erziehung zu wirklichen menschlichen und christlichen Tugenden gehen muss. „Hier müssen die Kinder Opferbereitschaft, gesundes Urteil und Selbstbeherrschung lernen, die Voraussetzung zu wahrer Freiheit sind. Die Eltern sollen die Kinder lehren, ‚die materiellen und triebhaften [Dimensionen] den inneren und geistigen unterzuordnen (CA 36). Die Eltern haben die große Verantwortung, ihren Kindern ein gutes Beispiel zu geben. Wenn sie ihre Fehler vor ihnen eingestehen können, werden sie eher imstande sein, sie zu leiten und zurechtzuweisen.“ (KKK 2223)

Im Hinblick auf soziale Tugenden, welche das Zusammenleben in Friede, Freiheit und Würde ermöglichen, gilt gerade für die Familie (KKK 2224): „Das Zuhause ist die natürliche Umgebung, in der die Kinder zur Solidarität und zur gemeinsamen Verantwortung angeleitet werden sollen. Die Eltern sollen die Kinder dazu erziehen, sich vor falschen Zugeständnissen und dem Verlust der Würde zu bewahren, die jede menschliche Gesellschaft in Gefahr bringen.“

Besonders wichtig ist die Frage, wie die Kinder in der Familie durch Beispiel und Wort der Eltern zu einem Leben aus dem Glauben hingeführt werden können. Für christliche Eltern gilt: „Durch die Gnade des Ehesakramentes haben die Eltern die Pflicht und das Vorrecht erhalten, ihre Kinder zu evangelisieren“ (KKK 2225), d.h. ihnen den Glauben an Jesus Christus zu verkünden und vorzuleben. Auf diese Weise sind Eltern gleichsam die „ersten Glaubensboten“ für ihre Kinder. Sie haben die Aufgabe, die Kinder bereits in frühem Alter einzuführen in die Geheimnisse des Glaubens. Die Kinder werden gleichsam von selber eingetaucht in eine geistliche Atmosphäre, wenn in der Familie gebetet wird und die Eltern sich bemühen, den Glauben an Gott im Leben ernst zu nehmen. Auf diese Weise kann die Lebensweise in der Familie „jene Gefühlshaltungen prägen, die während des ganzen späteren Lebens Voraussetzung und Stütze eines lebendigen Glaubens bleiben werden“ (KKK 2225).

Manchmal hört man den Einwand, Kinder sollten nicht mit religiösen Ideen und Vorstellungen befrachtet werden. Nur dann, wenn die Eltern sie freihielten von Glaube und Kirche, könnten sie sich später wirklich frei für oder gegen den Glauben der Kirche entscheiden. Hier vergisst man, dass unser Menschsein immer von vielen Voraussetzungen abhängig ist, die nicht einfach übergangen werden können. Verzichten die Eltern auf ihre Aufgabe, die Kinder in den Glauben einzuführen, dann wird es andere Einflüsse geben, die das Kind mit Dingen belasten, die das Gewissen nicht in rechter Weise bilden und zu falschen Vorstellungen über Gott und die Welt führen. Man wird sagen können: Gute Eltern wollen ihren Kindern all das vermitteln, was für sie wertvoll und wichtig ist. Neben den materiellen Voraussetzungen des Daseins und der wesentlichen liebevollen Zuwendung und Geborgenheit darf die Dimension des Glaubens nicht ausgeklammert werden!

In diesem Sinn stellt der KKK in Nr. 2226 fest:

„Die Erziehung zum Glauben durch die Eltern muss schon in frühester Kindheit einsetzen. Sie beginnt damit, dass die Familienmitglieder einander helfen, durch das Zeugnis eines dem Evangelium entsprechenden Lebens im Glauben zu wachsen. Die Familienkatechese geht allen anderen Formen der Glaubensunterweisung voran, begleitet und bereichert sie. Die Eltern haben die Sendung, ihre Kinder beten zu lehren und sie ihre Berufung als Kinder Gottes entdecken zu lassen. Die Pfarrei ist für die christlichen Familien Eucharistiegemeinschaft und Herz des liturgischen Lebens. Sie ist ein besonders geeigneter Ort für die Katechese der Kinder und der Eltern.“

Dieser Hinweis zeigt, dass sich die katholische Pfarrgemeinde zu einem wesentlichen Teil aus den Familien zusammensetzt: Gute Ehen, in denen die Berufung zur Liebe aus dem Glauben heraus gelebt wird und in denen eine Offenheit für Kinder gegeben ist, sind ein Lebenszeichen für die Kirche. Wer sollte die Kinder sonst in den Glauben einführen als die Eltern? Nicht so sehr der theoretische Unterricht ist hier nötig, sondern vor allem das praktische Mitleben der Kinder mit dem in der Familie gegenwärtigen Glaubensvollzug. Sobald ein Kind im Laufe der Jahre etwas verständiger wird, werden die Eltern mithelfen, das Kind auch in die wesentlichen Wahrheiten des Glaubens einzuführen. In diesem Rahmen erhält die so genannte „Familienkatechese“ einen neuen Stellenwert. Ich darf hier hinweisen auf die vom Salzburger Referat für Ehe und Familie neu herausgegebene Reihe von Religionsbüchern mit dem Titel: „Glaube und Leben“ (weitere Informationen: siehe www.glaube-und-leben.at ).

Eine pastorale Initiative besonderer Art soll in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Im Rahmen der „Bewegung Hauskirche“ versucht „Familienbischof“ DDr. Klaus Küng in Österreich all jene Personen, Gruppen und Initiativen innerhalb der Katholischen Kirche Österreichs zu verbinden, welchen die Stärkung der christlichen Familie ein besonderes Anliegen ist. Es werden dabei Bildungsprogramme durchgeführt, pastorale Veranstaltungen abgehalten sowie Beratungen und Hilfen verschiedenster Art angeboten. Nähere Informationen bietet die Internetseite www.hauskirche.at

Auch wenn es unpopulär klingt: Die christliche Familie soll eine Schule der Heiligkeit werden. Wahre Heiligkeit hat mit echter Freude zu tun. Hier geht es nicht einfach um gewöhnliches „Brav-Sein“ oder gar um eine enge, korsettartige Form des Miteinander. Im Gegenteil: Dieses Streben nach Heiligkeit schließt die Erfahrung erfüllten Menschseins mit ein, wie es nur auf der Grundlage wirklicher Liebe und Anerkennung möglich ist. Weil Menschen immer auch Fehler machen und Sünden begehen, gilt selbstverständlich: „Wenn es zu Beleidigung, Streit, Ungerechtigkeit und Mangel an Aufmerksamkeit kommt, sollen alle einander großmütig und unermüdlich verzeihen, wie es die gegenseitige Liebe nahe legt und die Liebe Christi verlangt“ (KKK 2227).

Die Erziehungsverantwortung der Eltern schließt auch ihr Recht und ihre Pflicht ein, für die Kinder eine Schule zu wählen, die ihren christlichen Überzeugungen entspricht. Es handelt sich dabei um ein Grundrecht der Eltern, das auch der Staat respektieren soll. „Die Eltern haben die Pflicht, soweit wie möglich solche Schulen zu wählen, die sie in ihrer Aufgabe als christliche Erzieher am besten unterstützen. Die Behörden haben die Pflicht, dieses Elternrecht zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass es auch wirklich ausgeübt werden kann“ (KKK 2229).

Wie sieht es aus, wenn die Kinder älter werden? Welche Pflichten haben die Eltern bzw. wie können sie den Kindern behilflich sein bei der Wahl ihres Berufes und Lebensstandes? Auch darauf gibt der „Katechismus der Katholischen Kirche“ in Nr. 2230 eine Antwort: „Wenn die Kinder erwachsen werden, haben sie die Pflicht und das Recht, ihren Beruf und Lebensstand zu wählen. Sie sollen diese neuen Verantwortungen in vertrauensvoller Beziehung zu ihren Eltern wahrnehmen und deren Ansichten und Ratschläge gerne erfragen und entgegennehmen. Die Eltern mögen darauf bedacht sein, weder in der Berufswahl noch in der Partnerwahl auf ihre Kinder Zwang auszuüben. Diese Pflicht, sich zurückzuhalten, verbietet ihnen jedoch nicht, den Kindern durch kluge Ratschläge beizustehen, besonders dann, wenn diese vorhaben, eine Familie zu gründen.“

Erziehung hat ja immer den Sinn, die größer werdenden Kinder zu befähigen, selber Verantwortung zu übernehmen, bis sie schließlich reif genug sind, ihre eigenen Lebensentscheidungen zu treffen. Was immer an Gutem grundgelegt ist in einer Familie, das wird den Kindern später helfen, um sich im Leben orientieren zu können. Insbesondere werden es die eigenen Erfahrungen des Glaubens in der Familie sein – beispielsweise durch das tägliche Gebet –, die dann später den groß gewordenen Kindern bleibend in Erinnerung bleiben, sodass sie eine hoffentlich positive Einstellung zu Glaube und Kirche auch in ihrer eigenen Familie weitergeben können, wenn sie eine solche gründen werden.

Obwohl es eine hervorragende Berufung ist, eine christliche Ehe und Familie zu gründen, hat nicht jeder diese Möglichkeit. Es gibt aber auch für Unverheiratete und Alleinstehende viele Möglichkeiten, Gott und seinem Reich zu dienen. Dazu stellt der „Katechismus der Katholischen Kirche“ in Nr. 2231 fest: „Manche Menschen heiraten nicht, um für ihre Eltern oder Geschwister zu sorgen, sich intensiver einem Beruf zu widmen oder aus anderen achtenswerten Beweggründen. Sie können zum Wohl der Menschheitsfamilie einen großen Beitrag leisten.“

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass es auch eine Art von geistiger Vater- und Mutterschaft gibt: Immer dort, wo Menschen füreinander da sind und Verantwortung übernehmen, können sie auf diese Weise beitragen zum Wohl der Personen, der Gesellschaft und der Kirche.

IV Familie und Reich Gottes (KKK 2232–2233)

Wenn die Kirche den Wert von Ehe und Familie herausstellt, dann bedenkt sie zugleich immer den größeren Zusammenhang. Wir alle gehören zur Menschheitsfamilie, welche von Gott dazu gerufen ist, in Jesus Christus, dem „Erstgeborenen unter vielen Brüdern“ (Röm 8,29), die eine große Familie der Kinder Gottes darzustellen, in die alle Menschen guten Willens durch Annahme des katholischen Glaubens und den Empfang der Taufe eintreten sollen. In dieser geistigen Familie relativieren sich die irdischen Bande. Jeder, der an Jesus Christus glaubt und ihm nachfolgt, ist sein Jünger und gehört zur Familie Gottes (vgl. KKK 2233). Unser Herr sagt selber: „Wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 12,50).

So kann auch der Katechismus feststellen (KKK 2232):

„Die Familienbande sind zwar wichtig, aber nicht absolut. So wie das Kind zur menschlichen und geistigen Selbständigkeit heranreift, bestätigt sich auch seine besondere Berufung, die von Gott kommt, immer klarer und stärker. Die Eltern sollen diese Berufung achten und ihre Kinder ermutigen, ihr Folge zu leisten. Man muss überzeugt sein, dass es die erste Berufung des Christen ist, Christus nachzufolgen: ‚Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig’ (Mt 10,37).“

Wenn jemand also zur Familie der Kinder Gottes gehört, dann werden die irdischen Bande zwar nicht bedeutungslos; es gibt aber doch eine gottgewollte Öffnung der einzelnen Familien auf das ewige Reich Gottes. Sollte etwas Irdisches dem Gebot Gottes entgegenstehen oder sollten gar verwandtschaftliche Rücksichten dem Ruf Christi widerstreiten, so gilt es Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.

Inwieweit eine Familie bereit ist für diese größere Familie des Himmelreiches, zeigt sich nicht zuletzt daran, wie die Mitglieder mit geistlichen Berufungen umgehen. Dazu schreibt der KKK in Nr. 2233: „Die Eltern sollen es freudig und dankbar annehmen und achten, wenn der Herr eines ihrer Kinder beruft, ihm in der Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen, im gottgeweihten Leben oder im priesterlichen Dienst nachzufolgen.“ Gibt es nicht immer wieder die Erfahrung, dass selbst gute katholische Eltern entsetzt sind, wenn ihr eigenes Kind daran denkt, einen geistlichen Beruf zu wählen? Aber umgekehrt soll gefragt werden, ob wir dem lieben Gott vorschreiben dürfen, wen er erwählt und beruft. Es sollte vielmehr eine besondere Ehre und Auszeichnung sein für katholische Eltern und Familien, wenn eines ihrer Kinder Ja sagt zur besonderen Nachfolge Christi im Priester- oder Ordensstand!

V Autoritäten in der Gesellschaft (KKK 2234–2246)

Wenn die Familie die Grundzelle der Gesellschaft ist, dann hat das 4. Gebot Gottes von vornherein auch eine soziale Implikation und Bedeutung. Am Wohl der Familien, an der in ihnen gelebten Liebe, Gerechtigkeit und Solidarität entscheidet sich letztlich das Wohl der Gesellschaft insgesamt, sowohl der einzelnen und der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen.

Darum fordert uns das 4. Gebot Gottes dazu auf, auch „all jene zu ehren, die von Gott zu unserem Wohl ein öffentliches Amt in der Gesellschaft erhalten haben. Es gibt Aufschluss über die Pflichten der Amtsträger sowie jener, zu deren Wohl sie bestellt sind“ (KKK 2234).

Pflichten der gesellschaftlichen Amtsträger

Zuerst soll nach den Pflichten der in der Gesellschaft in besonderer Weise Verantwortlichen, also der Amtsträger und Behörden gefragt werden.

Von der Gemeinwohlbezogenheit jeder gesellschaftlichen Leitungsaufgabe her wird man sagen können: „Der Inhaber eines Amtes muss dieses als einen Dienst ausüben“ (KKK 2235). Dies hat unser Herr Jesus Christus insbesondere für das Verhältnis innerhalb der Gemeinschaft der Glaubenden betont; es gilt jedoch mutatis mutandis auch für die Gesellschaft insgesamt: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein“ (Mt 20,26). Als Maßstäbe der Ausübung eines Amtes benennt der Katechismus den göttlichen Ursprung, die vernünftige Natur und das besondere Objekt der jeweiligen Aufgabe und Verantwortung (KKK 2235). Was kann das konkret heißen?

Wenn jede echte Autorität letztlich von Gott kommt, so hat dieser göttliche Ursprung mit dem Dienstcharakter der übertragenen Verantwortung im Hinblick auf das Gemeinwohl zu tun. Die vernünftige Natur oder das Wesen des Amtes bestimmt sich von der jeweiligen gesellschaftlichen Ordnungseinheit, für die jemand verantwortlich ist. Ein Betriebsleiter wird anders agieren müssen als ein Bürgermeister oder Schuldirektor. Das besondere Objekt des jeweiligen Amtes lenkt den Blick auf das Ziel der jeweiligen Aufgabe. Stets gilt jedoch: „Niemand darf etwas befehlen oder einführen, was der Menschenwürde und dem natürlichen Sittengesetz widerspricht“ (KKK 2235).

Im nächsten Artikel des „Katechismus der Katholischen Kirche“ wird die Aufgabe aller Amtsinhaber beschrieben, „eine gerechte Rangordnung der Werte sichtbar zu machen, um allen den Gebrauch ihrer Freiheit und Verantwortung zu erleichtern.“ Echte Autorität ermöglicht also die freie Entfaltung der einzelnen. Sie ist nicht unterdrückend, sondern befreiend im Sinn von echter Verantwortung für die Verwirklichung des Guten. Dann gibt der KKK in Nr. 2236 konkrete Ratschläge an die Inhaber eines Amtes:

„Die Vorgesetzten sollen die austeilende Gerechtigkeit weise ausüben, dabei den Bedürfnissen sowie dem Beitrag eines jeden Rechnung tragen und gegenseitiges Einvernehmen und Frieden anstreben. Sie sollen darauf bedacht sein, dass die von ihnen getroffenen Maßnahmen und Anordnungen nicht dadurch in Versuchung führen, dass sie das persönliche Interesse in Widerspruch zum Gemeinwohl bringen.“

Die austeilende Gerechtigkeit („iustitia distributiva“) teilt jedem das zu, was er entsprechend seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen nötig hat. Es geht nicht um Gleichmacherei, sondern um den Blick auf die konkreten Personen und deren Aufgaben und Ziele. Die verantwortliche Autorität hat die Aufgabe, eine Koordination im Hinblick auf das Gemeinwohl zu erreichen.

Speziell werden dann die politischen Autoritäten angesprochen. Obwohl es geschichtlich und kulturell bedingt große Unterschiede in der Art und Weise gibt, wie politische Autorität geordnet und wahrgenommen werden kann, gibt es doch in Bezug auf deren Aufgabe gewisse gleich bleibende Erfordernisse, die der Katechismus klar benennt.

Vor allem sind die politischen Autoritäten „verpflichtet, die Grundrechte der menschlichen Person zu achten.“ Dabei sollen sie „die Gerechtigkeit menschlich ausüben und dabei das Recht eines jeden, besonders das der Familien und Bedürftigen, achten“ (KKK 2237).

Von den eigentlichen Grundrechten, welche immer gelten müssen, sind weitere staatsbürgerliche Rechte zu unterscheiden. Diese „dürfen und sollen gemäß den Erfordernissen des Gemeinwohls gewährt werden. Die öffentlichen Gewalten dürfen sie nicht ohne berechtigten und angemessenen Grund außer Kraft setzen. Die Ausübung der politischen Rechte soll das Gemeinwohl der Nation und der menschlichen Gesellschaft fördern“ (ebd.).

Pflichten der Bürger

In welcher Weise sind die Bürger eines Staates und Mitglieder der Gesellschaft verpflichtet, jenen Amtsinhabern zu gehorchen, die für sie Verantwortung tragen?

Grundsätzlich sollen „die der Autorität Unterstellten … ihre Vorgesetzten als Diener Gottes ansehen, der diese zur Verwaltung seiner Gaben bestellt hat“ (KKK 2238). So lesen wir im ersten Petrusbrief: „Unterwerft euch um des Herrn willen jeder menschlichen Ordnung ... Handelt als Freie, aber nicht als solche, die die Freiheit als Deckmantel für das Böse nehmen, sondern wie Knechte Gottes“ (1 Petr 2,13.16).

Dabei gibt es auf der Seite der Bürger nicht nur eine Gehorsamsverantwortung, sondern auch das, was man als Gestaltungs- und Mitwirkungsauftrag bezeichnen könnte. Der Katechismus findet hierfür klare Worte, auch was die Möglichkeit freier Meinungsäußerung und des Vorbringens von Kritik betrifft: „Loyale Mitarbeit bringt für die Bürger das Recht und manchmal sogar die Pflicht mit sich, in angemessener Weise zu kritisieren, was der Menschenwürde oder dem Gemeinwohl zu schaden scheint“ (KKK 2238).

In jedem Fall ist konstruktive Mitarbeit angesagt: „Pflicht der Bürger ist es, gemeinsam mit den Behörden im Geist der Wahrheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit zum Wohl der Gesellschaft beizutragen.“ Die angesprochenen Werte sollen das Gemeinschaftsleben ordnen und leiten. Ja, der Katechismus betont ausdrücklich: „Die Heimatliebe und der Einsatz für das Vaterland sind Dankespflichten und entsprechen der Ordnung der Liebe.“ Es kann also nicht angehen, dass wir sagen: „Der Staat geht mich nichts an.“ Vielmehr liegt im vierten Gebot Gottes die Aufforderung an die Bürger, dass sie „ihre Aufgabe im Leben der staatlichen Gemeinschaft … erfüllen“, wozu wesentlich der „Gehorsam gegenüber den rechtmäßigen Autoritäten“ gehört und auch die „Einsatzbereitschaft für das Gemeinwohl“ (KKK 2239).

Drei besondere Pflichten hängen mit dem angesprochenen Gehorsam gegenüber der staatlichen Autorität und mit der Mitverantwortung für das Gemeinwohl zusammen: Es ist eine Pflicht des Gewissens, also ein sittliches Gebot, „Steuern zu zahlen, das Stimmrecht auszuüben und das Land zu verteidigen.“ (KKK 2240)

Dies hat schon der Apostel Paulus im Brief an die Römer formuliert: „Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre“ (Röm 13,7).

Ein frühchristliches Zeugnis ist auch der Diognetbrief, wo es diesbezüglich heißt: Die Christen „bewohnen das eigene Vaterland, aber wie sesshafte Fremde. Sie nehmen an allem teil wie Bürger, und sie ertragen alles wie Fremde ... Sie gehorchen den erlassenen Gesetzen, und mit der ihnen eigenen Lebensweise überbieten sie die Gesetze ... Auf einen so wichtigen Posten hat Gott sie gestellt, dem sich zu entziehen ihnen nicht erlaubt ist“ (Diognet 5,5; 5,10; 6,10).

Jedenfalls nötig ist das Gebet für all jene, die politische Verantwortung tragen: Paulus fordert uns auf, für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben, zu beten und dankzusagen, „damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können“ (1 Tim 2,2).

Eine gegenwärtig sehr brisante Frage wird vom „Katechismus der Katholischen Kirche“ in grundsätzlicher Weise in Nr. 2241 angesprochen. Es geht um den richtigen Umgang mit Ausländern sowie um das Einwanderungsrecht. Wörtlich stellt der Katechismus dazu fest: „Die wohlhabenderen Nationen sind verpflichtet, so weit es ihnen irgend möglich ist, Ausländer aufzunehmen, die auf der Suche nach Sicherheit und Lebensmöglichkeiten sind, die sie in ihrem Herkunftsland nicht finden können. Die öffentlichen Autoritäten sollen für die Achtung des Naturrechts sorgen, das den Gast unter den Schutz derer stellt, die ihn aufnehmen.“

Es ist also eine grundsätzliche Offenheit nötig, die in der politischen Tagesdiskussion und auch in so manchen grundsätzlichen Stellungnahmen der Parteien und Politiker oft vermisst wird. Zu bedenken ist freilich auch folgende Aussage des Katechismus: „Die politischen Autoritäten dürfen im Hinblick auf das Gemeinwohl, für das sie verantwortlich sind, die Ausübung des Einwanderungsrechtes verschiedenen gesetzlichen Bedingungen unterstellen und verlangen, dass die Einwanderer ihren Verpflichtungen gegenüber dem Gastland nachkommen.“ Und dann heißt es ganz klar: „Der Einwanderer ist verpflichtet, das materielle und geistige Erbe seines Gastlandes dankbar zu achten, dessen Gesetzen zu gehorchen und die Lasten mitzutragen“ (KKK 2241).

Nötig ist also bei aller Offenheit des Gastlandes auch die Bereitschaft jener, die einwandern oder sich längere Zeit in einem fremden Land aufhalten, die jeweiligen Gesetze zu respektieren und das kulturelle Erbe des Gastlandes zu achten. Dies fällt manchen nicht leicht, und hier sind die politisch Verantwortlichen sowie wir alle als mitverantwortliche Bürger in den nächsten Jahren besonders gefordert!

Wie sieht es nun aus mit möglichen Grenzen des Gehorsams gegenüber der staatlichen Autorität?

Jede menschliche Autorität muss sich ja in ihrer grundsätzlichen Berechtigung und auch in ihrer konkreten Amtsausübung immer an der Autorität Gottes messen lassen, der allein „der Gute“ ist und den Menschen immer Gutes will. Wo also ein Verstoß gegen die Ordnung des Gemeinwohls vorliegt und wo die gottgegebenen Rechte der Personen missachtet werden, hört selbstverständlich auch die Gehorsamspflicht der Untergebenen gegenüber ihren Vorgesetzten auf. In diesem Fall gilt jedenfalls: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29).

Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ distanziert sich mit klaren Worten von einem auf bloße Unterwürfigkeit gegenüber den Mächtigen bedachten Ethos und verteidigt die Freiheit des recht gebildeten Gewissens auf folgende Weise:

„Der Bürger hat die Gewissenspflicht, die Vorschriften der staatlichen Autoritäten nicht zu befolgen, wenn diese Anordnungen den Forderungen der sittlichen Ordnung, den Grundrechten des Menschen oder den Weisungen des Evangeliums widersprechen. Den staatlichen Autoritäten den Gehorsam zu verweigern, falls deren Forderungen dem rechten Gewissen widersprechen, findet seine Rechtfertigung in der Unterscheidung zwischen dem Dienst Gottes und dem Dienst an der staatlichen Gemeinschaft“ (KKK 2242). In diesem Sinn hatte schon unser Herr Jesus Christus im Evangelium festgestellt: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“ (Mt 22,21).

Genau dies war auch die Haltung der Märtyrer, die dem staatlichen Befehl Widerstand leisteten, als von ihnen verlangt wurde, vom Glauben an Gott abzufallen oder Dinge zu tun, die dem Sittengesetz widersprechen. Sie wussten: Hier dürfen sie nicht gehorchen; sonst würden sie selber schuldig werden. Sie wollten lieber Unrecht leiden als Unrecht tun. Sie waren eher bereit, als Unschuldige den Tod auf sich zu nehmen, als sich zu Komplizen des staatlich verordneten Unrechts zu machen.

Auch das 2. Vatikanische Konzil hat in kluger Weise das Recht der Bürger verteidigt, „ihre und ihrer Mitbürger Rechte gegen den Missbrauch der staatlichen Autorität zu verteidigen, freilich innerhalb der Grenzen des Naturrechts und des Evangeliums“ (GS 74,5). Doch selbst dann, wo es bestimmte Dinge gibt, die in keiner Weise erfüllt werden dürfen, mag es andere Forderungen jener diktatorischen Machthaber geben, die dem Gemeinwohl entsprechen. Dann gilt nach den Worten des Konzils: „Wo ... die Staatsbürger von einer öffentlichen Gewalt, die ihre Zuständigkeit überschreitet, bedrückt werden, sollen sie sich nicht weigern, das zu tun, was das Gemeinwohl objektiv verlangt.“

Sollte es zur Situation kommen, wo Widerstand gegen eine ungerechte Staatsgewalt angesagt ist, dann sind jedenfalls gewaltlose Formen vorzuziehen. Nur in einem äußersten Fall scheint gewaltsamer Widerstand berechtigt, wie der KKK in Nr. 2243 festhält:

„Bewaffneter Widerstand gegen Unterdrückung durch die staatliche Gewalt ist nur dann berechtigt, wenn gleichzeitig die folgenden Bedingungen erfüllt sind: (1) dass nach sicherem Wissen Grundrechte schwerwiegend und andauernd verletzt werden; (2) dass alle anderen Hilfsmittel erschöpft sind; (3) dass dadurch nicht noch schlimmere Unordnung entsteht; (4) dass begründete Aussicht auf Erfolg besteht und (5) dass vernünftigerweise keine besseren Lösungen abzusehen sind.“

Genau dieser Fall dürfte äußerst selten vorkommen, sodass in normalen Zeiten gewaltsamer Widerstand jedenfalls auszuschließen ist. Gerade die Erfahrungen der ehemaligen Ostblock-Staaten haben ja gezeigt, dass auch Formen des organisierten gewaltlosen Widerstandes durchaus erfolgreich sein können. Letztlich wird es immer die Kraft der Wahrheit und des Rechtes sein, die gegenüber Unrecht und Gewalt siegt, nicht allein die Kraft der Waffen.

Staat und Kirche

Zum Abschluss soll noch das Verhältnis von Staat und Kirche thematisiert werden. Es geht beiden ja um denselben Menschen, dem sie freilich auf unterschiedliche Weise dienen. Entscheidend ist das Menschenbild, das hinter einer bestimmten politischen Anschauung steht und das auch die staatlichen Verantwortungsträger leitet: „Jede Institution ist, zumindest implizit, von einer bestimmten Sicht des Menschen und seiner Bestimmung beeinflusst, aus der sie ihre Urteilskriterien, ihre Wertordnung und ihre Verhaltensweisen ableitet.“ Tatsächlich gehen „die meisten Gesellschaften davon aus, dass dem Menschen ein gewisser Vorrang vor den Dingen gebührt“ (KKK 2244).

Diese Sicht des Vorrangs der menschlichen Person vor dem Institutionellen zu verstärken ist Aufgabe der Kirche:

„Einzig die göttlich geoffenbarte Religion hat in Gott, dem Schöpfer und Erlöser, klar den Ursprung und das Ziel des Menschen erkannt. Die Kirche lädt die politischen Verantwortungsträger ein, sich in ihren Urteilen und Entscheidungen nach dieser geoffenbarten Wahrheit über Gott und den Menschen zu richten“ (KKK 2244).

Wo das Wort Gottes bewusst missachtet wird oder es nur unzureichend bekannt ist, hat dies oft fatale Konsequenzen:

„Die Gesellschaften, die diese Offenbarung nicht kennen oder sie im Namen ihrer Unabhängigkeit von Gott ablehnen, müssen ihre Maßstäbe und Ziele in sich selbst suchen oder einer Ideologie entnehmen. Und da sie kein objektives Kriterium zur Unterscheidung von gut und böse dulden, maßen sie sich offen oder unterschwellig eine totalitäre Gewalt über den Menschen und sein Schicksal an, wie die Geschichte beweist“ (KKK 2244).

Die Kirche maßt sich keine Kompetenz im politischen Bereich an, da sich ihr Auftrag und ihre Zuständigkeit mit der der politischen Gemeinschaft nicht decken. Dennoch ist sie „Zeichen und zugleich Schützerin des transzendenten Wesens des Menschen (GS 76). Als solche „achtet und fördert sie auch die politische Freiheit der Bürger und ihre Verantwortlichkeit“ (GS 76,3).“

Sofern aber der Mensch in seiner Würde und in seinen gottgegebenen Rechten sowie in den ihm vom Sittengesetz gegebenen Pflichten auf dem Spiel steht, muss die Kirche Stellung nehmen. Hier hält der Katechismus in Nr. 2246 fest:

„Zur Sendung der Kirche gehört es, ‚auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen. Sie wendet dabei alle, aber auch nur jene Mittel an, welche dem Evangelium und dem Wohl aller je nach den verschiedenen Zeiten und Verhältnissen entsprechen’ (GS 76,5).“

Man könnte sagen: Die Kirche betreibt keine Parteipolitik, wenn nötig jedoch „Wertepolitik“. Und hier kann sie durchaus in Konflikt geraten mit den Mächtigen und ihnen als Anwalt der Menschen in Not auch unbequem werden!