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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

Silvesterpredigt bei der Jahresschlußandacht
im Dom von St. Pölten am 31.12.1992

Jeder Tag, den uns Gott schenkt, ist wichtig, "denn die kleine Last unserer gegenwärtigen Not schafft uns in maßlosem Übermaß ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit, uns, die wir nicht auf das Sichtbare starren, sondern nach dem Unsichtbaren ausblicken, denn das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ist ewig" (2 Kor 4,17 f).

Diese Verknüpfung zwischen der gegenwärtigen Not und dem ewigen Gewicht an Herrlichkeit muß uns leiten, wenn wir am letzten Tag von 1992 alle 366 Tage des Jahres noch einmal im Angesicht des ewigen Gottes bedenken. Eitles Rühmen unserer Taten und Leistungen sollte nicht einmal einen Augenblick unserer Zeit vereinnahmen. Dank sagen wollen wir Gott, dem Geber alles Guten. Inmitten kriegerischer Auseinandersetzungen mit unzähligen Opfern und Vertriebenen sei der Dank für den Frieden und Wohlstand in unserem Land an Gott gerichtet. Es ist Gott, der uns immer wieder zu neuen Werken der Liebe und Nächstenhilfe ruft; genießen wir nicht in selbstherrlicher Gemächlichkeit unser Glück; des Geben und Teilen sei unsere Seligkeit.

Beim heutigen Gottesdienst kann ich zum ersten Mal auf ein volles Jahr bischöflicher Verantwortung für unsere Diözese zurückblicken. Für vieles Gute und Gnadenvolle habe ich im Namen der Diözese und auch persönlich zu danken. Ich richte einen dankbaren Gruß an die vielen gläubigen Frauen, Männer und jungen Menschen, die Gott, unserem Glauben und unserer Kirche die Treue halten. Ich danke den unzähligen Menschen, die mit Bereitschaft und Großherzigkeit auf das eingehen, was die Zeichen der Zeit und die Anliegen der Kirche sind, was der Wille Gottes ist. Ich danke für Opferbereitschaft und Mitarbeit, wo immer auch Not und Elend sich zeigten, leibliche Not und seelisches Elend.

Dem Hohenpriester Jesus Christus danke ich für die vielen eifrigen Priester in der Diözese, die sich Tag für Tag in der Sache Christi verzehren; viele tun dies bis ins hohe Alter. Für ihren segensvollen Dienst danke ich den Diakonen, desgleichen den Mitarbeitern in der Pastoral und den Religionslehrern, von deren Wirken der Glaube der Jugend an die Wahrheit Christi geprägt wird. Ich danke herzlich meinen engeren und engsten Mitarbeitern, Geistlichen und Laien. Ich danke denen, die zum Beraten berufen sind: dem Domkapitel, dem Priesterrat, dem Laienrat, den Referenten und vielen anderen, die mir mit Rat und reicher Erfahrung helfen. Ich danke den Stiften, den Ordensgemeinschaften, den Männern und Frauen des gottgeweihten Lebens, den Mitarbeitern der Caritas, den Verantwortlichen der Seminarien, den Lehrenden an der Hochschule und Pädagogischen Akademie, den Verantwortlichen der Bildungsstätten und der Medien, der Katholischen Aktion, ihrer Leitung, ihren Organisationen und ihren zahlreichen Mitgliedern. Ich danke den vielen Gläubigen, die für die Kirche beten, in neuen Initiativen das Reich Gottes voranbringen und oft reiche Früchte bringen. Mein Dank möchte jene nicht vergessen, deren Lebensart die Bescheidenheit und die Stille ist, die aber oft unbedankt und unbeachtet bleiben. In Hunderten von Kirchen und Pfarren gibt es Frauen, Männer, junge Menschen und Kinder, deren Einsatz zum Lob Gottes und zum Heil der Menschen Gott lohnen möge. Den Pfarrgemeinderäten in der ganzen Diözese will ich besonders danken; sie sind weithin eine neue Mitte pfarrlichen Lebens geworden. Aufrichtig danke ich denen, die mit Verständnis, Großmut und Gewissenhaftigkeit durch den Kirchenbeitrag das Zeugnis ihrer Treue zur Kirche leisten.

St. Pölten ist keine vermögende Diözese. Es sind die Gläubigen, die durch ihr Opfer vieles ermöglicht haben und ermöglichen werden. Vor wenigen Wochen konnte das erneuerte und erweiterte Hippolyt-Haus gesegnet werden. Was zum Wohl aller Menschen aus der ganzen Diözese errichtet wurde, wollen wir auch als gemeinsame Last tragen; wir sind gewiß, daß die Diözese von ihren Gläubigen nicht im Stich gelassen wird.

Es liegt im Interesse der Diözese, daß der gute Ruf des Bischofs nicht durch Verleumdung und unrichtige Vorwürfe geschädigt wird. Es mußte verleumderischen Agitationen entgegengetreten werden. Leider ist keine Unwahrheit zu dumm, daß sie nicht doch verbreitet und von einigen geglaubt wird. Gern macht der Bischof jedem, der im Bischofshaus eine goldene Türklinke oder einen goldenen Wasserhahn findet, diese sofort dem Finder zum Geschenk. Ein neuer Höhepunkt der Verwegenheit ist die Behauptung, der neue Bischof habe die Schuld an den Schulden, die allerdings längst vor seiner Amtsübernahme am 15. September 1991 gemacht werden mußten. Wir werden die Schuldenlast gemeinsam tragen und bewältigen, ohne Vorwürfe und Ausreden. Sehr verwundert sind jedoch viele Menschen über das totale Schweigen jener, die zwar eifrig Verschwendung beklagen, in diesem Fall der früher gemachten Schulden jedoch nicht das geringste Interesse an der Wahrheit der Tatsachen zu haben scheinen.

Es gibt heute europaweit den Versuch, vor allem die Bischöfe durch Druck und Einschüchterung an der Wahrnehmung ihres Hirten- und Lehramtes zu behindern. Unter dem Vorwand religiöser oder humaner Ziele greift man Papst und Bischöfe an, will jedoch einfältige Menschen dadurch täuschen, daß man sich als bedauernswertes Opfer kirchlicher Unterdrückung ausgibt. Es ist vor allem das Zweite Vatikanische Konzil, das den Diözesanbischof als sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in seiner Teilkirche feststellt; wer dies in Frage stellt, stellt das Konzil in Frage. Die Gemeinschaft mit dem Papst und mit dem Bischof wird den Gläubigen heute als notwendig immer bewußter. Mit tiefem Dank stelle ich fest, daß um Eintracht und Frieden in der Diözese viel gebetet wird; diese Gebete der Gläubigen werden zur Einheit im Glauben und zur Gemeinschaft mit Papst und Bischof führen.

Auch wenn Abhilfe mühsam und Sache der Geduld ist, wird die pastorale Zukunft von der Frage der priesterlichen Existenz und des Priesternachwuchses geprägt sein. Alles Planen und Rationalisieren löst das Grundproblem nicht, wenn nicht viele durch Gebet, Opfer, Ideen, Initiativen und vor allem durch unerschütterlichen Gottesglauben am Gnadenereignis der Berufung mitwirken. Wie die Kirche nicht ohne Papst und Bischöfe sein kann, so kann es auch nicht die Kirche ohne jene Priester geben, die an den Aufgaben des Bischofs teilhaben und mitarbeiten.

Ein Seelsorgskonzept der Notlösungen und Abstriche wäre auf Dauer nur eine gebremste, aber unaufhaltbare Fahrt ins Nichts. Es gehört zum Sinneswandel in der Kirche, daß alle den Priester auch wirklich wollen. Zu viel wird darüber nachgedacht, wie der Priester ersetzt werden kann, wie Frauen sich mit ihren Ansprüchen in die Kirche einbringen können, ohne daß die wichtigste aller Fragen, nämlich die des Priesternachwuchses, zum Anliegen des ganzen Volkes Gottes wird. Auch die Identität des Priesters wird von der versuchten Abschaffung des "Vaters" im heutigen Zeitgeist angefochten. Autorität, Verantwortung, Vernunft, Gerechtigkeit und Selbstverpflichtung werden Amtsträgern, Lehrern, Politikern, Priestern, ja Gott selbst heute abgesprochen. Die Priesterfrage steht also auch im Kontext einer kulturellen Grundentscheidung, die den "Vater" nicht durch den "Hausmann" ersetzen kann.

Alle, vor allem die Seelsorger, die Familien und die Pfarrgemeinden, mögen die jungen Menschen auf ihre Berufung ansprechen, Ehrfurcht vor dem Amt des Priesters bekunden und mit Rat und Wohlwollen begleiten. Wo Lebendiges und Gewachsenes in den Pfarren existiert, soll auch ein Priester bestellt werden. Wo neue und größere Lebensräume entstanden sind, könnte dies auch in neuen pastoralen Strukturen berücksichtigt werden.

Die Frage eines neuen politischen und wirtschaftlichen Europa bewegt heute das Denken und die Bedenken unserer Menschen. Für die Katholiken ist es eine unabweisbare Pflicht, über das Förderliche und das Nachteilige Europas in sachlichen und ethischen Zusammenhängen zu wissen. Eine Entscheidung des österreichischen Staatsvolkes wird sehr schwierig und von großer Tragweite sein.

Wir bejahen die Landeshauptstadt St.Pölten und sehen für die nächsten Jahre viele Chancen auch für eine neugestaltete regionale Gerechtigkeit, die von uns bewußt für jene Regionen wahrzunehmen ist, die vom freien Spiel der Kräfte benachteiligt werden könnten. Dankend und anerkennend dürfen wir feststellen, daß das Verhältnis zwischen den politisch Verantwortlichen in Bund, Land, Landeshauptstadt, Städten, Gemeinden, Parlamenten und der Kirche ein gutes und am Gemeinwohl orientiertes ist.

In der Tat wird das, was wir früher als "Staat" bezeichneten, immer mehr abgelöst von dem, was wir heute als "Öffentlichkeit" und "Gesellschaft" beschreiben. Mag einmal die Formel von "einer freien Kirche in einem freien Staat" gute politische Entwicklungen gebracht haben, so ist in der heutigen Wirklichkeit die Formel von "einer freien Kirche in einer freizügigen Gesellschaft" keine Friedensformel mehr. Während Kirche und Staat in konstruktivem Frieden miteinander leben, haben Kräfte der Gesellschaft gegen das Religiöse oder Christliche, vor allem gegen die katholische Kirche, einen gnadenlosen Kulturkampf begonnen, auch mit Helfern aus dem Inneren der Kirche. So gibt es kein katholisches Thema mehr, das nicht bereits oftmals ohne Anstand und Fairneß verspottet, verurteilt und durch den Schmutz gezogen worden wäre.

Am folgenschwersten ist der heutige Kulturkampf gegen Ehe, Familie und Kind. Es war Gott der Schöpfer, der den Menschen als Mann und Frau schuf und die Ehegemeinschaft von Mann und Frau zur Weitergabe des Lebens und zur Bewahrung und Mehrung der personalen Liebe einsetzte. Es ist die Ordnung des Schöpfers, gegen die heute ein kultureller Krieg geführt wird: Die eheliche Treue und das Kind gelten als Torheit; die Pervertierung der Sexualität will legitimiert und institutionalisiert werden; Abtreibung und Euthanasie haben im öffentlichen Gewissen kaum Bedeutung; die Versuchung, in das Lebensgefüge und in die Identität des Menschen manipulativ einzugreifen, nimmt ständig zu. Eine neue Ehrfurcht und Sensibilität für die Bewahrung der Schöpfung hat sich tragischerweise oft darin fixiert, daß man die Schöpfung wohl ehrt, aber kein persönliches Verhältnis zum Schöpfer selbst und seiner Ordnung entfaltet. Wenn die heute so oft genannte und beschworene "Schöpfung" ohne einen personalen Schöpfer proklamiert wird, kann Schöpfung nichts anderes als ein pragmatisches System ohne moralische Maßstäbe und ohne Transzendenz bedeuten. Nur ein persönlicher Gott kann den Menschen und sein Gewissen vor dem Versinken im System bewahren, denn eine Schöpfung ohne Schöpfer ist auch nichts anderes als ein System, das den Menschen nicht zu Freiheit, Entscheidung und Würde erhebt. Die Zukunft des Menschen kann nur die Orientierung an einem persönlichen Gott gewährleisten, mit dem der Mensch sein Dasein austrägt. Der Schöpfer ist der eine und einzige persönliche Gott, der denkt und alles weiß, der entscheidet und mit Güte und Weisheit dem Gewissen der Menschen und dem Lauf der Dinge seine Gebote und Ordnung gibt, der unbegrenzt liebt und seine Liebe vorausgibt, damit auch wir ihn und unseren Nächsten lieben können.

Gott aber ließ den Menschen nicht im System der Schöpfung allein. Gott selbst hat sich ins System der Schöpfung gestellt, damit die letzten Begründungen und Ziele nicht das Funktionieren der Dinge, sondern die Würde und das Wohl des Menschen seien: Der ewige Sohn Gottes selbst ist ein Mensch geworden unter Milliarden von Menschen. Der Mensch ist daher im System der Schöpfung nicht mehr Ding und Sache, die Schöpfung ist eine Gemeinschaft von Menschen geworden, in der jeder Menschh mehr Würde und Liebenswürdigkeit hat, als das ganze System der Dinge. Durch Jesus Christus ist die Schöpfung eine ganz andere geworden; nicht mehr die Dinge und ihr Funktionieren sind die inneren Gründe der Schöpfung, sondern erlöste Menschen vertreten vor Gott das Dasein der Schöpfung.

Seit der Menschwerdung des Sohnes Gottes in Jesus Christus bedeutet die Schöpfung die Erlösung, Bekehrung und Erneuerung des Menschen: Was Gott an seiner Schöpfung liebt, wird durch Christus bewahrt und erhoben; der Mensch wird von der Sünde befreit, weil er Christus aufnehmen und zum Kind Gottes werden kann. In einem geheimnisvollen Leib, der Kirche Christi, führt Gott jene Menschen zusammen, die in der Gnade der Gotteskindschaft leben wollen.

Die Entscheidungen für die Würde des Menschen, für die Wahrheit Christi, für die Kirche Christi und ihre Sakramente, für den personalen Schöpfer, der einer und in der Person des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ein dreifaltiger ist, sind schon Entscheidungen, die in der Geschichte der Welt am Werk sind und zum erneuerten Glauben an das Evangelium Christi führen.

Kleinlich und ängstlich sind oft unsere Fragen; groß aber ist die Sehnsucht nach Gott, die im Wesen des Menschen ruht. Unsere Seele dürstet nach dem lebendigen Gott; laßt uns schon heute aufbrechen und uns versammeln an den Quellen des göttlichen Lebens!


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 29.11.1997.

 

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