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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

NEWS Nr. 45 vom 9. 11. 2000, Seiten 210 ff. Moderation: Heinz Sichrovsky

Im orangen Taxi zum lieben Gott
Krenn vs. Nenning. Der skeptische Bischof gegen den ironischen "Taxi Orange"-Verteidiger und "Club 2"-Pionier.     

 
News: Herr Bischof, Ihre Meinung zu "Taxi Orange"?
Krenn: Ich habe eine Folge gesehen, weil darüber so viele Fragen an mich herangetragen wurden. Und ich muss sagen: Schwachsinn. Ich glaube, dass da nichts Höheres drinnensteckt. Das ist Gewöhnlichkeit bis zum Exzess.
Nenning: Man soll nicht hochmütig sein. Man soll ernst nehmen, was die so genannten einfachen Leute an Einfachheit zu bieten haben.
Krenn: Nur sind das keine einfachen Leute, das ist gestellt und bestellt. Am meisten bei der ganzen Geschichte interessiert doch, wer gewinnt. Es ist eine Form von Menschenverachtung, wenn man die da einsperrt und dann wochenlang langsam (r)aussterben lässt. Das ist sehr österreichisch: Man ist liebenswürdig und grausam zugleich. Man eliminiert jemanden aus dem Kutscherhof und weint dabei. Das ist ein perverses Spiel!
Nenning: Das ist doch nur das Sadomasospiel, das im Fernsehen eingebaut ist. Das Fernsehen ist die moderne Form der Lüge, und zur Lüge gehört auch immer die Gemeinheit und die Gewalt. Dass Sie und in gewisser Weise auch ich "Taxi Orange" als Schwachsinn empfinden, ist ja nicht das Problem. Die Frage ist: Wenn da Hunderttausende Leute zusehen - sind das wirklich lauter Schwachsinnige? Kann man über die einfach den Stab brechen?
Krenn: Will ich ja nicht. Ich will auch wegen dem Schwachsinn niemandem ein schlechtes Gewissen machen. Aber wenn "Taxi Orange" ein Spiegelbild unseres Landes und unserer Leute sein soll, muss man protestieren. Und die Medienstars werden bald böse werden auf diese jungen Leute, die Stars werden, ohne etwas zu leisten und ohne etwas zu tun, nur weil sie ein paar Wochen in diesem Kastl sitzen.
Nenning: Überlegen wir uns doch lieber, was wir tun, damit "Taxi Orange" besser wird. Würden Sie, Herr Bischof, in den Kutscherhof gehen?
Krenn: Wirklich nicht!
Nenning: Aber der Apostel Paulus ist überallhin gegangen.
Krenn: Ich gehe auch überallhin, aber ich lasse mich nirgendwo einsperren. Ich bin ein freier Mann.
Nenning: Ich würde sofort reingehen, weil das Fernsehen doch etwas Interessanteres sein sollte als das, was dort abgeht: Zähneputzen und Duschen mit Bikini.
News: Es gibt Leute, die sagen, "Taxi Orange" sei die Demokratisierung des Fernsehens. Immerhin werden da ja Nobodies zu Stars.
Nenning: Ich bin da sehr misstrauisch, ob das wirklich Laien sind. Bei dem einen oder anderen hat sich schon herausgestellt, dass das ein Schwindel ist. Das ist jedoch nichts Ungewöhnliches, weil das ganze Fernsehen hauptsächlich Schwindel ist. Was mich daran interessiert, ist die Sehnsucht, miteinander zu sein, wenn auch auf blödeste Art. "Taxi Orange" ist die herabgekommene Koinonia (Anm.: Laut "Kleinem Wörterbuch zum Neun Testament Griechisch-Deutsch", Deutsche Bibelgesellschaft, 2. Auflage 1999 hat dieses Wort folgende Bedeutungen: Gemeinschaft, enge Verbindung, innige Beziehung; Anteilnahme; Gemeinsinn, Zusammenhalten; Beitrag, Gabe), die demokratische, repräsentative Gemeinschaft des Urchristentums, wo die Leute Tag und Nacht beieinander waren und alles geteilt haben, aber unter einem Stern. Ich spüre eine Sehnsucht da drinnen, die ziellos herumschwirrt. Da gehören eigentlich engagierte Christen hin, einschließlich eines Bischofs, der sagt: Ihr seid ja nicht verloren.
Krenn: Aber dort ist ja jedes Wort einstudiert und vorausbestimmt!
Nenning: Sie würden sich nicht dran halten. Sie bringen ja auch sonst die Bischofskonferenz durcheinander.
News: Sie haben das Phänomen Zlatko als Stufe zwischen Affen und Menschen tituliert. Trifft das auch auf "Taxi Orange" zu?
Krenn: Wenn ich jetzt ja sage, dann ist wieder der Teufel los und wenn ich nein sage, heißt es, der traut sich nichts sagen. Also schweige ich.
Nenning: Wissen Sie, wenn ich mir denke, die Deutschen oder Holländer haben den Blödsinn erfunden und die Österreicher kriegen es hin, dass sie aus einem Blödsinn eineinhalb Blödsinne machen - dann habe ich ein leises patriotisches Gefühl.
News: Ist es entwürdigend, Menschen 24 Stunden lang zu filmen?
Nenning: Das Entwürdigende an der Sache ist nicht, dass sie sich drum reißen, ins Fernsehen zu kommen. Sondern dass sonst nichts da ist, mit dem sie sich besser, tiefer und schöner beschäftigen könnten. Warum macht die Kirche nicht Beichtstuhl Orange?
Krenn: Die Beichte ist ja das, was man dem lieben Gott zu sagen hat und nicht der ganzen Welt. Das Sich-Outen ist ja eine Krankheit. Am Ende haben diese armen Leute keine Geheimnisse mehr.
Nenning: Nicht weil sie es ausplaudern, sondern weil sie an sich keine Geheimnisse haben, sie sind innerlich leer. Das Fernsehen hätte ja an sich mit der Kirche viel gemein - nur ist der Inhalt wegradiert.
News: Ist nicht auch die Kirche virtuelle Realität? Sie stellt Regeln auf, an die sich keiner hält.
Krenn: Virtuell ist es nicht, weil wir haben das Gewissen als Grunderlebnis. Selbst, wenn das Gewissen schon ganz kaputt ist - es ist immer noch da und meldet sich. Wir haben gewissermaßen eine letzte Verwurzelung in der Realität.
Nenning: Das stimmt nicht, dass die Kirche gar nichts mehr ist. Es gibt genug Leute, die nie im Fernsehen sind, die nie in den Medien sind und die sehr wohl Sonntag für Sonntag was davon haben. Ich will das Fernsehen gar nicht besser machen. Ich frage lieber: Was gibt es statt Fernsehen als menschlichere, als wirkliche Gemeinschaft? Im Zeitalter des Fernsehens muss man eine Gegenkultur des Nicht-Fernsehens schaffen. Und dazu ist auch die Kirche da.
News: Welche Auswirkungen auf die Zukunft des Fernsehens hat denn "Taxi Orange"?
Krenn: Jede Produktion, jede Form, jede Periode, die ist sterblich. Ich glaube, die interessiert das gar nicht, ob sie eine Zukunft haben. Die denken nur hier und jetzt an die Quote und das Geld.
Nenning: Dass man das Fernsehen anstarrt wie die Schlange das Karnickel, ist falsch. Es wird bald der grosse Überdruss kommen.
Krenn: Ich halte das Fernsehen für viel lebensfähiger, als Sie es tun. Und zwar nicht, weil es so gut ist - im Gegenteil, ich ärgere mich immer wieder über die Religionsabteilung im ORF, die oft einseitig berichtet. Aber ich als Kirchenmann habe keinen Sender, kein Mikrofon, kein Studio, gar nichts. Ich hänge vom Wohlwollen der Leute ab.
Nenning: Sie brauchen keinen Sender. Seit es die Kirche gibt, ist sie selber ein Massenmedium.
News: Soll man gegen die Verblödung des Mediums TV Protest erheben?
Krenn: Gegen Blödsinn kann man nicht kämpfen, der erledigt sich von selber. Und für die Wahrheit gibt es die Kirche.
News: Was halten Sie beide eigentlich voneinander?
Krenn: Der Nenning ist ein gescheiter Mann, ein ehrlicher Mann, aber hie und da halt ein bissl ein Wilder. Er hat über religiöse Dinge viel Blödsinn gesagt und in seinen Büchern den lieben Gott, na, sagen wir, sehr menschlich dargestellt. Aber er geht komischerweise trotz aller dieser Umwege einen geraden Weg. Ihr Weg gefällt mir.

Nenning: Jetzt bin ich gerührt. Im Grunde interessiert mich ja doch nur mehr der liebe Gott. Und Ihnen kann ich sagen: Ich kann Schleimpatzen nicht leiden - und Sie sind kein Schleimpatzen. Sie haben einen Kern. Und ob Sie nun etwas Richtiges tun oder etwas Falsches - ganz daneben können Sie nie sein. Weil Sie mitten drin sind.


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 13.11.2000.

 

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