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Die Leitlinien – eine Übersicht
Inhaltliche Anliegen von „Leben in Fülle“ (März 2006)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Vortrag bei der Präsentation im Sanatorium Kettenbrücke in Innsbruck

Am 24. März 2006 wurden in Wien die von der Österreichischen Bischofskonferenz herausgegebenen Leitlinien für katholische Einrichtungen im Dienst der Gesundheitsfürsorge mit dem Titel „Leben in Fülle“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Diözesanbischof DDr. Klaus Küng hat als Referent der ÖBK für bioethische Fragen in Zusammenarbeit mit einer dafür eingesetzten Arbeitsgruppe und im Rahmen eines Begutachtungsprozesses dieses wichtige Dokument in seiner Erstellung begleitet, das die österreichischen Bischöfe am 10. November 2005 bei ihrer Vollversammlung in Rom approbiert haben.

Das Dokument „Leben in Fülle“ möchte vor allem als Ermutigung all jener verstanden werden, die als Verantwortliche und Mitarbeiter katholischer Einrichtungen im Dienste der Gesundheitsfürsorge tätig sind. Der christliche Glaube verleiht dem Dienst am leidenden und kranken Menschen ein besonderes Profil, das es in Dankbarkeit herauszustellen gilt. Weil es sich aber um Fragen handelt, die das Menschsein als solches betreffen, sind die Ausführungen der Bischöfe eine Einladung auch an jene, die den katholischen Glauben nicht teilen, die Leitlinien aus einer Perspektive der Humanität zu würdigen.

Zu Beginn geht das Dokument ein auf den Heilsauftrag der Kirche. Die Kirche setzt das erlösende Handeln Christi fort, denn dieser ist in seiner Kirche gegenwärtig. Erlösung bedeutet Befreiung vom Bösen und Mitteilung göttlichen Lebens. Dabei hat Jesus Christus, der Sohn Gottes, in Solidarität mit den Menschen freiwillig auch das Leiden und den Tod auf sich genommen. Sein Heil ist in Kreuz und Auferstehung offenbar geworden. Dies schenkt uns als Christen den Trost endgültig zugesagter göttlicher Liebe. Der Glaube verleiht Kraft für die Annahme dessen, was Gott uns an Leidvollem und Schwerem zumutet. Die Kirche ist daher all jenen verbunden, die Leiden zu tragen haben und nach Antworten suchen. So setzt sie sich einerseits kompromisslos für Heilung ein und begleitet andererseits die Menschen auf dem Weg der Sinnfindung und der Annahme unvermeidbaren Leids.

Das grundsätzliche Anliegen kirchlicher Gesundheitsfürsorge ist also stets der Dienst am Menschen. Jeder Mensch als Ebenbild Gottes besitzt von seiner Empfängnis an eine einzigartige personale Würde, die zu achten ist. Alle medizinischen und pflegerischen Maßnahmen müssen darauf ausgerichtet sein. Die Verantwortung des Arztes ist auf die Rettung und Heilung des menschlichen Lebens bezogen, wird aber auch die Entscheidungsfreiheit des Patienten achten und soweit als möglich berücksichtigen. Eine recht verstandene Autonomie im Sinn der Eigenverantwortung soll sich mit vertrauensvoller Kooperation im Arzt-Patienten-Verhältnis verbinden.

In der Folge werden im Dokument „Leben in Fülle“ spezielle Problemfelder angesprochen. Insbesondere beim Lebensschutz gilt es stets neu anzusetzen: „Niemandem ist es erlaubt, ein unschuldiges menschliches Wesen direkt zu zerstören, weil dies schwer gegen die Menschenwürde und gegen die Heiligkeit des Schöpfers verstößt“, heißt es in dem von Papst Benedikt XVI. approbierten „Kompendium“ des Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 168).

Das menschliche Leben an seinem Beginn bedarf der besonderen Zuwendung und Wertschätzung. Gegenüber einem bloßen Nützlichkeitsdenken hält die Kirche an der Unteilbarkeit des Rechts auf Leben fest, das allen Menschen von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod zukommt. Beim Lebensschutz kann und darf es keine Abstufungen geben, indem man die Schutzwürdigkeit der menschlichen Person an das Vorhandensein bestimmter Fähigkeiten und Merkmale bindet und so andere von diesem Schutz ausschließt. Bereits mit der Befruchtung liegt ein neues und selbständiges Menschenleben vor. Daher darf dieses Leben auf keinen Fall durch Abtreibung getötet werden. Auch im Konfliktfall kann weder das Leben der Mutter noch das des Kindes als das wertvollere bezeichnet werden, vielmehr ist alles zur Rettung beider aufzubieten, stellen die „Leitlinien“ fest. Abgelehnt wird von den Bischöfen die Präimplantationsdiagnostik (PID), da sie eine Selektion menschlichen Lebens nach den Kriterien von „lebenswert“ und „nicht lebenswert“ impliziert, was in keinem Fall annehmbar ist. Auf diese Weise wird der Wunsch zum „Kind nach Maß“ hervorgerufen und gefördert, während schwache, kranke und behinderte Menschen vom Leben ausgeschlossen werden. Im Unterschied dazu kann die pränatale Diagnostik dann zum Einsatz kommen, wenn sie in einem ausschließlich therapeutischen Rahmen angewendet wird und bei Vermeidung sonstiger Risiken nicht auf die Abtreibung der Leibesfrucht hinzielt. Gegenüber verbreiteten Tendenzen einer „Un-Kultur des Todes“ können gerade katholische Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge im bedingungslosen Eintreten für die Würde und das Leben des Menschen ein wirksames Zeichen für eine Kultur der Liebe und des Lebens setzen!

Auch der Mensch an seinem Lebensende bedarf besonderer Aufmerksamkeit und Zuwendung. Dabei ist es der Kirche ein wichtiges Anliegen, allen Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen. In Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, wird der Tod zur Verheißung der Teilhabe am Geheimnis des Lebens bei Gott. Das Dokument „Leben in Fülle“ trifft in diesem Zusammenhang einige Unterscheidungen, die der Klärung dienen. Unter Euthanasie wird direkte Sterbehilfe verstanden, sei sie aktiv oder passiv. Euthanasie ist eine Handlung oder Unterlassung, die ihrer Natur nach und aus bewusster Absicht den Tod herbeiführt, um auf diese Weise den Schmerz zu beenden; sie ist ein schweres Vergehen gegen das Gesetz Gottes. Wenn hingegen Sterbenden schmerzlindernde Medikamente gegeben werden, die als unbeabsichtigte Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen, spricht man von indirekter Sterbehilfe. Diese ist in Abwägung der ärztlichen Doppelpflicht (nämlich Leben erhalten und Schmerzen lindern) in bestimmten Fällen sittlich zulässig.

Die Möglichkeit der Errichtung einer Patientenverfügung, die auf der Anerkennung bestimmter Prinzipien wurzelt (nämlich der Unverfügbarkeit des Lebens, des Rechts auf ein humanes Sterben und auf medizinische Betreuung bis zum Lebensende), wird von den Bischöfen begrüßt, wobei die rechtliche Verbindlichkeit einer solchen Verfügung ausreichenden Freiraum für die beteiligten Ärzte lassen muß, damit sie im medizinischen Notfall gemäß ihrem ärztlichen Ethos und aus einer präzisen Beurteilung der jeweiligen Situation gezielte Maßnahmen zum Wohl des Patienten setzen können.

Auch auf besondere Fragen und Herausforderungen wird in dem Dokument eingegangen. So wird eine somatische Gentherapie unter einschränkenden Bedingungen befürwortet. Hingegen muss die Keimbahntherapie aus ethischer Sicht ausgeschlossen werden, da sie mit verbrauchender Embryonenforschung verbunden ist und eine schwerwiegende Form intergenerationeller Fremdbestimmung darstellt. Im Hinblick auf die Stammzellen-Therapie ist es entscheidend, woher die Stammzellen kommen. Sind sie dem Nabelschnurblut entnommen, so können sie aus ethischer Sicht ohne weiteres kultiviert und eingesetzt werden, sofern dies von therapeutischem Nutzen ist und mögliche Risiken dabei ausgeschlossen werden. Handelt es sich allerdings um embryonale Stammzellen, so hat der unbedingte Schutz des Embryos Vorrang vor seiner therapeutischen Nutzung für andere. Es ist nicht erlaubt, einen Embryo zu zerstören! Im Umgang mit knappen ökonomischen Ressourcen sind in sittlicher Perspektive die Forderung nach Gerechtigkeit, aber auch die Pflicht zur Solidarität und zum Schutz der Würde des Menschen zu beachten. Gerecht ist die Organisation der medizinischen Versorgung nur, wenn sie die Gesundheit aller gemäß den gegebenen Möglichkeiten wirksam fördert. Dem Patienten soll die Teilnahme an der Rechts- und Solidargemeinschaft auch weiterhin ermöglicht werden. So lautet das im Dokument „Leben in Fülle“ zum Ausdruck gebrachte Anliegen der Bischöfe.

Die Leitlinien der Bischöfe geben wichtige Impulse und Hilfen für all jene, die aus dem Geist christlicher Nächstenliebe im Dienst des kranken und leidenden Menschen tätig sind. Dass die Verwirklichung dieses Ideals gerade in den Krankenhäusern und Einrichtungen der Orden bereits seit Jahren mit viel Engagement und Kompetenz geschieht, wird von den Bischöfen dankbar anerkannt!