Vaticanum II - Dignitatis humanae
Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“
PAULUS BISCHOF
DIENER DER DIENER GOTTES ZUSAMMEN MIT DEN VÄTERN DES HEILIGEN KONZILS ZUR FORTWÄHRENDEN ERINNERUNG
Das Recht der Person und der Gemeinschaft auf gesellschaftliche und bürgerliche Freiheit in religiösen Dingen
Fürs erste bekennt die Heilige Synode: Gott selbst hat dem Menschengeschlecht Kenntnis gegeben von dem Weg, auf dem die Menschen, ihm dienend, in Christus erlöst und selig werden können. Diese einzige wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen, apostolischen Kirche, die von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu verbreiten. Er sprach ja zu den Aposteln: „Gehet hin, und lehret alle Völker, taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,19–20). Alle Menschen sind ihrerseits verpflichtet, die Wahrheit, besonders in dem, was Gott und seine Kirche angeht, zu suchen und die erkannte Wahrheit aufzunehmen und zu bewahren.
In gleicher Weise bekennt sich das Konzil dazu, daß diese Pflichten die Menschen in ihrem Gewissen berühren und binden, und anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt. Da nun die religiöse Freiheit, welche die Menschen zur Erfüllung der pflichtgemäßen Gottesverehrung beanspruchen, sich auf die Freiheit von Zwang in der staatlichen Gesellschaft bezieht, läßt sie die überlieferte katholische Lehre von der moralischen Pflicht der Menschen und der Gesellschaften gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche Christi unangetastet. Bei der Behandlung dieser Religionsfreiheit beabsichtigt das Heilige Konzil, zugleich die Lehre der neueren Päpste über die unverletzlichen Rechte der menschlichen Person wie auch ihre Lehre von der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft weiterzuführen.
I. Allgemeine Grundlegung der Religionsfreiheit
Weil die Menschen Personen sind, d. h. mit Vernunft und freiem Willen begabt und damit auch zu persönlicher Verantwortung erhoben, werden alle – ihrer Würde gemäß – von ihrem eigenen Wesen gedrängt und zugleich durch eine moralische Pflicht gehalten, die Wahrheit zu suchen, vor allem jene Wahrheit, welche die Religion betrifft. Sie sind auch dazu verpflichtet, an der erkannten Wahrheit festzuhalten und ihr ganzes Leben nach den Forderungen der Wahrheit zu ordnen. Der Mensch vermag aber dieser Verpflichtung auf die seinem eigenen Wesen entsprechende Weise nicht nachzukommen, wenn er nicht im Genuß der inneren, psychologischen Freiheit und zugleich der Freiheit von äußerem Zwang steht. Demnach ist das Recht auf religiöse Freiheit nicht in einer subjektiven Verfassung der Person, sondern in ihrem Wesen selbst begründet. So bleibt das Recht auf religiöse Freiheit auch denjenigen erhalten, die ihrer Pflicht, die Wahrheit zu suchen und daran festzuhalten, nicht nachkommen, und ihre Ausübung darf nicht gehemmt werden, wenn nur die gerechte öffentliche Ordnung gewahrt bleibt.
Die Wahrheit muß aber auf eine Weise gesucht werden, die der Würde der menschlichen Person und ihrer Sozialnatur eigen ist, d. h. auf dem Wege der freien Forschung, mit Hilfe des Lehramtes oder der Unterweisung, des Gedankenaustauschs und des Dialogs, wodurch die Menschen einander die Wahrheit, die sie gefunden haben oder gefunden zu haben glauben, mitteilen, damit sie sich bei der Erforschung der Wahrheit gegenseitig zu Hilfe kommen; an der einmal erkannten Wahrheit jedoch muß man mit personaler Zustimmung festhalten.
Nun aber werden die Gebote des göttlichen Gesetzes vom Menschen durch die Vermittlung seines Gewissens erkannt und anerkannt; ihm muß er in seinem gesamten Tun in Treue folgen, damit er zu Gott, seinem Ziel, gelange. Er darf also nicht gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln. Er darf aber auch nicht daran gehindert werden, gemäß seinem Gewissen zu handeln, besonders im Bereiche der Religion. Denn die Verwirklichung und Ausübung der Religion besteht ihrem Wesen nach vor allem in inneren, willentlichen und freien Akten, durch die sich der Mensch unmittelbar auf Gott hinordnet; Akte dieser Art können von einer rein menschlichen Gewalt weder befohlen noch verhindert werden[4]. Die Sozialnatur des Menschen erfordert aber, daß der Mensch innere Akte der Religion nach außen zum Ausdruck bringt, mit anderen in religiösen Dingen in Gemeinschaft steht und seine Religion gemeinschaftlich bekennt.
Es geschieht also ein Unrecht gegen die menschliche Person und gegen die Ordnung selbst, in die die Menschen von Gott hineingestellt sind, wenn jemandem die freie Verwirklichung der Religion in der Gesellschaft verweigert wird, vorausgesetzt, daß die gerechte öffentliche Ordnung gewahrt bleibt.
Hinzu kommt, daß die religiösen Akte, womit sich der Mensch privat und öffentlich aufgrund einer geistigen Entscheidung auf Gott hinordnet, ihrem Wesen nach die irdische und zeitliche Ordnung übersteigen. Demnach muß die staatliche Gewalt, deren Wesenszweck in der Sorge für das zeitliche Gemeinwohl besteht, das religiöse Leben der Bürger nur anerkennen und begünstigen, sie würde aber, wie hier betont werden muß, ihre Grenzen überschreiten, wenn sie so weit ginge, religiöse Akte zu bestimmen oder zu verhindern.
Deshalb steht diesen Gemeinschaften, wenn nur die gerechten Erfordernisse der öffentlichen Ordnung nicht verletzt werden, Rechtens die Freiheit zu, daß sie sich gemäß ihren eigenen Normen leiten, der Gottheit in öffentlichem Kult Ehre erweisen, ihren Gliedern in der Betätigung ihres religiösen Lebens beistehen, sie durch Unterricht unterstützen und jene Einrichtungen fördern, in denen die Glieder zusammenarbeiten, um das eigene Leben nach ihren religiösen Grundsätzen zu ordnen.
In gleicher Weise steht den religiösen Gemeinschaften das Recht zu, daß sie nicht durch Mittel der Gesetzgebung oder durch verwaltungsrechtliche Maßnahmen der staatlichen Gewalt daran gehindert werden, ihre eigenen Amtsträger auszuwählen, zu erziehen, zu ernennen und zu versetzen, mit religiösen Autoritäten und Gemeinschaften in anderen Teilen der Erde in Verbindung zu treten, religiöse Gebäude zu errichten und zweckentsprechende Güter zu erwerben und zu gebrauchen.
Auch haben die religiösen Gemeinschaften das Recht, keine Behinderung bei der öffentlichen Lehre und Bezeugung ihres Glaubens in Wort und Schrift zu erfahren. Man muß sich jedoch bei der Verbreitung des religiösen Glaubens und bei der Einführung von Gebräuchen allzeit jeder Art der Betätigung enthalten, die den Anschein erweckt, als handle es sich um Zwang oder um unehrenhafte oder ungehörige Überredung, besonders wenn es weniger Gebildete oder Arme betrifft. Eine solche Handlungsweise muß als Mißbrauch des eigenen Rechtes und als Verletzung des Rechtes anderer betrachtet werden.
Es gehört außerdem zur religiösen Freiheit, daß die religiösen Gemeinschaften nicht daran gehindert werden, die besondere Fähigkeit ihrer Lehre zur Ordnung der Gesellschaft und zur Beseelung des ganzen menschlichen Tuns zu zeigen. Schließlich ist in der gesellschaftlichen Natur des Menschen und im Wesen der Religion selbst das Recht begründet, wonach Menschen aus ihrem eigenen religiösen Sinn sich frei versammeln oder Vereinigungen für Erziehung, Kultur, Caritas und soziales Leben schaffen können.
Der Schutz und die Förderung der unverletzlichen Menschenrechte gehört wesenhaft zu den Pflichten einer jeden staatlichen Gewalt[6]. Die Staatsgewalt muß also durch gerechte Gesetze und durch andere geeignete Mittel den Schutz der religiösen Freiheit aller Bürger wirksam und tatkräftig übernehmen und für die Förderung des religiösen Lebens günstige Bedingungen schaffen, damit die Bürger auch wirklich in der Lage sind, ihre religiösen Rechte auszuüben und die religiösen Pflichten zu erfüllen, und damit der Gesellschaft selber die Werte der Gerechtigkeit und des Friedens zugute kommen, die aus der Treue der Menschen gegenüber Gott und seinem heiligen Willen hervorgehen[7].
Wenn in Anbetracht besonderer Umstände in einem Volk einer einzigen religiösen Gemeinschaft in der Rechtsordnung des Staates eine spezielle bürgerliche Anerkennung gezollt wird, so ist es notwendig, daß zugleich das Recht auf Freiheit in religiösen Dingen für alle Bürger und religiösen Gemeinschaften anerkannt und gewahrt wird.
Endlich muß die Staatsgewalt dafür sorgen, daß die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, die als solche zum Gemeinwohl der Gesellschaft gehört, niemals entweder offen oder auf verborgene Weise um der Religion willen verletzt wird und daß unter ihnen keine Diskriminierung geschieht.
Hieraus folgt, daß es für die öffentliche Gewalt ein Unrecht wäre, den Bürgern durch Zwang oder Furcht oder auf andere Weise das Bekenntnis oder die Verwerfung irgendeiner Religion aufzuerlegen oder jemand daran zu hindern, sich einer religiösen Gemeinschaft anzuschließen oder sie zu verlassen. Um so mehr wird gegen den Willen Gottes und gegen die geheiligten Rechte der Person und der Völkerfamilie gehandelt, wenn auf irgendeine Weise Gewalt angewendet wird zur Zerstörung oder Behinderung der Religion, sei es im ganzen Menschengeschlecht oder in irgendeinem Lande oder in einer bestimmten Gemeinschaft.
Beim Gebrauch einer jeden Freiheit ist das sittliche Prinzip der personalen und sozialen Verantwortung zu beobachten: Die einzelnen Menschen und die sozialen Gruppen sind bei der Ausübung ihrer Rechte durch das Sittengesetz verpflichtet, sowohl die Rechte der andern wie auch die eigenen Pflichten den anderen und dem Gemeinwohl gegenüber zu beachten. Allen Menschen gegenüber muß man Gerechtigkeit und Menschlichkeit walten lassen.
Da die bürgerliche Gesellschaft außerdem das Recht hat, sich gegen Mißbräuche zu schützen, die unter dem Vorwand der Religionsfreiheit vorkommen können, so steht es besonders der Staatsgewalt zu, diesen Schutz zu gewähren; dies darf indessen nicht auf willkürliche Weise oder durch unbillige Begünstigung einer Partei geschehen, sondern nur nach rechtlichen Normen, die der objektiven sittlichen Ordnung entsprechen und wie sie für den wirksamen Rechtsschutz im Interesse aller Bürger und ihrer friedvollen Eintracht erforderlich sind, auch für die hinreichende Sorge um jenen ehrenhaften öffentlichen Frieden, der in einem geordneten Zusammenleben in wahrer Gerechtigkeit besteht, und schließlich für die pflichtgemäße Wahrung der öffentlichen Sittlichkeit. Dies alles gehört zum grundlegenden Wesensbestand des Gemeinwohls und fällt unter den Begriff der öffentlichen Ordnung. Im übrigen soll in der Gesellschaft eine ungeschmälerte Freiheit walten, wonach dem Menschen ein möglichst weiter Freiheitsraum zuerkannt werden muß, und sie darf nur eingeschränkt werden, wenn und soweit es notwendig ist.
Deshalb richtet das Vatikanische Konzil die Mahnung an alle, besonders aber an die, denen es obliegt, andere zu erziehen, daß sie danach streben, Menschen zu bilden, die der sittlichen Ordnung gemäß der gesetzlichen Autorität gehorchen und zugleich Liebhaber der echten Freiheit sind; Menschen, die die Dinge nach eigener Entscheidung im Licht der Wahrheit beurteilen, ihr Handeln verantwortungsbewußt ausrichten und bemüht sind, was immer wahr und gerecht ist, zu erstreben, wobei sie zu gemeinsamem Handeln sich gern mit anderen zusammenschließen.
So muß denn die Religionsfreiheit auch dazu dienen und dahin geordnet werden, daß die Menschen bei der Erfüllung ihrer Pflichten im Leben der Gesellschaft mit Verantwortung handeln.
II. Die Religionsfreiheit im Licht der Offenbarung
Gewiß hat er den Unglauben seiner Hörer gescholten, aber so, daß er die Züchtigung Gottes für den Tag des Gerichtes zurückstellte[16]. Bei der Aussendung der Apostel in die Welt sprach er zu ihnen: „Wer glaubt und sich taufen läßt, wird selig werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,16). Als er bemerkte, daß Unkraut zugleich mit dem Weizen gesät war, befahl er, daß man beides wachsen lasse bis zur Ernte, die am Ende der Weltzeit geschehen wird[17]. Er lehnte es ab, ein politischer Messias zu sein, der äußere Machtmittel anwendet[18]. Statt dessen zog er es vor, sich den Menschensohn zu nennen, der gekommen ist, „um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die vielen“ (Mk 10,45). Er erwies sich als der vollkommene Gottesknecht[19], der „das geknickte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht“ (Mt 12,20). Die staatliche Gewalt und ihre Rechte erkannte er an, als er befahl, dem Kaiser Steuer zu zahlen, mahnte aber deutlich, daß die höheren Rechte Gottes zu wahren seien: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Mt 22,21). Schließlich hat er durch das Erlösungswerk am Kreuz, um den Menschen das Heil und die wahre Freiheit zu erwerben, seine Offenbarung zur Vollendung gebracht. Er gab der Wahrheit Zeugnis[20], und dennoch wollte er sie denen, die ihr widersprachen, nicht mit Gewalt aufdrängen. Sein Reich wird ja nicht mit dem Schwert beschützt[21], sondern wird gefestigt im Bezeugen und Hören der Wahrheit und wächst in der Kraft der Liebe, in der Christus, am Kreuz erhöht, die Menschen an sich zieht[22].
Die Apostel sind, belehrt durch das Wort und das Beispiel Christi, den gleichen Weg gegangen. Schon in den Anfängen der Kirche haben sich die Jünger Christi abgemüht, die Menschen zum Bekenntnis zu Christus dem Herrn zu bekehren, nicht durch Zwang und durch Kunstgriffe, die des Evangeliums nicht würdig sind, sondern vor allem in der Kraft des Wortes Gottes[23]. Mit Festigkeit verkündigten sie allen den Ratschluß des Erlösergottes, der „will, daß alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4); dabei aber nahmen sie Rücksicht auf die Schwachen, selbst wenn sie im Irrtum waren; so zeigten sie, wie „jeder von uns Gott Rechenschaft für sich geben wird“ (Röm 14,12)[24] und dementsprechend zum Gehorsam in seinem Gewissen verpflichtet ist. Gleich wie Christus waren die Apostel allzeit bestrebt, der Wahrheit Gottes Zeugnis zu geben, und sie nahmen dabei in reichem Maße das Wagnis auf sich, vor dem Volk und seinen Vorstehern „mit Freimut das Wort zu sagen“ (Apg 4,31)[25]. Mit starkem Glauben hielten sie daran fest, daß das Evangelium wahrhaft eine Kraft Gottes zum Heil ist für jeden, der glaubt[26]. So verschmähten sie alle „fleischlichen Waffen“[27]. Dem Beispiel der Güte und Bescheidenheit Christi folgend, verkündeten sie das Wort Gottes, im vollen Vertrauen, daß die göttliche Kraft dieses Wortes imstande ist, die gottwidrigen Mächte zu zerstören[28] und die Menschen dahin zu führen, an Christus zu glauben und ihm zu gehorchen[29]. Wie ihr Meister, so achteten auch die Apostel die legitime staatliche Autorität: „ Es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott stammt“, lehrt der Apostel, und deshalb befiehlt er: „Jedermann sei den obrigkeitlichen Gewalten untertan ...; wer sich der Gewalt widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes“ (Röm 13,1–2)[30]. Dabei scheuten sie sich nicht, der öffentlichen Gewalt zu widersprechen, wenn sie zu dem heiligen Willen Gottes in Gegensatz trat: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29)[31]. Märtyrer und Gläubige ohne Zahl sind zu allen Zeiten überall diesen Weg gegangen.
Der Sauerteig des Evangeliums hat sich so im Geist der Menschen schon lange ausgewirkt und hat viel dazu beigetragen, daß die Menschen im Laufe der Zeit die Würde ihrer Person besser erkannten und daß die Überzeugung heranreifte, in religiösen Dingen müsse sie in der bürgerlichen Gesellschaft vor jedem menschlichen Zwang geschützt werden.
In der menschlichen Gesellschaft und angesichts einer jeden öffentlichen Gewalt erhebt die Kirche Anspruch auf Freiheit als geistliche, von Christus dem Herrn gestiftete Autorität, die kraft göttlichen Auftrags die Pflicht hat, in die ganze Welt zu gehen, um das Evangelium allen Geschöpfen zu verkündigen[33]. Ebenso fordert die Kirche Freiheit für sich, insofern sie auch eine Gesellschaft von Menschen ist, die das Recht besitzen, nach den Vorschriften des christlichen Glaubens in der bürgerlichen Gesellschaft zu leben[34].
Wenn der Grundsatz der Religionsfreiheit nicht nur mit Worten proklamiert oder durch Gesetze festgelegt, sondern auch ernstlich in die Praxis übergeführt ist und in Geltung steht, dann erst erhält die Kirche rechtlich und tatsächlich die gefestigte Stellung, welche die Bedingung zu jener Unabhängigkeit darstellt, die für ihre göttliche Sendung nötig ist und wie sie die kirchlichen Autoritäten in der Gesellschaft mit immer größerem Nachdruck gefordert haben[35]. Zugleich haben die Christen wie die übrigen Menschen das bürgerliche Recht, daß sie nach ihrem Gewissen leben dürfen und darin nicht gehindert werden. So steht also die Freiheit der Kirche im Einklang mit jener religiösen Freiheit, die für alle Menschen und Gemeinschaften als ein Recht anzuerkennen und in der juristischen Ordnung zu verankern ist.
Inständig bittet deshalb die Kirche ihre Söhne, daß „an erster Stelle Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksagungen für alle Menschen verrichtet werden ...; denn das ist gut und wohlgefällig vor Gott, vor unserm Erlöser, der will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,1–4).
Bei ihrer Gewissensbildung müssen jedoch die Christgläubigen die heilige und sichere Lehre der Kirche sorgfältig vor Augen haben[36]. Denn nach dem Willen Christi ist die katholische Kirche die Lehrerin der Wahrheit; ihre Aufgabe ist es, die Wahrheit, die Christus ist, zu verkündigen und authentisch zu lehren, zugleich auch die Prinzipien der sittlichen Ordnung, die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgehen, autoritativ zu erklären und zu bestätigen. Ferner sollen die Christen bemüht sein, in Weisheit wandelnd vor den Außenstehenden, „im Heiligen Geist, in ungeheuchelter Liebe, im Wort der Wahrheit“ (2 Kor 6,6–7), mit der Tapferkeit der Apostel bis zur Hingabe des Blutes das Licht des Lebens mit allem Freimut zu verbreiten[37].
Denn der Jünger hat gegenüber Christus, dem Meister, die ernste Pflicht, die von ihm empfangene Wahrheit immer vollkommener kennenzulernen, in Treue zu verkünden und kraftvoll zu verteidigen unter Ausschluß aller Mittel, die dem Geist des Evangeliums entgegengesetzt sind. Zugleich wird er von der Liebe Christi gedrängt, den Menschen, die in Irrtum oder Unwissenheit in den Dingen des Glaubens befangen sind[38], in Liebe, Klugheit und Geduld zu begegnen. So ist Rücksicht zu nehmen sowohl auf die Pflichten gegenüber Christus, dem lebendigmachenden Wort, das es zu verkünden gilt, wie auch auf die Rechte der menschlichen Person und auf das Maß der Gnade, das von Gott durch Christus dem Menschen gewährt wird, an den sich die Einladung richtet, den Glauben freiwillig anzunehmen und zu bekennen.
Anderseits gibt es auch Regierungsformen, in denen die öffentlichen Gewalten trotz der Anerkennung der religiösen Kultusfreiheit durch ihre Verfassung doch den Versuch machen, die Bürger vom Bekenntnis der Religion abzubringen und den religiösen Gemeinschaften das Leben aufs äußerste zu erschweren und zu gefährden.
Indem das Konzil jene glückhaften Zeichen unserer Zeit mit Freude begrüßt, diese beklagenswerten Tatsachen jedoch mit großem Schmerz feststellt, richtet es die Mahnung an die Katholiken und die Bitte an alle Menschen, daß sie sich angelegentlich vor Augen stellen, wie notwendig die Religionsfreiheit ist, besonders in der gegenwärtigen Situation der Menschheitsfamilie.
Denn es ist eine offene Tatsache, daß alle Völker immer mehr eine Einheit werden, daß Menschen verschiedener Kultur und Religion enger miteinander in Beziehung kommen und daß das Bewußtsein der eigenen Verantwortlichkeit im Wachsen begriffen ist. Damit nun friedliche Beziehungen und Eintracht in der Menschheit entstehen und gefestigt werden, ist es erforderlich, daß überall auf Erden die Religionsfreiheit einen wirksamen Rechtsschutz genießt und daß die höchsten Pflichten und Rechte des Menschen, ihr religiöses Leben in der Gesellschaft in Freiheit zu gestalten, wohl beachtet werden.
Gebe Gott, der Vater aller, daß die Menschheitsfamilie unter sorgsamer Wahrung des Grundsatzes der religiösen Freiheit in der Gesellschaft durch die Gnade Christi und die Kraft des Heiligen Geistes zu jener höchsten und ewigen herrlichen „Freiheit der Söhne Gottes“ (Röm 8,21) geleitet werde.
Was in dieser Erklärung im gesamten und im einzelnen ausgesprochen ist, hat die Zustimmung der Väter gefunden. Und Wir, kraft der von Christus Uns übertragenen Apostolischen Vollmacht, billigen, beschießen und verordnen es zusammen mit den Ehrwürdigen Vätern im Heiligen Geiste und gebieten zur Ehre Gottes die Veröffentlichung dessen, was so durch das Konzil verordnet ist.
Rom, bei St. Peter, am 7. Dezember 1965.
Ich Paulus Bischof der katholischen Kirche
Es folgen die Unterschriften der Väter.