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Arbeitsweise (Methode) der Moraltheologie

Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 68-71

Die Moraltheologie ist die Lehre vom Sittlichen, wie es aus der Offenbarung erkannt wird. Diese bietet ihre sittl. Weisungen nicht in systematischer Ordnung, sondern je nach Gelegenheit dar. Der Moraltheologie, die nach umfassender Erkenntnis und Darstellung der gesamten Offenbarungssittlichkeit strebt, legt sich damit von selbst eine bestimmte Arbeitsweise (Methode) auf.

1. Zunächst muß sie alles sittl. Bedeutsame, das sich in der Offenbarung findet, feststellen, sammeln und übersichtl. ordnen (positive M.).

Zur Erhebung des sittl. Gehaltes der Hl. Schrift muß sie sich der Hilfe der Bibelwissenschaften, im besonderen zusammenfassender Darstellungen der bibl. Ethik, bedienen (zur Schriftauslegung vgl. 2. Vat. Konz., DV 12).

2. Zu einer tieferen und wissenschaftlicheren Erkenntnis bedarf die Moraltheologie gründlicherer Mitwirkung (Reflexion) der Vernunft (spekulativ-systematische M.). Ihr fällt eine mehrfache Aufgabe zu: a) die Erarbeitung umfassender Grundsätze aus Einzelerkenntnissen (Induktion), b) die Entfaltung der obersten und letzten Grundsätze in ihrer Bedeutung für Einzelprobleme (Deduktion), c) die Erhebung des Kerngehaltes in komplexen Seinstatsachen, sittl. Erscheinungen oder geschichtl. Gegebenheiten (ontolog., phänomenolog. oder historische Reduktion).

Diese M. hat die Moraltheologie mit der Dogmatik gemeinsam, allerdings mit der Besonderheit, daß sie auf die Bedeutsamkeit des Offenbarungsinhaltes für die Lebensgestaltung, die dem Menschen aufgegeben ist, achten muß.

3. Zur Konkretisierung der sittl. Weisungen der Offenbarung kann sich die Moraltheologie der kasuistischen M. bedienen, näml. der Erörterung wirkl. oder gedachter schwieriger Einzelfälle im Licht der Offenbarungssittlichkeit. An Jesus und die Apostel wurden konkrete sittl. Fragen herangetragen („Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen oder nicht?“ Lk 14,3; „Bei alldem hört man von Unzucht unter euch, und zwar von einer Unzucht, wie sie nicht einmal unter den Heiden herrscht, daß näml. einer die Frau seines Vaters hat“, 1 Kor 5,1); wirkl. bewegt werden die Menschen durch sittl. Fragen in konkreter Gestalt.

Diese Arbeitsweise (Methode) verspricht manchen Nutzen: a) bessere Einsicht in die Bedeutung der sittl. Wahrheit für die Lebensführung, b) neue Erkenntnisse von Zusammenhängen verschiedener Einzelprobleme, c) eine gewisse Schulung für die Beurteilung tatsächl. auftretender sittl. Fragen im eigenen Leben. Eine Sittlichkeitslehre, die sich auf die Erörterung allgemeiner Grundsätze beschränkt und konkreten Fällen aus dem Weg geht, hilft dem Menschen wenig zur sittl. Bewältigung des Lebens (darin liegt der Nachteil bloß spekulativer Darstellungen). Gerade durch die maßvolle Verwendung der kasuistischen M. zeigt die Moraltheologie, daß sie sich selbst und ihre Aufgabe ernst nimmt, daß sie mit der konkreten Wirklichkeit rechnet und sie bewältigen will. In der Gegenwart hat man erkannt, daß man dem Anliegen, das hinter einer oft in die Irre gehenden Situationsethik steckt, in einem gewissen Grad durch eine richtige kasuistische Tätigkeit dienen kann.

Für die Kasuistik bestehen allerdings auch einige Gefahren: a) Kasuisten haben sich (vielfach in einseitiger Ausrichtung der Moraltheologie auf die Tätigkeit der Beichtväter) ganz von Einzelfällen gefangennehmen lassen und sich um das Grundaätzliche zu wenig gekümmert; sie waren damit auch für die Einzelfälle zu wenig gerüstet und verloren sich in Spitzfindigkeiten. Kasuistik ist nicht Moraltheologie schlechthin, sondern setzt zu ihrer sinnvollen Anwendung notwendig andere M.n voraus. Die Fehler einer entarteten Kasuistik, die zum Widerspruch reizte, hat schon Alfons M. di Lig. durch Ausarbeitung der Grundsätze über das Gewissen zu beheben getrachtet. b) Kasuisten haben ihren Lösungen zu große Bedeutung beigemessen. Dagegen bleibt zu beachten: Man kann nicht von vornherein sämtl. vorkommenden Gewissensfälle in Casus fassen. Ferner ist der Casus (als Einzelfall des Allgemeinen verstanden) nicht dasselbe wie die Situation mit ihrem Persönlich-Einmaligen; die Lösung des Casus gibt daher nicht eine vollbefriedigende Antwort für die Situation und macht das eigene fragende Mühen des Menschen nicht überflüssig. Weiters ist der sittl. Anruf nicht völlig durch das Sachliche bestimmt; das persönl. Wollen Gottes kann manchmal bei denselben sachl. Gegebenheiten von verschiedenen Menschen Verschiedenes fordern (z.B. auch im Sinn einer „prophetischen Berufung“). Endl. ist der Mensch nicht bloß zur Nichtsünde (um deren Scheidung von der Sünde sich die Kasuisten häufig peinl. bemüht haben), sondern zu sittl. höherem Streben verpflichtet.

Wenn die Moraltheologie ihre Aufgabe gut erfüllen will, darf sie sich nicht einer M. allein verschreiben; vielmehr muß sie eine gedeihl. Verbindung aller suchen.


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