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Predigt:

Fremden Menschen ins Angesicht blicken

26. Sonntag im Jahreskreis B (27.09.2015)

L1: Num 11,25-29; L2: Jak 5,1-6; Ev: Mk 9,38-43.45.47-48


Josef Spindelböck

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Im Direktorium der Diözese St. Pölten – das ist der Wegweiser oder gleichsam das „Kursbuch“ für die liturgischen Feiern – wird der heutige Tag als „Sonntag der Völker“ oder „Ausländersonntag“ angeführt. Es mag sein, dass in anderen Jahren ein solches Gedenken eher unauffällig geschieht. In diesem Jahr jedoch, wo regelrechte Ströme von Menschen, die auf der Flucht sind oder die sich mit dem Wunsch der Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse auf den Weg gemacht haben, auch unser Land Österreich betreffen, wollen wir als katholische Christen ein wenig über dieses Thema nachdenken.

Gewiss: Die meisten Staaten der Europäischen Union und Europas insgesamt sind derzeit überfordert. Es hat den Anschein, als würde immer nur im Nachhinein reagiert. Doch ein wirklich vorausschauendes Planen erweist sich fast als unmöglich. Und man muss es ganz nüchtern sehen: Es gibt einerseits eine ganz große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, andererseits aber auch bei nicht wenigen Menschen in unserem Land eine gewisse kritische Distanz gegenüber den Neuankömmlingen oder Durchreisenden. Es wäre falsch, echte Fragen und Probleme einfach unter den Tisch zu kehren. Man muss sie ernstnehmen und sich ihnen stellen: Wer ist wirklich ein Flüchtling? Wie viele Immigranten, die aus anderen Gründen zu uns kommen, können und wollen wir aufnehmen? Welche Lösung bietet sich für die von Krieg und Terrorismus bedrohte Bevölkerung in ihren Herkunftsländern an? Hier muss die internationale Gemeinschaft noch stärker als bisher zusammenarbeiten.

Dennoch braucht es einen Wechsel der Sichtweise, zu dem uns Papst Franziskus einlädt. Im Rahmen seiner Amerika-Reise, die ihn auch in die USA geführt hat, wo er sich gegenwärtig zur Feier des Weltfamilientreffens noch aufhält, hat er in seiner Rede vor dem Kongress der Vereinigten Staaten zur Flüchtlings- und Einwanderungsfrage Stellung genommen. Denn auch Nordamerika kennt das Problem der illegalen Immigranten aus dem Süden.

So führte Papst Franziskus aus: „Unsere Welt steht vor einer Flüchtlingskrise, die ein seit dem Zweiten Weltkrieg unerreichtes Ausmaß angenommen hat. Das stellt uns vor große Herausforderungen und schwere Entscheidungen. Auch in diesem Kontinent [er meint Amerika] ziehen Tausende von Menschen nordwärts auf der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Lieben, auf der Suche nach größeren Möglichkeiten. Ist es nicht das, was wir für unsere eigenen Kinder wünschen? Wir dürfen nicht über ihre Anzahl aus der Fassung geraten, sondern müssen sie vielmehr als Personen sehen, ihnen ins Gesicht schauen, ihre Geschichten anhören und versuchen, so gut wir können, auf ihre Situation zu reagieren. In einer Weise zu reagieren, die immer menschlich, gerecht und brüderlich ist. Wir müssen eine heute allgemeine Versuchung vermeiden: alles, was stört, auszuschließen. Erinnern wir uns an die goldene Regel: ‚Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen‘ (Mt 7,12).“

Papst Franziskus empfiehlt uns also einen Blickwechsel: Wir sollten uns vorstellen, wie es uns erginge und was wir bräuchten, wenn wir in der Rolle dieser Migranten wären. Worauf würden wir in dieser Lage hoffen, was würden wir erwarten? Die „Goldene Regel“, die auch Jesus angeführt hat, verlangt nach den Worten von Papst Franziskus: „Behandeln wir die anderen mit derselben Hingabe und demselben Mitgefühl, mit dem wir behandelt werden möchten! Suchen wir für die anderen nach denselben Möglichkeiten, die wir uns selber wünschen! Begleiten wir die anderen in ihrem Wachstum, wie wir gerne selber begleitet werden möchten! Kurz gesagt: Wenn wir uns Sicherheit wünschen, dann sollten wir Sicherheit geben; wenn wir uns Leben wünschen, dann sollten wir Leben geben; wenn wir uns Möglichkeiten wünschen, dann sollten wir Möglichkeiten bereitstellen. Der Maßstab, den wir an die anderen anlegen, wird der Maßstab sein, mit dem die Zeit uns messen wird. Die goldene Regel erinnert uns auch an unsere Verantwortung, menschliches Leben in jedem Stadium seiner Entwicklung zu schützen und zu verteidigen.“

Wir alle sind aufgerufen, unsere Herzen nicht hart zu machen wie die in der Lesung des Jakobusbriefes kritisierten habgierigen und ungerechten Reichen. Denn ihr Egoismus frisst sie von innen her auf, mögen sie auch noch so viel an irdischen Gütern besitzen. Wohlstand und Reichtum sind vielmehr eine Gabe und Verantwortung, die zum Einsatz für Menschen in Not befähigt und dazu aufruft!

Die Worte Jesu im Evangelium sagen uns, dass vor Gott eine jede gute Tat zählt, und sei sie noch so klein: „Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört – amen, ich sage euch: er wird nicht um seinen Lohn kommen.“ Um Christi willen sollen also auch wir den Mitmenschen Gutes tun und sie unterstützen, wenn sie in Not sind. Auf diese Weise begegnen wir dem Herrn. Und wenn wir den Mitmenschen ins Antlitz blicken, erkennen wir ihre Würde als Menschen und zugleich ihre Berufung zur Gotteskindschaft, selbst dort, wo sie einer anderen Religion angehören als wir.

Denn im Himmelreich werden die Menschen von überallher kommen und Gott loben und ewig danken für seine Liebe und Güte! Amen.