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Predigt:

Wer aber ist mein Nächster?

15. Sonntag im Jahreskreis C (10.07.2016)

L1: Dtn 30,10-14; L2: Kol 1,15-20; Ev: Lk 10,25-37


Josef Spindelböck

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Wieder einmal provoziert ein Schriftgelehrter Jesus und stellt ihm eine Fangfrage. Was denn wohl zu tun sei, um das ewige Leben zu gewinnen? Jesus gibt die Frage an ihn zurück: „Was steht im Gesetz? Was liest du dort?“

Der Gesetzeslehrer gibt eine großartige Antwort, nämlich: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.“

Jesus kann die Richtigkeit dieser Worte nur bestätigen. „Handle danach, und du wirst leben.“

Damit aber ist das Gespräch Jesu mit dem Gesetzeslehrer noch nicht zu Ende. Denn dieser will seine Frage, auf die er ja selbst die Antwort gewusst hat, rechtfertigen und sagt zu Jesus: „Wer aber ist mein Nächster?“ Daraufhin erzählt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.

Als ein Mann auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho unter die Räuber fiel und diese ihn ausplünderten und misshandelten, da fand sich zuerst keiner, welcher der Nächste dieses armen Mannes sein wollte. Sowohl ein jüdischer Priester als auch ein Levit kamen des Weges, ignorierten jedoch den halbtot am Boden liegenden Menschen. War es vielleicht unter ihrer Würde, ihm zu helfen und ihn zu versorgen?

Das Provokante am Gleichnis des Evangeliums liegt darin, dass es ausgerechnet ein Mann aus Samarien war, der stehen blieb und sich des ausgeraubten und verwundeten Menschen annahm. Die Samariter galten bei den Juden nicht viel; sie wurden als Ketzer angesehen, und der fromme Jude fühlte sich über den Samariter erhaben. Nun aber lässt Jesus im Gleichnis eben diesen Samariter die entscheidende gute Tat vollbringen: Dieser ist sich nicht zu gut, sich zum armen Menschen herabzubücken und ihm mit Öl und Wein eine Erstversorgung seiner Wunden zu leisten. Der Samariter bringt den schwer Verletzten sogar zu einer Herberge, wo er weiter für ihn sorgt, und er lässt dann die Pflege noch auf eigene Kosten fortsetzen. Welch ein großartiges Beispiel der Nächstenliebe!

Ursprünglich hatte der Mann, welcher unter die Räuber fiel, nichts mit dem Samariter zu tun; der Samariter hätte ebenso wie der Priester und Levit weitergehen können und sagen: „Was geht mich dieser Mensch an? Ich kenne ihn nicht. Er steht mir nicht nahe.“

Und doch hat sich – wie dann auch der jüdische Gesetzeslehrer gegenüber Jesus zugeben muss – gerade dieser Samariter als der Nächste dessen erwiesen hat, der unter die Räuber gefallen war. Er ist es nämlich, „der barmherzig an ihm gehandelt hat.“

Nach diesem anschaulichen Beispiel wiederholt Jesus seine Aufforderung an den Gesetzeslehrer: „Geh und handle genauso!“

Ausgehend von diesem Gleichnis Jesu im Lukasevangelium haben sich immer wieder Menschen die Frage gestellt: „Wer ist mein Nächster?“

Lässt vielleicht der Begriff des Nächsten gar Einschränkungen und Relativierungen zu, sodass wir uns mit der Berufung darauf von manchen Personen fernhalten dürften, die eben nicht „unsere Nächsten“ sind?

In Wirklichkeit ist das göttliche Gebot der Nächstenliebe, das Jesus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter verdeutlicht, gerade nicht als Einschränkung auf einen bestimmten Personenkreis, der uns eben nahe ist, aufzufassen. Im Gegenteil! Je nach Situation und Notlage kann immer wieder ein „Fernster“ unser „Nächster“ werden. Jesus meint sogar, wir sollten die Frage umkehren und durch unser Tun beantworten. Nämlich in dem Sinn: Wie kann ich mich als der Nächsten dessen erweisen, der konkret meine Hilfe braucht?

Wenn wir selber überlegen, wie wir die Worte des Herrn ins Leben umsetzen können, kann uns der Blick auf Jesus Christus, den Herrn, motivieren! Denn Gott selbst hat sich in seiner Menschwerdung als barmherziger Samariter der ganzen Menschheit erwiesen. Die Menschen hatten sich durch die Sünde selber ins Elend gestürzt; sie waren hilflos und seelisch verwundet, ja buchstäblich „unter die Räuber gefallen“. Niemand konnte oder wollte helfen! Doch Gott selbst hat sich unser erbarmt in seinem Sohn Jesus Christus. Er kam als barmherziger Samariter zu uns und verband die Wunden unserer Schuld. In seinen Sakramenten, die im Gleichnis durch Öl und Wein symbolisiert werden, schenkt er uns Heilung. Wir haben es nicht verdient, dass Gott diesen Akt der Liebe und der barmherzigen Zuwendung zu uns setzt. Und doch hat sich Gott unser aller angenommen!

Nächstenliebe bedeutet nun: Wie Gott an uns allen gehandelt hat, so sollen auch wir aneinander handeln. Er hat uns sein Erbarmen gezeigt in reicher Fülle; so sollen auch wir der Not unserer Mitmenschen abhelfen und ihnen Nächste sein, wer immer sie sind: seien es Menschen aus unserem Familien- oder Freundeskreis, seien es Fernstehende oder gar Unbekannte, seien es Menschen aus einem anderen Kulturkreis oder einer anderen Religion, seien es hier Wohnende oder Asylsuchende. Die Nächstenliebe erweist ihre Echtheit dadurch, dass sie von ihrem Anspruch her eben keine Grenzen kennt!

Möge uns der Geist der dienenden Nächstenliebe erfüllen, sodass wir einander beistehen in allen leiblichen und seelischen Nöten. Es gibt viele „Werke der Barmherzigkeit“, die es zu üben gilt. Und wenn dies geschieht, dann leben geschundene und misshandelte Menschen neu auf; dann wird ihnen ihre Würde wieder neu geschenkt, und das Reich Gottes, in das wir alle von Jesus Christus eingeladen sind, nimmt seinen Anfang.

In allem aber begleite uns die Fürbitte der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria! Amen.