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Sittliche Kriterien der Organspende beim Menschen[1]
(2009)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Dieser Beitrag wurde publiziert in: Studia Moralia 47 (2009) 237–264

Abstract / Kurzfassung

Die Organspende kann als Tat der Nächstenliebe gelten, wenn sie von einem altruistischen Motiv beseelt ist und objektiven sittlichen Kriterien entspricht: Es muss erstens therapeutisch sinnvoll sein, überhaupt eine Organverpflanzung durchzuführen; ein vertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis betreffend die Relation Empfänger und Spender muss gewahrt sein. Zweitens ist bei einer Organspende die freiwillige Zustimmung des Spenders nötig, da nur in diesem Fall von einer wirklichen Gabe gesprochen werden kann und den Erfordernissen der personalen Autonomie Rechnung getragen wird. Drittens ist bei jeder Organspende die Gefahr der Kommerzialisierung auszuschließen. Schließlich ist bei der Spende von unpaarigen, lebensnotwendigen Organen der Tod des Spenders mit Sicherheit festzustellen, bevor eine Organtransplantation durchgeführt wird. Es müssen verschiedene Ärzte sein, die den Tod des Spenders feststellen und die Organverpflanzung durchführen. Neben dem traditionellen Kriterium des definitiven Aufhörens der Herz- und Kreislauftätigkeit findet auch ein strikt anzuwendendes Ganzhirntodkriterium Anerkennung.

[StMor 263]

Organ donation can be regarded as an expression of fraternal love if it is done in an altruistic motivation and in conformity with objective moral criteria: Organ transplantation must first be of therapeutic use; an acceptable proportionality of usefulness versus possible damage must be given. Second, you need the freedom of the donor to choose a real organ donation from one person to the other; personal autonomy must be respected. Third, any commercial purpose must be excluded. As a fourth criterion it must be guaranteed in the case of a donation of unpaired vital organs that the death of the donor is verified with certainty before performing the organ transplantation. The medical doctor who confirms the death of the donor must be different from the medical doctor who performs the transplantation. Besides the traditional criterion of irreversible cessation of heartbeat and blood circulation the strictly applied criterion of whole brain death can be recognized.

[StMor 237]

Vorbemerkungen

Der medizinisch-technische Fortschritt der letzten Jahre und Jahrzehnte hat gerade im Bereich der Organtransplantationen vieles von dem möglich gemacht, was zuvor jenseits des Erwartungshorizonts gestanden war.[2] So lautet die Frage heute vielfach nicht mehr, [StMor 238] ob z.B. eine Herztransplantation grundsätzlich machbar sei und gelingen könne, sondern ob es genügend Spender gibt, die zu Lebzeiten bereit sind, bestimmte an sich lebenswichtige Organe im Fall ihres Ablebens zur Verfügung zu stellen.

Aus der Sicht einer Ethik im christlichen Kontext ist es grundsätzlich zu befürworten, wenn Menschen durch eine Organtransplantation geholfen werden kann und sich dafür Organspender bereit erklären: „Die Organverpflanzung entspricht dem sittlichen Gesetz, wenn die physischen und psychischen Gefahren und Risiken, die der Spender eingeht, dem Nutzen, der beim Empfänger zu erwarten ist, entsprechen. Die Organspende nach dem Tod ist eine edle und verdienstvolle Tat, sie soll als Ausdruck großherziger Solidarität gefördert werden. Sie ist sittlich unannehmbar, wenn der Spender oder die für ihn Verantwortlichen nicht ihre ausdrückliche Zustimmung gegeben haben. Zudem ist es sittlich unzulässig, die Invalidität oder den Tod eines Menschen direkt herbeizuführen, selbst wenn dadurch der Tod anderer Menschen hinausgezögert würde.“[3]

[StMor 239] Welches sind nun – abgesehen von einer höchst wünschenswerten, von außen jedoch kaum eindeutig zu verifizierenden altruistischen Motivation – jene objektiven ethischen Kriterien, die in ihrer Zusammenschau relevant sind für eine sittlich verantwortliche Entscheidung, als Organspender zur Verfügung zu stehen bzw. als Arzt eine Organtransplantation durchzuführen oder als Patient ein möglicher Empfänger für eine Organspende zu sein? Vier Aspekte sind dabei in besonderer Weise relevant: 1. die therapeutische Sinnhaftigkeit, 2. die Freiwilligkeit, 3. der Ausschluss der Kommerzialisierung sowie 4. die Sicherheit der Todesfeststellung bei der Spende lebenswichtiger, nicht paarweise vorhandener Organe.

1. Die therapeutische Sinnhaftigkeit einer Organverpflanzung

Die Frage, ob denn eine Organtransplantation bei einer bestimmten Person und angesichts einer bestimmten Erkrankung bzw. eines bestimmten Leidens überhaupt durchführbar, ja darüber hinaus auch therapeutisch sinnvoll und zu empfehlen ist, muss als solche konkret und in jedem Einzelfall geklärt werden, bevor überhaupt weitere sittlich relevante Fragestellungen in den Blick treten. Angesichts dieser Grundfrage ist die Kompetenz des Arztes bzw. Ärzteteams herausgefordert und gefragt, wobei bei einer derartigen Urteilsbildung die [StMor 240] medizinischen Chancen und Risiken sowie die relevanten Lebensumstände der betroffenen Personen und auch etwaige Alternativen mit einbezogen werden müssen.

Bereits auf dieser Stufe der Reflexion ist es nötig, den Patienten als potentiellen Empfänger eines Organs, dann die in Frage kommenden Organspender sowie schließlich den Vorgang einer Organverpflanzung als solchen nicht nur rein technisch objektivierend, sondern mit Blick auf die personale Dimension einer solchen Entscheidung zu sehen. Gewisse Risiken werden bestimmten Personen leichter zugemutet werden können als anderen; dies ist unter anderem abhängig von ihrem Gesundheitszustand, ihrer Lebenserwartung und ihrer psychischen Verfassung. Abgesehen von echten Faktoren der Unterscheidung muss vonseiten der Ärzte bzw. des Ärzteteams, aber auch vonseiten der gesellschaftlich-rechtlichen Rahmenbedingungen eine grundlegende Gleichheit aller Menschen gewahrt sein, sodass nicht soziale Unterschiede, politisch-weltanschauliche oder religiöse Zugehörigkeiten etc. einen Einfluss darauf haben, bei einer Entscheidung zur Organtransplantation bevorzugt oder benachteiligt zu werden.[4] Dem Ethiker ist klar, dass all diese Forderungen nur unter Idealbedingungen realisierbar sind. Das Aufzeigen dieser Prinzipien ist dennoch wichtig und sinnvoll, um eine Leitidee der Orientierung zu geben, der es in der praktischen Realisierung so gut als möglich nahezukommen gilt.

Es versteht sich von selbst, dass aufgrund der Entwicklung des medizinischen Wissens und Könnens bestimmte Verfahrensweisen heute zur Routine gehören, die vor kurzem noch mit einem enormen Risiko verbunden waren. Konkret ist im Hinblick auf die Organtransplantation die zunehmend verbesserte Möglichkeit der Immunsuppression zu erwähnen, wodurch die Gefahr einer Abstoßung von Fremdorganen vermieden wird und auch eine bessere Langzeitfunktion von Organen nach Transplantationen ermöglicht werden soll.

[StMor 241]

2. Die Freiwilligkeit der Organspende

Wer auf ein Organ, ein körperliches Gewebe oder das Blut (bzw. auf Bestandteile davon) verzichtet, um anderen zu helfen – sei dies in einer Situation, die dies schon im Leben möglich macht (wie z.B. bei einer Nierenspende oder einer Blutspende), sei dies in der Wirksamkeit der Durchführung dieser Spende erst nach dem Tod –, verzichtet zu einem gewissen Teil auf seine Autonomie, welche ihm im Hinblick auf die leib-seelische Einheit der Person zu eigen ist.[5] Der Organspender erleidet bezogen auf die Integrität des Leibes eine Einbuße. In gewisser Weise verzichtet er auf einen Teil von sich selbst. Zwar lässt sich das Ganzheitsprinzip (wonach die Einheit des Organismus erhalten bleibt, wenn aus ernsten Gründen ein Teil davon „geopfert“ wird oder verloren geht) nicht direkt auf eine Organverpflanzung anwenden, da es sich hier um eine andere Person handelt und dieses Prinzip auf die sittliche Berechtigung zur Erhaltung des eigenen physischen Lebens bzw. seiner funktionellen Integrität unter Preisgabe eines Organs bzw. Organteils bezogen ist (z.B. bei einer Beinamputation nach einem Unfall).

Eine Ausdehnung und erweiterte Anwendung des Prinzips ist jedoch gerechtfertigt, wenn man die Organspende als Tat der Nächstenliebe ansieht, die als solche nur freiwillig erfolgen kann. Es wird klar, dass der selbstlose Verzicht auf ein Organ oder Teile eines Organs zugunsten eines anderen Menschen bei entsprechender therapeutischer Rechtfertigung prinzipiell möglich ist und nicht der Würde der Personen widerspricht, sofern die Freiheit der Zustimmung zu einer Organspende in ausreichender Weise realisiert wird.[6] Dabei [StMor 242] muss klar sein, dass eine sog. Nutzen-Risiko-Abwägung über einen im engeren Sinn medizinischen Kontext hinausgeht: Während nämlich für den Empfänger eines Organs der medizinische Nutzen bei therapeutischer Sinnhaftigkeit grundsätzlich zu erwarten ist, hat der Lebend-Spender des Organs jedenfalls keinen medizinischen Nutzen davon zu erwarten. Sein „Nutzen“ bezieht sich vielmehr auf den erweiterten menschlichen Kontext seines Wertverständnisses, z.B. dass gerade er jemandem helfen kann, der Hilfe dringend benötigt, und dass er dies vielleicht sogar unter heroischem Einsatz des eigenen Lebens tun will.[7]

Im Hinblick auf Lebendorganspenden ist zu beachten, dass es besondere emotionale Bindungen zwischen Verwandten, Ehepaaren und Freunden gibt, wodurch es zu Momenten der Unfreiheit im Hinblick auf die Entscheidung für oder gegen eine Organspende kommen kann. Eine begleitende psychosoziale Beratung von lebenden Organspendern und zu diesen in einem besonderen Verhältnis stehenden Organempfängern durch so genannte Konsiliardienste kann diese Zusammenhänge aufzeigen und – soweit für die Freiheit der Entscheidung hinderlich – zu neutralisieren suchen.[8] Es muss alles getan werden, um die freie Einwilligung nach erfolgter Aufklärung („informed consent“) in einer Weise sicherzustellen, welche mögliche Spender von Organen vor sozialem Druck schützt und ihnen erlaubt, ihre Zustimmung ohne Nachteile zu verweigern oder zu widerrufen. Eine Weigerung bzw. ein Widerruf muss vertraulich bleiben, sodass der potentielle Spender einfach von den zuständigen Fachkräften für [StMor 243] „ungeeignet“ erklärt wird, ohne dass Details veröffentlicht werden. Die Bewertung der Eignung eines potentiellen Spenders soll nicht durch Personen erfolgen, welche für den Empfänger eines Organs medizinische Verantwortung tragen. Kinder oder andere Personen, welche nicht fähig sind zu eigener Entscheidung, dürfen nur in Ausnahmefällen zu Lebendorganspendern werden.[9]

In Österreich gilt rechtlich im Hinblick auf eine postmortale Spende die sog. Widerspruchslösung, wonach von jedem, der dies nicht ausdrücklich anders kundtut, angenommen wird, er sei mit einer Organspende nach seinem Tod einverstanden.[10] Diese Situation wirft ethische Bedenken im Sinn einer ausreichenden Wahrnehmung der eigenen Autonomie auf. Um diesen Einwänden unter Voraussetzung einer unbefriedigenden Gesetzeslage zu begegnen, muss aus ethischer Sicht noch mehr als bisher getan werden, um die Bevölkerung [StMor 244] über die tatsächliche Rechtssituation aufzuklären und insbesondere auf die Möglichkeit einer gegenüber Dritten nicht zu begründenden Verweigerung der Organspende durch Eintragung in ein Widerspruchsregister hinzuweisen. In Deutschland ist die erweiterte Zustimmungslösung gemäß Transplantationsgesetz 1997 in Kraft[11], wodurch eine bessere Berücksichtigung der Entscheidungsfreiheit potentieller Organspender gegeben ist: Liegt keine ausdrückliche Zustimmung eines schon verstorbenen potentiellen Organspenders vor, werden die nächsten Angehörigen befragt, die ihre Zustimmung geben können, dabei aber den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu beachten haben.

Die österreichischen Bischöfe haben in der Vergangenheit wiederholt auf das Ungenügen der österreichischen gesetzlichen Lage hingewiesen. Dieses Defizit wird in der Praxis dadurch abgemildert, dass man sich von Seiten der Transplantationschirurgen darum bemüht, die Angehörigen eines Verstorbenen einzubeziehen und so auf den mutmaßlichen Willen dessen einzugehen, der nach dem Tod als Organspender in Frage kommt. Das bischöfliche Dokument „Leben in Fülle“ hat auf diesem Hintergrund die gegenwärtige Gesetzeslage und Praxis mit Einschränkungen doch als positive Weise dessen akzeptiert, der Freiwilligkeit der Zustimmung Rechnung zu tragen.[12]

[StMor 245]

3. Der Ausschluss von geschäftlichen Interessen

Gerade weil die Organtransplantation den Menschen als solchen betrifft, der sich zu einer Gabe für andere macht, ist jede Kommerzialisierung im Bereich der Organspende auszuschließen. Damit soll einem Organhandel und Transplantationstourismus vorgebeugt werden, der den Menschen zur Sache und Ware erniedrigt. Es geht bei der Organspende nicht um „Etwas“, sondern um „Jemanden“, nämlich um Menschen als Spender und Empfänger von Organen. Von daher muss jeder Anschein vermieden werden, für menschliche Organe und Körperteile könne eine finanzielle Abgeltung erfolgen, weil diese Praxis fast inhärent mit einer Instrumentalisierung des Menschen verbunden ist, die dessen Würde als Person widerspricht.[13]

Eine möglichst gerechte, nach objektiven Kriterien standardisierte Vorgangsweise im Hinblick auf „Wartelisten“ (z.B. durch die Organisation „Eurotransplant“) kann zusätzlich zum gesetzlichen Verbot des Organhandels helfen, der Kommerzialisierung entgegenzutreten. Freilich ergeben sich in oft versteckter Weise Probleme dergestalt, dass z.B. im Bereich des „Tissue engineering“ handfeste Geschäftsinteressen dahinter stehen. Auch die gewöhnliche Durchführung von Transplantationen kennt kommerziell involvierte Personen: Spitäler, Chirurgen, Koordinatoren, Labors, Transportdienste und Organverteilungsorganisationen werden für ihre Dienste (jedoch nicht für die Organe als solche!) bezahlt. Sowohl der Gesetzgeber als auch die ärztlichen Standesvertreter sind gefordert, entsprechende Vorkehrungen gegen den kommerziellen Missbrauch einer Organspende zu treffen.

Auf die konkrete Problematik von Selektionskriterien (z.B. nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht), so unvermeidbar diese aufgrund der Begrenztheit verfügbarer Organe sowie bestimmter sozialer und [StMor 246] ökonomischer Grenzen auch sind, muss hingewiesen werden. Die Anwendung nichtmedizinischer Verteilungsregeln bei der sog. Organallokation (z.B. nach sozialer Stellung, Vermögen, Leistungsfähigkeit für die Gesellschaft) würde eine Einteilung der Menschen in „lebenswert“ und „nicht lebenswert“ implizieren. Johannes Paul II. hat dazu festgestellt: „Aus moralischer Sicht erfordert ein einleuchtendes Rechtsprinzip, dass die Zuteilung gespendeter Organe in keiner Weise weder ‚diskriminierend’ (beispielsweise im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Rasse, Religion, soziale Stellung) noch ‚utilitaristisch’ (von Leistungsfähigkeit oder gesellschaftlichem Nutzen abhängig) sein sollte. Ausschlaggebend bei der Einstufung der Organempfänger sollten vielmehr immunologische und klinische Faktoren sein. Jedes andere Kriterium würde sich als völlig willkürlich und subjektiv erweisen und jenen Wert missachten, der jeder menschlichen Person eigen und von allen äußeren Umständen unabhängig ist.“[14]

Angesichts einer seit Jahren stagnierenden Zahl von postmortalen Organspendern ist die Lebendorganspende eine wichtige therapeutische Alternative geworden. Bei Lebendspenden greift man, um der Gefahr der Kommerzialisierung entgegen zu wirken, auf Spenden zwischen genetisch oder emotional verwandten Personen (Geschwister, Ehepartner) zurück. Vom ethischen Standpunkt aus ist auch eine Lebendorganspende durch eine „fremde“ Person gerechtfertigt, wenn diese erstens nach Aufklärung in freier Zustimmung geschieht und zweitens eine Kommerzialisierung jedenfalls ausgeschlossen wird.

Sofern es sich im Hinblick auf Organ- oder Gewebespenden um ein sog. „rewarded gifting“ handelt, das nur die mit einer Spende verbundenen Nachteile ausgleichen soll (z.B. tatsächlich anfallende Kosten, Verdienstausfall, Schmerzensgeld, Erholungsurlaub, Versicherung), trifft der Einwand einer Kommerzialisierung nicht generell [StMor 247] zu, sondern muss im Einzelfall überprüft werden. Hier ist legistischer Regelungsbedarf gegeben, um Nachteile für Organspender schon vom Ansatz ihrer Betreuung her zu minimieren.[15]

Je mehr Menschen sich freiwillig für eine Organspende bereit erklären, desto geringer wird der Druck im Hinblick auf eine Kommerzialisierung.

4. Die Sicherheit der Todesfeststellung

Ethisch nicht zulässig ist es, jemanden zu töten, um ihm dann ein oder mehrere Organe entnehmen zu können, die wiederum anderen Menschen eingepflanzt werden (Verletzung der „dead donor rule“[16]). Das Verbot der direkten Tötung Unschuldiger, welche der Sache nach als Mord zu bezeichnen ist, gilt auch dann, wenn der schwer kranke, aber noch lebende Mensch als potentieller Organspender medizinisch gesehen keine Heilungschancen mehr hat bzw. wenn er mit großer Wahrscheinlichkeit in Kürze ohnehin stirbt, und auf der anderen Seite vielleicht dringender Bedarf nach einem Organ besteht, das eben von diesem potentiellen Spender kommen könnte. Man darf keinen Sterbenden töten, um so schneller zu „lebendigen“ Organen zu gelangen, die auf andere Weise nicht oder nur unter [StMor 248] Schwierigkeiten zu erhalten wären.[17] Eine „interessengeleitete“ Todesdefinition verbietet sich, da sie der Würde des Menschen als Person widerspricht und zudem in theologischer Sicht dem 5. Gebot Gottes entgegen steht.[18]

Bei der Spende lebenswichtiger, nicht paarweise vorhandener Organe, die erst nach dem Tod des Spenders entnommen werden können, stellt sich daher die Frage der Sicherheit der Todesfeststellung.[19] [StMor 249] Der Tod, welcher philosophisch-theologisch als Trennung der Seele vom Leib bestimmt wird bzw. humanbiologisch im unwiderruflichen Verlust der Einheit und Integration des menschlichen Organismus und seiner physischen und geistigen Funktionen besteht, kann nur aufgrund bestimmter Kriterien und mithilfe gesicherter medizinischer Tests und Verfahrensweisen festgestellt werden.[20] Die Aufgabe dazu obliegt dem zuständigen Arzt, der sich entsprechend seinem medizinischen Wissen und Gewissen zu orientieren und zu verantworten hat.

Das Kriterium des Hirntodes

Bei der Feststellung des Todes wird unter intensivmedizinischen Voraussetzungen neben dem traditionellen Kriterium des endgültigen Aussetzens der Herz- und Kreislauftätigkeit auf das Kriterium des „Hirntodes“ zurückgegriffen.[21] Während ein „Teilhirntod” [StMor 250] verschiedene schwere Defektzustände oder Entwicklungsstörungen des Gehirns (z.B. das apallische Syndrom) beschreibt und der Mensch als solcher dabei noch am Leben ist, wird der „Ganzhirntod“ als der irreversible Ausfall der Gesamtfunktion aller Teile des Gehirns verstanden. Als Kriterium für den Tod des Menschen ist der Ganzhirntod inzwischen in der Medizin fast allgemein anerkannt und findet auch in der Gesetzeslage vieler Staaten Berücksichtigung.[22]

Nun aber gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Hirntod und einer möglichen Organverpflanzung. Schon in den 1950er und 1960er-Jahren war folgende Problematik erkannt: Bei schwersten Hirnschädigungen oder gar einem Totalausfall des Gehirns ist ein zeitlich begrenztes Weiterleben des hirntoten, „noch überlebenden übrigen Körpers“[23] bzw. der mit diesem Körper verbundenen Organe unter maschineller Beatmung und intensivmedizinischer Betreuung möglich. Als es 1968 zur Erstellung und Verlautbarung formaler Richtlinien der Hirntodfeststellung durch die sog. Harvard-Kommission kam[24], war dieses Unternehmen stark von den Interessen der Chirurgen an transplantationsfähigen Organen bestimmt. Auch durch eine damit verbundene terminologische Änderung (man sprach von „irreversible coma“ statt vorher vom „coma dépassé“ und dem „cerebralen Tod“) wurde der Verdacht genährt, „das Hirntodes-Konzept sei eine Zweckdefinition zur Organgewinnung.“[25] Historisch [StMor 251] betrachtet und der Sache nach liegen die Dinge jedoch anders, wie die frühesten Veröffentlichungen zum Hirntod zeigen.[26] Die Frage der Angemessenheit und Verantwortbarkeit einer möglichen Therapiebeendigung stand dabei an erster Stelle, und erst dann wurde die Frage einer möglichen Organspende durch Hirntote erörtert. Seither wurde das Hirntodeskriterium immer präziser gefasst und die medizinischen Verfahren zur Hirntodesfeststellung weiter verfeinert.[27]

[StMor 252]

Kontroversen um das Hirntodkriterium

Ein bedeutender Kritiker des Hirntodeskriteriums ist der Neurologe Alan Shewmon, der zuerst selber den Hirntod als gleichbedeutend mit dem Tod der menschlichen Person anerkannte, aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und eigener Forschungen jedoch zu einer Revision seiner Position genötigt wurde.[28] Er vertritt, dass das Gehirn zwar neurologisch einen Sonderstatus hat, jedoch innerhalb des menschlichen Organismus ein Organ wie jedes andere sei und keine hierarchische Bevorzugung bei der Todesfeststellung verdiene: Es gäbe im lebenden menschlichen Organismus keinen besonderen „Integrator“, wohl aber eine „Integration“ durch das Zusammenwirken der Organe und Systeme. Die meisten integrativen Funktionen des Gehirns seien nicht somatisch integrativ, während umgekehrt die meisten integrativen Funktionen des Körpers nicht durch das Gehirn vermittelt seien. Im Hinblick auf die Vitalität auf der Ebene des Organismus sei die Rolle des Gehirns eher modulatorisch als konstitutiv, wobei die Qualität und das [StMor 253] Überlebenspotential eines der Voraussetzung nach bereits lebenden Organismus noch weiter gesteigert werden. Die integrative Einheit eines komplexen Organismus sei ein innerlich nicht verortbares, ganzheitliches Kennzeichen, welches mit der gegenseitigen Wechselwirkung aller Teile zu tun habe. Es gebe keine von oben herab erfolgende Koordination, die einer passiven Vielfalt von untergeordneten Teilen von einem besonderen Teil befohlen werde. Es bestehe daher kein ausreichender Grund mehr für die Gleichsetzung des Hirntodes mit dem Tod des menschlichen Organismus als ganzen. Zur sicheren Todesbestimmung schlägt Shewmon ein Zirkulations-Respirations-Kriterium vor, gemäß welchem ein klinischer Test das unwiderrufliche Aufhören der Zirkulation des mit Sauerstoff angereicherten Blutes nachzuweisen habe. Shewmon ist dennoch kein Gegner der Organtransplantation und hat ein Protokoll erstellt, wonach es möglich ist, sogar unpaarige Organe wie das Herz von einem in Shewmons Sicht noch lebendigen, aber für hirntot erklärten Spender zu entnehmen, ohne dessen Tod zu verursachen oder wenigstens zu beschleunigen.[29]

Dazu wurde wie folgt Stellung genommen: Beim Menschen zählt nicht nur die organisch-biologische Einheit, sondern wesentlich die personale Einheit; erst diese definiert das Menschsein. Dabei ist tatsächlich eine hierarchische Sonderstellung des Gehirns zu beachten.[30] Damit ist kein Dualismus von Bewusstsein und Körper verbunden, da das menschliche Gehirns in seiner Ganzheit nicht einfach mit dem Bewusstsein des Menschen gleichzusetzen ist, sondern jenes einzigartige Organ darstellt, das außer den mit dem menschlichen Bewusstsein verbundenen Funktionen auch solche Abläufe steuert und koordiniert, die unbewusst ablaufen und zu den Vitalfunktionen des Körpers zählen. Nach dem Hirntod gibt es zwar noch „Lebensvorgänge von Subsystemen in unterster Form“, doch [StMor 254] handelt es sich nicht mehr „um die spezifisch menschliche Lebendigkeit.“[31]

In diesem Sinn stellt Johann Friedrich Spittler fest: „Nach Eintritt des dissoziierten Hirntodes sind mit dem Verlust der Gesamtfunktion des Gehirns alle, selbst das einfachste geistig-seelische Vermögen irreversibel erloschen. Damit ist der Mensch in seinem individuellen Menschsein tot. Es bleibt ein entscheidend unvollständiger Organismus, ein ‚noch überlebender übriger Körper’.“[32]

Die Haltung der katholischen Kirche

In einer gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands zum Thema „Organtransplantationen“ vom 31. August 1990, d.h. noch vor Verabschiedung des „Transplantationsgesetzes“ vom 5. November 1997, heißt es in Abschnitt 3.2.1 zur Todesfeststellung anhand des Hirntodeskriteriums: „Herztod heißt bleibender Stillstand des Herzens und damit auch des Kreislaufs. Durch den allgemeinen Ausfall der Blutversorgung hört die Tätigkeit aller übrigen Organe gleichzeitig und so rasch auf, dass der Eindruck eines einzigen Ereignisses, nicht eines fortlaufenden Geschehens entsteht. Dagegen stirbt beim Hirntod das gesamte Gehirn vor allen übrigen Organen ab. Ihre Tätigkeit lässt sich von da an noch eine Zeitlang künstlich aufrechterhalten, aber doch eben nur noch künstlich und ohne jede Aussicht auf eine Erholung des Gehirns. Daher heißt Hirntod vollständiger und bleibender Verlust der gesamten Hirntätigkeit unter [StMor 255] den Bedingungen der Intensivbehandlung, einschließlich der künstlichen Beatmung. Der Begriff ‚Hirntod’ wurde schon im Jahr 1800 geprägt, rund 150 Jahre bevor er durch die Entwicklung von Beatmungsgeräten für die medizinische Praxis wichtig werden konnte. Noch heute umschreibt er allein das Krankheitsgeschehen ohne Bezug zu irgendwelchen Zwecken. Dementsprechend kann der Begriff Hirntod nicht für noch so schwere Schäden oder Fehlbildungen (Anenzephalie) mit teilweise erhaltener Hirntätigkeit gelten, ebenso wenig für das im Mutterleib wachsende Kind, dessen Hirntätigkeit sich erst entwickeln wird. Der vollständige Verlust der gesamten Hirntätigkeit wird durch wissenschaftlich allgemein anerkannte und den Ärzten gut bekannte Befunde festgestellt, der bleibende Verlust wird durch die Verlaufsbeobachtung oder durch Untersuchungen mit Geräten bewiesen, die eine so schwere Hirnschädigung zeigen, dass sie eine Erholung sicher ausschließen.

Die entscheidenden Untersuchungen müssen durch zwei Ärzte erfolgen, die nicht an einer später möglichen Organübertragung mitwirken dürfen. Der Hirntod wird auch festgestellt zur Beendigung einer zwecklos gewordenen Intensivbehandlung und ohne eine später mögliche Organspende.

Der einwandfreie Beleg des Hirntodes lässt sich später jederzeit zweifelsfrei überprüfen. Der Nachweis des Hirntodes ist der Nachweis eines bereits bestehenden Sachverhalts, keine Beurteilung eines erst künftigen Krankheitsverlaufs, keine bloß rechtliche Todeserklärung. Der Hirntod bedeutet ebenso wie der Herztod den Tod des Menschen. Mit dem Hirntod fehlt dem Menschen die unersetzbare und nicht wieder zu erlangende körperliche Grundlage für sein geistiges Dasein in dieser Welt. Der unter allen Lebewesen einzigartige menschliche Geist ist körperlich ausschließlich an das Gehirn gebunden. Ein hirntoter Mensch kann nie mehr eine Beobachtung oder Wahrnehmung machen, verarbeiten und beantworten, nie mehr einen Gedanken fassen, verfolgen und äußern, nie mehr eine Gefühlsregung empfinden und zeigen, nie mehr irgendetwas entscheiden. Nach dem Hirntod fehlt dem Menschen zugleich die integrierende Tätigkeit des Gehirns für die Lebensfähigkeit des Organismus: die Steuerung aller anderen Organe und die Zusammenfassung [StMor 256] ihrer Tätigkeit zur übergeordneten Einheit des selbständigen Lebewesens, das mehr und etwas qualitativ anderes ist als eine bloße Summe seiner Teile. Hirntod bedeutet also etwas entscheidend anderes als nur eine bleibende Bewusstlosigkeit, die allein noch nicht den Tod des Menschen ausmacht.“[33]

In dem als „Leitlinien für katholische Einrichtungen im Dienst der Gesundheitsfürsorge“ vorgestellten Dokument mit dem Titel „Leben in Fülle“ stellen die österreichischen Bischöfe im Jahr 2005 fest, dass sich die Kirche „im Hinblick auf die zur Feststellung des Todes gebräuchlichen Parameter – irreversibler Ausfall der Hirntätigkeit oder das traditionelle Kriterium des Aufhörens der Herz-Lungenaktivität – … jeder technischen Entscheidung“ enthalte.[34]

Positiv Bezug genommen wird von den österreichischen Bischöfen auf die Stellungnahme Johannes Pauls II. beim Internationalen Kongress für Organverpflanzung im „Palazzo dei Congressi“ in Rom am 29. August 2000, wo der Papst darauf hinwies, „dass das heute angewandte Kriterium zur Feststellung des Todes, nämlich das völlige und endgültige Aussetzen jeder Hirntätigkeit, nicht im Gegensatz zu den wesentlichen Elementen einer vernunftgemäßen Anthropologie steht, wenn es exakt Anwendung findet. Daher kann der für die Feststellung des Todes verantwortliche Arzt dieses Kriterium in jedem Einzelfall als Grundlage benutzen, um jenen Gewissheitsgrad in der ethischen Beurteilung zu erlangen, den die Morallehre als ‚moralische Gewissheit’ bezeichnet. Diese moralische Gewissheit gilt als notwendige und ausreichende Grundlage für eine aus ethischer Sicht korrekte Handlungsweise. Nur wenn diese Gewissheit besteht und die Einwilligungserklärung (Patientenverfügung) des Spenders oder seines rechtmäßigen Vertreters bereits vorliegt, ist es moralisch vertretbar, die technischen Maßnahmen [StMor 257] zum Entnehmen von zur Transplantation bestimmten Organen einzuleiten.“[35]

Bei dieser päpstlichen Stellungnahme, die das nach exakten medizinischen Standards festgestellte definitive Aufhören der Gesamtfunktion des Gehirns als Tod der menschlichen Person interpretiert, handelt es sich um die bisher klarste Aussage der Kirche im Hinblick auf das Hirntodkriterium.[36] Auch wenn es verschiedentlich Versuche gibt, die Relevanz dieser Aussage sowie ihre medizinische Begründung in Frage zu stellen[37], handelt es sich um eine Grenzmarke, die auch von weiteren päpstlichen Verlautbarungen kaum mehr unterschritten werden wird.[38]

[StMor 258]

Ethische Überlegungen zur Akzeptanz des Hirntodes als Todeskriterium

Um zu einer wirklich objektiven Todesfeststellung zu gelangen, die nicht von Interessen geleitet ist, muss ein jeweils anderes Ärzteteam den Gehirntod feststellen als jenes, welches über eine Transplantation entscheidet bzw. diese dann durchführt.

Aus einer philosophischen Perspektive, welche mit dem Gehirntod als Todeskriterium kompatibel ist, wird festgestellt: Mit dem definitiven Ausfall aller Gehirnfunktionen ist die organische Basis für die personale Einheit des Organismus zerstört, dessen restliche Lebensfunktionen ohne künstliche Aufrechterhaltung von Atmung und Kreislauf von selbst aufhören. Die Person ist damit in ihrer leib-seelischen Einheit durch den Tod betroffen.[39]

[StMor 259]

Wichtig ist es, im Zusammenhang einer Akzeptanz des Ganzhirntodes als Kriterium für den Tod der Person darauf hinzuweisen, dass Menschen mit apallischem Syndrom (Wachkoma) sowie bei Anenzephalie bzw. Hydranenzephalie keineswegs als tot anzusehen sind, wie dies Vertreter eines sog. „higher brain death“-Kriteriums aufgrund einer einseitig bewusstseins- oder persönlichkeitszentrierten Sichtweise annehmen.[40] Die Kongregation für die Glaubenslehre hat eine Klarstellung veröffentlicht, welche sich auf den besonderen Fall von Patienten bezieht, die sich im sog. Wachkoma befinden. Da es sich hier nicht um einen Zustand handelt, welcher dem Sterbeprozess gleichzusetzen ist, ist die Lebenserhaltung durch künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr weiterhin geboten.[41]

[StMor 260]

Auch wenn es zum Hirntod noch so manche Fragen gibt, die der Klärung bedürfen[42], so stellt sich aus ethischer Sicht die Situation wie folgt dar:

  • Es gibt erstens nach dem Hirntod (der nach strengen medizinischen Testverfahren im Sinn einer sicheren Diagnose des irreversiblen Gesamtausfalls der Hirnfunktionen festzustellen ist) keine ärztliche Behandlungspflicht mehr, weil diese nichts mehr bewirken könnte (insofern kann es keinen Konflikt zwischen dem therapeutischen Anliegen und einer eventuellen Organverpflanzung geben).[43]

    [StMor 261]

  • Zweitens kommt es durch einen nach dem Hirntod erfolgenden Eingriff nicht zu einer abzulehnenden direkten Tötung eines Menschen, da mit dem Hirntod die leib-seelische Einheit der Person ein Ende gefunden hat, der Mensch also wirklich tot ist.[44] Ohne künstliche Beatmung und intensivmedizinische Betreuung kommt es zum definitiven Absterben auch aller übrigen Organe (insofern täuscht der Augenschein, wenn es nach außen hin scheint, als ob der Mensch als Ganzer unter künstlicher Beatmung und Aufrechterhaltung des Kreislaufs weiterhin noch lebe). Es ist eine Frage der Pietät, wie man den Körper des Hirntoten möglichst würdevoll behandelt. Eine eventuelle Organentnahme darf nicht einfach zum „Ausschlachten“ werden, obwohl für Außenstehende mitunter dieser Eindruck entstehen kann.[45]
  • Diesbezüglich ist daher jedenfalls die vorher gegebene persönliche Zustimmung des Verstorbenen zu einer Organentnahme nicht nur wünschenswert, sondern geradezu ein ethisches Erfordernis, um die Organentnahme zu einer allein dem Menschen in seiner Würde entsprechenden freiwilligen „Organspende“ zu machen.

    [StMor 262]

Schlussbemerkung

Die Bereitschaft zu einer Organspende kann – soweit diese im Einklang steht mit dem Gebot Gottes, eigenes und fremdes Leben zu achten und zu schützen – aus Sicht der christlichen Ethik tatsächlich ein Ausdruck der Nächstenliebe sein. Auf jeden Fall muss die Freiwilligkeit der Organspende garantiert sein, und hier gibt es in vielen Ländern ein rechtliches sowie ein Informationsdefizit.

Besteht auch eine sittliche Pflicht zur Organspende? Die Bereitschaft zur Organspende ist keine unter Sünde verpflichtende sittliche Aufgabe, außer vielleicht es gäbe eine ganz konkrete, jemandem persönlich bekannte Person, die nur dann überleben könnte oder dazu eine Chance hätte, wenn ein anderer (meist wohl ein Verwandter) eine gewisse Spendebereitschaft hätte. Aber auch hier hinge vieles von den konkreten Umständen ab und sicher auch davon, ob jemand psychisch und physisch überhaupt in der Lage ist, einer Organspende freiwillig zuzustimmen.

Johannes Paul II. hat zur Organspende in „Evangelium vitae“ festgestellt: „Jenseits aufsehenerregender Taten gibt es den Heroismus im Alltag, der aus kleinen und großen Gesten des Teilens besteht, die eine echte Kultur des Lebens fördern. Unter diesen Gesten verdient die in ethisch annehmbaren Formen durchgeführte Organspende besondere Wertschätzung, um Kranken, die bisweilen jeder Hoffnung beraubt sind, die Möglichkeit der Gesundheit oder sogar des Lebens anzubieten.“[46] Auch Benedikt XVI. erklärte: „Der Akt der Liebe, der durch die Gabe der eigenen lebenswichtigen Organe ausgedrückt wird, bleibt ein echtes Zeugnis der Nächstenliebe, die über den Tod hinaus zu sehen weiß, weil das Leben immer siegt. Der Empfänger sollte sich der Bedeutung dieser Geste wohl bewusst sein; er ist der Empfänger einer Gabe, die über den therapeutischen Nutzen hinausgeht. Noch bevor er ein Organ empfängt, ist es zuerst schon ein Zeugnis der Liebe, das eine ebenso großzügige Antwort hervorrufen sollte, um die Kultur der Gabe und der Unentgeltlichkeit zu fördern.“[47]

 

 


 

[1] Der Beitrag ist eine erweiterte Stellungnahme aus ethisch-moraltheologischer Sicht, welche erstmals am 20.11.2007 bei einem Informationsabend an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten zum Thema „Organspende – eine Tat christlicher Nächstenliebe?“ präsentiert wurde. Als medizinischer Referent stand Primarius Dr. Albert Reiter, Leiter der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Landesklinikum Mostviertel Amstetten und Transplantationsreferent für Niederösterreich, bei der Veranstaltung zur Verfügung. Thematisch erfolgt hier eine Beschränkung auf die Organspende von Mensch zu Mensch, da das schwierige Feld der Xenotransplantation weitere und eingehende Reflexionen erfordern würde: vgl. dazu u.a. Dietmar Mieth, Was wollen wir können? Ethik im Zeitalter der Biotechnik, Freiburg u.a. 2002, 316–322; Maurizio P. Faggioni, Problemi etici degli xenotrapianti, in: Studia Moralia 41 (2003) 243–275.

[2] Hilfreiche Informationen zu den historischen, medizinischen, rechtlichen und ethischen Aspekten der Organverpflanzung bieten: Anton Schuster, Organhandel, in: Lexikon der Bioethik, hg. v. Wilhelm Korff u.a., Gütersloh 1998, Bd 2, 805–808; Doris Henne-Bruns / Thomas Küchler / Hans-Ludwig Schreiber / Stefanie Heuer / Ludwig Siep / Johann S. Ach / Michael Quante, Organtransplantation, in: ebd., 808–815; Antonio Puca, Organi: Trapianto, consenso, donazione, commercializzazione, in: Dizionario di Teologia Pastorale Sanitaria, a cura di Giuseppe Cinà / Efisio Locci / Carlo Rocchetta / Luciano Sandrin, Torino 1997, 792–799; Eberhard Schockenhoff, Ethik des Lebens. Ein theologischer Grundriss, Mainz 19982, 252–263; Elio Sgreccia, Manuale di bioetica, vol. 1: Fondamenti ed etica biomedica, Milano 20003, 673–713; Dionigi Tettamanzi, Nuova bioetica cristiana, Casale Monferrato 2000, 487–508; Johann S. Ach / Michael Anderheiden / Michael Quante, Ethik der Organtransplantation, Erlangen 2000; William May, Catholic Bioethics and the Gift of Human Life, Huntington/Ind. 2000, 283–316; Gabriella Gambino, Die katholische Kirche, in: Peter Morris (Hg.), Organtransplantationen – ethisch betrachtet, Berlin 2006, 201–208; Ronald Munson, Organ Transplantation, in: The Oxford Handbook of Bioethics, ed. by Bonnie Steinbock, Oxford – New York 2007, 211–239; Johannes Reiter, Bioethik, in: Klaus Arntz / Marianne Heimbach-Steins / Johannes Reiter / Herbert Schlögel, Orientierung finden. Ethik der Lebensbereiche, Freiburg 2008, 7–60, bes. 41–48.

[3] Katechismus der Katholischen Kirche (= KKK). Neuübersetzung aufgrund der Editio typica Latina, München – Vatikan 2003, Nr. 2296. In der ersten deutschen Ausgabe des KKK von 1993 fehlte der Aufruf zur Förderung der Organspende als „edle und verdienstvolle Tat“ und „Ausdruck großherziger Solidarität“. Außerdem war die Reihenfolge der Aussagen anders, sodass zuerst die Restriktion und erst dann die legitime Anwendung zur Sprache kamen. Man wird nicht fehlgehen, diese Akzentverschiebung als Frucht einer ethisch-theologischen und lehramtlichen Klärung sowie einer Trendwende hin zu einer positiveren Sicht der Organspende als bisher zu sehen. – Die grundsätzliche Offenheit der Kirche zeigte sich auch an der Veranstaltung des internationalen Kongresses zum Thema der Organspende im Vatikan vom 6. bis 8. November 2008 („A gift for life. Considerations on organ donation“, http://www.agiftforlife2008.org). Die Konferenz wurde organisiert von der Weltdachorganisation aller katholischen Ärzteverbände zusammen mit der Päpstlichen Akademie für das Leben und den Leitern der weltweit bedeutendsten Organspendezentren.

[4] Dieser Aspekt hängt auch mit der Gerechtigkeit der Organverteilung zusammen, worauf bei der Behandlung des Ausschlusses der Kommerzialisierung (unter 3.) näher einzugehen ist.

[5] Vgl. zu verschiedenen Aspekten psychologischer, rechtlicher und philosophisch-ethischer Natur: Ulrich Schroth / Klaus A. Schneewind / Thomas Gutmann / Bijan Fateh-Moghadam, Patientenautonomie am Beispiel der Lebendorganspende, Göttingen 2006.

[6] Mit Recht betont Gilbert Meilaender (The Giving and Taking of Organs, in: First Things, March 2008, 14–15), dass ein Organ als Geschenk oder Gabe (so wie grundsätzlich bei jedem Geschenk und hier aufgrund der Integrität des Leibes noch mehr als sonst) die bleibende Gegenwart des Spenders zum Ausdruck bringt, der sich selbst zu einer Gabe der Liebe für den anderen macht. Die Transplantation trägt von ihrer technisch-medizinischen Seite aus die Tendenz zur Versachlichung in sich, wodurch die personalen Dimensionen leicht in Vergessenheit geraten können. Um den besonderen Geschenkcharakter, welcher mit der Würde der menschlichen Person verbunden ist, zu wahren, ist die freiwillige Zustimmung des Spenders unerlässlich.

[7] Vgl. zu dieser Problematik Munson, a.a.O., 220–223.

[8] Vgl. zu grundlegenden Aspekten: Nikola Biller-Andorno / Henning Schauenburg, Vulnerable Spender. Eine medizinethische Studie zur Praxis der Lebendorganspende, in: Ethik in der Medizin 15 (2003) 25–35.

[9] Zum Schutz seiner Interessen schlägt Munson, a.a.O., 231–235, vor: die Berücksichtigung des Kindeswohles; die Vernünftigkeit des Risikos; das Kind als Spender kann nur gleichsam die letzte Alternative sein; ein Gericht muss die Entscheidung treffen.

[10] Die mit einer Organtransplantation verbundene Problematik regelt in Österreich § 62a des KAKuG (Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten). „In Österreich darf aufgrund der gesetzlichen Regelung der Paragraphen 62 a, b und c Krankenanstaltengesetz (BGBl. Nr. 1/1957 i.d.g.F.) ein Organ, Organteil oder Gewebe einem potenziellen Spender nur dann entnommen werden, wenn kein zu Lebzeiten abgegebener Widerspruch vorliegt (= ‚Widerspruchslösung’). Zur wirksamen Dokumentation eines Widerspruches wurde das Widerspruchregister gegen Organspende eingerichtet. Die Führung des mit 1. Jänner 1995 gegründeten Widerspruchregisters wird von ÖBIG-Transplant (Administration und Registrierung) und von der dem ÖBIG angeschlossenen Vergiftungsinformationszentrale (Abfrageabwicklung) wahrgenommen. Neben dem dokumentierten Widerspruch im ‚Widerspruchregister gegen Organspende’ werden auch alle anderen Willensbekundungen bezüglich einer postmortalen Organspende – wie ein in den Ausweispapieren gefundenes Schreiben oder ein mündlich bezeugter Widerspruch im Kreise der Angehörigen – respektiert.“ – Quelle: http://www.oebig.org, wo sich auch ein Formular zur Erklärung des Widerspruchs abrufen lässt

[11] Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben“, 05.11.1997, in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. September 2007 (BGBl. I S. 2206).

[12] „Die österreichische Rechtsordnung sieht die Widerspruchslösung vor, welche diesem Anliegen insofern grundsätzlich gerecht wird, als sie auf der Annahme beruht, dass jemand bereit ist, nach seinem Tod Menschenleben durch eine Transplantation zu retten.“ – Österreichische Bischofskonferenz, „Leben in Fülle“. Leitlinien für katholische Einrichtungen im Dienst der Gesundheitsfürsorge, 11. November 2005, Abschnitt 2.3.1., Anm. 61, online unter www.bischofskonferenz.at .

[13] Die Streitfrage, ob es bei einer Organspende gegen Geld um eine in sich schlechte Handlung geht oder „nur“ um eine aufgrund ihrer negativen Folgen für die Gesellschaft und die einzelnen unbedingt zu vermeidende Praxis, wird hier ausgeklammert. Man sollte sich jedoch in diesem Zusammenhang der Gefahr einer utilitaristischen Argumentation bewusst sein, wie sie gerade in der Bioethik nicht selten anzutreffen ist. Vgl. Munson, a.a.O., 225–228.

[14] Johannes Paul II., Ansprache beim Internationalen Kongress für Organverpflanzung im „Palazzo dei Congressi“ in Rom am 29. August 2000, dt. in: L’Osservatore Romano. Wochenausgabe in deutscher Sprache, 30. Jg., Nr. 37, 15. September 2000, S. 7 f.

[15] Vgl. Hans-Georg Kraushaar, Defizite der finanziellen Absicherung der Lebendorganspende, in: Christian Rittner / Norbert Paul u.a. (Hg.), Ethik der Lebendorganspende. Beiträge des Symposiums in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Main, vom 11. September 2004, Mainz – Basel 2005, 163–166. Vorgeschlagen wird beispielsweise, einem potentiellen Lebendspender im Rahmen eines Transplantationsvertrages sowohl einen medizinischen als auch einen rechtlichen Beistand anzubieten, welche jeweils die Interessen des Spenders vertreten und insbesondere bei Folgeschäden einer Organspende hilfreich zur Seite stehen: vgl. Munson, a.a.O., 228–230.

[16] Das Abgehen von der „dead donor rule“, wie von R.D. Truog und F.G. Miller in ihrem Beitrag„The Dead Donor Rule and Organ Transplantation“ im „New England Journal of Medicine“ 359 (August 14, 2008) 674–675) gefordert , wäre ein ethischer Dammbruch im Bereich der Organtransplantation.

[17] Sehr kritisch klingt eine Stellungnahme von Johannes Paul II., die er am 14. Dezember 1989 gegenüber dem von der Päpstlichen Akademie für das Leben veranstalteten Kongress über die Bestimmung des Todeszeitpunktes abgegeben hat. Der Papst wies in diesem Zusammenhang auf ein Problem hin, das sich gerade im Zusammenhang der Organtransplantation ergeben kann: „Es scheint sich tatsächlich ein tragisches Dilemma aufzutun: Einerseits sieht man die dringende Notwendigkeit, Ersatzorgane für Kranke zu finden, welche in ihrer Schwäche sterben würden oder zumindest nicht wieder genesen könnten. Mit anderen Worten, es ist verständlich, dass ein Kranker, um dem sicheren und drohenden Tod zu entgehen, das Bedürfnis hat, ein Organ zu empfangen, welches von einem anderen Kranken bereit gestellt werden könnte, vielleicht von seinem Nachbarn im Krankenhaus. In dieser Situation zeigt sich jedoch die Gefahr, dass man einem menschlichen Leben ein Ende setzt und endgültig die psychosomatische Einheit einer Person zerstört. Genauer, es besteht eine wirkliche Wahrscheinlichkeit, dass jenes Leben, dessen Fortsetzung mit der Entnahme eines lebenswichtigen Organs unmöglich gemacht wird, das einer lebendigen Person ist, während doch der dem menschlichen Leben geschuldete Respekt es absolut verbietet, dieses direkt und positiv zu opfern, auch wenn dies zum Vorteil eines anderen Menschen wäre, bei dem man sich für berechtigt hält, ihn derart zu bevorzugen.“ Die Papstansprache findet sich auf Italienisch online unter.

[18] „Mit der Petrus und seinen Nachfolgern von Christus verliehenen Autorität bestätige ich daher in Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche, dass die direkte und freiwillige Tötung eines unschuldigen Menschen immer ein schweres sittliches Vergehen ist.“ – Johannes Paul II., Enzyklika „Evangelium vitae“ über den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 120), 25. März 1995, Nr. 57.

[19] Vgl. zur grundsätzlichen Orientierung: Working group on the determination of brain death and its relationship to human death, 10–14 December 1989, ed. by Robert J. White / Heinz Angstwurm / Ignacio Carrasco de Paula, Vatican City 1992 (Pontificiae Academiae Scientiarum Scripta Varia, 83); Wolfgang Joachim Bock / Albin Eser / Ludwig Siep / Michael Quante, Todesfeststellung / Todeskriterien / Todeszeitpunkt, in: Lexikon der Bioethik, hg. v. Wilhelm Korff u.a., Gütersloh 1998, Bd 3, 578–585; Stuart J. Youngner, The Definition of Death, in: The Oxford Handbook of Bioethics, ed. by Bonnie Steinbock, Oxford – New York 2007, 285–303; The Pontifical Academy of Sciences, Why the Concept of Brain Death is Valid as a Definition of Death. Statement by Neurologists and Others and Response to Objections, in: The Signs of Death. The Proceedings of the Working Group of 11–12 September 2006 (Scripta Varia 110), Vatican City 2007, 5–14, als Exzerpt 2008 neu veröffentlicht .

[20] Im Hinblick auf die Diskussion zum Wesen des Todes und seiner Feststellung sind vor allem zu unterscheiden: Definitionen (bzw. Konzepte), Kriterien und Tests (bzw. medizinische Verfahrensweisen): vgl. Johann Friedrich Spittler, Gehirn, Tod und Menschenbild. Neuropsychiatrie, Neurophilosophie, Ethik und Metaphysik, Stuttgart 2003, 47–49.

[21] Vgl. Antonio Puca, Morte cerebrale, in: Dizionario di Teologia Pastorale Sanitaria, a cura di Giuseppe Cinà / Efisio Locci / Carlo Rocchetta / Luciano Sandrin, Torino 1997, 762–766; Steven Laureys / Joseph J. Fins, Are we equal in death? Avoiding diagnostic error in brain death, in: Neurology, 70 (2008) e14-e15.

[22] Wörtlich heißt es in § 3 des deutschen Transplantationsgesetzes: „Die Entnahme von Organen ist unzulässig, wenn … nicht vor der Entnahme bei dem Organspender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist.“

[23] Diese Terminologie findet sich bei Spittler, a.a.O.,113.

[24] A Definition of Irreversible Coma. Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death, in: Journal of the American Medical Association 205.6 (August 5, 1968) 337–340.

[25] Spittler, a.a.O., 7. Hans Jonas, welcher dieser Kommission ursprünglich angehörte, war darüber so entrüstet, dass er aus ihr austrat und zu einem der schärfsten Kritiker des Hirntodes-Konzepts wurde. Vgl. Hans Jonas, Gehirntod und menschliche Organbank: Zur pragmatischen Umdefinierung des Todes, in: ders., Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung, Frankfurt/Main 1987, 219–241. Als Referenzen für weitere kritische Stellungnahmen zum sog. Hirntod seien angeführt: Josef Seifert, Is “brain death” actually death? A critique of redefining man’s death in terms of “brain death”, in: Working group on the determination of brain death and its relationship to human death, a.a.O., 95–143; Nicanor Austriaco, Is the brean-dead patient really dead? In: Studia Moralia 41 (2003) 277–308; Paul A. Byrne, Cicero G. Coimbra, Robert Spaemann und Mercedes Arzu Wilson, „Der Hirntod ist nicht der Tod!“ Ethisches Statement bei der Tagung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, Vatikan 2005; siehe auch Wolfgang Waldstein, Der Wert des Lebens. Hirntod und Organtransplantation; Manfred Balkenohl, Der Hirntod – Zur Problematik einer neuen Todesdefinition, in: Theologisches 37 (2007) 51–64; Ralf Stoecker, Der Hirntod. Ein medizinethisches Problem und seine moralphilosophische Transformation. Studienausgabe. Mit neuem Nachwort, Freiburg 20082.

[26] Vgl. J. Bertrand / F. Lhermitte / B. Antoine / H. Ducrot, Nécroses massives du système nerveux central dans une survie artificielle, in: Revue Neurologique 101 (1959) 101–115; Michel Jouvet, Diagnostic électro-sous-cortico-graphique de la mort du système nerveux central au cours de certains comas, in: Electroencephalographic Clinical Neurophysiology 11 (1959) 805–808; Pierre Mollaret / Maurice Goulon, Le coma dépassé (Mémoire préliminaire), in: Revue Neurologique 101 (1959) 3–15; Pierre Mollaret / Ivan Bertrand / H. Mollaret, Coma dépassé et necroses nerveuses centrales massives, in: Revue Neurologique 101 (1959) 116–139.

[27] Anders als die einseitige Erklärung des “Harvard Ad hoc – Komitees” war die Festlegung der US-Präsidentenkommission ausgewogener und stellte eindeutig auf den Ganzhirntod ab: National Conference of Commissioners on Uniform State Laws, Uniform Determination of Death Act (May 23, 1980); vgl. auch President’s Commission for the Study of Ethical Problems in Medicine and Biomedical and Behavioral Research, Defining Death: Medical, Legal and Ethical Issues in the Determination of Death, Washington DC, 1981. Eine Verzweckung der Definition des Todes für die Transplantation von Organen wurde dabei bewusst vermieden. Der Verlust der Gehirnfunktion führt mit Notwendigkeit zum Verlust der integrativen Einheit des Leibes, was den Tod des Menschen ausmacht, so die Hauptaussage.

[28] Vgl. Alan Shewmon, The Brain and Somatic Integration: Insights into the Standard Biological Rationale for Equating “Brain Death” with Death, in: Journal of Medicine and Philosophy 26 (2001) 457–478; Calixto Machado / D. Alan Shewmon (eds.), Brain death and disorders of consciousness, New York 2004. Shewman führt unter anderem den Fall von “T.K.” an, bei dem im Alter von 4 Jahren der Hirntod festgestellt wurde. Seine Mutter bestand darauf, das hirntote Kind dennoch künstlich zu beatmen und zu ernähren. Seither ist T.K. gewachsen, hat die Geschlechtsreifung durchgemacht, Infektionen überwunden, bleibt aber mit Sicherheit hirntot, da die MRI-Diagnose zeigt, dass sich der Gehirninhalt völlig verflüssigt hat.

[29] Vgl. Alan Shewmon, Recovery from „Brain Death“: A Neurologist’s Apologia, in: The Linacre Quarterly (February 1997) 30–96.

[30] Vgl. Francis L. Delmonico / Joseph E. Murray, A Medical Defense of Brain Death: Why the Standard Criteria Should Be Preserved, in: Ethics & Medics 24.10 (October, 1999) 2.

[31] Fuat Oduncu, Hirntod und Organtransplantation. Medizinische, juristische und ethische Fragen, Göttingen 1998, 106. Der Einwand, bei einer Akzeptanz des Hirntodkriteriums müsse man auch einem frühen Embryo das Menschsein absprechen, ist widerlegbar: Beim frühen Embryo ist die Lebenseinheit nicht an die zentrale Steuerung des Gehirns gebunden, während „beim Erwachsenen die zentrale Steuerung seiner Körperfunktionen zu einer funktionellen Ganzheit wesentlich zerstört ist, wenn das Gehirn vollständig und irreversibel ausgefallen ist“ (ebd., 180).

[32] Spittler, a.a.O., 114.

[33] Gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands zum Thema „Organtransplantationen“ vom 31. August 1990 (Reihe „Gemeinsame Texte“, Nr. 1, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz).

[34] Österreichische Bischofskonferenz, Leben in Fülle, a.a.O., Nr. 2.2.2.

[35] Johannes Paul II., Ansprache beim Internationalen Kongress für Organverpflanzung, a.a.O., Nr. 5. Dem war die Anerkennung des Hirntodkriteriums in der „Charter for Health Care Workers“ vorausgegangen, wonach der Tod entweder bei irreversiblem Herz-Kreislaufstillstand oder bei irreversiblem Totalausfall der Hirntätigkeit vorliegt, wobei aus erstem das letzte folgt: Päpstlicher Rat für die Seelsorge im Krankendienst, Charta der im Gesundheitsdienst tätigen Personen, Vatikan 1995, Nr. 114, sowie in englisch.

[36] Eine erste Stellungnahme in dieser Richtung findet sich bereits bei Pius XII., Ansprache vom 24. November 1957 über rechtliche und sittliche Fragen der Wiederbelebung, in: Arthur-Fridolin Utz / Joseph-Fulko Groner (Hg.), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius’ XII., Bd 3, Freiburg 1961, Nr. 5538–5554, worin der Papst ausdrücklich die Frage stellt, ob der Tod vielleicht schon nach einer schweren Gehirnverletzung eintritt, als Folge derer es zu einer Atemlähmung kommt, deren sofortige tödliche Folgen jedoch durch künstliche Beamtung hinausgezögert werden können. Die Feststellung der Todestatsache könne in den einzelnen Fällen „von keinem religiösen und moralischen Prinzip abgeleitet werden und fällt in dieser Hinsicht nicht unter die Kompetenz der Kirche.“ (Nr. 5552) Allgemeine Überlegungen würde die Annahme gestatten, „dass das menschliche Leben so lange andauert, wie seine vitalen Funktionen – im Unterschied zu dem bloßen Leben der Organe – sich spontan oder selbst mit Hilfe künstlicher Vorgänge manifestieren.“ (Nr. 5553)

[37] So meint z.B. Austriaco, a.a.O., 296, Shewmon habe die medizinische Voraussetzung des Papstes für dessen Akzeptanz des Ganzhirntodes-Kriteriums widerlegt.

[38] Benedikt XVI.hat in seiner Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses zum Thema „Ein Geschenk für das Leben. Überlegungen zur Organspende“ am 07.11.2008 das Hirntodkriterium nicht ausdrücklich erwähnt. Er erinnerte jedoch daran, „dass die einzelnen lebenswichtigen Organe nur ‚ex cadavere‘ entnommen werden dürfen [d.h. wenn der Mensch tot ist], der im übrigen seine einzigartige Würde behält, die zu respektieren ist. Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren weitere Fortschritte in der Sicherheit der Todesfeststellung des Patienten gemacht. Es ist daher gut, wenn die erreichten Resultate die Zustimmung der ganzen wissenschaftlichen Gemeinschaft erhalten, um die Erforschung von Lösungen zu begünstigen, die allen Gewissheit vermitteln. In einem Bereich wie diesem darf nicht der geringste Verdacht auf Willkür gegeben sein, und wo noch keine Gewissheit erreicht ist, muss das Prinzip der Vorsicht walten. Es ist nützlich, dass die Fortschritte der Forschung und der interdisziplinären Reflexion in solcher Weise erfolgen, dass auch die öffentliche Meinung mit der immer transparenteren Wahrheit im Hinblick auf die anthropologischen, sozialen, ethischen und juridischen Implikationen der Praxis der Organverpflanzung konfrontiert wird. In diesen Fällen muss jedoch als Hauptkriterium immer die Achtung für das Leben des Spenders gelten, da die Entnahme von [lebenswichtigen] Organen nur angesichts des wirklichen Todes erlaubt ist (vgl. Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 476).“

[39] Dem Einwand einer systemtheoretischen Betrachtung, wonach es im menschlichen Körper auch ohne das Gehirn eine integrative Einheit gebe, begegnet Spittler, a.a.O., 101, wie folgt: „Im menschlichen Körper finden sich also sowohl gleichrangig kooperative Funktionen im Bereich der inneren Organe als auch zentral steuernde Funktionen des Zentralnervensystems, im Wesentlichen des Gehirns. Dies bedeutet eine Komplementarität systemischer Organ-Interaktivität und intentionaler, zielstrebiger Handlungsfähigkeit, mit anderen Worten biologischer und geistig-seelischer Lebendigkeit …“ Man müsse daher „komplementär zu der zell- und organinteraktiv systemischen Organisation des biologischen Lebewesens eine ‚zerebrozentrische’ Organisation als wesentlich anthropologisches Lebendigkeitskriterium des Menschen konstatieren.“

[40] Ein solcher Vertreter ist Robert Veatch (Transplantation Ethics, Washington/DC 2002), der meint, jemand sei tot, wenn ihm die Fähigkeit zur Selbsterfahrung und sozialen Interaktion fehle; befürwortend auch Youngner, a.a.O., 291–293. Kritisch dazu: Spittler, a.a.O., 59–65.77–82.114–116; Steven Laureys, Hirntod und Wachkoma, in: Spektrum der Wissenschaft, Februar 2006, 62–72, online http://www.spektrum.de/hirntod ; Larry Hostetter, Higher-Brain Death. A Critique, in: The National Catholic Bioethics Quarterly 7 (2007) 499–504. Wenn es Begehrlichkeiten im Hinblick auf die Organe von Patienten im sog. PVS („persistent vegetative state“) gebe, so wiederhole sich auf anderer Ebene nur das schon früher geäußerte Ansinnen, die „Spende“ der Organe von anenzephalen Neugeborenen zu erlauben: vgl. Eugene F. Diamond, John Paul II and Brain Death, in: The National Catholic Bioethics Quarterly 7 (2007) 491–498, hier 495.

[41] Vgl. Kongregation für Glaubenslehre, Antworten auf Fragen der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten bezüglich der künstlichen Ernährung und Wasserversorgung, 1. August 2007, online ; ein offizieller lehrmäßiger Kommentar dazu.

[42] Die moralische, d.h. praktisch sichere Gewissheit für sittlich verantwortliches Handeln wird von sog. theoretischen Ungewissheiten nicht in jedem Fall berührt, was auch die ethische Bewertung der Organtransplantation betrifft. – Die weitere Klärung der „Zeichen des Todes“ durch Medizin und philosophische Anthropologie wird von der Kirche ausdrücklich begrüßt, siehe die Botschaft Johannes Pauls II. vom 1. Februar 2005 an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, online.

[43] Auch dort, wo man sich nicht auf das Kriterium des Gehirntods stützt und den Tod aufgrund des Aufhörens der Herz-Kreislauf-Tätigkeit feststellt, wird berechtigterweise dessen Endgültigkeit festgestellt, wenn eine gewisse Zeit vergangen ist, nach der eine „Selbsterholung“ des eben Verstorbenen nicht mehr möglich ist und eine Wiederbelebung entweder aufgrund schwerer organischer Schäden oder aufgrund des vorher erklärten Willens des Verstorbenen auszuschließen ist, wie James DuBois (Avoiding Common Pitfalls in the Determination of Death, in: National Catholic Bioethical Quarterly 7 [2007] 545–559) zutreffend anmerkt: „Thus, when a patient has a do-not-resuscitate order in place, verifying the Irreversible loss of circulation and respiration requires only that one verify that the patient is not capable of ‚autoresuscitation’, or the spontaneous recovery of function.“ (555) Der primäre Grund für die Berechtigung der Feststellung der Irreversibilität ist nicht metaphysischer, sondern sittlicher Natur. Wir können und wollen einen Körper solange nicht endgültig als tot ansehen, als wir uns verpflichtet wissen, die Wiederbelebung zu versuchen: „Nevertheless, it is reasonable that the determination of death by a physician should involve some irreversibility or permanency criterion. But the primary reason for this is not metaphysical, but rather ethical: we do not want to treat a body as dead if we should attempt resuscitation (as in cases of unexpected cardiac arrest) or if there is a chance that nature has not yet run its course.“ (ebd.) – Zu den jeweiligen Verstehenskontexten von “Irreversibilität” vgl. auch Youngner, a.a.O., 294–297.

[44] „If the human being is a substantial union of intellective soul and physical body, which union takes place through the organ of intellectual cognition, then it is logical to conclude that when the brain is dead the soul has departed.“ – Edward J. Furton, Brain Death, the Soul, and Organic Life, in: National Catholic Bioethical Quarterly 2 (2002) 455–470, hier 467. Außerdem stellt Furton bezüglich eines vegetativen „Rest-Lebens“ des hirntoten Körpers und seiner Organe fest: „There is a residual life that remains in the body of the brain-dead person that exists independently of the intellective soul of the deceased.“ (469) Siehe auch die Analogie des Hirntods als „neurologische Enthauptung“ zu dieser als realem Vorgang; die Einheit des menschlichen Organismus hat definitiv zu bestehen aufgehört: vgl. James DuBois, a.a.O., 557.

[45] Sehr kritisch dazu die Stellungnahme von Andreas Kirchmair, als „Brief an den Bundeskanzler“.

[46] Johannes Paul II., Evangelium vitae, a.a.O., Nr. 86.

[47] Benedikt XVI., Ansprache vom 07.11.2008, a.a.O.