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Einige Anmerkungen zur "Misa Pacha Mama"

Franz Prosinger

Hinweis/Quelle: Lic. theol. Franz Prosinger ist Priester der Prälatur Ayaviri (Peru). Er wirkte zuletzt in der Pfarrseelsorge und war Dozent im dortigen Priesterseminar San José. Zur Zeit ist er freigestellt für biblische Studien.

Die folgenden Anmerkungen stützen sich auf meine pastoralen Erfahrungen im Hochland von Peru seit 1999, in den Regionen von Cusco und Puno. Die Literatur zu einer Pachamama-Verehrung ist weitgehend belastet durch Ideologisierungen, dem Bemühen, eine eigene indigene Religiosität gegenüber der spanischen Fremdherrschaft zu entdecken oder zu rekonstruieren.

 

1. Zur Pachamama

„Pachamama“ verbindet das Qechuawort „pacha“ (sprich: patscha) und das spanische „mama“: Erd-Mutter bzw. Mutter Erde. Qechua wurde und wird nur innerhalb der Grenzen des alten Inkareiches gesprochen, im Hochland der Anden von Ecuador bis Chile, auch an der Pazifikküste, nicht aber im Urwald. Die Religion des Inkareiches war auf den männlichen Sonnengott ausgerichtet (Apu Inti), dessen Repräsentant auf Erden der Inkakönig war. Auch der an der Küste verehrte Pachacamac („Schöpfer der Erde“) oder der Schöpfergott Viracocha waren männliche Gottheiten. Im Sonnentempel von Cusco gab es zwar Tempeljungfrauen, aber keine Priesterinnen. Auch heute noch ist das Schamanentum weitgehend eine männliche Domäne, Ausnahmen stammen erst aus jüngerer Zeit. Eine Verehrung der Mutter Erde oder gar eine figürliche Darstellung aus alter Zeit ist nicht bezeugt.

Nach meiner Erfahrung wird auch im heutigen Aberglauben in den Anden nicht eine Mutter Erde verehrt, sondern im sogenannten „pago a la tierra“ der Erde ein Zoll gezahlt. Man meint, dass man aus der Erde nicht Früchte ernten kann, ohne dafür bezahlen zu müssen. Ansonsten würde sich die Erde bzw. das Schicksal eventuell rächen. Der zentrale Begriff des Aberglaubens ist „suerte“ (lat. sors), das Schicksal. Viele Menschen sichern sich nur vorsichtshalber ab, ohne von der Wirkung der Zeremonie wirklich überzeugt zu sein. Auch will man sich gegenüber den Vorwürfen der Nachbarn absichern, den pago a la tierra versäumt und eventuell Unglück heraufbeschworen zu haben. Die Zeremonie wird von „Fachmännern“ (chaman, paco, Zauberer) vorgenommen, die vom Aberglauben der Leute profitieren. Neben den obligatorischen Kokablättern werden Embryos von Lamas und Meerschweinchen geopfert, die vollkommen schwarz sein müssen. Wichtigste Beigabe ist der Alkohol. Das Ganze endet meist in exzessivem Alkoholgenuss, sei es aus der pseudo-religiösen Vorstellung, dass mit Rausch und Ekstase Segen verbunden ist, oder die ganze Zeremonie ist nur ein „religiöser“ Vorwand für ein weltliches Vergnügen. Mit diesen Feiern sind meist schwere Sünden gegen das fünfte und sechste Gebot verbunden. Die protestantischen Sekten und evangelischen Gemeinschaften profitieren von diesem unwürdigen Verhalten. Der Vorwurf católico = alcohólico trifft leider die Wirklichkeit, von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Abgesehen von der Bezeichnung „Pachamama“, die es sprachlich im Urwald nicht geben konnte, scheint auch eine Verehrung der Mutter Erde dort kaum bekannt zu sein. Die Fruchtbarkeit im Urwald ist eher verschlingend und bedrohlich, nur selten wird angepflanzt und geerntet, so dass bei Aussaat und Ernte auch Bitte und Dank an die Erde gerichtet werden konnte. Die sogenannten „Pachamama-Figuren“ bei der religiösen Zeremonie am 4. Oktober 2019 in den Vatikanischen Gärten (http://www.kathtube.com/player.php?id=48711) stammten vom Touristenmarkt in Manaus und werden dort als Souvenir und Symbol für den Urwald verkauft.

 

2. Inkulturation?

Der Vorwurf der Apostasie – sollte er zutreffen – durch die Teilnahme an einem Pachamama-Kult in den Vatikanischen Gärten am 4. Oktober 2019 wäre gravierend. Offensichtlich darauf bezugnehmend heißt es in Querida Amazonia Nr. 79: „Es ist möglich, sich in irgendeiner Weise auf ein indigenes Symbol zu beziehen, ohne dass man es notwendigerweise als Götzendienst betrachten müsste. Ein Mythos von spirituellem Sinngehalt kann aufgegriffen und muss nicht immer als heidnischer Irrtum angesehen werden. Einige religiöse Feste enthalten eine sakrale Bedeutung und sind Gelegenheiten des Zusammenkommens und der Brüderlichkeit, auch wenn eventuell ein langsamer Reinigungs- oder Reifungsprozess erforderlich ist. Ein echter Missionar befasst sich damit, die berechtigten Anliegen hinter diesen religiösen Ausdrucksweisen zu entdecken, die manchmal unvollkommen und bruchstückhaft sind oder Irrtümer enthalten, und versucht, aus einer inkulturierten Spiritualität heraus darauf eine Antwort zu finden“. Und in Nr.82: „Das erlaubt uns, in der Liturgie viele Elemente der intensiven Naturerfahrung der Indigenen aufzugreifen und eigene Ausdrucksformen in den Liedern, Tänzen, Riten, Gesten und Symbolen anzuregen“.

Ein gelungenes Beispiel von Inkulturation ist die Predigt des hl. Johannes Paul II in Cusco, dem Ort der Verehrung des Sonnengotts Apu Inti. Dort erklärte der Papst, dass Christus die wahre Sonne ist. Auch das Symbol der Mutter Erde kann biblisch verstanden werden. In Ijob 1,21 ist die Erde der Mutterschoß, aus dem der Mensch hervorgeht und zurückkehrt (vgl. Ps 139,15; Sir 40,1; Jes 26,19). In Gen 1,11–12 beauftragt und begabt Gott die Erde, Lebendiges hervorzubringen. Entscheidend ist freilich, die schöpferische Kraft allein auf Gott zurückzuführen und Ihm allein die Ehre zu geben. Bei der Zeremonie in den Vatikanischen Gärten wurde zu Beginn durch den Vers aus dem Laudato si des hl. Franz von Assisi der richtige Horizont vorgegeben: „Gepriesen seist Du, Herr, für unsere Schwester, die Mutter Erde“. Leider geht aus der Übertragung nicht hervor, zu wem und was die Schamanin gebetet hat. Die vorgesehene Ansprache des Papstes fiel aus, anstelle dessen betete er ein Vaterunser.

Da der pago a la tierra mit Aberglauben verbunden ist, darf es keinen Synkretismus geben. Ein „langsamer Reinigungs- oder Reifungsprozess“ wäre da aus pastoraler Sicht zu wenig.

[Auf der anderen Seite gibt es ein Video, das Kardinal Gianfranco Ravasi, ansonsten ein hervorragender Bibelwissenschaftler, bei einer Teilnahme an einem Kult an die Pachamama zeigt, wobei der Schamane sich in Quechua sehr polemisch das Christentum anklagt. (https://www.youtube.com/watch?v=CfPjO2Wi7Zc).

Anlässlich der Bischofsweihe von Mons. Moises Atisha in Arica (Chile), wurde im Beisein vieler Bischöfe ein pago a la tierra zelebriert, wobei sich der neugeweihte Bischof aktiv beteiligte (https://www.youtube.com/watch?v=wr03cj6FhUU).

Unser Bischof der Prälatur Ayaviri (Region Puno), Mons. Kai Martin hat seinen Priestern diese Art von Synkretismus streng untersagt.

Auch für das Amazonasgebiet stellte der emeritierte Bischof José Luis Azcona der Prälatur Marajó fest, dass die Zeremonie in den Vatikanischen Gärten in pastoraler Hinsicht für die Bewohner des Urwalds für Verwirrung sorgen musste. Die Menschen hören ja weniger den Text des Gebetes zu Beginn, sondern nehmen den optischen Eindruck wahr.]

 

3. Die „Misa Pacha Mama“ von Juan Arnez

Das Chorheft „Misa Pacha Mama“ zeigt auf der inneren Umschlagseite eine Götterfigur. Auch wenn die Touristenführer die archäologischen Stätten der Anden als Orte kosmischer Energie verkaufen und die Religion der Inkas zu spiritualisieren versuchen, zeigen die Knochenfunde inzwischen eindeutig, dass nicht nur bei Azteken und Mayas, sondern auch im Inkareich vor diesen Figuren Menschenopfer dargebracht wurden.

 

a) Das Gottesbild

Die Texte vom Kyrie bis zum Agnus Dei stammen nicht aus indigenem Gedankengut, sondern sind offensichtlich im Bereich der IPA (Instituto de Pastoral Andina) erfunden. Es beginnt mit der Anrufung „Gott Mutter, Gott Vater“ im Kyrie. Im Inkareich galt der offizielle Staatskult dem Sonnengott, die männlichen Götter der eroberten Völker wurden einbezogen. Die Anrufung der Sonne der Anden im Sanctus als „Apu mama“ (Muttergöttin) wäre undenkbar gewesen. Man sah den Wohnort der Erdmutter und der Toten in der Unterwelt.

Das Gloria ist ein Aufruf zur „Freude der Erde“ (kusy pacha). Die Polemik gilt demjenigen, der in den Höhen Gott freudig singt, während auf Erden die Menschen verhungern. So wendet sich der Text an die Muttergöttin als Urquelle des Lebens in dieser Welt für die indigene Bevölkerung. Auch das Credo polemisiert gegen das Gebet zum Vater, während die Nymphengöttinen unterdrückt und die Mutter Erde entkleidet wird. Der Mutter gehört das Leben, dem allein Ehre gebührt: „Töte nicht, Vatergott!“. Die Idee ist offensichtlich, dass die Fremden in ihrem Glauben an Gott-Vater stehlen und töten. Sie bezeichnen die Eingeborenen als Häretiker und bemächtigen sich der Erde. So endet das Agnus Dei als Lobgesang auf die Stimmen der Märtyrer unter den Eingeborenen: „Ehre sei Gott-Mutter, der Dunkelhäutigen der Anden. Ehre sei der Gott-Mutter der Anden, der Indiofrau, der Schwarzen, der Mutter!“.

Der Mensch sieht sich im Text des Sanctus Gott und dem Luzifer ausgeliefert, da sich die Mutter als das Leben von der Erde zurückgezogen hat.

 

b) Aufruf zum Klassenkampf

Schon im Kyrie weint die Erde über die große Hungersnot der Armen durch die Schuld der gottlosen Toren, womit offensichtlich die spanischen Fremdherrscher gemeint sind. Auch das Credo beklagt die Fremdherrschaft, welche die angeblich wilden und häretischen Eingeborenen unterdrückt. Ohne auf das Problem der schwarzen Legende einzugehen, wonach Spanier und Portugiesen nur Unheil über Lateinamerika gebracht hätten, ist zu sagen, dass die dortigen Länder seit 200 Jahren unabhängig sind und ihre Misswirtschaft nicht nach wie vor auf die Fremdherrschaft schieben sollten. Freilich gingen die Unabhängigkeitskriege nicht von der breiten Bevölkerung aus, sondern von einer kirchenfeindlichen Oberschicht. Aber seit den 1960-er Jahren gab es Landverteilung und Agrarreformen. Inzwischen können die Familien in den Anden ihr eigenes Land bewirtschaften und ihren Alcalde (Bürgermeister) wählen, je nach dessen Programm für das zur Verfügung stehende Budget. Hunger und Elend gibt es noch in Venezuela und Cuba, wo die sozialistische Regierung mit eben der politischen Propaganda der „Misa Pacha Mama“ der Bevölkerung angeblich Freiheit und Gleichheit bescheren will. In Bolivien herrschte zu der Zeit, da diese Messtexte entstanden (2005), der Präsident Evo Morales, ein Indio der sozialistischen Partei. Er überreichte Papst Franziskus ein Kreuz mit Hammer und Sichel des Befreiungstheologen Luis Espinal SJ. Morales ließ sich im archäologischen Park Tiwanaku wie ein Inkakönig zum Präsidenten krönen. Dabei vollzogen die Schamanen offiziell ihren religiösen Kult, den pago a la tierra. Unter dieser Regierung litt die Bevölkerung unter großer wirtschaftlicher Not, während im Nachbarland Peru in materieller Hinsicht von Hunger, Elend und Unterdrückung keine Rede mehr sein kann.

Die Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über einige Aspekte der Theologie der Befreiung vom 6. August 1984 stimmt mit der Befreiungstheologie in der Analyse der sozialen Ungerechtigkeit und in der Option für die Armen überein, distanziert sich aber von der marxistischen Methode, wonach zuerst die Gesellschaftsstrukturen verändert werden müssten. Die wahre Befreiung ist zunächst und grundsätzlich eine Befreiung von der radikalen Knechtschaft der Sünde. Danach erst kann die Befreiung auf kulturellem, ökonomischem, sozialem und politischem Gebiet folgen. Da im marxistischen Weltbild der Mensch das Produkt der sozialen Verhältnisse ist, müssen diese zuerst verändert werden, auch mit Gewalt, um den Menschen zu befreien. Der Aufstand der Kommunistischen Partei in Peru, der „Leuchtende Pfad“, brachte in den 1990-er Jahren einen blutigen Terror. Noch heute leiden die Menschen unter diesem Trauma. Im einheimischen Klerus finden die Sprüche der damaligen Befreiungstheologie nach meiner Erfahrung keinen Anklang mehr. Dagegen produziert das Pastoralinstitut der Anden (IPA) immer noch Texte im Geist eines Klassenkampfes, wie sie auch in der „Misa Pacha Mama“ zum Ausdruck kommen. Die Aktivitäten der IPA, etwa ein Treffen unter dem Titel „Weisheit der Vorfahren und Entkolonisierung“ mit rituellen Zelebrationen zu Ehren der Pachamama werden von der bischöflichen Aktion Adveniat finanziert (https://idecaperu.org/xxviii-encuentro-de-teologia-y-pastoral-andina-sabidurias-ancestrales-y-descolonizacion/).