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Moraltheologische Argumente zur Impfung gegen Corona

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Der Autor unterrichtet als Moraltheologe an der Katholischen Hochschule ITI in Trumau und ist Mitglied der Niederösterreichischen Ethikkommission. Zuletzt aktualisiert am 04.06.2021.

Die folgenden Überlegungen wollen auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes, wie es vom Lehramt der Katholischen Kirche bezeugt wird, Orientierung in einer Frage geben, die viele bewegt.

Wer sich gegen eine gefährliche Krankheit impfen lässt, leistet grundsätzlich einen begrüßenswerten Beitrag für die Erhaltung der eigenen Gesundheit und die anderer Menschen. Freilich müssen wichtige Voraussetzungen gegeben sein:

1. Der Impfstoff soll wirksam sein und zugleich arm an möglichen schweren Nebenwirkungen. Dies verlangt eine ausreichende Zeit für Tests und klinische Prüfungen. Die Corona-Impfstoffe mussten unter zeitlichem Druck entwickelt werden, gelten aber inzwischen als relativ sicher.[1] Eine Abwägung zwischen einem erwarteten großen Nutzen und möglichst gering zu haltenden möglichen Nebenwirkungen ist nötig. Es ist nachvollziehbar, dass man angesichts der gegenwärtigen Corona-Situation nicht länger zuwarten kann und will: Nur wirksame Schutzmaßnahmen für sich selbst und andere – zu denen auch die Impfung zählt – können die weitere Ausbreitung von Covid-19 so eindämmen, dass viele vor schweren Krankheitsverläufen bewahrt bleiben und sich das private und gesellschaftliche Leben stufenweise normalisiert.

2. Die Entwicklung, die Herstellung und die Anwendung des jeweiligen Impfstoffes sollen moralisch einwandfrei sein. Leider gibt es bei einigen Impfstoffen einen problematischen Ursprung in Zelllinien, die aus abgetriebenen Föten gewonnen wurden. Außerdem wurden Impfstoffe in Zellkulturen getestet, die aus solchen problematischen Linien stammen.[2] Hier kann man für sich selbst sagen, gleichsam zeugnishaft: Da mache ich nicht mit! Das ist zu respektieren und wird von der Kirche anerkannt. Eine solches Nein kann nicht verpflichtend für alle gemacht werden. Es gibt Menschen, die entweder eine bestimmte Impfung benötigen oder denen eine Impfung gesetzlich vorgeschrieben oder doch zumindest nahegelegt wird. Hier sagt die Kirche, dass der Geimpfte nicht für all das verantwortlich ist, was bei der Herstellung und den Tests eines Impfstoffes vielleicht an Unmoralischem geschieht. Es gibt eine gestufte Verantwortung. Wo keine ethisch einwandfreien Impfstoffe zur Verfügung stehen, ist es moralisch akzeptabel, auch jene einzusetzen, bei deren Entwicklung und Produktion Zelllinien von humanen Feten zum Einsatz kamen, betont die Glaubenskongregation in ihrer Note vom 21.12.2020 als Antwort auf Anfragen. Sich damit impfen zu lassen, bedeutet keine formelle Beteiligung an einer Abtreibung.[3] Zugleich sollen sich möglichst viele Menschen bei Entscheidungsträgern in Politik, Medizin und Wirtschaft für die Herstellung moralisch einwandfreier Impfstoffe einsetzen und in diesem Sinn einen positiven Einfluss auf die Bildung der öffentlichen Meinung nehmen.

3. Impfungen sollen grundsätzlich freiwillig sein, außer es besteht ein hohes Ansteckungsrisiko bei einer gefährlichen Krankheit. Auch ist es möglich, bestimmte Alters- und Risikogruppen bevorzugt zu impfen. Wie Papst Franziskus betont, sollen wirksame und zugleich ethisch einwandfreie Impfstoffe auch den Menschen ärmerer Länder und Regionen in ausreichender Weise zur Verfügung gestellt werden.[4]

 

[1] Die Risiken halten sich in Grenzen, wenn keine Vorerkrankung oder besondere gesundheitliche Belastung besteht; in Zweifelsfällen ist eine ärztliche Abklärung vor der Impfung zu empfehlen. Die Überwachung der Sicherheit von Impfstoffen und biomedizinischen Arzneimitteln erfolgt in Deutschland durch das Paul-Ehrlich-Institut. In Österreich geschieht dies durch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob Reaktionen in zeitlicher Nähe zu einer Impfung in einem ursächlichen Zusammenhang mit dieser stehen. Offene Fragen, auch hinsichtlich möglicher Langzeitfolgen, führen zu Verunsicherungen.

[2] Beim mRNA-Impfstoff der Firma BioNTech/Pfizer werden zur Testung Zelllinien aus abgetriebenen Föten verwendet, nicht aber zur Produktion des Impfstoffs. Bei den Vektorimpfstoffen von AstraZeneca und Johnson & Johnson werden auch für die Produktion des Impfstoffes Zelllinien unerlaubten Ursprungs verwendet. Im Impfstoff als solchen finden sich diese Zellen nicht mehr. Vgl. Susanne Kummer, Covid-19-Impfstoffe: Ethische Stellungnahme zu Fragen der Herstellung, IMABE, 12.01.2021.

[3] “Wenn daher ethisch einwandfreie Covid-19-Impfstoffe nicht zur Verfügung stehen (z.B. in Ländern, wo Impfstoffe ohne ethische Probleme den Ärzten und Patienten nicht zugänglich gemacht werden oder wo ihre Verteilung aufgrund besonderer Lager- und Transportbedingungen sich als schwieriger erweist oder wenn zwar im selben Land verschiedene Arten von Impfstoffen zur Verteilung gelangen, jedoch es die Gesundheitsbehörden den Bürgern nicht erlauben, jenen Impfstoff zu wählen, mit dem sie geimpft werden wollen), ist es vom sittlichen Standpunkt aus vertretbar, Covid-19-Impfstoffe in Anspruch zu nehmen, bei welchen in ihrem Entwicklungs- und Herstellungsprozess Zelllinien aus abgetriebenen Föten verwendet worden sind.“ – Kongregation für die Glaubenslehre, Note bezüglich der sittlichen Bewertung der Anwendung einiger Impfstoffe gegen Covid-19, 21. Dezember 2020.

[4] Vgl. Franziskus, Ansprache beim Ostersegen „Urbi et Orbi“, 4. April 2021.