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Rezension zu:
Thomas Bahne, Person und Kommunikation. Anstöße zur Erneuerung einer christlichen Tugendethik bei Edith Stein, Paderborn 2014, Verlag Ferdinand Schöningh, ISBN 978-3506766595, EUR 78,00

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Forum Katholische Theologie 31 (2015) 75–79

Der dem Erzbistum Köln angehörende Priester Thomas Bahne, derzeit tätig als wissenschaftlicher Mitarbeiter „in statu habilitandi“ am Lehrstuhl für Moraltheologie und Ethik in Erfurt, legt mit diesem Werk seine im Wintersemester 2013/14 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Fachbereich Moraltheologie angenommene Dissertation vor. Der Betreuer der Arbeit war Prof. Dr. Gerhard Höver; als Zweitgutachter stand Privat-Doz. Dr. Hans-Gerd Angel zur Verfügung.

Die moraltheologische Studie widmet sich der Frage, ob und inwiefern im Schrifttum der zum katholischen Glauben konvertierten jüdischen Philosophin und Frauenrechtlerin Edith Stein (hl. Teresia Benedicta a Cruce OCD, 1891–1942) Anstöße zur Erneuerung einer christlichen Tugendethik auszumachen sind, die sich zentral auf die menschliche Person und ihre Fähigkeit zur Kommunikation mit Gott und ihresgleichen beziehen. Untersucht werden soll vor allem, „ob die Frage nach der Wahrheit, wie Edith Stein sie gestellt hat, nicht zum Angelpunkt einer christlichen Tugendethik werden kann.“ (31)

Edith Stein wird oft nur von ihrer Ermordung im KZ Auschwitz aus wahrgenommen, und auch hier meist in ihrer spezifischen Prägung als zum katholischen Glauben konvertierte Jüdin. Dass sie mit Recht als Märtyrin des Glaubens verehrt werden darf, hat Papst Johannes Paul II. durch die Selig- und Heiligsprechung dieser Karmelitin im Namen der Kirche entschieden. Das philosophische Wirken von Edith Stein, die sich auch für die Würde und Rechte der Frauen einsetzte, wird mitunter als Episode ihres Lebens behandelt, die durch die Konversion und vor allem durch den Ordenseintritt in den Theresianischen Karmel gleichsam „ad acta“ gelegt worden sei. Wer sich näher mit ihrem Leben und Werk befasst, was durch die inzwischen abgeschlossene Edition der Gesamtausgabe ihrer Schriften leichter möglich ist, kann erfahren, dass sie ihre philosophischen Studien mit Erlaubnis ihrer Oberen auch im Karmel weitergeführt hat.

Obwohl der Schwerpunkt des philosophischen Denkens von Edith Stein im Bereich der Phänomenologie und der Seinsmetaphysik zu verorten ist, lässt sich aus ihren Schriften auch ihre Denkbewegung zu ethischen Fragen erschließen. Der heilige Papst Johannes Paul II. (Karol Wojtyła) schätzte die Philosophin und Ethikerin Edith Stein; beide hatten einen besonderen Bezug zur Phänomenologie. Eine methodische Herausforderung für die vorliegende Studie über Edith Steins Beitrag zu einer Tugendethik zeigt sich insofern, als es keine explizit ethischen Werke von ihr (mehr) gibt. Der ethische Teil ihrer Dissertation „Zum Problem der Einfühlung“ ist verschollen, da dieser nicht gedruckt wurde. Sie selber sah sich zeit- und ortsbedingten Hindernissen in der weiteren Ausarbeitung dessen gegenüber, was sie philosophisch-anthropologisch erforscht und grundgelegt hatte. So müssen ihre ethischen Beiträge aus den thematisch oft anders gelagerten Werken oft erst indirekt erschlossen werden.

Die vorliegende Studie gliedert sich in zwei Hauptteile: Zuerst wird „Edith Stein im kontextuellen Spannungsfeld einer Ethik zwischen Phänomenologie und Thomismus“ (35–169) dargestellt. Dann widmet sich der Verfasser dem Themenkreis „Tugendethische Gegenständlichkeit und personale Kommunikation“ (171–420).

Im ersten Kapitel des ersten Teils (35–53) untersucht der Verfasser die philosophische Biografie Edith Steins und führt drei typologische Stufen ihrer geistig-wissenschaftlichen Entwicklung an (als Phänomenologin, christliche Philosophin und Mystiktheoretikerin). Im zweiten Kapitel dieses Teils (55–169) geht er auf den philosophischen Kontext der Ethik Edith Steins ein. Edith Stein war trotz ihrer phänomenologischen Herkunft und Formung letztlich keiner philosophischen Schule oder Richtung im eigentlichen Sinne zugehörig (55). Sie bejahte die Auffassung des heiligen Thomas von Aquin, der (in STh II-II q.45 a.2) von einer Konnaturalität mit dem Guten in der Tugend ausgegangen war (vgl. Johannes Paul II., Veritatis splendor, Nr. 64). Angewandt auf die gesamte Zeit ihres Wirkens hat sie dann – so die These des Verfassers – „in rezeptiv-kritischer Auseinandersetzung mit dem transzendentalen Idealismus Husserls unter dem Einfluss Thomas von Aquins und Augustinus‘ ein eigenständiges realistisches Tugendkommunikationskonzept“ entwickelt (63).

In Verfolgung eines ernsthaften methodischen und inhaltlichen Anspruchs setzte sie sich nicht nur mit Klassikern des philosophischen Denkens wie Plato, Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin auseinander, sondern suchte auch den geistigen Anschluss an die Herausforderungen des neuzeitlichen Denkens. Dies war ihr schon in ihrer philosophischen Ausbildung beim Phänomenologen Edmund Husserl her grundgelegt worden und blieb zeit ihres Lebens ein Anliegen ihrer Suche nach Wahrheit. Diese Wahrheit hat sie schließlich in Christus gefunden, doch dieses Finden bedeutete nicht ein Erlöschen des philosophischen und theologischen Fragens und Forschens. Gerade das im Glauben bejahte Mysterium Gottes inspirierte sie in neuer Weise dazu. Sie pflegte vor ihrem Karmeleintritt, aber auch danach wissenschaftliche Kontakte mit Philosophen und Theologen aus unterschiedlichen Richtungen, wobei sie sich selber immer mehr dem Thomismus zuwandte, diesen aber in Anschluss an eine existenziale Interpretation, wie sie von Étienne Gilson und anderen vertreten wurde, in lebendiger Weise fortentwickelte und ins Gespräch mit zeitgenössischen Fragestellungen brachte. Sie studierte auch jene wissenschaftliche Literatur, die auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt war, und erhielt dazu problemlos die Erlaubnis des zuständigen Bischofs.

Viele jener philosophischen und theologischen Denker, mit denen Edith Stein in persönlicher Verbindung war oder zumindest korrespondierte, werden im Einzelnen vorgestellt, so aus dem Bereich der Phänomenologie neben Edmund Husserl, ihrem „Meister“, der noch einflussreichere Max Scheler, dessen Positionen sie dennoch kritisch gegenüberstand  (67).  Wichtig waren außerdem Adolf Reinach, Martin Heidegger, Hedwig Conrad-Martius, Theodor Lipps und Alexander Pfänder. Eine große inhaltliche Übereinstimmung Edith Steins bestand mit Dietrich von Hildebrand. Hildebrand hat nach Auffassung von Josef Seifert die klassische Tugendlehre neu begründet (80). Edith Stein setzte sich mit Vertretern des sittlichen Idealismus der neukantianischen Ethik auseinander; sie pflegte Kontakte zu den Philosophen Nicolai Hartmann, Hans Reiner, Peter Wust, Helmuth Plessner und Johannes Hessen. Im Bereich des Thomismus waren ihr vertraut: Erich Przywara, Martin Grabmann, Martin Honecker, Rudolf Allers, Clemens Baeumker, Jacques Maritain, Étienne Gilson, Marie-Dominique Roland-Gosselin, Fritz-Joachim von Rintelen, Alois Mager, Daniel Feuling, Clemens S. Söhngen, Alois Dempf, Josef Pieper, Joseph Mausbach, Siegfried Behn, Sigismund Waitz, Johannes Messner, Johannes Baptist Hirschmann und Henri Boelaars.

Im ersten Kapitel des zweiten Teils (176–230) gibt der Verfasser einen detaillierten Überblick über die Wiederentdeckung der Wert- und Tugendethik in der neueren Moralphilosophie, aber auch Moraltheologie und die damit verbundenen Debatten über den Status der Tugend als solcher sowie eines Leitprinzips oder gar eines Systems einer Tugendethik. Es gibt viele neue, auch phänomenologische Ansätze in der Wertethik (objektivistisch und subjektivistisch, kognitiv und non-kognitiv bzw. emotivistisch), darunter den beachtenswerten Versuch von Mette Lebech, in Anlehnung an Edith Stein das Wesen der Menschenwürde einer phänomenologischen Betrachtung zu unterziehen (186). Teilweise besteht die Gefahr eines Relativismus, wenn z.B. in der Konzeption von Alasdair MacIntyre die universale Gültigkeit ethischer Prinzipien zugunsten einer bestimmten Traditionen zugeordneten tugendethischen Prägung aufgegeben wird. Als gemeinsame Anliegen der neueren Tugendethik werden ausgemacht (212–216): der Bezug auf die Ich-Perspektive, die Stärkung der motivationalen Kräfte, die Befähigung zur Unterscheidung des sittlich Relevanten in einer konkreten Situation sowie die lebenspraktische Nähe. Der systematische Ort der Tugendethik bei Thomas von Aquin ist integrativ, da bei ihm die Tugend nicht im Gegensatz zum göttlichen Gebot und zu „lex naturalis“ steht (219/220). Der Verfasser übt nuancierte Kritik an der thomasischen Tugenddarstellung Eberhard Schockenhoffs (222) und postuliert eine Brückenfunktion der Tugendethik Edith Steins zwischen der Ethik des Aquinaten und gegenwärtigen Neuansätzen in der christlichen Tugendethik (228). Dies wird in den folgenden Kapiteln des zweiten Teils der Studie untersucht: Es geht um den Personbegriff bei Edith Stein (Kapitel 2), ihren dynamischen Wertrealismus im Hinblick auf eine adäquate tugendethische Objektivität (Kapitel 3) sowie um tugendethische Implikationen ihrer Kreuzeswissenschaft (Kapitel 4).

Im zweiten Kapitel des zweiten Teils richtet der Verfasser sein Augenmerk auf den von Edith Stein vertretenen Personalismus (231–283). Nach ihrer Auffassung handelt es sich bei der Person um eine zentrale anthropologische und ethische Kategorie. Die Analyse Edith Steins geht von einer phänomenologischen Sichtweise aus und ist zunehmend auch seinsmetaphysisch und theologisch orientiert. Inwieweit rezipiert Stein den Personalismus Schelers und wo sieht sie seine Grenzen? Wie vermeidet sie die Gefahr des Aktualismus? Stein hat die von Husserl und Scheler ausgehenden Impulse zur Wertethik „in genuiner Weise, Schelersche Inkonsequenzen und Aporien vermeidend, umzusetzen versucht“ (266). Dies geschieht im Bemühen um eine ontologische Fundierung des Personbegriffs und in der Entwicklung einer Leibphänomenologie. So erfolgt eine Distanzierung Steins vom „ichlosen Erleben“ im Sinne Schelers (indifferenter Bewusstseinsstrom) (286). Als Phänomenologin öffnet sie sich Thomas von Aquin (274–278). Dabei geht sie über das „reine Ich“ Husserls hinaus und bejaht die geistige Substanz eines singulären, qualitativ erfüllten „Ich“ (276). Der Entwicklungsschritt im Persondenken der hl. Edith Stein lautet: „über Thomas‘ Seinsdenken, über Husserls Ichdenken … zu Augustinus‘ Denken aus der Beziehung“, wie es Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz formuliert hat (281). Eine Metaphysik der Innerlichkeit sieht die menschliche Person auf das menschliche und göttliche Du hin ausgerichtet, in dem sie in Erkenntnis und liebender Hingabe ihre Erfüllung und ihren Sinn findet. Koexistenz und Kommunikation sind von daher für die Existenz und die Erfüllung der menschlichen Person von wesentlicher Bedeutung.

Im dritten Kapitel des zweiten Teils geht es um tugendethische Gegenständlichkeit bei Edith Stein (285–341), worin der Verfasser sogar das Schlüsselproblem sieht. Stein rezipiert das Husserl‘sche Erbe und weitet es ontologisch und metaphysisch aus (306). Der Verfasser geht zum besseren Verständnis dieser Entwicklung ein auf die phänomenologische Sichtweise. So untersucht er die phänomenologische Reduktion bei Husserl (287) und den Zentralbegriff der Intentionalität als Korrelation zwischen dem Bewusstseinsinhalt und den Gehalten des intentionalen Gegenstandes (288/289); er widmet sich den Begriffen von Materie und Qualität (290), der Horizontintentionalität (294ff) und der Vorstellung eines reinen Ich als Kern der Person (303). Zur Sprache kommen außerdem die  Raum- und Dingkonstitution sowie das Leibbewusstsein und die kinästhetische Motivation (307–315), sodass es in der Sicht Husserls, die von Edith Stein teilweise geteilt wird, zu einer Einheit von Welt-, Leib- und Selbstbewusstsein kommt (313). „Gegenständlichkeit … entsteht notwendig, wenn auch nicht hinreichend, intersubjektiv bzw. interpersonal kommunikativ“ (319). Tugendethische Gegenständlichkeit bezieht sich auf das personale Ich mit je individuell erworbenen habituellen Eigenheiten und Charakterzügen (320). Edith Stein ist über Husserl hinausgehend der Auffassung: Personale Kommunikation ist letztlich nur als eine in Gott verankerte denkbar (324). Im Folgenden nimmt der Autor Bezug vor allem auf Edith Steins Schrift „Endliches und Ewiges Sein“. Er meint, sie würde die thomistische Ontologie durch die phänomenologische Erkenntnislehre aufbrechen (331). Sie nimmt im Hinblick auf die menschliche Person kritisch Stellung zur thomistischen Auffassung des Individuationsprinzips („materia signata quantitate“). Nicht die Materie, sondern die Einzelexistenz der Geistseele stellt nach ihrer Auffassung das Individuationsprinzip der Person dar (152). Edith Stein sieht den „Wurzelpunkt des Einzelseins in dem formalen Bau der Gegenstände als solchen“ (337, Anm. 305, Zitat aus „Endliches und ewiges Sein“). „Durch den Leib ist die menschliche Person kommunikabel“ (339). Es geht E. Stein implizit um eine „Tugenderkenntnistheorie …, an deren Ende und Zielpunkt die ethische Konnaturalität mit dem Guten steht“ (340). Eine universale personale Kommunikation, die zur Erlangung des „bonum universale“ (d.h. der personalen Vollendung in der eigenen Menschennatur, aber auch in der gesamten Menschheit) nötig ist, ist dem Menschen nur insofern möglich, als er in Gott verankert und bleibend auf ihn als das „summum bonum“ bezogen ist (340).

Im vierten Kapitel des zweiten Teils fragt der Verfasser dieser Studie am Beispiel ihres Werkes „Kreuzeswissenschaft“ nach tugendethischen Implikationen bei Edith Stein (343–420). Darin bezieht sie sich auf die tugendethischen Überzeugungen des hl. Johannes vom Kreuz: Es geht um ein Leben entsprechend der gekreuzigten Liebe Gottes (345). Durch ihr Leben und Sterben in der Einheit mit Christus (Stellvertretung, Compassio) hat Edith Stein dessen Lehre fortgesetzt und beglaubigt. Gott schenkt der nach Vollkommenheit strebenden Seele eine Teilnahme an der dunklen Nacht der Sinne und des Geistes (aktive und passive Kreuzigung). Die dunkle Nacht der Sinne besteht in der „Ertötung der Freude am Verlangen nach allen Dingen“ (348). Die rechte Haltung steht an der Wurzel großer Tugenden (349). Dabei erfolgt auch eine Behandlung der trinitarisch verfassten geistigen Seelenkräfte von „intellectus, voluntas und memoria“ in Anlehnung an Augustinus (350–352; 362–366). Die aktive und passive Nacht des Geistes (352–357) führt schließlich zur Umgestaltung der Seele in der Liebe Gottes („lebendige Liebesflamme“) als Ziel (357–358). Edith Stein stellt die Tugendlehre des hl. Johannes vom Kreuz dar: In der Kreuzesnachfolge Christi wird die Tugendethik des hl. Thomas von Aquin vorausgesetzt (der in der systematischen Einheit der theologischen Tugenden mit den Kardinaltugenden wesentlich über Aristoteles hinausgeht, dabei aber dessen natürliche Einsichten integriert). Die mystische Erfahrung der dunklen Nacht der Sinne und des Geistes läutert den Menschen auch im Vollzug der Tugenden. Vor allem Demut, Gehorsam, Mäßigung, Starkmut, Ergebung und Geduld sind wichtig (359). In der Vereinigung der Seele mit Gott gelangt die Tugend der Liebe zur vollkommenen Herrschaft. Zwar behält die Seele ihr Eigenwesen, ihre Substanz, doch werden alle ihre Kräfte in göttliche umgewandelt, insofern Gott alles in allem wirkt und die Seele in ehelicher Liebe daran Anteil erhält (361–362).

Augustinus geht bereits von einer Konnaturalität des Menschen mit dem Guten voraus und sieht dies in der Abbildlichkeit des menschlichen Geistes gegenüber Gott begründet (366). In Anlehnung an Johannes vom Kreuz behandelt Edith Stein das „dreifarbige Tugendkleid der Seele“, nämlich Glaube, Hoffnung und Liebe (366–372), wobei in diesem Zusammenhang auch eine Umformung einzelner Elemente der aristotelisch-thomasischen Tugendethik festzustellen ist (vor allem im Hinblick auf Demut und Starkmut, 372–373). Dem Eindruck, als würde in der Lehre des Johannes vom Kreuz ein neoplatonischer Dualismus neu aufleben, der das Natürliche entwertet und dem Übernatürlichen eine Exklusivität zugesteht (was im Hinblick auf die scholastische Verbindung von Natur und Gnade jedenfalls eine Vereinseitigung darstellt), wird durch Edith Stein mit dem Hinweis begegnet, dass allen Tugenden schon um ihrer selbst willen Wertschätzung und Liebe zukomme, sie jedoch freilich stets aus Liebe zu Gott vollbracht werden sollen (373).

Edith Stein fragt nach der Möglichkeit und Realisierung der Kommunikation zwischen endlichen Personen und ob diese Kommunikation der Ausschließlichkeit der Hingabe der Seele an Gott im Wege stehe (375). In Jesus Christus, dem fleischgewordenen Wort („Logos“), hat jeder mögliche „Sinn“ seine Heimat (379) und wird die durch die Erbsünde beeinträchtigte Kommunikation wiederhergestellt. Die ethischen Kategorien, welche in der liebenden Vereinigung Gottes mit den Menschen (d.h. in seiner dreipersönlichen Kommunikation mit uns) ihren Ursprung haben, gründen auf der Idee der Compassion und der Hingabe (S.378), wodurch sich nach Darstellung des Verfassers bei Edith Stein eine Parallele zur Ethik Karol Wojtyłas ergibt.

Das Ur-Leben der Seele sei formlos; es gebe eine Vereinigung mit Gott auf dem geistigen Urgrund der Seele, wo sie ganz bei sich sei (380/381). Die „Einfühlung“ beschreibt sie als Form geistiger Wahrnehmung von Personen: „Die Person erfühlt ihr einmalig-individuelles Eigensein in ihrer radikalen Freiheit, die offen steht für das Mit-Fühlen“ (Schmitz-Perrin, 384). Der eigentliche Vollzug der Freiheit ist in der Selbsthingabe an Gott gegeben: „Die Selbsthingabe ist die freieste Tat der Freiheit“ (E. Stein, 384). Eben darin liegt der tragende Grund der Personenkommunikation als Ausgangspunkt einer Tugendethik. Obwohl die Initiative im Hinblick auf das übernatürliche Heil von Gott ausgeht, baut die Gnade auf der Natur auf und ist der Mensch zur freien Mitwirkung aufgerufen. Das natürliche Suchen nach dem Rechten und Guten kommt im Suchen nach dem göttlichen Willen wahrhaft zu sich selbst (386). Die Tugend des Glaubens weckt in der Seele die Bereitschaft, sich vom göttlichen Willen leiten zu lassen (387). Die Vereinigung der Seele durch die heiligmachende Gnade mit Gott lässt sich analog zur hypostatischen Union der Gottheit mit der Menschheit in der Person Jesu Christi auffassen (390–404).

In einem Exkurs über die hypostatische Union (390–404) verweist der Verfasser auf die bei Edith Stein gegebene  Bejahung der Idiomenkommunikation und die von ihr übernommene Analogie des gnadenhaften Eins-Seins der menschlichen Person mit Gott zur hypostatischen Union. Die Kommunikation zwischen Personen wird durch die Menschwerdung des Logos grundlegend verändert bzw. neu begründet und vertieft. Der Logos hat sich zwar mit einer bestimmten Menschennatur konkret vereinigt, doch eben dadurch ist er mit der ganzen Menschheit in Verbindung getreten („universale concretum“). Die mystische Einheit der Seele mit Gott unterscheidet sich seinsmäßig von ihrer Einheit im Glauben kraft der heiligmachenden Gnade, obwohl die mystische Einheit den Glauben und die Liebe voraussetzt. In dieser Kommunikation der Personen handelt sich – bei Aufrechterhaltung der Selbständigkeit der menschlichen Person – um ein Einswerden mit Gott, um eine Vergöttlichung, die ein wechselseitiges Sich-Hingeben einschließt, welches ein Abbild der innertrinitarischen Perichorese darstellt und auch eine Analogie zur Durchdringung der beiden Naturen in der einen Person des göttlichen Wortes zeigt (404–410).

Als Resultat, entsprechend der thomasischen Unterscheidung von „ratio“ und „intellectus“, gelte es festzuhalten: „Auch beim Menschen“ – analog der Kommunikation rein geistiger Wesen (412) – „erfolgt die Kommunikation der Wahrheit über Gott, konnatural mit dem Guten.“ Hierin gründe die Tugendethik von Edith Stein, die auch den intellektuellen Tugenden entscheidende Relevanz zuweist (413).

Was ist nun der Ertrag der Untersuchungen von Thomas Bahne zu den Impulsen einer christlichen Tugendethik bei Edith Stein (414–423)? Der Mensch ist in seinem relationalen (d.h. auf Gott und die Mitmenschen bezogenen) Personsein bereits auf das Gute hin angelegt. Durch das Christusereignis wird diese Konnaturalität mit dem Wahren und Guten noch unmittelbarer, was sich in höchster Form auf Erden in der mystischen Vermählung der Seele mit Gott zeigt (von daher ergeben sich als zentrale tugendethische Kategorien das Mitleiden und die Hingabe, 415), aber auch für das gewöhnliche christliche Leben, ja für jeden Menschen von Bedeutung ist. Es geht bei der Erkenntnis von Gut und Böse um eine von Gott vermittelte Erkenntnis (so wie alle Wahrheitserkenntnis über Gott erfolgt, 414), weshalb im tugendethischen Konzept Edith Steins die Einsicht („intellectus“) eine zentrale Rolle spielt. Zugleich ist ihre Tugendethik unter dem Einfluss des hl. Augustinus auf den Willen bezogen, wo dann die Demut als Leittugend fungiert und nicht mehr wie bei Thomas von Aquin das Maß und die Klugheit (416). „(E)igene Seinsvollendung, Vereinigung mit Gott und Wirken für die Vereinigung anderer mit Gott und ihre Seinsvollendung“ gehören so „unlöslich zusammen.“ (Edith Stein, 416). Im Mittelpunkt der Seele, wo sie Gott begegnet, lässt sich das Gewissen vernehmen (419). Letztlich tritt die personale „Hin-Gabe“ im Kontext der Liebe zu Gott und den Menschen als „signifikante Kennzeichnung tugendethischen Denkens bei Edith Stein hervor“ (420).

Im zusammenfassenden Ausblick (421–423) hält der Verfasser fest: Edith Stein greift die Idee der kinästhetischen Freiheit und des „Ich kann“ von Edmund Husserl auf und entwickelt auf der Grundlage ihres dynamischen Personbegriffs einen genuinen Ethikansatz. Die Einfühlung als normativer Akt konnaturalen Erkennens und dessen Intersubjektivitätsstruktur sind angelegt auf die gnadenhafte Vollendung in der Hingabe. Die „Partizipation am Sein Gottes in einer personalen Kommunikation aus reziproker liebender Hingabe und Annahme“ (421) ist für sie wesentlich.

Ein Anhang mit transskribierten Exzerpten Edith Steins vornehmlich zu Augustinus-Texten sowie ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Personenregister sind ebenfalls enthalten. Mit dieser Studie liegt ein Werk vor, das auf intensivem Quellenstudium der Texte Edith Steins aufbaut und diese im zeitgenössischen philosophischen und theologischen Denken verortet und zugleich für die Zukunft fruchtbar zu machen versucht. Der Autor bezieht sich insbesondere auf das Feld der Tugendethik als bisher relativ unerschlossenen Bereich der Edith-Stein-Forschung und hat hier zu wichtigen Einsichten und Klärungen beigetragen, an denen weitere Studien nicht vorbeigehen können.