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Predigt:

Wem kann "ich" der Nächste sein?

15. Sonntag im Jahreskreis C (10.07.2022)

L1: Dtn 30,10-14; L2: Kol 1,15-20; Ev: Lk 10,25-37


Josef Spindelböck

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Was suchen wir, wenn wir unser Herz zu Gott erheben? Wonach verlangen wir, wenn wir dem Wort Gottes Gehör schenken? Was erwarten wir uns von der Begegnung mit Gott?

Es ist verständlich, wenn wir uns derartige Fragen stellen und wenn wir so denken. Andererseits greift dieses Schema von Erwartung und Erfüllung in der Gottesbeziehung zu kurz. Schon bei mitmenschlichen Beziehungen – vor allem bei Freundschaften – wäre es eine Herabsetzung der Person des anderen Menschen, wenn wir bloß fragen wollten: Was bringt mir die Verbindung mit dir? Wir erniedrigen die Person des anderen auf die Ebene des bloßen Nutzens: Wie ist mir der Nächste nützlich? Wie kann ich von der Verbindung mit ihm profitieren?

Was hier ausgeblendet wird, ist der Eigenwert einer jeden Person! Der Mitmensch ist wertvoll in sich selbst und nicht nur deshalb, weil sie oder er für mich nützlich ist. Was dann zählt, ist die Aufmerksamkeit für den anderen, so wie dieser Mensch ist. Und aus einer solchen Haltung des Respekts können dann Wohlwollen und liebende Hingabe entspringen …!

Gott gegenüber sollte es nicht anders sein. Es handelt sich bei unserer Verbindung mit Gott von vornherein nicht um eine Begegnung unter Gleichen. Grundlegend sind wir als Menschen – als Geschöpfe Gottes – ganz und gar von ihm abhängig. Wir verdanken uns in allen Fasern unserer Existenz seiner Schöpfermacht und Liebe. Wenn Gott, unser Vater, uns nicht gewollt hätte, gäbe es uns nicht. Die erste Antwort des Menschen kann daher nur Dankbarkeit und Anbetung sein!

Dann aber darf – weil Gott wirklich gut ist und uns in seinem Sohn Jesus Christus auf Augenhöhe gegenübertritt – auch gefragt werden, was denn Gott von uns will und was wir uns von ihm erwarten. Er will das Beste für uns: unsere Vollendung, unser Heil. Gott hat keine Nebengedanken; nicht wir tragen bei zu seinem Glück, sondern er will für uns da sein und schenkt sich uns ganz in seinem Sohn Jesus Christus. Als Christen sind wir Jünger Jesu und gehören wir zum menschgewordenen Sohn Gottes. Von ihm empfangen wir Heil und Leben. Ja, all das, was wirklich entscheidend ist für unser Leben; was uns in der Zeit den Frieden schenkt und in Ewigkeit selig macht: das hat Gott für uns vorbereitet, weil er uns liebt.

Blicken wir aus einer solchen Glaubenshaltung auf das Evangelium dieses Sonntags: Jesus erzählt das Gleichnis des barmherzigen Samariters, der sich dem verwundeten Menschen in Liebe zugewandt hat. Der Samariter war bereit zu helfen, während der jüdische Priester und der Levit an dem Mann, der unter die Räuber gefallen war, teilnahmslos vorübergegangen waren.

Wer ist mein Nächster? An wem soll ich die Nächstenliebe üben? Dies ist eine spannende und provozierende Frage. Jesus formuliert sie um, indem er uns zum praktischen Handeln nach dem Beispiel des Samariters aufruft. Es geht nicht zuerst darum, wer mir der Nächste ist, sondern wem ich der Nächste sein kann und soll. Auf diese Weise ergreifen wir die Initiative und wälzen die Verantwortung für das Gute nicht auf andere Menschen ab.

Manchmal braucht es Zivilcourage, dass wir mit dem Guten dort beginnen, wo alle übrigen schweigen oder in Untätigkeit verharren. Wer beherzt beginnt und auf Gott vertraut, der wird bald merken: Auch andere interessieren sich dafür und lassen sich begeistern.

Wir selber sind auf gute Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter angewiesen. Wie war es in meinem Leben – wie ist es in der Gegenwart? Welcher Mensch vermittelt mir die Freude am Guten, den Geschmack an der Schönheit der Welt, die Offenheit für den Blick nach oben, um dem Schöpfer und Erlöser zu begegnen? Dann wenn wir uns gegenseitig hinführen zu unserem Herrn Jesus Christus, sind wir auf dem rechten Weg, von dem das Tagesgebet der heiligen Messe spricht. Im Blick auf den Erlöser Jesus Christus gilt es zu entdecken, wie froh, ja wie selig wir werden, wenn wir uns in Liebe öffnen für das, was der Mitmensch wirklich von uns braucht. Amen.