Predigt:
Vergebung empfangen, Vergebung gewähren
24. Sonntag im Jahreskreis A (17.09.2023)
L1: Sir 27,30-28,7; L2: Röm 14,7-9; Ev: Mt 18,21-35
Josef Spindelböck
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
Im Gebet des Herrn, dem Vaterunser, lautet eine wichtige Bitte: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Die Bedeutung dieses Satzes ist uns klar, auch wenn wir beim Beten nicht immer daran denken: Gott möge uns alle Schuld vergeben, die wir auf uns geladen haben, er möge uns alle Sünden verzeihen. Zugleich aber bekunden wir hier unsere Bereitschaft, auch selbst denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind, die sich also gegenüber uns verfehlt haben.
Was so einfach klingt und sich so leicht beten lässt, ist dennoch nicht selbstverständlich. Und dies gilt wohl für alle von uns. Es gibt Menschen, mit denen wir uns schwer tun und wo wir uns durchringen müssen, um ihnen doch zu vergeben. Vor allem ist dies dann der Fall, wenn uns jemand sehr verletzt oder zutiefst enttäuscht hat. Es kann auch vorkommen, dass ein Erwachsener oder gar ein Kind das Opfer eines schlimmen Verbrechens geworden ist. Hier kann man nicht einfach leichtfertig sagen: Verzeihe dem Übeltäter!
All dies weiß unser Herr Jesus Christus, wenn er uns dieses Gebet lehrt und im Evangelium des heutigen Sonntags zum Vergeben aufruft. Verlangt Gott vielleicht gar etwas Unmögliches von uns?
Wir sollten zuerst zugeben, dass das Vergeben-Können zumindest bei schwerwiegenden Dingen über unsere eigenen Kräfte hinausgeht. Da sind wir von uns aus überfordert. Jesus aber eröffnet uns einen Weg der gegenseitigen Vergebung und Versöhnung. Er zeigt uns nämlich im Gleichnis auf, dass wir bereits Vergebung in Überfülle empfangen haben. Gott hat uns bereits beschenkt mit seiner grenzenlosen Liebe. Er hat uns mehr gegeben, als uns zusteht, als wir verdienen. Und wenn wir dieses Geschenk der Liebe Gottes würdigen, wenn wir bedenken, wie unendlich groß sein Erbarmen mit uns ist, dann sollen wir – wie Jesus vorschlägt – in liebendem Erbarmen an den Mitmenschen denken, der vielleicht an uns schuldig geworden ist.
Der Knecht im Evangelium, dem sein Herr die ganze Schuld erlassen hatte, reagiert auf eine kleine Schuld ihm gegenüber mit übergroßer Härte. Genau diese Unbarmherzigkeit prangert Jesus an. Und die Anwendung auf unsere eigene Situation könnte dann diese sein, dass wir uns selber fragen:
Sollten wir, die wir das Geschenk einer so großen Liebe von Gott empfangen haben, vielleicht kleinlich gegenüber anderen sein? Steht es uns zu, dem Mitmenschen mit Härte und Strenge zu begegnen und auf Punkt und Beistrich alles einzufordern, was uns dieser schuldet, wenn Gott zuvor schon so großzügig mit uns gewesen ist, dass er uns wirklich alles vergeben hat im Kreuzestod seines Sohnes?
Die Texte der Heiligen Schrift, die wir an diesem Sonntag hören, wollen einen Nachdenkprozess in uns auslösen und zur Bekehrung hinführen. Es ist nicht einfach so, dass wir das Wort Gottes hören und sagen: „Ja, das sehe ich ein. Ich mache es so. Ich vergebe dem Nächsten.“ Denn dies wird uns manchmal leichter fallen und manchmal schwerer. Es wird auch Situationen geben, wo wir uns dazu noch nicht in der Lage sehen und wir mit einem gewissen Recht erwarten, dass jener, der sich schwer gegenüber uns verfehlt hat, einen Schritt auf uns zugeht und seine Schuld eingesteht. Und doch sollten wir unser Herz nicht verhärten, indem wir dem anderen die Vergebung verweigern. Wir alle bedürfen der Barmherzigkeit Gottes, und wenn wir uns gegenseitig die Schuld aufrechnen wollten, dann kämen wir wahrscheinlich an kein Ende.
In den elementaren Beziehungen von Freundschaft, von Ehe und Familie lernen wir, achtsam miteinander umzugehen. Da fällt uns auch kein Stein aus der Krone, wenn wir eigene Fehler zugeben und um Verzeihung bitten. Umgekehrt dürfen wir mit dem Wohlwollen der anderen rechnen, die uns tatsächlich vergeben und uns so wieder neue Lebenschancen eröffnen.
Denn genau darum geht es Jesus: Er möchte uns hineinnehmen in die göttliche Liebe, die er offenbart, damit wir in unserem Leben das hinter uns lassen können, was belastet. Wir sollen wahrhaft frei werden, um Gott aus ganzem Herzen zu lieben und unseren Nächsten wie uns selbst. Dies gelingt in dem Maß, in dem wir das Geschenk der göttlichen Vergebung annehmen – vielleicht auch im Bußsakrament, also in einer guten Beichte. Dann werden wir fähig, auch einander zu verzeihen und den Weg zu einem Leben in Fülle zu eröffnen. Spätestens im Himmel sollte dann alles bereinigt sein, sodass uns keine Schuld mehr bedrückt und wir einander von Herzen annehmen in der gemeinsamen Anschauung Gottes des Herrn. Amen.