www. St Josef.at
Die katholische Informationsseite der Gemeinschaft v. hl. Josef
Navigation

Besitzergreifung, erste

Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 105-108

1. Zu den ursprüngl. Rechtstiteln des Erwerbs von Eigentum zählt die Art, wie anfängl. Privateigentum entstand.

Nach H. Grotius wurden die ursprüngl. allen gemeinsamen Güter durch Vertrag (Vertragstheorie) aufgeteilt, nach Th. Hobbes, J.J. Rousseau und Neueren geschah die Aufteilung erst durch Gesetze des Staates (Legaltheorie). Tatsächl. scheint aber das Privateigentum bedeutend einfacher entstanden zu sein. Einer kleinen Zahl von Menschen bot die Natur in manchen Gebieten von selbst einen genügenden Unterhalt; jeder konnte jene Gebrauchsgüter verwenden, die ihm jeweils notwendig waren. Diesen Zustand zeigt noch die Jagd- und Sammelstufe der primitiven Kulturen. Die Worte der Bibel scheinen auszudrücken, daß Gott dem ganzen Menschengeschlecht als solchem die Herrschaft über die Güter der Erde übertrug: „Erfüllet die Erde und macht sie euch untertan! Herrschet über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alles Getier, das sich auf Erden regt!“ (Gen 1,28; vgl. 9,1 f; Ps 8,7). Die Lage änderte sich dort, wo die Zahl der Menschen so zunahm, daß sie nicht mehr mit dem auskamen, was die Erde von selbst darbot. Die Menschen mußten anfangen zu wirtschaften, d.h. Gebrauchsgüter im benötigten Ausmaß hervorzubringen. Dazu war es nötig, daß einzelne oder Gruppen über Produktionsgüter verfügen konnten. Zu diesem Verfügenkönnen (= Eigentumsrecht) kam es, solange noch Produktionsgüter (vor allem Grund und Boden) da waren, über die noch niemand verfügte, wohl einfach dadurch, daß sie jemand an sich zog, um über sie zu verfügen.

2. Die erste Besitzergreifung, die Aneignung einer Sache, die niemandem gehört, in der Absicht, sie sich zu erwerben, ist auch weiterhin ein rechtmäßiger Titel des Eigentumserwerbes (Res nullius fit primi occupantis). Sinnvoll und berechtigt ist sie, soweit der Besitzergreifer beabsichtigt und imstande ist, erworbene Güter zum eigenen Wohl und zum Wohl der Gemeinschaft zu verwenden (vgl. Pius XI., „Quadragesimo anno“, D 3730). Eine Grenze wird dort erreicht, wo die erste Besitzergreifung nicht auf eigene Bedürfnisse und eigene Arbeit hinziehlt, sondern darauf, anderen das Notwendige vorzuenthalten und sie so in Knechtschaft zu zwingen.

3. Durch erste Besitzergreifung kann nur eine Sache erworben werden, die niemandem gehört (res nullius), also eine Sache, die nie einen Eigentümer hatte (res vacans, z.B. der Fisch oder das Mineral im Meer) oder die einmal einen Eigentümer hatte, jetzt aber nicht (res derelicta, z.B. eine Sache, die vom Eigentümer aufgegeben wurde); nicht eine verlorene Sache (res amissa), die ja einen Eigentümer hat, wenn er auch vielleicht dem Finder unbekannt ist.

In hochzivilisierten Ländern gibt es immer weniger Güter, die noch nie im Eigentum eines Menschen standen. Wohl aber wächst die Zahl der Dinge, die von ihren Eigentümern abgestoßen werden (z.B. die am Straßenrand zurückgelassenen Autowracks).

4. Auch Dinge, die von Natur aus herrenlos wären, sind häufig durch (bürgerl.) Gesetze (des Staates, der Gebietskörperschaften) dem freien Zugriff entzogen. Solche Gesetze wurden im Interesse des Gemeinwohls geschaffen und sind daher im Gewissen zu achten (vgl. Pius XII., UG 5715–17).

Sie erstrecken sich z.B. auf frei lebende Tiere (Jagd- und Fischereigesetze) oder auf gezähmte Tiere, die entkommen sind (erst nach einer gewissen Zeit können sie in Besitz genommen werden). Entlaufene Haustiere werden meistens weiterhin ihren Eigentümern zugerechnet. Auch über gefundene Sachen bestehen mancherlei positive Verfügungen: Bodenschätze wären von Natur aus dem Bodeneigentümer zuzurechnen, werden ihm aber vom Gesetz meistens entzogen. Einen beweglichen Schatz (eine wertvolle Sache, die vor langer Zeit versteckt oder vergraben wurde) weist das Gesetz für gewöhnl. z. T. dem Finder, z. T. dem Bodeneigentümer zu. Verlorene Sachen sind nur dann als frei anzusehen, wenn sie von so geringem Wert sind, daß der Eigentümer sich wahrscheinl. nicht um sie kümmern wird, oder wenn er sich tatsächl. nicht darum kümmert, obwohl er könnte, oder wenn er sie infolge unüberwindl. Schwierigkeiten nicht mehr erlangen kann. Wer eine Sache findet, wird durch die Nächstenliebe gedrängt, sie ihrem Eigentümer zu sichern (verhältnismäßig große Nachteile lassen diese Liebespflicht nicht drängend werden); aus Gerechtigkeit ist er dazu nur verpflichtet, wenn er durch Amt oder Vertrag zum Hüter des Eigentums des Verlierers bestellt wurde. Zur Betreuung gefundenen Eigentums gehören die Verwahrung des Fundes, das Verhüten einer Schädigung der gefundenen Sache (auch durch ihren Gebrauch), das Forschen nach dem Eigentümer (über die Art gibt es meistens positive Vorschriften). Für die Mühen hat der Finder Anspruch auf Ersatz (Finderlohn). Verheimlichung eines Fundes kommt dem Diebstahl (Anmaßung fremden Eigentums) gleich. Nach erfolglosem Forschen geht der Fund, wenn eine gesetzl. bestimmte Frist verstrichen ist, in das Eigentum des Finders über und ist dieser auch im Gewissen berechtigt, sie zu behalten.


© Gemeinschaft vom hl. Josef · 1996 – 2024