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Ehre

Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 304-309

1. Für das Bestehen und das Gedeihen des Menschen ist der Ruf, den er in der Gesellschaft genießt, von großer Bedeutung; der gute Ruf zählt zu den Werten gesellschaftlicher Geltung, die der Mensch braucht und auf die er daher ein gewisses Recht (vgl. Menschenrechte) hat. Unter Ruf versteht man die allg. verbreitete Meinung über eine Person; er kann gut oder schlecht, wahr oder falsch sein.

Der gute Ruf baut auf der guten Meinung (dem inneren guten Urteil) der einzelnen auf. Diese kann sich auf äußere Güter (Vermögen, Herkunft, und ä.), natürl. persönl. Gaben (Intelligenz, Bildung, künstlerische Begabung usw.) oder sittl. Werte (Tugend) erstrecken. Bei letzteren geht es um das, was den eigentl. Wert des Menschen ausmacht.

Die innere gute Meinung drängt ihrer Natur nach zum Ausdruck in Wort und Tat, zum Ehrenerweis; unter Ehre kann beides einbegriffen werden: die gute Meinung und ihr Ausdruck. Die sicherste Grundlage der guten Meinung und der Ehre bildet das tatsächl. Vorhandensein der betreffenden Vorzüge („Sola virtus est debita causa honoris“ Thomas von Aq., S.Th. 2,2 q.63 a.3).

2. Jeder Mensch hat ein Recht auf die gute Meinung seiner Mitmenschen und auf seinen guten Ruf.

a) Der Grund dafür liegt darin, daß er dieses Rückhaltes in der Gesellschaft bedarf, um körperlich und seelisch bestehen und sich entfalten zu können. „Ein (guter) Name ist begehrenswerter als großer Reichtum“ (Spr 22,1). Außerdem spornt der gute Ruf einer Person auch andere zum guten Verhalten an.

b) Dieses Recht gilt uneingeschränkt vom wahren guten Ruf, der durch Ehrenhaftsein wohlerworben ist und nur durch unwahre Rede (Lüge) zerstört werden könnte. Jeder kann verlangen, daß niemand von ihm grundlos annimmt, er verhalte sich nicht einwandfrei, und daß ihn niemand durch grundlose Verdächtigungen bei anderen des notwendigen gesellschaftl. Rückhaltes beraube.

Dieses Recht wird vom gesunden Menschenverstand anerkannt (auch in der Allg. Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen von 10.12.1948, Art. 12).

Selbst Tote haben noch ein Recht auf ihren guten Ruf, durch den sie im Andenken der Menschen weiterleben und -wirken (vgl. Sir 41,13).

Auch moralischen Personen, die erlaubte Ziele verfolgen (Familie, Vereinigung usw.), steht das Recht auf ihren guten Ruf zu, da dieser ihnen für ihr Wirken notwendig ist.

c) Ein gewisses (relatives) Recht hat der Mensch sogar auf seinen falschen guten Ruf, auf das Gutscheinen, dem das Sein nicht ganz entspricht. Er hat ein Recht, daß ihm sein Leben nicht unnötig schwergemacht wird, was durch Zerstörung des falschen guten Rufes geschehen kann. Auch die Gesellschaft würde durch Aufdeckung aller geheimen Fehler ihrer Mitglieder eher geschädigt als gefördert.

Allerdings kann in Einzelfällen die Rücksicht auf das Gemeinwohl (Gemeinschaft) oder dritte Personen die Wissenden dazu drängen, einen Menschen seinens falschen guten Rufes zu berauben (Pflichtenkollision).

3. Da jeder Mensch seinen guten Ruf braucht, ist er verpflichtet, für ihn zu sorgen. Verstärkt wird diese Pflicht durch die Rücksicht auf Personen, die mit dem Menschen verbunden sind (Familie, Stand) und durch seinen schlechten Ruf Schaden leiden würden, und allg. auf die Mitmenschen, die durch den guten Ruf des einzelnen zum guten (letztl. auf Gott ausgerichteten) Verhalten angeregt werden. „So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt 5,16; vgl. 2 Kor 8,21). Augustinus sieht die Rücksicht auf den Mitmenschen sogar als Hauptmotiv des Strebens nach dem guten Ruf an (Conf. X 37,62, PL 32,805) und sagt, man handle unklug und gefühllos, wenn man sich nur um das Gutsein, nicht auch um den guten Ruf kümmere; „uns näml. ist unsere Lebensführung unentbehrlich, dem anderen unser Ruf“ (De bono vid. 27, PL 40,448).

Der wichtigste Teil der Sorge für den guten Ruf besteht natürl. darin, daß man durch gutes Verhalten eine tragfähige Grundlage für ihn schafft. Man muß aber auch darauf achten, daß der eigene gute Ruf von niemanden ungerechtfertigt verletzt wird. Wenn man damit nicht restlos Erfolg hat, entspricht es christlicher Gesinnung, darin ein Anteilhaben am bitteren Kelch des Herrn zu erblicken (vgl. Joh 8,11). „Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch alles Böse lügnerisch nachsagen um meinetwillen. Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn ist groß im Himmel“ (Mt 5,11 f).

Man darf sich aber nicht allzu rasch als unverschuldet Leidenden ansehen. Die üble Nachrede, die man erfährt, kann sich ja auch auf wirkliche Fehler stützen. Echte Demut verlangt dann die Anerkennung der unerfreul. Wirklichkeit (vgl. Ps 7,4.6), die man freil. zu verbessern trachten muß.

4. Jedermann ist verpflichtet, das Recht des Mitmenschen auf seine Ehre und seinen guten Ruf zu achten.

a) Die gute Meinung muß wenigstens so weit gehen, daß man nicht grundlos von einem anderen Schlechtes annimmt, vielmehr ein rechtschaffenes Leben bei ihm vermutet. Selbst bei beründetem Zweifel an seiner Rechtschaffenheit empfiehlt es sich, mit dem Urteil zuzuwarten; die Nächstenliebe neigt dazu, eher das Bessere anzunehmen, selbst auf die Gefahr der Täuschung hin. Vorsichtsmaßnahmen gegenüber Unbekannten enthalten noch keine Behauptung über deren Schlechtigkeit, sondern rechnen nur mit der Möglichkeit des Bösen; freil. kann die Vorsicht zu übertriebenem Mißtrauen ausarten. Wer ohne Grund Fehler eines anderen annimmt (vermessenes Urteil), tut ihm Unrecht, und umso mehr, je ärgere Fehler er annimmt und je ernsthafter er es tut; die eigene lieblose Gesinnung läßt ihn vom Nächsten Böses denken. „Urteilt nicht nach dem Schein,sondern fällt ein gerechtes Urteil“ (Joh 7,24).

b) Die innere Achtung vor dem Mitmenschen drängt zum Ehrenerweis (vgl. Röm 12,10). Wer gewisse Umgangsformen einhält, die die gegenseitige Achtung zum Ausdruck bringen, ist höflich; im äußeren Ehrenerweis versagt, wer gegen den Mitmenschen unhöfl. oder grob ist, am ärgsten, wer den Mitmenschen beschimpft (Höflichkeit). Grobheit versucht man manchmal als Geradheit zu rechtfertigen. Man müßte jedoch bedenken, daß der Grobe sich nicht nur im Äußeren, sondern auch im Inneren gehen läßt und gerade durch Wahrung äußerer Formen auch zu einer inneren Zügelung kommen könnte.

c) Die Pflicht, den guten Ruf des Mitmenschen zu achten, ist unschwer hinsichtl. des wahren guten Rufes einzusehen. Diese durch Rechtschaffenheit erworbene Lebensgrundlage kann ja nur durch Verleumdung (calumnia), d.h. durch unwahre oder für unwahr gehaltene herabsetzende Rede, zerstört werden. Das dadurch begangene Unrecht richtet sich in der Schwere nach dem angerichteten Schaden, der nicht nur vom Inhalt der Behauptung, sondern auch von der Festigkeit der Aussage sowie von der Beschaffenheit des Verleumdeten, des Verleumders und der Zuhörer abhängt. In der Hl. Schrift wird Verleumdung des öfteren verurteilt (Lev 19,16; Spr 30,10; Sir 5,14; 21,28). Kirchl. Verurteilungen weisen darauf hin, daß sie schwere Sünde sein kann (D 2143 f). Die Liebe zum Mitmenschen gebietet, auch dessen falschen guten Ruf zu schonen. Die Ehrabschneidung (detractio), d.h. die ungerechtfertigte Aufdeckung wahrer oder für wahr gehaltener Fehler eines anderen, richtet sich in der Schwere ebenfalls nach dem unnötig angerichteten Schaden. Paulus nennt die Ehrabschneider unter denen, die die verworfene Gesinnung der gottfernen Heiden zeigen (Röm 1,30), und wünscht diesen Mangel unter den Christen nicht vorzufinden (2 Kor 12,20). Auch andere Apostel wenden sich gegen ihn (Jak 4,11; 1 Petr 2,1). Bes. bösartig wird die Ehrabschneidung, wenn sie zum Zweck geschieht, Freunde zu entzweien (Ohrenbläserei, susurratio). „Ein sündhafter Mensch macht die Freunde durcheinander, und unter friedl. Lebende schleudert er Haß“ (Sir 28,9; vgl. 28,13; Spr 6,19; Röm 1,29).

Die Aufdeckung geheimer Fehler des Mitmenschen ist gerechtfertigt, wenn zu ihr eine Rücksicht drängt, die stärker ist als die Rücksicht auf diesen Mitmenschen. Demgemäß haben sich Angehörige bestimmter Berufe (z. B. Zeitungsberichterstatter, Historiker) zu fragen, ob und wie weit ihre Darstellung menschl. Versagens angezeigt ist.

Der Hörer kann an Ehrabschneidung oder Verleumdung dadurch mitschuldig werden, daß er zu ihr anreizt, ihr zustimmt oder sie wenigstens nicht verhindert, obwohl er leicht könnte.

5. Der in seiner Ehre und in seinem guten Ruf zu Unrecht Verletzte hat einen Anspruch auf Wiedergutmachung des Schadens, der ihm an der Ehre, am guten Ruf und damit vielleicht auch an anderen Gütern zugefügt wurde.

Am leichtesten kann wiedergutmachen, wer über den Mitmenschen nur innerlich schlecht geurteilt hat: Er braucht dieses vermessene Urteil nur aufzugeben. Wer auch äußerl. den anderen zu Unrecht an seiner Ehre gekränkt hat, muß mehr leisten, näml. die Verletzung auch im Äußeren entsprechend wettzumachen suchen (durch zuvorkommendes Verhalten, Bitte um Verzeihung, sonstige zur Wiederherstellung des Ansehens erforderl. Genugtuung). Der Gekränkte soll im Geist des Christentums bei allem notwendigen Bedachtnehmen auf die eigene Ehre ohne Haß und Rachsucht (Mt 5,39) zur Vergebung bereit sein: „Vergebet, und euch wird vergeben werden“ (Lk 6,37; vgl. Mt 5,39). Der Verleumder ist verpflichtet, vor allem seine unwahren Behauptungen zurückzuziehen. Der Ehrabschneider darf zwar nicht widerrufen, da er damit lügen würde; er muß jedoch trachten, den verletzten guten Ruf nach Möglichkeit auf andere Weise wiederherzustellen (z.B. durch Hervorhebung des Lobenswerten; Vorbringen von Gründen, die die erzählten Fehler als weniger arg erscheinen lassen; Ehrenerweise).


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