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System (der Moraltheologie)

Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 1547-1550

Wie jede Wissenschaft strebt die Moraltheologie nach der systematischen Bewältigung ihres Wissensgebietes, d.h. nach einer Zusammenordnung des Inhaltes der Offenbarungssittlichkeit, die nicht nur einen Überblick über das Ganze gibt, sondern auch dem Teil im Ganzen den ihm zukommenden Platz zuweist und ihn so verständlicher macht.

I. Die Offenbarung selbst bietet die sittl. Erkenntnisse nicht in systematischer Ordnung (Hl. Schrift). Diese wird erst in jahrhundertelangem Bemühen der Theologen geschaffen. Nach bedeutenden Teilversuchen mancher Kirchenväter legt Thomas von Aq. im 2. Teil seiner Summa Theologica das erste moraltheolog. System vor (vgl. Geschichte der Moraltheologie).

II. Da die Sache ihrer Natur nach mehrere Ordnungsgesichtspunkte zuläßt, ist es tatsächl. zu verschiedenen Systembildungen gekommen.

1. Die Offenbarung zeigt, daß von Gott allen Menschen dieselbe wesentl. Bestimmung (die Verwirklichung der Liebe) zugedacht ist; und die Menschen, denen diese Aufgabe gestellt ist, haben miteinander dieselben Grundzüge ihres Wesens gemeinsam (Natur). Darauf muß man sich beim Bestreben, konkrete sittl. Fragen zu lösen, immer wieder besinnen. Die Moraltheologie geht sachrichtig vor, wenn sie in ihrer Erörterung der Offenbarungssittlichkeit die allg. gültigen Grundbegriffe und Grundsätze voranstellt. Tatsächl. widmet jedes Gesamtwerk der Moraltheologie diesen Überlegungen einen allg. oder fundamentalen Teil. Nach Thomas von Aq. sind die Fragen der Sittlichkeit zuerst „in universali“, dann „in particulari“ zu erwägen (S.Th. 1,2 q.6 prol.).

2. Die Unterschiede beginnen dann, wenn man darangeht, in einem speziellen Teil die Erfüllung der sittl. Grundaufgabe in den wichtigsten Bereichen des menschl. Daseins aufzuzeigen.

a) Wenn man darauf achtet, daß der Mensch in sich den sittl. Wert (die Liebe) zu verwirklichen hat (Tugend), kann man die Fülle der einzelnen Aufgaben nach den Haupttugenden gliedern. Thomas von Aq. baut in seiner Summa Theologica die Erörterung spezieller moraltheol. Fragen nach den drei göttl. und den vier Kardinaltugenden auf, und viele folgen später dieser Siebentugendlehre, weil sie derart ihre Darlegungen im großen und ganzen logisch gliedern und den positiven Gehalt der christl. Sittlichkeit zeigen können. Gegen diese Art der Einteilung läßt sich aber einwenden, daß sie manche Teile des zu behandelnden Stoffes nur gezwungen an einer bestimmten Stelle unterbringt (z.B. die Gottesverehrung im Anhang an die Gerechtigkeit) und daß sie für die Darstellung der Offenbarungssittlichkeit nicht als ganz passend erscheint, da der Gesichtspunkt, den sie anwendet, nicht der Offenbarung entstammt.

b) Dieser letzte Einwand fällt bei der häufig gebrauchten Einteilung nach dem Dekalog (Catechismus Romanus, Alfons M. di Liguori; Calvin, Melanchthon) weg. Gegen sie ist jedoch zu sagen, daß sie noch mehr gekünstelte Konstruktionen anwenden muß als die Siebentugendeinteilung; daß der Dekalog dem AT entnommen ist (vgl. Alttestamentl. Ethik), nicht dem NT, um dessen Sittlichkeit es der Moraltheologie vorwiegend geht (vgl. Neutestamentl. Gesetz); daß der Dekalog nicht in seinen ursprüngl. bibl. Fassungen, sondern nur in beträchtl. Umformung verwendet werden kann.

c) Von immer mehr Moraltheologen wird eine weitläufige Einteilung nach naturgegebenen Gegenstandsbereichen bevorzugt, in denen der Mensch seinen sittl. Auftrag (der Liebe) zu erfüllen hat. Damit wird einerseits der in der Offenbarung enthaltene Anruf des persönl. Gottes, andererseits der angerufene Mensch in seinen wesentl. Daseinsordnungen beachtet. Als die wichtigsten Bereiche können genannt werden: das Leben mit Gott (Gottesliebe, die allerdings nicht neben anderen Arten der Liebe zu verwirklichen ist, sondern sie alle umfangen soll), die eigene Persönlichkeit (Selbstliebe), die menschl. Mitwelt (Nächstenliebe, Gemeinschaft), die nichtmenschl. Umwelt (Liebe zur Schöpfung; Welt).


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