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Seligkeitsverlangen

Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 1428 f

Im Menschen findet sich ein starkes Verlangen nach Seligkeit, nach erfülltem Ruhen in dem Gut, das dem Menschen voll entspricht (vgl. Thomas von Aq., S.Th. 1,2 q.1 a.8 ad obi.; q.3 a.1).

Für das moraltheol. Denken von Augustinus und Thomas von Aq. spielt das Seligkeitsverlangen des Menschen eine wichtige Rolle. Das NT und die Kirche lehren, daß dem Menschen in der Erreichung seines letzten Zieles die volle Seligkeit beschieden wird und daß es dafür auf Erden Vorstufen gibt (vgl. Bestimmung).

Unbestreitbar ist der christl. Sittlichkeit ein eudaimonistischer Zug, ein Ausblicken nach der Seligkeit, eigen (vgl. Verdienst). Das wurde ihr zum Vorwurf gemacht, als fördere sie damit die Selbstsucht.

Der Vorwurf verliert aber seine Berechtigung, wenn man darauf achtet, welche Art von Selbstliebe von der christl. Sittlichkeitslehre als berechtigt, ja pflichtgemäß angesehen wird: nur eine solche, die in der Erfüllung des sittl. Grundauftrages an den Menschen Platz finden kann. Dieser Grundauftrag heißt Liebe zu Gott und mit Gott, d.h. Liebe zu denen, die von Gott geliebt werden. Zu den Gottgeliebten gehört jeder Mensch selbst; zur wahren christl. Selbstliebe gelangt der Mensch, wenn er es lernt, sich im Sinn Gottes zu lieben. Durch diese Einstellung auf Gott und auf die von ihm Geliebten hin wird jene Verzerrung vermieden, die das unedle und selbstsüchtige Seligkeitsverlangen kennzeichnet. Gott steht an erster Stelle, zu ihm und zum Mitmenschen hin überschreitet der Mensch die Grenzen seines eigenen Ich; die Glückseligkeitsfrage sucht er als Folgefrage nur in Unterordnung unter Gott, nicht aber als Hauptfrage unabhängig von ihm zu lösen. In der Erreichung seines wahren Gutes, das der Mensch aus der Gottesliebe heraus wünschen muß, findet er Lebenserfüllung, Ruhe, Seligkeit. Wenn Seligkeit naturnotwendig mit der Lebenserfüllung verbunden ist (die Tiefenpsychologie hat darauf achten gelehrt), darf man dem, der zur Lebenserfüllung verpflichtet ist, das Verlangen nach der Seligkeit vernünftigerweise nicht verwehren. Die Kirche hat daher die Ansicht Fènelons, jedes Seligkeitsverlangen sei unvollkommen, als einseitige Übertreibung abgelehnt (D 3251–73).


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