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Staat

Karl Hörmann: LChM 1969, Sp. 1132-1143

1. Innerhalb der Bevölkerung eines Gebietes ergeben sich viele Überschneidungen der Interessen einzelner und ihrer Verbindungen. Zu ihrem Ausgleich auf die bestmögl. Daseins- und Entfaltungsbedingungen aller (Gemeinwohl) hin bedarf es einer Autorität, die mi t entsprechenden Befugnissen ausgestattet ist. Eben diese Gemeinschaft der Bevölkerung eines größeren Gebietes, die zur Verwirklichung ihres Gemeinwohls eine Autorität mit entsprechenden Befugnissen besitzt, ist der Staat. Wie jede Gesellschaft ist der Staat seinem Sein nach nicht Substanz (wie die menschl. Person), sondern Beziehungswirklichkeit zwischen Substanzen (Personen), Ordnungsgefüge (Pius XII., UG 2278 3455 [DRM XIV 327 f, XII 60]). Insofern er seinen Giedern umfassend die Voraussetzungen zur vollen Persönlichkeitsentfaltung verschafft, heißt er vollständige Gesellschaft (societas completa); insofern er diese ihm eigene Aufgabe unabhängig von jeder andern Gesellschaft zu erfüllen vermag, nennen wir ihn vollkommene Gesellschaft (soc. perfecta; vgl. Pius XII., UG 77 [DRM III 427 f]). Die im Staat lebende Bevölkerung (das Staatsvolk, die Gesellschaft des Staates) hat dem Staat die rechtl. Sicherung der besten Voraussetzungen für ihr Zusammenleben übertragen. Der Staat hat an der Gesellschaft also nur eine bestimmte Aufgabe, die politische (das Bemühen um diese Sicherung = Politik, von Polis, dem griech. Stadt-Staat), zu erfüllen; er deckt sich nicht einfach mit der Ges. Das Gebiet, das ein Staat umfaßt, kann verschieden groß sein. Infolge der weltweiten Zusammenhänge werden heute internationale Zusammenschlüsse notwendig, an die die einzelnen Staaten einen Teil ihrer unabhängigen Rechte (Souvränität) und ihrer Aufgaben abtreten müssen, die daher manche Züge des Staates tragen.

Seinen Ursprung verdankt der Staat der Tatsache, daß innerhalb der in einem Gebiet lebenden Bevölkerung von Natur aus verschiedene Beziehungen da sind, die der rechtl. Regelung bedürfen, und daß zu diesem Zweck eine Gewalt geschaffen und mit entsprechenden Rechten ausgestattet werden muß. In diesem Sinn leitet der Staat seine Daseinsberechtigung aus der auf den gesellschaftl. Zusammenschluß angewiesenen Natur d. Menschen (und letztl. von deren Schöpfer) und nicht bloß aus dem reinen Belieben des staatengründenden Menschen (Vertragstheorie, Rousseau) her. Schon gar nicht entsteht der Staat allg. aus dem Unrecht von Machthabern (Anarchismus). Der Staat ist vielmehr eine von Natur aus notwendige Gesellschaft (soc. naturalis). Die Offenbarung anerkennt die grundsätzliche Berechtigung der Staatsgewalt und damit des Staates selbst. Die konkrete Gestalt des einzelnen Staates (welches Gebiet er umfassen soll, wer Träger der Staatsgewalt sein und welche Befugnisse dieser haben soll) jedoch liegt nicht schon von Natur aus fest; darin hat der Wille des Volkes (Verfassung, Wahlen) zu entscheiden. Wer in all dem notwendige Wirkungen von immanenten Weltgesetzen erblickt (Pantheismus, Materialismus) verabsolutiert den Staat in unzulässiger Weise.

Die Menschen eines Gebietes verwirklichen ihren Staat, damit er ihr Zusammenleben rechtl. schütze und fördere. Der Zweck des Staates ist also jener Bereich des Gemeinwohls, der öffentl. Ordnung genannt wird (Pius XII., UG 44 231 691 3214 [DRM III 413, IV 332, V 88, VIII 369]; Johannes XIII., PT 54, AAS 1963,272; 2. Vat. Konz., GS 74; DH 3 6 f ; AA 14), die Schaffung bestmöglicher Voraussetzungen dafür, daß die gesellschaftlich verbundenen Menschen ihre wesentliche Aufgabe, die verantwortl. Selbstgestaltung ihres Lebens, erfüllen können (Pius XII., UG 45 508 [DRM III 413 f.113]; Johannes XXIII., MM 65, AAS 1961,417; 2. Vat. Konz., GS 74). Dementsprechend muß es sein Bestreben sein, seinen Bürgern nach Möglichkeit ihre Freiheit zu belassen und sie nur bei ernster Notwendigkeit für das Gemeinwohl einzuschränken. Ja der Staat kann seine eigene Aufgabe umso besser erfüllen, je mehr seine Bürger frei entscheidend daran Anteil nehmen, je mehr er also echt demokratisches Gepräge hat.

Eine zu geringe Meinung von der Aufgabe des Staates hat der individualistische Liberalismus: Der Staat habe nur die durch das geschriebene Recht verbürgte Freiheit der einzelnen zu schützen (liberaler Rechts-Staat); durch das freie Spiel der Kräfte komme von selbst das beste Ergebnis für die Mitglieder der Gesellschaft zustande. Dabei wird jedoch übersehen, daß für das Gedeihen der einzelnen die Nichtbehinderung ihrer Freiheit vielfach nicht genügt, sondern auch positive Hilfsmaßnahmen notwendig sind. Tatsächlich brachte der Liberalismus im 19. Jh. nicht das erwartete gute Ergebnis, sondern die Verelendung einer großen Zahl, worauf Leo XIII. nachdrücklich verwies („Rerum novarum“, ASS 23,641 f). Die Gemeinwohlaufgabe des Staates umfaßt eben neben dem Rechtsschutz auch die Sorge für die Wohlfahrt.

Umgekehrt übertrieben kollektivistische Systeme die Bedeutung des Staates: Sie machen ihn für sämtl. Angelegenheiten des menschl. Lebens zuständig und liefern die Freiheit des Menschen an ihn aus. Auf dem Boden dieser Auffassung wachsen die totalitären Machtstaaten, die nicht mehr im Dienst des Einzelmenschen stehen, sondern sich als Selbstzweck betrachten und vom einzelnen unerbittl. jedes Opfer verlangen (Pius XII., UG 39 46 4077 f [DRM II 412.414, VII 312 f]). Damit vergreifen sie sich aber am Menschen, zu dessen Wesen und Würde es gehört, nicht bloß als Mittel zu andern Zwecken behandelt, sondern als Selbstwert geachtet zu werden und seine Angelegenheiten, soweit er dazu fähig ist, selbst zu besorgen (Subsidiaritätsprinzip; vgl. Gemeinschaft; Menschenrechte). Wenn das Volk an der Staatsgründung frei mitwirken kann, will es kaum irgendwo sein Leben dem Staat als Allherrscher restlos unterwerfen. – Der Kommunismus behauptet, das Übergewicht, das er dem Staat gibt, solle nicht immer dauern; im erstrebten Endzustand solle der Staat mit seinem Recht absterben und solle es nur noch die „Regeln des kommunistischen Zusammenlebens“ geben, für deren Einhaltung die öffentl. Meinung sorgen werde; allerdings könne man auf den Staat als Machtinstrument erst verzichten, wenn der Kommunismus in der Welt endgültig gesiegt habe; bis dahin müsse man den sozialistischen Staat mit seinem Recht stärken. Es erscheint jedoch kaum als wahrscheinl., daß die Menschheit auf die Ordnungsfunktion des Staat je wird verzichten können.

2. Zur Hinordnung der sich überschneidenden Interessen der Staatsbürger und ihrer Verflechtungen auf das Gemeinwohl sind Stellen notwendig, die mit entsprechender höchster Leitungs(Regierungs-)gewalt (Jurisdiktion; potestas publica, suprema) ausgerüstet sein müssen (Pius XII., UG 3480 [DRM VI 240]). Wenn das Volk die Regierenden wählt und ihre Befugnisse näher abgrenzt, schafft es damit doch nicht erst grundsätzl. die Leitungsgewalt; diese geht vielmehr als naturnotwendig letztl. auf den Schöpfer zurück (D 3150 [1855]; Pius XII., UG 3450 3481 3763 4103 [DRM XII 159, VI 241, IX 601 f, VII 393 f]; Johannes XXIII., PT 46, AAS 1963,269). Die Offenbarung anerkennt daher in gelegentl. oder mehr programmatischen Äußerungen die Staatsgewalt als zu Recht bestehend. „Durch mich regieren die Könige, verfügen die Träger des Amtes das Rechte“ (Spr 8,15). „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist“ (Mt 22,21; vgl. Spr 24,21). Deutl. zeigt Paulus den Zusammenhang der Staatsgewalt mit Gott auf: „Jedermann ordne sich der obrigkeitl. Gewalt unter; denn es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott ist. Die bestehenden (Gewalten) sind von Gott angeordnet. Wer sich daher der Gewalt widersetzt, widersetzt sich der Anordnung Gottes; die sich aber widersetzen, ziehen sich selbst das Gericht zu. Nicht das gute Werk hat Grund, die Obrigkeit zu fürchten, sondern nur das böse. Du willst die Gewalt nicht fürchten müssen? Dann tue, was recht ist, und du wirst von ihr Lob erhalten. Denn sie ist für dich Gottes Dienerin für das Gute. Wenn du aber Böses tust, so fürchte, denn nicht umsonst trägt sie das Schwert. Ist sie doch Dienerin Gottes, Rächerin zum Zorn für den, der Böses tut. Darum ist es geboten, sich zu unterwerfen, nicht nur um des Zorns, sondern auch um des Gewissens willen. Desh. bezahlt ihr ja auch Steuern; denn Gottes Diener sind sie, wenn sie beharrl. diesem Amt obliegen“ (Röm 13,1–6; vgl. Tit 3,1). Paulus spricht von der Gewissenspflicht des Gehorsams der Staatsgewalt gegenüber, die auf Gott zurückgeht und seine Dienerin ist. Verwundern könnte uns, daß der Apostel die unrechtmäßige und ihre Macht mißbrauchende Obrigkeit nicht ausnimmt. Tatsächl. scheint er nur an die einwandfreien Forderungen der bestehenden Obrigkeit, die den Plänen Gottes dienen müssen, zu denken, ohne die Frage eines unter Umständen berechtigten und pflichtgemäßen Widerstandes aufzuwerfen. Dieselbe Grundauffassung scheint aus dem Wort des hl. Petrus zu sprechen: „Unterwerft euch jeder menschl. Ordnung um des Herrn willen, sei es dem Kaiser als dem obersten Herrn, sei es den Statthaltern als denen, die von ihm gesandt sind zur Bestrafung der Übeltäter und zur Auszeichnung der Rechtschaffenen ... Ehret den Kaiser“ (1 Petr 2,13 f.17). Die christl. Tradition und die kirchl. Lehre reden von den Urzeiten (1 Clem. 60,3–61,1 f) bis zur Gegenwart (D 3150 [1855]; Pius XII., UG 38 43 [DRM III 412 f]) im selben Sinn. „Man muß gewiß anerkennen, daß die irdische Gesellschaft mit Recht den weltl. Sorgen zugeordnet ist und darin von eigenen Prinzipien geleitet wird“ (2. Vat. Konz., LG 36).

Mit der grundsätzl. Zurückführung der staatl. Leitungsgewalt auf Gott sind noch nicht deren Träger und ihre Befugnisse im einzelnen bestimmt. Abgesehen vom Ausnahmefall der atl. Theokratie ist es Sache des Staatsvolkes, die Träger der Staatsgewalt durch Wahl zu bezeichnen und die ihnen grundsätzl. übertragenen Leitungsbefugnisse durch Annahme einer Verfassung näher abzugrenzen. Die kirchl. Lehre ist nicht auf eine Regierungsform festgelegt, sondern sieht verschiedene als zulässig an, wenn sie nur die Grundrechte der menschl. Person und der Familie achten und dem Gemeinwohl dienen, würdigt aber bes. für die Gegenwart die Vorzüge der Demokratie (D 3150 3253 f [1855 1933 f]; Pius XII., UG 221 2134 2713–15 3469–89 3501 3503 3584 [DRM IV 328, XI 365, VII 206, VI 236–43.248.249, II 348]; Johannes XXIII., PT 52 67 73, AAS 1963,271.276.278; GS 31).

3. Damit die Träger der Staatsgewalt ihren übernommenen Pflichten nachkommen können, müssen sie mit entsprechenden Rechten ausgestattet sein. Aufgabe und damit ureigenstes Recht der Staatsgewalt ist es, für das Gemeinwohl zu sorgen und im Hinblick darauf die Tätigkeit der einzelnen und ihrer Verbände zu überwachen und zu ordnen und im Notfall zu ergänzen. Sie hat auch das Recht, all das von den Bürgern zu fordern, was ihr zur Erreichung ihres Zweckes notwendig ist (Befolgung der Gesetze im allg.; im besonderen z.B. Steuerleistung; Militärdienst, Wehrpflicht; Erfüllung der Wahlpflicht; wenn und soweit es das Gemeinwohl fordert, kann die Staatsgewalt auch in die Ordnung des Eigentums eingreifen) (Pius XII., UG 2228 [DRM VI 187]).

Entsprechend ihrer Aufgabe und ihrem Recht haben die Träger der Staatsgewalt, die aus guten Gründen in Rechtsprechung, Verwaltung und Gesetzgebung aufgeteilt ist, auch die Pflicht, umsichtig für alles zu sorgen, was für das Gemeinwohl notwendig ist (vgl. Weish 6,1–11); darin besteht die ihnen im besonderen abverlangte Erfüllung der gesetzl. Gerechtigkeit. Sie verfehlen sich, wenn sie darin nachlässig oder gar nur auf eigenes Interesse bedacht sind. Im einzelnen fällt es der Staatsgewalt zu, im internationalen Verkehr die Interessen des Staates und seiner Bürger nachdrückl., jedoch ohne Verletzung der Rechte anderer zu vertreten und gegen ungerechte Angriffe zu verteidigen. Im Innern hat sie in Gesetzgebung und Verwaltung, bes. in der Zuteilung von Vorteilen und Lasten, und in der Rechtsprechung die (austeilende) Gerechtigkeit unparteiisch und unbestechl. zu verwirklichen (vgl. Ex 23,6.8; Dtn 1,17; 16,19 f; Weish. 6,4) und die Wohlfahrt der Bürger an Leib und Geist zu fördern (Wirschafts- und Sozialpolitik, Gesundheitspflege; Unterstützung kultureller Bestrebungen).

4. Gegenüber Fehldeutungen soll die Aufgabe der Staatsgewalt in ihrem vollen Umfang, aber auch in ihren Grenzen gesehen werden.

a) Der Staat ist nicht Selbstzweck, sondern ist zum Dienst am Menschen da. Der Mensch aber ist in allen seinen Betätigungen an die Ordnung gebunden, die ihm von seiner Grundbestimmung her aufgegeben ist. Die allg. sittl. Richtlinien gelten daher auch für den politischen Bereich (Pius XII., UG 3482–88 4303 [DRM VI 241–43, -]; Johannes XXIII., PT 47, AAS 1963,269 f; 2. Vat. Konz., GS 74; AA 14), wenn auch dessen konkrete Eigenart zu berücksichtigen ist. Nur wenn der Träger der Staatsgewalt diese Bindung anerkennt, bleibt der Staatsbürger davor bewahrt, seiner Willkür ausgeliefert zu werden (Pius XII., UG 38 f.51 [DRM III 412.415]). Schon die Hl. Schrift wendet sich gegen die Verabsolutierung der politischen Herrschaft (Spr 24,21; Mt 22,21; Offb 13 f). Die Kirche, die darauf beharrt, daß der Staatsgewalt Grenzen gesetzt sind (D 2939 [1739]), schützt damit die menschl. Person.

b) Das sittl. Gesetz gebietet den Trägern der Staatsgewalt, die mit Pflichten verbundenen persönl. Rechte der Staatsbürger zu achten (Pius XII., UG 213 234 274 359 362 430 515 684 [DRM XIV 561 f, IV 333, XIII 161 f, XI 218.301, XII 155, III 115, V 86 f]; 2. Vat. Konz., GS 75).

Zu den Grundrechten des Menschen gehört es, sein Leben in eigener Verantwortung frei zu gestalten, soweit dadurch nicht die Rechte anderer verletzt werden. Der Staat darf die Freiheit der einzelnen nur dort einschränken, wo dies um des Gemeinwohls willen als notwendig erscheint oder wo der einzelne seine Freiheit zum Schaden anderer mißbraucht (Enteignung, Entmündigung, Freiheitsberaubung). Im besonderen muß der Staat anerkennen, daß der Staatsbürger verpflichtet und berechtigt ist, seinem Gewissen zu folgen, und darf von ihm nicht verlangen, was seinem Gewissen oder der sittl. Ordnung widerspricht (vgl. Menschl. Gesetz, Pflichtenkollision).

c) Einen wichtigen Bestandteil der zu achtenden Freiheit des Menschen bildet sein Recht, zur Entfaltung seiner Persönlichkeit in kleineren Gemeinschaften tätig zu sein (vgl. 2. Vat. Konz., DH 1). – Die Familie z.B. ist von Natur aus und geschichtl. schon vor dem Staat da; weil sie für das Gedeihen des Menschen unersetzl. Bedeutung hat, ist der Staat verpflichtet, sie in ihrem Eigenstand und Wirken anzuerkennen, zu schützen und zu fördern. Er darf in ihren Bereich nur dort eingreifen, wo es zur Sicherung der Rechte einzelner Familienmitglieder oder des Gemeinwohls als notwendig erscheint, nämlich dort, wo die Familienautorität versagt oder nicht ausreicht (Vormundschaft, Fürsorgeerziehung, Schutzaufsicht; vgl. Schule) (D 3685 3690–95 [2203 2207–10]; Pius XII., UG 48 [DRM III 414]; 2. Vat. Konzil, GE 3). – Auch das Eigenleben sonstiger Gemeinschaften, die zumindest in der gesellschaftlichen Natur und im Freiheitsrecht des Menschen begründet sind und seiner Lebensentfaltung dienen, soll der Staat achten und fördern und nur soweit einschränken, wie es im Interesse des Gemeinwohls notwendig wird; je weniger er sich um die Angelegenheiten, mit denen die einzelnen und ihre kleineren Gemeinschaften selbst fertig werden können, kümmert, umso erfolgreicher kann er seine Kräfte für die eigenen Aufgaben einsetzen (Subsidiaritätsprinzip) (Pius XII., UG 47 3455 3410 [DRM III 414, XI 160, -]; 2. Vat. Konz., GS 75). Der „totale Versorgungs-Staat“, der den einzelnen und ihren kleineren Gemeinschaften die Eigeninitiative erspart und verwehrt, ist nicht erstrebenswert, da er einerseits zu viel auf sich nimmt und andererseits wertvolle Kräfte, die zum Besten der Gesellschaft wirken könnten, zum Müßigsein verurteilt.

d) Unter den Gemeinschaften, die einen Anspruch haben, vom Staat in ihren Rechten geachtet zu werden, nehmen die Religionsgemeinschaften einen besonderen Rang ein. Mochte und mag sich in andern Verhältnissen der Staat mit Zustimmung des Volkes auch um die gemeinsame Religionsübung annehmen, so steht ihm das zumindest im Bereich der abendländischen Kultur nach dem Willen des Volkes, das die Leitungsbefugnisse der Staatsgewalt näher abgrenzt, heute nicht mehr zu. Im besonderen wissen die Christen, daß Christus zur Pflege des relig. Lebens eine eigene Gemeinschaft, die Kirche, gegründet und sie mit allem, was ihr zur Erfüllung ihrer Aufgabe notwendig ist, ausgerüstet hat (vollkommene Gesellschaft); so denken die Christen (wie übrigens auch weitgehend die Anhänger anderer relig. Überzeugungen) nicht daran, ihre relig. Angelegenheiten dem Staat anzuvertrauen, wollen vielmehr im relig. Leben vom Einfluß des Staats frei sein (vgl. Pius XII., UG 5903 [DRM XVII 216 f]; 2. Vat. Konz., LG 36; DH 1–15; Religionsfreiheit). Der Staatsgewalt erwachsen Rechte und Pflichten in relig. Dingen nur, soweit diese in den ihr vom Volk abgegrenzten Aufgabenkreis hineinragen (vgl. Kirche und Staat).

5. Gemäß dem Zweck des Staates hat der Staatsbürger das Recht, vom Staat und den Trägern seiner Gewalt auf dem Weg über das Gemeinwohl die Schaffung der bestmögl. Voraussetzungen für sein Bestehen und Gedeihen zu erwarten.

Anderseits ist er verpflichtet, die Bedeutung des Staates für die Erhaltung und Entfaltung seines Lebens dankbar anzuerkennen (Vaterlandsliebe in gewisser Ähnlichkeit mit der pietätvollen Kindesliebe in der Familie, fern zugleich von Überhebung und Herabsetzung des eigenen Landes) und bes. die rechtmäßigen Träger der Staatsgewalt zu achten („Ehret den Kaiser“, 1 Petr 2,17; vgl. 1 Tim 2,1 f; 2. Vat. Konz., AA 14). Diese Achtung mit der Bereitschaft zu allen sich daraus ergebenden Folgerungen nennt man auch Treue. Die Treuepflicht entspringt aus der gottgewollten Stellung der Träger der Staatsgewalt; so kann das Nichtanerkennenwollen ihrer Gewalt nicht sittlich richtig sein. Nach Paulus widersteht der Anordnung Gottes, wer sich den gottgewollten Obrigkeitsgewalten widersetzt (Röm 13,2). Die Kirche hat den Aufruhr gegen rechtmäßige Obrigkeiten immer abgelehnt (D 2963 3775 [1763 2278]), ohne jedoch die sittliche Erlaubtheit des Widerstandes gegen eine unrechtmäßige oder ihre Macht mißbrauchende Obrigkeit auszuschließen.

Aus der Anerkennung der staatl. Gewalt folgt die Pflicht des Gehorsams gegen ihre rechtmäßigen Anordnungen, ob diese gesetzl. oder andere Form haben. Die Obrigkeit kann ja ihre Leitungspflicht nicht sinnvoll erfüllen, wenn sie keinen Gehorsam findet. „Darum ist es geboten, sich zu unterwerfen, nicht nur um des Zornes, sondern auch um des Gewissens willen“ (Röm 13,5; vgl. Koh 8,2). Die Bürger, die die (hauptsächl. in Gesetzen gestellten) gerechten Gemeinwohlforderungen (z.B. Leistung von Steuern; Militärdienst) des Staates erfüllen, geben damit dem Staat das Seine und üben ihm gegenüber die (gesetzl.) Gerechtigkeit (GS 30).

Unter Umständen kann es für den Staatsbürger zur Pflicht werden, selbst als Richter, Beamter oder Volksvertreter staatl. Aufgaben zu übernehmen und so Träger der Staatsgewalt zu werden.


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