Tapferkeit
Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 1549-1553
1. Als Tapferkeit (Starkmut, fortitudo) bezeichnet man die starke Bereitschaft des Menschen, sich mit seinem sittl. guten Streben gegenüber Schwierigkeiten durchzusetzen (vgl. Thomas von A., S.Th. 2,2 q.123 a.1).
a) Wenn man auf die Schwierigkeiten achtet, vor die sich der Mensch in seinem guten Wollen gestellt sieht, denen er aber nicht in Furcht weichen darf, denen er vielmehr entschlossen entgegentreten soll, kann man von Tapferkeit als einer Tugend mit eigenem Bereich sprechen (vgl. Thomas von A. ebd. aa.2.3).
Da jedoch jegl. Tugend zur ihren vollkommenen Verwirklichung starker Entschlossenheit bedarf, kann man unter Tapferkeit als Kardinaltugend auch eben die Entschlossenheit zum Guten, die auf jedem Gebiet notwendig ist, verstehen (vgl. ebd. a.11).
b) Christl. Tapferkeit erfordert ihrem Wesen nach nicht, daß man sich vor nichts und niemandem fürchtet, wohl aber, daß man der Furcht nicht entgegen der richtigen Ordnung der Werte nachgibt (vgl. ebd. q.125 a.1). „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können. Fürchtet vielmehr den, der Seele und Leib in der Hölle verderben kann“ (Mt 10,28; vgl. 2. Vat. Konz., AA 4).
2. Mit Hindernissen, die der Verwirklichung des Guten entgegenstehen, darf sich der Mensch nicht einfach abfinden, vielmehr muß er wagend gegen sie angehen und sie klug und tatkräftig zugleich wegzuschaffen trachten (vgl. Thomas von A., S.Th. 2,2 q.123 aa.3.6.10; q.128 a.1). Paulus tadelt die korinthischen Christen, daß sie gegen die Irrlehrer nichts unternehmen, sondern sie gewähren lassen (1 Kor 11,4.19 f). Der Engel der Gemeinde von Ephesus wird dafür gelobt, daß er Schlechte nicht ertragen kann (Offb 2,2). „Unterwerft euch also Gott. Widersteht aber dem Teufel, so wird er von euch fliehen“ (Jak 4,7; vgl. 1 Petr 5,8 f).
a) Diesen Kampf hat der Christ in erster Linie mit Mitteln des Geistes zu führen, vor allem durch sein unbeirrtes Leben aus dem Glauben (vgl. Eph 6,10–20), wenn auch nicht jede Abwehr von Bösem durch Gewalt schlecht sein muß.
b) Die wagende Entschlossenheit zum Guten erreicht Hochformen in der Hochherzigkeit, die über alle Mittelmäßigkeit hinaus nach reicher Verwirklichung des Guten strebt (Thomas von A., S.Th. 2,2 q.129 aa.1.5), und in der Großzügigkeit, die dafür zu hohem Einsatz bereit ist (ebd. q.134 aa.1.4).
3. Nicht minder bewährt sich Tapferkeit im Ertragen, im Standhalten gegenüber Schwierigkeiten, die sich nicht beseitigen lassen und das gute Wollen zu ermüden drohen (Geduld, Askese). Jede Tugend wird erst durch dieses Durchhalten gesichert, das allen Schwierigkeiten trotzt (nach Thomas von A., S.Th. 2,2 q.123 a.6, ist Standhalten sogar die wichtigste Leistung der Tapferkeit).
a) Die Hl. Schrift mahnt den Christen zur Bewährung der Liebe im Leiden („Seid geduldig in der Drangsal“, Röm 12,12; vgl. 5,3 f; Apg 14,22; 1 Tim 6,11; 2 Tim 3,10; Tit 2,2; Hebr 10,36; 12,1; Jak 1,3 f; Offb 2,2 f.19; 13,10; 14,12), im Mittragen der Lasten des Mitmenschen („Einer trage des anderen Last und erfüllet so das Gesetz Christi“, Gal 6,2) und im Ertragen der Belastungen, die von ihm kommen („Alles erträgt sie“, 1 Kor 13,7; „Ertragt einander und verzeiht einander, wenn einer gegen den anderen eine Beschwerde hat“, Kol 3,13; vgl. Röm 15,1; Eph 4,2).
In geduldigem Ausharren verwirklicht der Christ einen wichtigen Zug der Nachfolge Christi („Wenn ihr standhaft Leiden aushaltet, die ihr wegen eures rechtschaffenen Handelns erfahrt, das ist Gnade bei Gott. Denn dazu seid ihr berufen; hat doch auch Christus für euch gelitten und euch ein Vorbild hinterlassen, damit ihr in seine Fußstapfen tretet“, 1 Petr 2,20 f; vgl. Hebr 12,2 f; 2 Tim 2,12).
Paulus geht diesen Weg: „Verfolgt man uns, so dulden wir“ (1 Kor 4,12; vgl. 2 Kor 6,4; 12,12). Standhaftes Ausharren ist für jeden Christen notwendig (vgl. Lk 8,15; Röm 2,7; 2 Petr 1,6), da sich nur so seine Bestimmung erfüllt: „Wer ausharrt bis zum Ende, der wird gerettet werden“ (Mk 13,13; vgl. Jak 1,12; 5,11; 1 Petr 5,4; Offb 2,10).
b) Nach der Seite des Standhaltens hin entfaltet sich Tapferkeit also bes. in Geduld (Thomas von A., S.Th. 2,2 q.134 a.4) und Beharrlichkeit (ebd. q.137 a.2); einen Höhepunkt erreicht sie im Martyrium (ebd. q.124).
4. Der Christ findet die Kraft zur Tapferkeit, wie übrigens zu jeder Bewährung christl. Lebens, nicht in sich, sondern in Gott. Paulus, der wegen seiner Schwachheit betet, von der Anfechtung befreit zu werden, erhält zur Antwort: „Es genügt dir meine Gnade; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet“ (2 Kor 12,9; vgl. Mk 10,27; Joh 15,5).
a) Israel wurde in der Bedrängnis zum Vertrauen auf Gott ermuntert (vgl. Dtn 20,3 f). Viel mehr noch gilt im NT: „Werdet stark im Herrn und in der Kraft seiner Stärke“ (Eph 6,10). Die Apostel, denen Christus die Kraft des Hl. Geistes verheißen hatte (Apg 1,8), gaben nach dem Geistempfang „mit großer Kraft“ Zeugnis von der Auferstehung Jesu (Apg 4,33), und Stephanus wirkte „voll Gnade und Kraft“ (Apg 6,8). „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht“ (2 Tim 1,7). Er hat die Macht zu stärken und stärkt tatsächl. (Kol 1,11; vgl. 2 Thess 2,17; 3,3; 1 Petr 4,11; 5,10), im besonderen zum Standhalten gegen den Teufel (Eph 6,11) und zum Bestehen in der Versuchung (1 Kor 10,13). „Alles vermag ich in dem, der mich stärkt“ (Phil 4,13).
Christl. Tapferkeit schöpft also ihre Kraft aus dem Glauben („Alles ist dem mögl., der glaubt“, Mk 9,23; vgl. Mt 17,20), der die Welt überwindet (1 Joh 5,4 f), aus der Hoffnung auf die Nähe des Herrn (Jak 5,8), aus Gebet und Fasten (Mk 9,29; Jak 5,16).
b) Vollendet wird die Tugend der Tapferkeit durch die als Gabe des Hl. Geistes von Gott verliehene Stärke (Jes 11,2; vgl. Thomas von A., S.Th. 2,2 q.139).
5. Der Mensch läßt es an Tapferkeit fehlen, wenn er sich aus Furcht zu einem sittl. unrichtigen Verhalten bewegen läßt (Thomas von A., S.Th. 2,2 q.125 aa.1.2), sich von Kleinmut beherrschen läßt (ebd. q.133 aa.1.2), sich in Kleinlichkeit (Minimalismus) auf ein Mindestmaß an sittl. Leistungen beschränken will (ebd. q.135 a.1), sich in Weichlichkeit jede sittl. Mühe ersparen will (ebd. q.138 a.1).
Er kann aber auch Zerrbilder an die Stelle der Tapferkeit setzten: falsche Furchtlosigkeit, näml. dort, wo Furcht angebracht wäre (ebd. q.126 aa.1.2); durch nichts gezügelte Verwegenheit (ebd. q.127 aa.1.2); Vermessenheit, die sich unvernünftig viel zutraut (ebd. q.130 aa.1.2); Ehrgeiz, der seine Kraft nicht für hohe sittl. Ziele, sondern für die eigene Erhöhung einsetzt (ebd. q.131 aa.1.2); Ruhmsucht, der es ebenfalls nicht um die Verwirklichung des Guten, sondern um eigenes Gelten geht (ebd. q. 132 aa.1.2).