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Treue

Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 1603-1606

1. Die Treue (fidelitas) des Menschen besteht in seiner Bereitschaft, seine Taten seinen Versprechungen anzupassen (vgl. Augustinus, De mend. 20,41; CSEL 41,462 f; Thomas von A., S.Th. 2,2 q.80 a. un. ad 3; q.88 a.3). Wie der Wahrhaftige seine Worte seiner Überzeugung anpaßt, so der Treue seine Taten seinen Worten.

Daß die Treue eine gute Haltung (Tugend) ist, auf die der Mensch verpflichtet ist, ergibt sich daraus, daß sie, ähnl. wie die Wahrhaftigkeit, nicht nur das Vertrauen der Menschen untereinander und damit ihr Zusammenleben fördert, sondern auch einen wichtigen Zug jener Einheit im Menschen verwirklicht, die ein Abbild der göttl. Einheit ist. So genießt die Treue in der ganzen Menschheit und in der Hl. Schrift hohes Ansehen. „Ein treuer Freund ist ein starker Schützer, wer einen solchen gefunden, hat ein Vermögen gefunden. Für einen treuen Freund gibt es keinen Preis, und nichts wiegt seinen Wert auf. Wie Lebensbalsam ist eine treuer Freund“ (Sir 6,14–16; vgl. Spr 25,13). „Recht so, du guter und getreuer Knecht, du bist über weniges getreu gewesen, ich will dich über vieles setzen. Geh ein in die Freude deines Herrn“ (Mt 25,21; vgl. 24,45; Lk 16,10–12; 1 Kor 4,2; Tit 2,10). Als höchstes Vorbild der Treue erscheint in der Hl. Schrift (vgl. Dtn 7,9; 32,4; Ps 30 [31],6; 85 [86],15) Gott, der sogar dem ungetreuen Volk Israel den geschlossenen Bund in Treue hält (vgl. Hos 2,16–23; 11,7–9; Röm 3,3; 11,29; 15,8). „Gott aber ist treu“ (1 Kor 10,13). Gott erweist sich als treu (1 Kor 1,9; 10,13; 2 Kor 1,18; 1 Thess 5,24), da er seine Verheißungen in seinem Sohn, dem „getreuen Zeugen“ (Offb 1,5; vgl. 3,14; 19,11; 2 Thess 3,3; 2 Tim 2,13; Hebr 2,17; 3,2), erfüllt.

So ist menschl. Treue letztl. Verwirklichung der Nächstenliebe und der Liebe zu Gott, dem Treuen, dessen Bild in der Treue des Menschen aufleuchtet. Die Kirche mahnt unermüdl. zur Treue, z.B. in der Ehe oder gegenüber der verantwortungsbewußten rechtmäßigen Obrigkeit (Staat).

2. Als Treueverpflichtung bezeichnet man die sittl. Bindung an ein gegebenes Versprechen.

a) Sie tritt für den ein, der ein gültiges Versprechen gemacht hat (vgl. Thomas von A., S.Th. 2,2 q.88 a.3 ad 1).

a 1.) Der Versprechende drückt einem anderen gegenüber aus, daß er jetzt den Willen hat, künftig etwas zu leisten, und daß er sich diesem anderen gegenüber auch dazu verpflichten will.

Vom Versprechen unterscheidet sich der bloße Vorsatz, der nicht einem anderen gemacht wird und nur bindet, wenn er sich auf die Verwirklichung eines Guten bezieht, zu der man ohnehin verpflichtet ist.

Ein Versprechen kann ausdrückl. gegeben werden. Es kann auch in einer anderen Handlung eingeschlossen sein, z.B. im Eingehen eines Vertrauens- oder Vertragsverhältnisses, durch das man bestimmte Pflichten auf sich nimmt (Ehe, Dienst, Anstellung).

a 2.) Die Treuebindung ist zunächst eine rein sittl. (vgl. Thomas von A., S.Th. 2,2 q.88 a.3 ad 1), nicht eine rechtliche und erzwingbare. Doch kann eine Rechtspflicht entstehen, wenn man dem Versprechen die Form eines Vertrages gibt oder wenn man es bewußt darauf ankommen läßt, daß der andere durch das Vertrauen auf die Treue, die nicht gehalten wird, Schaden leidet (Betrug).

a 3.) Das Versprechen verpflichtet dem gegenüber, dem es gemacht wird, auch dem Feind gegenüber (vgl. Thomas von A., S.Th. 2,2 q.40 a.3), wenn nicht ein besonderer Grund die Pflicht erlöschen läßt (2 d).

a 4.) Wer etwas verspricht, ohne sich zur Einhaltung verpflichten zu wollen, begeht eine Lüge. Wer das Versprechen nicht hält, handelt treulos (vgl. Thomas von A., S.Th. 2,2 q.110 a.3 ad 5).

b) Nur ein gültiges Versprechen schafft Treuepflicht. Ein Versprechen gilt, 1.) wenn es von einer entscheidungsfähigen Person gemacht wird, 2.) wenn diese tatsächl. überlegt und frei entscheidet, 3.) wenn sie über den Gegenstand des Versprechens verfügen kann, 4.) wenn der Gegenstand mögl. und sittl. erlaubt ist, 5.) wenn der, dem das Versprechen gemacht wird, es annimmt.

c) Das Gewicht der sittl. Verpflichtung aus einem Versprechen hängt wesentl. vom Willen des Versprechenden ab. Im allg. ist anzunehmen, daß er sich zu einer bedeutenden Sache schwer verpflichten will; manche Sachen sind sogar derart bedeutend, daß sie nur mit dem Willen zu starker Bindung ernsthaft versprochen werden können. Nichteinhaltung eines Versprechens kann den Charakter einer vollpersonalen Entscheidung gegen das sittl. Gesetz und damit gegen Gott (schwere Sünde) haben, z.B. wenn dadurch der, dem das Versprechen gemacht wurde, schwer gekränkt oder geschädigt wird.

d) Ein Versprechen kann aus verschiedenen Gründen zu verpflichten aufhören.

d 1.) Der, dem es gemacht wurde, kann aus freien Stücken auf die Erfüllung verzichten. Wenn er nicht befragt werden kann, können gute Gründe manchmal zur Vermutung seines Verzichtes berechtigen. Der Verzicht empfiehlt sich bes. dann, wenn der Versprechende keine Gegenleistung empfängt und ihm die Erfüllung schwerfällt.

d 2.) Bei gegenseitigem Versprechen erlischt die Verpflichtung, wenn die Gegenseite ihrer Zusage untreu wird.

d 3.) Eine unvorhergesehene wesentl. Änderung der vorausgesetzten Verhältnisse (die Erfüllung wird sittl. unerlaubt oder für den Empfänger unnütz oder schädl.) hebt die Verpflichtung auf (vgl. Thomas von A., S.Th. 2,2 q.110 a.3 ad 5).

d 4.) Dieselbe Wirkung hat die Erkenntnis, daß der zum Versprechen bewegende Grund nicht existiert (man entdeckt z.B., daß ein Mensch, dem man wegen seiner Armut etwas versprochen hat, nicht arm ist).


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