Vernunft
Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 1660 f
1. Der Moraltheologie ist es wesentl., sich an der Offenbarung auszurichten. Dadurch unterscheidet sie sich von einer bloßen Vernunftsittlichkeitslehre (Moralphilosophie).
Dennoch hält sie das Bemühen der Vernunft im Hinblick auf ihre eigene Aufgabe für wertvoll und notwendig: a) die Erhebung des sittl. Gehaltes der Offenbarung und seine Durchdringung, b) die Feststellung der für die Verwirklichung christlicher Sittlichkeit bedeutsamen Daseinsgegebenheiten (Soziologie, Geschichte, Psychologie, Biologie, Medizin usw.) und die sittl. Reflexion darüber (Moralphilosophie, Natürl. sittl. Gesetz), c) die Beurteilung der so gefundenen sittl. Einsichten im Licht der Offenbarung.
2. Der Einzelmensch kann sich für ein Verhalten in seiner sittl. Beschaffenheit (Wert oder Unwert) nur entscheiden, wenn ihm diese Beschaffenheit bewußt ist. Das reife Gewissen, zu dem außer dem Element des Wissens das Wertbetroffensein gehört, setzt voraus, daß der Mensch geistig erwacht und wach geblieben ist. Nur einem in diesem Sinn zum Vernunftgebrauch gekommenen Menschen kann sein Verhalten angerechnet werden.
Kleinkinder, die noch nicht den Vernunftgebrauch haben, und Menschen, die infolge eines Mangels nie zum Vernunftgebrauch gekommen sind (z.B. Schwachsinnige) oder ihn wieder verloren haben, sind menschlicher (sittlicher) Akte nicht fähig, daher auch nicht zurechnungsfähig. Mit dem Erwachen des Geistes entfaltet sich in Kindern auch das sittl. Leben.