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Zurechtweisung

Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 1744-1746

1. Als (brüderl.) Zurechtweisung (correptio oder correctio fraterna) wird die Mahnung bezeichnet, durch die ein Mensch einen anderen von der Sünde abhalten oder abbringen will.

Vor einer solcher Aufgabe scheuen viele Menschen zurück, und häufig mißlingt auch ihre Erfüllung. Die Gefahr des Mißlingens besteht bes. dann, wenn der Zurchtweisende sich von selbstsüchtigen Motiven leiten läßt oder unklug vorgeht. Augustinus gibt zu bedenken: „Warum weisest du ihn zurecht? Weil es dir wehtut, daß er sich gegen dich verfehlt hat? Wenn du es aus Eigenliebe tust, tust du nichts (Wertvolles). Wenn du es aus Liebe zu ihm tust, tust du sehr gut“ (Serm. 82,3/4; PL 38,507).

2. Die Gefahr der Verfälschung und die Furcht vor dem Mißlingen berechtigen den Christen aber nicht, einfach gegenüber jedem Fehlverhalten des Mitmenschen die Augen zu verschließen. Nachdem schon das AT zur Zurechtweisung ermuntert (Sir 19,13–15) und dem Hohenpriester Heli vorgeworfen hat, daß er es in der Zurechtweisung seiner Söhne an Tatkraft fehlen ließ (1 Sam 2,23–25; 3,13), mahnt Jesus: „Wenn dein Bruder sich verfehlt, so verweise es ihm“ (Lk 17,3); ebenso Paulus: „Brüder, wenn auch einer auf einem Fehltritt betroffen wird, so bringt ihn als Geistesmenschen im Geiste der Sanftmut wieder auf den rechten Weg“ (Gal 6,1). Im besonderen macht der Apostel die kirchl. Vorsteher auf ihre Pflicht der Zurechtweisung aufmerksam (1 Tim 5,20; 2 Tim 4,2; Tit 1,9.13; 2,15). An Beispielen zeigt das NT Johannes d. Täufer, der Herodes (Lk 3,19), und den rechten Schächer, der seinen Gefährten (Lk 23,40), ja Jesus selbst, der seine von unchristl. Geist geleisteten Jünger zurechtweist (Lk 9,55).

Die Pflicht der Zurechtweisung ergibt sich aus der Nächstenliebe. Wenn diese schon dazu drängt, auf das leibl. Wohl des Mitmenschen bedacht zu sein, verpflichtet sie umso mehr dazu, den Mitmenschen nach Möglichkeit von einem Fehlverhalten abzuhalten und abzubringen, das den eigentl. Wert seiner Person betrifft. Eben darum geht es in der Zurechtweisung Diese ist umso wertvoller, je mehr sich der Zurechtweisende dabei von der Liebe zu Gott und zum Mitmenschen leiten läßt.

3. Zur Zurechtweisung drängt die Nächstenliebe den Menschen nur unter bestimmten Voraussetzungen, über deren Vorhandensein die mit Liebe gepaarte Klugheit zu urteilen hat.

a) Die Pflicht tritt nur ein, wenn sich der Mitmensch in wirkl. geistiger Not befindet, näml. sicher gesündigt hat oder fest dazu entschlossen ist; wenn sich keine Anzeichen der Besserung bei ihm feststellen lassen; wenn sich kein Geeigneterer um ihn annimmt, um ihn auf den rechten Weg zurückzuführen.

b) Die Pflicht der Zurechtweisung ist nur dort anzunehmen, wo Aussicht auf Erfolg besteht, also dort, wo zu hoffen ist, daß sich der Zurechtzuweisende vom Zurechtweisenden etwas sagen läßt. Wenn das Fehlverhalten einem unverschuldeten Irrtum entspringt, kann man überlegen, welche Folgen die Zurechtweisung voraussichtl. haben wird. Bei begründeter Furcht, daß der Zurechtgewiesene bei seinem Fehlverhalten bleiben wird, jetzt aber wissend (aus der bisher bloß materialen Sünde wird eine formale), kann man rechtmäßig zum Entschluß kommen, lieber nichts zu sagen (die bloß materiale Sünde ist das kleinere Übel); dennoch soll man reden, wenn noch stärkere Gründe dazu drängen (z.B. die Rücksicht auf andere oder die Gemeinschaft).

c) Zur Zurechtweisung ist nur verpflichtet, wer daraus nicht einen unverhältnismäßig großen Nachteil zu befürchten hat; bei solchem Nachteil wird die Pflicht nicht drängend, da ihre Erfüllung als moralisch unmögl. erscheint.

4. Das Gelingen des heiklen Unternehmens einer Zurechtweisung hängt zum Großteil von der Art der Durchführung ab. Die Liebe fordert ein schonendes Vorgehen („im Geiste der Sanftmut“, Gal 6,1); das NT empfiehlt stufenweises Verfahren: zuerst geheim; wenn es nichts nützt, vor wenigen Zeugen; erst wenn auch das nichts nützt, öffentl. vor der christl. Gemeinde, der nicht nur an der Besserung des Sünders, sondern auch an ihrer eigenen Reinhaltung etwas liegen muß (Mt 18,15–17).

Besondere Gründe können allerdings ein weniger schonendes Vorgehen notwendig machen: die Liebe zum Sünder selbst, der nur durch schärferen Zugriff aufgerüttelt werden kann; die Liebe zu anderen Menschen oder zur Gemeinschaft, deren Schaden anders nicht verhütet werden kann.


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