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Vom Ablaß - eine kleine Erläuterung
(3 Dezember 2000)

Johannes Maria Hanses

Hinweis/Quelle: Publiziert auf stjosef.at mit freundlicher Erlaubnis des Autors.

Das Sprechen vom Ablaß ist schwierig geworden. Allein das Nennen des Wortes ruft bereits Emotionen und Mißverständnis hervor, was oft dazu führt, daß gar nicht mehr deutlich wird, was eigentlich gemeint ist. So macht es der Papst sich und den Predigern nicht leicht, zum Jahr 2000 ein Jubeljahr auszurufen. Ein solches ist nämlich immer auch mit einem besonderen Ablaß verbunden. Und weil unser Bischof, Dr. Hubert Luthe, die Pfarr- und Wallfahrtskirche zur besonderen Ablaßkirche erklärt hat, nehmen wir das zum Anlaß, allen Besuchern von Stiepel diese kurze Information an die Hand zu geben.

Was meint nun der Ablaß?

Ablaß meint: Das Nachlassen von Strafen, die sich aus Sünden ergeben, die hinsichtlich ihrer Schuld schon getilgt sind.

Entgegen großen Mißverständnissen meint der Ablaß etwas Wohltuendes. Es geht nicht um Geschäfte machen mit Gott oder ein Aufrechnen, nicht um Werkgerechtigkeit oder Bestechung des Himmels, sondern um eine besondere Gnade, die aus dem Herzen der Kirche und für die Kirche ausgerufen wird. Unser Tun und Handeln hat nämlich Bedeutung. Neben dem vielen Guten, das der Mensch tut, ist eben auch manches, das Folgen nach sich zieht, die ihm, wenn er damit allein bleibt, nicht gefallen können. Und um diese erlassen zu bekommen, geht es; um das Nachlassen von Strafen für sich selbst und für die bereits Verstorbenen, die ja nicht einmal der Tod von uns trennen konnte.

Den Ablaß kann nur verstehen, wer sich als Christ vor Gott nicht allein vorkommt. Wir Heutigen tun uns schwer mit dem, was Gemeinschaft in Tiefe und Konsequenz des Wortes bedeutet. Wir sind allesamt gewohnt, uns mit Gott allein zu denken und meinen, jeder muß sich in Gemeinschaft mit Christus den Himmel selbst besorgen und ist sich so letztlich doch selbst der Nächste. »ICH und mein Gott«, oder – wie Luther es aussprach: »Wie bekomme ICH einen gnädigen Gott?«, solches Denken prägt das Lebensgefühl des neuzeitlichen Christen. Die katholische Kirche hat das nie so gesehen. Wohl ist niemand von seiner Freiheit und deren Folgen dispensiert; aber jeder ist kraft der Taufe hineingeborgen in die eine große kirchliche Familie. Und er steht immer in der Gemeinschaft der Heiligen – und zwar derer, die noch ]eben, ebenso wie derer, die schon bei Gott oder in seiner Nähe sind. »Ein Leib sind wir in Christus«, tönt es freudig im kirchlichen Raum.

Christen sind also nie ganz allein vor Gott. Sie – das meint das gesamte Gefolge Jesu – helfen einander, stehen füreinander ein und einer betet für den anderen, »Einer trage des anderen Last«. So stand und steht auch immer die Bewältigung von Schuld in diesem Rahmen gemeinschaftlichen Daseins vor Gott und seiner Heiligen. Das fürbittende Gebet vermag wirklich etwas! So lehrt die Kirche seit alters her, daß wir sogar unseren Verstorbenen noch wirksam helfen können auf ihrem Weg in den Himmel, wie wir das zu Lebzeiten ja auch schon konnten.

Wie kann das nun angehen, daß der eine für den anderen etwas auf sich nimmt?

Wie kann es sein, daß wir für unsere Nächsten wirklich etwas tun können? Nun, Gott hat es so eingerichtet; die Kirche ist kein Menschenwerk, sondern von Christus selbst gebaut auf Simon, den Apostel, den er den Felsen nannte. Und Jesus forderte seine Jünger auf: »Gebt ihr ihnen zu essen«. Hier hat der Mensch eine besondere Würde: Gott mochte immer auch durch die Vermittlung derer, die zu ihm gehören, in der Welt wirksam sein. Am ehesten verstehen können wir das vielleicht von der Intuition der Zuneigung her.

Wenn uns etwa ein Freund krank wird und wir ihn leiden sehen, ersteht sehr wohl in uns der Wunsch, das nicht Rechenbare möge wahr werden. Wir wünschen, ihm etwas von seiner Not abnehmen, ihm tragen helfen zu können. Manche Gebete erstehen einfach in uns als schlichte Wünsche der Zuneigung. Mütter wissen das vielleicht am besten, wenn sie bereit sind, für ihr Kind mit ihrer eigenen Befindlichkeit einzustehen. Romano Guardini hat dazu gesagt: »Die Liebe tut so.« Und Gott wünscht sich, daß solches geschehen kann. »Simon, ich habe für dich gebetet ...«, spricht Christus.

Eines aber ist klar: Es läßt sich nicht das eine gegen das andere aufrechnen. Bei Gott klebt niemand Rabattmarken. Aber die Zuneigung, die Zusammengehörigkeit und das, was sie hervorruft, auf das hört der Schöpfer sehr wohl.

Im Jahre 1347 brachte der damalige Heilige Vater diesen alten Glauben feierlich ins Wort, als er verkündete, die Kirche berge innerhalb ihrer selbst einen liebenswerten Schatz, den thesaurus Ecclesiae. Christi Verdienst aus Liebe und die vielen guten Werke und Gebete all der heiligen Menschen treten für jene ein, die schwächer sind und solches selbst nicht aufbringen können. Die Liebe innerhalb des Volkes Gottes bringt zustande, daß jeder, der immer möchte, teilhabe und zehren könne davon. So ist der Ablaß gemeint als ein Schöpfen aus dem Reichtum der Kirche. Jeder kann kommen, wann immer er will.

Ablaß meint nun, daß aus dieser Fülle heraus einem jeden Christen nicht nur die Schuld, sondern auch deren Folgen (siehe Teil 2: »Was meint Strafe ?«) nachgelassen werden können. Und das bis über den Tod hinaus. Denn die Verstorbenen sind nicht abgeschnitten von denen, die sie lieben. Selbst der Tod vermag eine solche Grenze nicht zu setzen.

Wie geschieht das nun?

In frühen Jahrhunderten der Kirche lagen die Dinge noch klarer beieinander. Man wußte, Bewältigung von schwerer Schuld ist nie nur Sache eines Augenblicks, sondern stets ist es ein Weg, ein Werden, das, neben der eigentlichen Absolution, nun mal auch Zeit und Zeichen braucht. Eben weil der Mensch so ist. In Verbindung mit der eigentlichen Vergebung pilgerte man daher zu bestimmten Orten, tat Gutes unter den Menschen und setzte Zeichen seiner Umkehr und Neubesinnung.

Der Büßer betrat nicht einmal den Tisch des Herrn, bis er nach seiner Zeit der Buße und Belehrung feierlich wieder in die Tischgemeinschaft aufgenommen wurde. Noch heute ertönt in den Riten der Ostkirche vor der eigentlichen Wandlung der Ruf, die Katechumenen und die Sünder mögen jetzt den Raum verlassen. Ohne solche Zeiten heraufbeschwören zu wollen, wird doch deutlich, daß nach frühem Verständnis klarer als heute war, daß das Tun, Lassen und Leiden des Christen immer etwas mit seiner Lebenszeit zu tun hat und die gesamte kirchliche Gemeinschaft durchaus etwas angeht.

Der heilige Franziskus hatte das verstanden und bat den Papst, er möge seine kleine Portiuncula-Kapelle zu einem Ort erklären, an dem alle Christen, die dort hin pilgern, volle Vergebung und Wiedereingliederung erlangen können. Dahinter stand der Wunsch, es den Menschen nicht zu schwer zu machen. War ja nicht jedem gegeben, nach Jerusalem zu gehen oder ähnlich Schweres auf sich nehmen zu können. Und da man auch nicht allen den Gang zur Portiuncula zumuten mochte, gibt es heute viele Orte für diese Wallfahrt der Vergebung. Später wurden zu den besonderen Orten bestimmte Zeiten verkündet (etwa der Allerseelentag im November), und es reicht zur Not der Gang in die eigene Kirche am Ort, wenn nur das Herz am rechten Fleck schlagt. Es ist eben keine Sache des Rechnens.

Wie geschieht das heute?

Selbstverständlich nimmt all das seinen Anfang in der Begegnung mit Christus in den Sakramenten der Versöhnung und der Eucharistie. Dann tritt der Christ den Weg an und setzt Zeichen guten Willens, indem er vielleicht bedürftigen Menschen etwas Gutes tut und zum Gebet einen besonders geeigneten Ort aufsucht. Und da all das ein zuinnerst kirchliches Geschehen ist, verbindet sich der Glaubende besonders dort mit den Christen der ganzen Welt, indem er – wie es heißt – in der Meinung des Heiligen Vaters die Bitte um Nachlassung zum Ausdruck bringt. Zur Hilfe werden die Grundgebete der Kirche (Vater Unser, Ave Maria etc.) empfohlen.

Doch Gesinnung ist entscheidend. Wie stets, wenn Praktisches empfohlen wird, birgt das zweierlei Gefahren, in der Kühle des Räsonieren an Frische und Leben einzubüßen: Der eine beginnt nun doch das Rechnen; vielleicht aus Furcht, nicht genug getan zu haben. Der andere denkt sich dispensiert von alledem und meint, Gottes Geist könne wohl auch ohne den Rat seiner Kirche wehen, wo er will. Da wird er Recht haben. Doch dürfte man fragen, ob es nicht kluger Akt der Freiheit ist, sich nicht doch dem Rat der alten Mutter Kirche anzuvertrauen, in deren Inneren Gott immer noch unaussprechlich Großes tut und viel Gnade ergehen laßt an alle, die kommen, sich helfen zu lassen.

»WAS MEINT STRAFE?« (2)

Im Zusammenhang mit dem Ablaß stehen wir in der Pflicht, auch von Strafe zu
reden. Das ist nun aus zwei Gründen besonders schwierig.

Zum einen wegen der Verzerrung des Wörtchens Strafe, zum anderen wegen einiger neuer theologischer Thesen, nach denen es bei Gott, der Liebe ist, keinerlei Strafe geben könne.

Der große Kirchenlehrer Thomas von Aquin war der Meinung, ein schiefes Bild von der Welt führe in aller Regel auch zu einem unguten Bild von Gott. Und das trifft hier den Kern der Problematik. Es gibt Menschen, die beim bloßen Gedanken an ihre Kindheit in Angst und Schrecken geraten, weil ihnen unter dem Vorwand von Strafe viel Unrecht getan wurde. Wenn wir einem solchen Menschen sagen, auch für Gott sei Strafe nichts Unbekanntes, laufen wir Gefahr, diesen Menschen für die Wahrheit und die Schönheiten des Glaubens zu verlieren. Wer Strafe nur als Ausleben von Neigungen zur Gewalt auf Seiten Stärkerer kennt, wird sich mit ihr sein ganzes Leben lang schwer tun.

Und wenn wir uns unter Strafe nichts anderes vorstellen können, als was unsere Kinohelden uns zeigen, entsteht hier ebenfalls ein fragwürdiges Bild. Wenn die Kinohelden strafen, rächen sie sich meistens. Und was da Strafe genannt wird, ist oft nicht weniger grausam als was die Strafe zuvor verdiente. Wer Strafe und Rache nicht auseinanderhalten kann, der kommt hier nicht weiter.

Es gibt also in Sachen des Glaubens große Verantwortung gegenüber Kindern und jungen Menschen. Deren Weltbilder lassen sich so verbiegen, daß es großer Wunder bedarf, damit sie vor dem Glaubensganzen nicht davonlaufen.

Die andere Seite der Medaille gibt es auch: Nämlich ein ungeordnetes Sehnen nach grausamer Bestrafung anderer. Wer erleben mußte, wie unschuldigen, nahestehenden Menschen straflos Schlimmes angetan wurde oder wer sich gar eigener Verletzungen nicht erwehren konnte, der lebt unter Umständen in einer unangemessenen Hoffnung auf Strafe seitens eines Gottes der Gerechtigkeit. »Gott soll das hart bestrafen«, ist mancher Menschen Lebenshoffnung.

In beiden Fällen wurde hier das Bild vom Leben und von der Welt durch schlimme Erfahrungen gezeichnet. Und der Gedanke des heiligen Thomas, daß hier sicher auch das Gottesbild von Emotionen verzerrt wurde, drängt sich einfach auf.

Auf beide emotional-extremen Bedürfnisse hat die Verkündigung im Namen Gottes leider ausgiebig geantwortet.

Auf letzteres durch die Drohung des mächtigen Vaters im Himmel, der nur drauf warte, Übeltäter endlich greifen zu können. Manchen Christen der älteren Generation sitzt heute noch der Schrecken in den Gliedern, wenn ihr Erinnern sich im Gestrüpp religiöser Erziehungsmaßnahmen ihrer Kindertage verfängt. Gläubige Menschen wissen von ihren Ängsten vor Gott zu erzählen, etwa wenn sie in kindlichem Versehen vor dem Empfang der heiligen Kommunion einmal etwas Nahrung zu sich genommen haben. Und sie wissen nicht, was sie noch glauben sollen, wenn jetzt selbst die Priester vom Frühstückstisch an den Altar marschieren. Und man muß nicht lange Seelsorger sein, um zu wissen, daß nicht wenigen aus dem Volke Gottes die peinlichen Befragungen und Beschimpfungen mancher Beichtvater noch in den Knochen stecken.

Das andere Extrem der Beantwortung findet sich in der momentan modernen Theologie. Sicherlich aus gut gemeinten Gründen und scheinbar um der anderen Seite emotionalen Leidens entgegenzukommen. Hier wird das genaue Gegenteil behauptet wie oben. Hier wird gesagt: Gott könne Strafen nicht zulassen. Bei Gott finde keinerlei Ausgleich statt, der unserem Gerechtigkeitsempfinden entgegenkäme. Statt dessen wird hier etwas Neues eingebaut. Nämlich die Therapie. »Therapie statt Strafe« ist der Slogan.

Nun ist das mit der Therapie überhaupt kein neuer Gedanke. Schon Basilius der Große hatte in den ersten Jahrhunderten des Mönchtums geschrieben, die Strafe sei ein Heilmittel für die Seele. Wie man sieht, schließt hier die Therapie die Strafe nicht aus, sondern ein. Auch hier ist Jesus der Arzt der Seele. Basilius weiß das, wenn er dem Abt scharf ins Gewissen redet, er dürfe niemals im Zorne strafen, vielmehr sei die Strafe in aller Weisheit anzuwenden und sie habe im Dienst der Gesundung für den einzelnen und die Gemeinschaft zu stehen. Hier hat alles noch Platz.

Das Neue nun an der neuen Theologie ist, daß wohl Therapie angesetzt wird, aber keine Strafe mehr. Der Kern des Wunsches meint, Therapie tut nicht weh (wenn es denn wahr ist), Strafe ja. Es soll alles Fürchtenswerte weggenommen werden, es geht um Schmerzlosigkeit.

Konsequent weitergedacht, ist dieser Gedanke aber nicht zu halten. Denn wenn Straffähigkeit durch Therapiebedürftigkeit ersetzt wird, dann sind wir ja in Gottes Licht überhaupt nicht mehr schuldfähig, sondern schlimmstenfalls krank. Wir unterscheiden also hier nicht mehr zwischen heilig und sündig, sondern zwischen gesund und krank.

Nun wird niemand im traditionellen Verständnis der Sache von sich oder einem anderen behaupten können, er sei ganz und gar heilig oder ganz und gar sündig. Die Dinge treffen sich im Menschen, freilich in verschiedenen Gewichtungen und Stufen der Hingebung. Das heißt nach dem neuen Verständnis, jeder ist immer auch ein Kranker, nicht aber ein Sünder.

Wie dem auch sei, befriedend ist das alles nicht.

Es kommen nämlich immer wieder Menschen zur Beichte, die ausdrücklich von sich behaupten, sie hätten, willentlich und wissend um die Folgen, Böses getan, was ihnen nun von Herzen leid tut. Und sie kommen um wirkliche Sünde zu bereuen. Ihnen zu erzählen, sie seien eigentlich nur krank und der Therapie bedürftig, kommt einer Frechheit gleich. Wir können die Menschen, die von sich wissen, Schlimmes auf dem Kerbholz zu haben, nicht an der Türe zur Beichtkammer entmündigen!

Es ist zwar wünschenswert, wenn ein Beichtgespräch neben dem Sakrament der Versöhnung in therapeutische Hilfe mündet, dem Wesen nach unterscheiden sich Beichtraum und Therapiecouch aber genau hier: Die Therapie hilft dem Verletzten zur Gesundung, zur Freiheit, zur Mündigkeit und damit auch zur Straffähigkeit. Wogegen das Sakrament der Versöhnung seinem Kerne nach erst da ansetzen kann. Nachgelassen werden kann eigentlich nur richtige Schuld, die einem freien Herzen erwuchs. Und die kann niemand vollbringen, der nicht schuldfähig ist.

So fehlt der These »Therapie statt Strafe« Wesentliches.

Der heilige Basilius – und mit ihm die gesamte christliche Tradition – sind uns also ein gutes Stück voraus.

Da bleibt nur die bohrende Frage offen, ob hier denn nicht doch wieder der alte grausame Gott der beginnenden Neuzeit hervorgekramt wird oder sich gar durch die Hintertüre einschleicht.

Müssen wir uns also doch fürchten vor Gott und seinem Gericht? Sicher nicht, wenn wir die Dinge zusammenhalten und beim Namen nennen. Der heilige Johannes schreibt in der Heiligen Schrift Wohltuendes: »Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht ... wer sich fürchtet, dessen Liebe ist nicht vollendet.« Wir werden hier die Wendemarke ansetzen und sicher sagen können, daß es eine Frage nach der Vollendung der Liebe sein wird. Und gewiß steht der, der sich um die Liebe müht und von den Sakramenten her lebt, immer schon im Lichte der großen Verzeihung, so daß seine wirklich belastende Schuld gegen Null gehen mag.

Aber was wird sein, wenn wir etwa nach Vollendung unseres einzigen Lebens auf Erden – vielleicht in göttlicher Unterweisung – sehen, daß wir hatten viel liebender und liebenswürdiger sein können und es aus Bequemlichkeit nicht waren? Wird uns da nicht ein Reueschmerz erreichen? Und könnte nicht gerade in diesem Heilung geschehen? Und tut es nicht weh, Abschied zu nehmen von Selbstsucht und Verdrehtheit, um sozusagen himmelsfähig zu werden? Trauen wir uns doch, die Dinge ganz zu sehen und gestehen wir uns zu, daß da auch Menschen im Blick des Himmels leben, deren Liebesglut auf Erden zwar nicht ganz verloschen ist, doch nur noch verschüttet daliegt unter einer Ascheschicht von Eigensucht, Unehrlichkeit und Egoismus. Wenn nun der Schöpfer dieses allerletzte Flämmchen der Zuneigung sucht, es ausfindig macht und sanft anbläst, daß es all das andere in seiner Wärme verzehrt, wird das nicht wehtun? Und vor allem: würde das nicht eine Maßnahme sein, die der Betroffene dann in gleichem Maße wünscht, wie sie in der Klarheit göttlichen Denkens vor ihm erscheint? All das nannten die Alten Fegfeuer und Strafe, wohl wissend, daß Gott kein blutrünstiger Kinoheld ist, sondern immer noch der liebende Vater, der den verlorenen Sohn auf dem Dach stehend erwartet, damit er ihm, der aus dem Schmerz seiner Reue kommt, endlich alles verzeihen darf.

Wir sehen, wir müssen nicht allen Schmerz wegdenken angesichts eines Gottes, der Liebe ist. Zwischen Liebe und Gerechtigkeit gähnt gar nicht diese große Kluft, die mancherorts angenommen wird.

Die Geister scheiden sich also woanders. Nämlich darin, wie ernst der Mensch auch über den Tod hinaus genommen werden kann. Reue tut weh, das ist nun mal so. Vielleicht besonders, wenn uns in unendlicher Großzügigkeit alles verziehen wird. Wenn wir also auch im Licht des Himmels ganze Menschen bleiben, was uns verheißen ist, dann gehört auch die Reue mit dazu.

Und Therapie hin oder her; wer will schon im Blick auf die abgründig treue Liebe, die den Sohn das Kreuz aushalten ließ, in therapeutischen Narkoseschlaf versetzt werden, nur um auf dem Weg der Heilung nicht aufrichtig hinschauen zu müssen?

Sicher meinen die Theologen es gut mit uns. Es ist aber doch gar nicht nötig, alles Schwierige wegzunehmen. Das Leben ist nun mal kein Kinderspiel, das Erfahren und Erlernen der Liebe schon gar nicht. Sicher, niemand, der den Weg der Liebe zu gehen versucht, braucht sich vor Gott zu fürchten. Manche, die andere Wege gehen, tun das aber. Und vielleicht ist da diese heimliche Furcht vor dem Gericht der letzte Rest gesunden Gottempfindens, wenn sie bedenken, daß der Schöpfer auch und besonders jene lieb hat, denen sie schrecklich wehtun. Und gebe Gott, daß sie aus einem solchen Empfinden heraus die Kurve kriegen und umkehren: weg von ihrem bösen Treiben und hinein in das Land der großen Verzeihung, jenes Gottes, der auch für sie sich aus Liebe verzehrt und hingibt!