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Die „Anaphora von Addai und Mari“ und die Dogmatik
(2003)

Martin Lugmayr

Hinweis/Quelle: Adresse des Verfassers: P. Lic. theol. Martin Lugmayr, Kirchstraße 16, D-88145 Opfenbach, e-mail: pml@petrusbruderschaft.de
Der Beitrag wird im Original in der Una-Voce-Korrespondenz 33 (2003) 30–47 publiziert und wird mit freundlicher Erlaubnis des Autors auf www.stjosef.at im Internet verbreitet.

Nachdem der „Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen“ es den mit Rom unierten Chaldäern am 20.Juli 2001 erlaubt hat, unter bestimmten Bedingungen die hl. Kommunion in der nicht unierten „Assyrischen Kirche des Ostens“ zu empfangen[1], wurde von verschiedenen Seiten behauptet, es handle sich dabei um einen Irrtum, der in jedem Fall revidiert werden müsse. Denn die bei den Assyrern am häufigsten verwendete „Anaphora von Addai und Mari“ enthalte keine expliziten Wandlungsworte („Das ist mein Leib“, „Das ist mein Blut…“). Diese gehören aber zur Substanz der hl. Messe, die zu ändern auch die Kirche keine Vollmacht hat.

Vertreter dieser Position sehen sich zum Widerstand gegen die römische Entscheidung nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Sie stützen sich in dogmatischer Hinsicht auf folgende Argumente:

1) Es handle sich bei den Richtlinien um disziplinäre Anordnungen, die keine Unfehlbarkeit beanspruchen können.

2) Die Lehrtradition der Kirche verlange das Vorhandensein expliziter Wandlungsworte.

Im Eingehen auf diese Thesen soll auch eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie dogmatisches Arbeiten für die Kirche überhaupt fruchtbar werden kann.

1. Es handelt sich nicht nur um eine disziplinäre Frage

Von den „Richtlinien“ direkt betroffen sind ca. 500.000 Katholiken, die bei physischer oder moralischer Unmöglichkeit, einen Priester ihres Ritus aufzusuchen, an der hl.Messe der Assyrer teilnehmen und die hl.Kommunion empfangen dürfen.[2] Zwar werden die assyrischen Priestern in diesem Fall herzlich eingeladen, die Einsetzungsworte einzufügen, wie ihnen das auch von der Heiligen Synode ihrer Gemeinschaft erlaubt ist, verpflichtet werden sie dazu nicht.[3] Das bedeutet: selbst wenn ein assyrischer Priester keinen Einsetzungsbericht (mit expliziten Wandlungsworten) einfügt, dürfen die Katholiken an der hl.Messe teilnehmen und die hl.Kommunion empfangen. Dabei muß natürlich geklärt sein, daß eine gültige Wandlung zustande kommt. Ansonsten würde man die Anbetung von Brot, also Götzendienst, erlauben. Und dies theoretisch nicht nur einer halben Million Chaldäern, sondern allen Katholiken, da unter besonderen Umständen jeder Gläubige Canon 844 §2 (des CIC) in Anspruch nehmen kann, der da lautet:

„Sooft eine Notwendigkeit es erfordert oder ein wirklicher geistlicher Nutzen dazu rät und sofern die Gefahr des Irrtums oder des Indifferentismus vermieden wird, ist es Gläubigen, denen es physisch oder moralisch unmöglich ist, einen katholischen Spender aufzusuchen, erlaubt, die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung von nichtkatholischen Spendern zu empfangen, in deren Kirche die genannten Sakramente gültig gespendet werden.“

Dieser Verantwortung war sich Rom durchaus bewußt. Die Richtlinien wurden nämlich erst erlassen, nachdem die Glaubenskongregation die Frage der Gültigkeit der „Anaphora von Addai und Mari“ lang und ausführlich unter historischem, liturgischem und theologischem Gesichtspunkt studiert hatte und am 17.1.2001 zu einem positiven Ergebnis gekommen war, eine Entscheidung, die von Papst Johannes Paul II. approbiert worden ist.[4]

Somit handelt es sich bei den „Richtlinien“ um die praktische Anwendung einer lehramtlichen Entscheidung, die letztlich vom Papst selbst getroffen worden ist. Dabei ist die Frage nicht ohne Belang, welchen Grad von Gewißheit diese beansprucht, dem die Art der Zustimmung auf der Seite der Katholiken zu korrespondieren hat.

Sogenannte „Qualifikationen“ wollen in kurzen Bestimmungen die Pflicht oder Möglichkeit der Zustimmung zu einem Satz aussagen. Es ist ein Unterschied, ob eine Aussage als Glaubenssatz (de fide) oder nur als fromme Meinung (opinio pia) charakterisiert wird. Ein genaueres Begriffssystem wurde erst im 17. und 18. Jahrhundert langsam erarbeitet und fand im 19.Jahrhundert eine weitere Verbreitung, das aber weder einheitlich interpretiert noch vom Lehramt als solches autorisiert wurde.[5] Nur dann, wenn das Lehramt selbst inhaltlich bestimmte Zensuren oder Qualifikationen verleiht, handelt es sich um „authentische Zensuren“ (censurae authenticae). Wenn Verfasser von Dogmatiken selbst Zensuren und Qualifikationen verteilen, sind sie dabei selbstverständlich nicht unfehlbar. Bereits ein kurzer Blick in dogmatische Lehrbücher einer bestimmten Zeitspanne zeigt, wie viele Unterschiede es in der Bewertung verschiedener Sätze gibt. Die Stimmigkeit oder Wahrscheinlichkeit solcher Bewertungen ergibt sich aus den beigebrachten Argumenten und der Qualität der theologischen Argumentation. Dogmatiker können kein eigenes Lehramt in Anspruch nehmen, sie stehen vielmehr im Dienste des kirchlichen Lehramts (wobei sie durch gute theologische Forschung Entscheide desselben vorbereiten können).

Erst in neuerer Zeit hat das Lehramt selbst die wichtigsten Zensuren und Qualifikationen näher bestimmt, vor allem in Unterscheidung zwischen Sätzen, die mit der übernatürlichen Tugend des Glaubens anzunehmen sind (de fide credenda), weil es sich um eine von Gott geoffenbarte Wahrheit handelt, und Sätzen, an denen man endgültig festhalten muß (de fide tenenda), wobei sich die Zustimmung auf den Glauben an den Beistand des Heiligen Geistes stützt, der dem kirchlichen Lehramt geschenkt ist, und auf die katholischen Lehre von der Unfehlbarkeit des Lehramtes.

Besonders muß in diesem Zusammenhang das von Papst Johannes Paul II. als Motu proprio erlassene Schreiben „Ad tuendam fidem“ (Zum Schutze des Glaubens) vom 18.Mai 1998 und der von der Glaubenskongregation veröffentlichte Lehrmäßige Kommentar zur Schlußformel der Professio fidei vom 29.Juni 1998 herangezogen werden.

Der Papst geht eingangs auf den Grund seines Apostolischen Schreibens ein:

„ZUM SCHUTZ DES GLAUBENS der katholischen Kirche gegenüber den Irrtümern, die bei einigen Gläubigen auftreten, insbesondere bei denen, die sich mit den Disziplinen der Theologie beschäftigen, schien es Uns, deren Hauptaufgabe es ist, die Brüder im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22, 32), unbedingt notwendig, in die geltenden Texte des Codex Iuris Canonici und des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium Normen einzufügen, durch die ausdrücklich die Pflicht auferlegt wird, die vom Lehramt der Kirche in endgültiger Weise vorgelegten Wahrheiten zu beachten. Dabei finden auch die diesbezüglichen kanonischen Sanktionen Erwähnung.“[6]

In die beiden Bücher des Kirchenrechts der Katholischen Kirche, den Codex Iuris Canonici (CIC) und den Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) mußten daher entsprechende lehrhafte Texte und Sanktionen (Strafen) eingefügt werden. Der Canon 750 des CIC lautet jetzt:

§ l. Kraft göttlichen und katholischen Glaubens ist all das zu glauben, was im geschriebenen oder im überlieferten Wort Gottes als dem einen der Kirche anvertrauten Glaubensgut enthalten ist und zugleich als von Gott geoffenbart vorgelegt wird, sei es vom feierlichen Lehramt der Kirche, sei es von ihrem ordentlichen und allgemeinen Lehramt; das wird ja auch durch das gemeinsame Festhalten der Gläubigen unter der Führung des heiligen Lehramtes offenkundig gemacht; daher sind alle gehalten, diesen Glaubenswahrheiten entgegenstehende Lehren jedweder Art zu meiden.

§ 2. Fest anzuerkennen und zu halten ist auch alles und jedes, was vom Lehramt der Kirche bezüglich des Glaubens und der Sitten endgültig vorgelegt wird, das also, was zur unversehrten Bewahrung und zur getreuen Darlegung des Glaubensgutes erforderlich ist; daher widersetzt sich der Lehre der katholischen Kirche, wer diese als endgültig zu haltenden Sätze ablehnt.[7]

In unserem Zusammenhang muß § 2 näher betrachtet werden. Es handelt sich hier um Wahrheiten, die mit der Offenbarung notwendig verknüpft sind. Der Papst schreibt dazu in „Ad tuendam fidem“: „Diese Wahrheiten, die bei der Erforschung der katholischen Glaubenslehre eine besondere Inspiration des Heiligen Geistes für das tiefere Verständnis einer bestimmten Wahrheit über Glaube oder Sitten durch die Kirche zum Ausdruck bringen, sind aus historischen Gründen oder als logische Folge mit der Offenbarung verknüpft.“[8] Es handelt sich um sogenannte „katholische Wahrheiten“. Die Glaubenskongregation hat in einem Kommentar zur Professio fidei (Glaubensbekenntnis), die bei bestimmten Gelegenheiten abgelegt werden muß, dazu ausgeführt:

„Im zweiten Absatz der Professio fidei heißt es: „Mit Festigkeit erkenne ich auch an und halte an allem und jedem fest, was bezüglich der Lehre des Glaubens und der Sitten von der Kirche endgültig vorgelegt wird“. Diese Formel besagt, daß der Gegenstand des zweiten Absatzes alle jene Lehren umfaßt, die dem dogmatischen und sittlichen[9] Bereich angehören und notwendig sind, um das Glaubensgut treu zu bewahren und auszulegen, auch wenn sie vom Lehramt der Kirche nicht als formell geoffenbart vorgelegt worden sind. Solche Lehren können in feierlicher Form vom Papst, wenn er „ex cathedra“ spricht, oder von dem auf einem Konzil versammelten Bischofskollegium definiert oder vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche als „sententia definitive tenenda“[10] unfehlbar gelehrt werden. Deshalb ist jeder Gläubige gehalten, diesen Wahrheiten seine feste und endgültige Zustimmung zu geben, die im Glauben an den Beistand, den der Heilige Geist dem Lehramt schenkt, und in der katholischen Lehre von der Unfehlbarkeit des Lehramtes in diesen Bereichen gründet[11]. Wer sie leugnet, lehnt Wahrheiten der katholischen Lehre ab[12] und steht deshalb nicht mehr in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche.“[13]

Dabei betont die Glaubenskongregation, daß solche Lehren auch offen sein können für eine spätere Dogmatisierung und erwähnt als Beispiele die Lehre über den Jurisdiktionsprimat vor dem 1.Vatikanum, die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe, die Unerlaubtheit der Euthanasie. Das erste Beispiel zeigt, daß die Kirche durch den Heiligen Geist schließlich erkannt hat, daß der Jurisdiktionsprimat nicht nur eine unfehlbare Lehre, sondern sogar in der Offenbarung als solche enthalten ist.

Später heißt es im Dokument der Glaubenskongregation: „Beispiele für Wahrheiten, die nicht als von Gott geoffenbart verkündet werden können, aber aufgrund geschichtlicher Notwendigkeit mit der Offenbarung verbunden und endgültig zu halten sind, sind die Rechtmäßigkeit der Papstwahl oder der Feier eines Ökumenischen Konzils, die Heiligsprechungen (dogmatische Tatsachen) oder die Erklärung des Apostolischen Schreibens Apostolicae Curae von Papst Leo XIII. über die Ungültigkeit der anglikanischen Weihen.“[14] Diese Wahrheiten sind daher auch unfehlbar und jeder Katholik zur Annahme derselben verpflichtet.

Wie die Glaubenskongregation betont, sollte weder eine erschöpfende noch vollständige Aufzählung aller Lehren vorgenommen werden, die entweder als Glaubenswahrheiten oder als katholische Wahrheiten anzunehmen sind. Es werden jedoch Prinzipien angegeben, die sich auch auf unsere Frage anwenden lassen.

Wenn die Entscheidung zur Gültigkeit eines Weiheritus als katholische Wahrheit bestimmt wird, dann muß auch die Entscheidung der Gültigkeit eines Messritus eine solche sein. Denn, wie der hl.Thomas von Aquin ausführt, ist das Sakrament der Weihe auf den Vollzug der Eucharistie hingeordnet und haben schließlich alle Sakramente als Ziel den Empfang der hl.Kommunion.[15] Dieser Empfang ist aber nur möglich, wenn die Möglichkeit der Teilnahme an einer gültigen Feier der hl.Messe oder des Empfangs einer gültig konsekrierten Materie besteht. Es muß nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher sein, daß ein bestimmter Ritus der hl.Messe gültig ist. Ein lehramtliches Urteil über die Gültigkeit einer Liturgie hängt daher aufgrund geschichtlicher Notwendigkeit mit der Offenbarung zusammen. Daher ist auch die Entscheidung über die Gültigkeit der „Anaphora von Addai und Mari“ endgültig und unfehlbar. Bedeutsam ist hierbei der Gegenstand, nicht die Feierlichkeit der Entscheidung.[16]

Kardinal Scheffczyk betont mit Recht, daß ich meine Zustimmung auch nicht von der mich überzeugenden Beweiskraft der Argumente abhängig machen kann:

„Theologisch bedeutsam ist dabei einer rationalistischen Denkhaltung nicht leicht eingängige Grundsatz, daß die Glaubenszustimmung zu einer vom kirchlichen Lehramt vorgetragenen Lehre zuletzt nicht aus der Kraft der beigebrachten Beweisgründe abzuleiten ist (die selbstverständlich für einen vernunftgemäßen Glauben lenkend und anleitend wirken), sondern aus dem Vertrauen auf das dem authentischen Lehramt geschenkte Licht des Heiligen Geistes. Dieses Licht empfängt auch der Gläubige, so daß er in einer mit dem Lehramt ‚konspirierenden’ Weise die Wahrheit eines Lehrurteils erfassen kann. Die alleinige Forderung nach rationalen Argumenten und subjektiver Einsicht würde die Glaubensbegründung zu einem rationalen Beweisverfahren machen[17].“[18]

2. Die jetzige Entscheidung steht in organischem Zusammenhang mit der Tradition

Es gibt keine einzige frühere Lehrentscheidung darüber, daß „explizite“ Wandlungsworte notwendig seien. Hingegen finden wir viele Äußerungen des Lehramts, daß „Wandlungsworte“ vorhanden sein müssen, damit eine gültige Feier der hl.Messe zustande kommen kann.[19] Es gab weiters Dogmatiker, die meinten, diese Dokumente so interpretieren zu können, daß implizit mitgelehrt würde, „explizite“ Wandlungsworte seien erforderlich. Nun, jedem Theologen steht frei, lehramtliche Verlautbarungen auf deren impliziten Gehalt zu prüfen und einen solchen festzumachen, solange es keine lehramtliche Äußerung gibt, die solch eine Folgerung ausdrücklich verwirft. Einige Beispiele aus der Dogmengeschichte sollen dies belegen:

Bis zum 30.November 1947 konnte jeder katholische Theologe den Satz vertreten, daß für die Spendung der hl.Weihen die Übergabe von Gegenständen notwendig sei, die in Bezug zu jeder Weihestufe stehen. Dabei konnte man sich auf das Konzil von Florenz berufen, das 1439 gelehrt hat:

„Das sechste ist das Sakrament der Weihe, deren Materie das ist, durch dessen Übertragung die Weihe gespendet wird: So wird das Priestertum übertragen durch die Darreichung des Kelches mit Wein und der Patene mit Brot; das Diakonat aber durch das Geben des Evangelienbuches, das Subdiakonat aber durch das Übergeben des leeren Kelches mit der daraufgelegten leeren Patene; und ähnlich bei den anderen durch die Zuweisung der Dinge, die zu ihren Diensten gehören.“[20]

Ab dem 30.November 1947 wäre die Behauptung der Notwendigkeit der Übergabe des Kelches, der Patene bzw. des Evangelienbuches in Bezug auf die höheren Weihen nicht nur falsch, sie würde sich direkt gegen das authentische Lehramt der Kirche richten, da Pius XII. an diesem Tag in seiner Apostolischen Konstitution „Sacramentum Ordinis“ festgelegt hat, die „Materie“ des Weihesakramentes (Diakonat, Presbyterat, Episkopat) bestehe in der „Handauflegung“. Er interpretierte das Konzil von Florenz dahingehend, daß es nicht habe lehren wollen, die Übergabe der hl.Gefäße sei von Christus her zur Gültigkeit erforderlich, sondern höchstens aufgrund einer Anordnung der Kirche für den römischen Ritus. Pius XII. kann dabei auf den Umstand verweisen, daß dieses Konzil nicht die Gültigkeit der Weihen anderer Riten angezweifelt habe, die keine solche Überreichung kennen. Pius XII. sagt dann in Bezug auf die lateinische Liturgie: „Wenn sie (sc. die Überreichung der Dinge) aufgrund des Willens und der Vorschrift der Kirche einmal auch für die Gültigkeit notwendig gewesen sein sollte, so wissen alle, daß die Kirche das von ihr Festgesetzte auch ändern und abschaffen kann.“[21]

Wie kann nun entschieden werden, ob etwas von der Kirche her notwendig (aber veränderbar) oder von Christus her diese Eigenschaft besitzt (und daher unveränderlich ist)? Dies kann letztlich nur vom Lehramt der Kirche entschieden werden.

Bis vor wenigen Jahren wurde von Theologen die Auffassung vertreten, das Sakrament der Taufe werde bei den Mormonen gültig gespendet, weil sie die richtige Materie (Wasser) und Form (im Namen der drei göttlichen Personen) verwenden. Am 5.Juni 2001 jedoch entschied die Glaubenskongregation, daß die Taufe bei den Mormonen ungültig ist.[22] Obwohl im entsprechenden Dokument keine Begründung gegeben wird, kann aus offiziösen Artikeln geschlossen werden, daß sie in der mangelnden Intention liege, das zu tun, was die Kirche tut (dies ist die dritte Bedingung für die Gültigkeit eines Sakramentes).

Vor dem Jahre 1970 waren viele Dogmatiker der Ansicht, es müsse bei Sakramenten, die als Materie Öl vorsehen, ausschließlich Olivenöl verwende werden. 1970 bestimmte Rom, daß neben Olivenöl auch gegebenenfalls anderes Öl pflanzlicher Herkunft verwendet werden kann.[23]

Bis zum Jahre 1985 befürworteten viele Theologen die These, daß als gültige Materie der Eucharistie nur die Frucht des Weinstocks in Frage käme, die bereits die erste Gärungsstufe erreicht hat (und somit Alkohol enthält). In einem Brief der Glaubenskongregation vom 18.Mai 1995 an die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen (Prot.n. 89/78) wurde jedoch in genau bestimmten Fällen die Gültigkeit von frischem (bzw. als frisch konserviertem) Traubensaft als Materie der Eucharistie erklärt.[24]

Die angeführten Beispiele betreffen die Sakramente. Es können auch solche aus der Lehre gebracht werden. So sind viele Abspaltungen in den ersten Jahrhunderten deshalb geschehen, weil man sich auf die frühere Tradition berief, die man als völlig abgeschlossen betrachtete. Das Konzil von Ephesus 431 wurde von gelehrten Theologen und Bischöfen als unvereinbar mit dem Konzil von Nizäa (325), das von Chalzedon 451 mit dem von Ephesus betrachtet usw.

Kardinal Ratzinger schrieb auf diesem Hintergrund vom verfehlten Versuch, „Tradition an irgendeinem Punkt abzuschließen und die Kirche durch einen liberalen oder einen konservativen Archäologismus retten zu wollen. Es scheint mir wichtig, zu erkennen, daß die rabiatesten Progressismen Archäologismen sind: Ihnen genügt die Begrenzung der Tradition durch das Sola sriptura nicht mehr, für sie ist schon alles, was nach Paulus kommt, verfehlt, also ganz besonders die lukanischen Schriften, ganz zu schweigen von den Pastoralbriefen. Der Unterschied zwischen solchen Progressismen und verfehltem Tradtionalismus ist kein grundsätzlicher, er liegt nur in der Frage, wann man die Tradition schließt. Tradition im eigentlichen Sinn wird auf diese Weise ganz und gar verfehlt, abgesehen davon, daß gerade die progressistischen Archäologismen unehrlich sind, weil sie die Meßmarke je nach Bedarf legen und weitgehend von Rekonstruktionen ausgehen, die nur Spiegelungen der eigenen Apriori sind: Fausts Spott auf die Historiker, daß hinter dem angeblichen Geist der Zeiten doch nur der Herren eigener Geist stehe, trifft hier wirklich zu.“[25]

Bei der im Umlaufe befindlichen Ablehnung der Entscheidung zur „Anaphora von Addai und Mari“ handelt es sich um „verfehlten Traditionalismus“, der nicht wahrhaben will, daß es bis zur Wiederkunft Christi eine je tiefere Erkenntnis der Offenbarung und der Wahrheiten, die mit ihr im Zusammenhang stehen, geben wird. Weiters wird verkannt, daß auch schon in früheren Jahrhunderten eine „neue“ Entscheidung nicht einfach als eine unmittelbar einleuchtende Folgerung aus vorangegangen erkannt wurde. Dieses „Kriterium“ zur Unterscheidung zwischen legitimer Weiterentwicklung und Abweichungen von der Tradition würde einer Position der Anglikaner aus dem Jahre 1981 entsprechen:

„Wenn die zur Zustimmung vorgelegte Definition nicht offenkundig (manifestly) eine legitime Interpretation des biblischen Glaubens und der Linie der orthodoxen Tradition[26] ist, dann würden Anglikaner denken, es sei eine Pflicht, die Rezeption dieser Definition dem Studium und der Diskussion vorzubehalten.“[27]

Kardinal Ratzinger, der sich sowohl als Präfekt der Glaubenskongregation[28] als auch als Theologe mit dieser These auseinandergesetzt hat, erläutert das Problem in einem seiner Bücher:

„Hier macht das Wort «Offenkundig legitim» im Sinne des heute exegetisch «Offenkundigen» aufhorchen. «Offenkundig legitim» im Sinne des heute exegetisch «Offenkundigen» sind nämlich gewiß und gerade auch die altkirchlichen Dogmen nicht. Gäbe es dieses «offenkundig Legitime» als eine außerhalb vernünftiger Diskussion stehende Größe, so bedürfte es der Konzilien und der kirchlichen Lehrautorität überhaupt nicht.“[29]

So ist auch die Entscheidung zur Gültigkeit der „Anaphora von Addai und Mari“ keine „offenkundige“. Sie erforderte lange Studien und wird auch weiterhin noch vertieft werden können. Weil sie aber von der kirchlichen Lehrautorität gefällt wurde, steht ihre Richtigkeit fest (s.o.). Sie ordnet sich aber, und das wurde meines Wissens von den Kritikern übersehen, in organischer Kontinuität zu einer ähnlichen Entscheidung ein, die bereits 1984 gefällt wurde.

In jenem Jahr fanden langjährige Gespräche und Studien ihren Abschluß in einer gemeinsamen Erklärung zwischen Papst Johannes Paul II. und dem Patriarchen Moran Mar Ignatius Zakka I. Iwas, dem Haupt der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien.[30] Einem übereinstimmenden christologischen Bekenntnis folgt eine Darlegung über die gemeinsame Lehre von der Erlösung und den sieben Sakramenten. Dann wird einer Sakramentengemeinschaft (betreffs der Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung) mit der syrisch-orthodoxen Kirche in Fällen pastoraler Not zugestimmt.[31] Damit ist auch in Bezug auf die Form der Eucharistie eine wichtige Entscheidung gefällt worden. Denn die „Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien“ feiert die hl.Messe mit 13 Anaphoren (Hochgebeten, von der Gattung her dem römischen Kanon vergleichbar), von denen drei keine „expliziten“ Wandlungsworte beinhalten, und eine, die nur zu einer Materie ein solches Wort hat. Im Unterschied zur (ostsyrischen) Anaphora von Addai und Mari gibt es aber jeweils einen sogenannten Einsetzungsbericht. Zu ersten Gruppe gehören die „Anaphora des hl.Petrus“, die „Anaphora des Xystus von Rom“ und die „Anaphora des Dionysius Jakob Barsalibi“.[32] Der Einsetzungsbericht beschreibt, daß der Herr vor seinem Leiden Brot in seine Hände nahm, es segnete und heiligte, brach, seinen Aposteln gab und sagte: „Nehmet, esset davon für die Vergebung der Sünden und für das ewige Leben“ („Anaphora des hl.Petrus“) bzw. wird vom Herrn in der dritten Person gesagt: „und Er nannte es Seinen Heiligen Leib für das ewige Leben für jene, die es empfangen“ („Anaphora des Dionysius Jakob Barsalibi“). In der „Anaphora des Xystus von Rom“ sagt der Priester an dieser Stelle: „Er gab uns seinen Opferleib für das ewige Leben.“ Analoges gilt für die Gestalt des Weines. Aber wir finden keine „expliziten“ Wandlungsworte („Das ist mein Leib“, „Das ist mein Blut…“).

Die „Anaphora des Johannes Chrysostomus“ nach der syrischen Tradition enthält „explizite“ Wandlungsworte nur für das Brot, nicht für den Becher, über den folgendes gesagt wird:

“In gleicher Weise nahm er den Becher, segnete und heiligte ihn und gab ihn seinen Jüngern und sagte: Nehmt, trinkt alle davon zum Nachlaß der Schulden, zur Vergebung der Sünden und für das ewige Leben.”[33]

In einer für Mar Ignatius Zakka I. Iwas gehaltenen Ansprache erwähnte Papst Johannes Paul II. ausdrücklich den apostolischen Ursprung der Syrischen Kirche[34], eine Aussage, von der man das liturgische Erbe nicht ausschließen darf. Wie soll man die Form eines Einsetzungsberichtes ohne „explizite“ Wandlungsworte deuten? Der Kontext ist eindeutig: es soll nicht etwas erzählt werden, vielmehr soll das Opfer Christi vergegenwärtigt und die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut des Herrn vollzogen werden.

Liturgie- und dogmengeschichtlich kann als Vergleich das Phänomen von deprekativen (fürsprechenden) Lossprechungsgebeten für das Beichtsakrament herangezogen werden, die im Westen bis ins 12.Jahrhundert üblich waren und im Osten noch heute verwendet werden. Gerhard Rauschen schreibt dazu in seinem Standardwerk über Eucharistie und Bußsakrament: „Der Form nach tritt zwar der Priester nur als Fürbitter für den Pönitenten auf; aber man war überzeugt, daß Gott dieser Bitte immer willfahre, und daß bei den Todsünden die Vermittlung der Kirche auch unumgänglich sei.“[35] Das bedeutet: der Kontext des Geschehens muß beachtet werden, um sagen zu können, ob es sich nur um ein Fürbittgebet („Der Herr möge dir verzeihen…)[36] oder um die Spendung eines Sakramentes handelt, das wirklich bewirkt, was es bezeichnet. Dasselbe gilt für die erwähnten westsyrischen Anaphoren.

Im Jahre 2001 wurde, wie bereits erwähnt, auch die Gültigkeit der „Anaphora von Addai und Mari“ ausdrücklich anerkannt, wobei in den Richtlinien sich eine Stelle zur Frage der Form der Eucharistie findet: „Schließlich sind die Worte der Einsetzung der Eucharistie wirklich in der Anaphora von Addai und Mari vorhanden, nicht in einer zusammenhängenden erzählenden Weise und dem Buchstaben nach, sondern vielmehr in einer zerstreuten gebetshaften Weise, d.h. eingebettet in einander folgenden Gebeten des Dankes, des Lobes und der Fürbitte.“[37] Dies ist eine organische Weiterentwicklung zu der Anerkennung der Gültigkeit der westsyrischen Anaphoren, da wir in der „Anaphora von Addai und Mari“ auch keinen Einsetzungsbericht finden. Es muß aber zum Ausdruck kommen, daß der Priester das tun will, was die Kirche tut und es sich um ein Geschehen handelt, welches das Kreuzesopfer Christi gegenwärtig setzt und Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt.

Welche Gebetsteile lassen sich anführen?[38]

Kniend verrichtet der Priester folgendes Fürbittgebet (kushapa): „Herr, mächtiger Gott, nimm an diese Opfergabe [von meinen armseligen Händen] für die ganze heilige katholische Kirche, für alle rechtschaffenen und gerechten Väter....“[39] Im Gebet für die Verstorbenen heißt es (das aber nur bei einem Requiem eingefügt wird): „Ich bete an, Herr, Deine Güte und sage Dir Dank ob Deines Erbarmens, daß Du mich trotz meiner Unwürdigkeit wegen meiner Sünden zu Dir in Deiner Güte herantreten ließest und mich eingesetzt hast zum Diener und Mittler dieser glorreichen und heiligen Mysterien....“[40] Da dieses Gebet nicht immer in der Anaphora vorkommt und das erstgenannte jüngeren Ursprungs ist,[41] muß das Hauptaugenmerk auf folgende Stellen gelegt werden:

„Du, o Herr, aufgrund Deiner vielen und unaussprechlichen Erbarmungen, mache ein gutes und wohlgefälliges Gedenken von allen rechtschaffenen und gerechten Vätern, die vor Dir Wohlgefallen gefunden haben, im Gedächtnis des Leibes und Blutes Deines Christus, das wir Dir auf Deinem heiligen und reinen Altar darbringen, wie Du uns gelehrt hast.“[42]

Etwas später betet der Zelebrant: „Und auch wir, o mein Herr, Deine armseligen, hinfälligen und elenden Diener, die wir versammelt sind und vor Dir stehen, wir haben durch Tradition das Beispiel empfangen, das von Dir kommt: jubelnd, rühmend, erhebend, gedenkend und zelebrierend dieses große und schreckenerregende Mysterium des Leidens und Sterbens und der Auferstehung Unseres Herrn Jesus Christus.“[43]

In diesen Gebeten ist eindeutig die Absicht des Priesters und das Geschehen selbst bezeichnet, das sich ausdrücklich auf den Stiftungsauftrag des Herrn bezieht.

Von Gelehrten wie B.Botte, R.J. Galvin, G.Dix und H.Wegmann wird die „Anaphora von Addai und Mari“ in das dritte Jahrhundert n.Chr. datiert, eine These, zu der sich auch Johannes Betz 1979 zustimmend äußert.[44] Thomas Elavanal gibt 1989 in seiner Studie als Hauptargumente für diese Position die semitischen Züge und die Einfachheit der Struktur an.[45] Gelston urteilt 1992 vorsichtiger: es gäbe keinen direkten Beweis für den Ursprung der Anaphora am Anfang des 3.Jahrhunderts, aber es gäbe sehr wohl Hinweise für und keinen schlüssigen Beweis gegen diese Datierung.[46] Sie sei mit Sicherheit älter als alle anderen, die heute verwendet werden.[47] Die älteste Handschrift stammt aus dem 10.Jahrhundert und wurde von W.F. Macomber 1966 ediert.[48] Aufgrund des Alters der Anaphora muß die verwendete Terminologie im Licht urkirchlicher Tradition gelesen werden. So bedeutet, um ein wichtiges Beispiel zu nennen, das Wort „Gedächtnis“ nicht „Erinnerung“ im heutigen Sinn, sondern, zurückgehend auf das Hebräische, daß in der „memoria“ ein in der Geschichte ergangenes Heilshandeln Gottes heute wirksam werden soll.[49]

Liturgiegeschichtlich bemerkenswert ist, daß es noch eine ostsyrische Anaphora aus dem 6.Jahrhundert ohne „explizite“ Wandlungsworte gibt, die nicht mehr in Gebrauch ist und von Connolly 1925 ediert wurde,[50] und daß die ins erste Jahrhundert zurückreichende, im syrischen Raum entstandene Schrift Lehre der zwölf Apostel (Didache) vom Opfer und von der Realpräsenz berichtet, aber ebenfalls keine „expliziten“ Wandlungswort überliefert,[51] so daß man von einem durchgängigen Traditionsstrang sprechen kann.

3. Was wir von der Entscheidung zur „Anaphora von Addai und Mari“ lernen können

Die Entscheidung Roms zur Gültigkeit der „Anaphora von Addai und Mari“ steht in organischem Zusammenhang mit der Überlieferung. Sie verlangt von jedem Katholiken eine Zustimmung, die letztlich auf dem Glauben an den Beistand des Heiligen Geistes ruht, der der Kirche bleibend geschenkt ist. Sie ist ein Ansporn an die Theologie, dogmen- und liturgiewissenschaftliche Studien in Hinblick auf die syrische Tradition zu vertiefen. Eine Dogmatik, die sich solch einem fundierten Forschen verweigert, wird in Sackgassen enden, auch was die eigene liturgische Tradition betrifft, der ein Theologe angehört. Streitfragen und deren Lösung haben, wie die Geschichte zeigt, nie nur ein partielle Bedeutung, sie wirken weiter und bringen ans Tageslicht, was zu vergessen werden drohte.

Denn eine wichtige Folgerung kann bereits für die Riten gezogen werden, die auch „explizite“ Wandlungsworte aufweisen:

Damit diese „wirksam“ sein können, müssen sie in einem Kontext stehen, der deutlich macht, daß es sich nicht um ein Geschehen handelt, das ein Mensch inszenieren könnte. Was meine ich damit? Nehmen wir an, ein Priester würde einfach nur die Wandlungsworte über Brot und Wein aussprechen, völlig losgelöst von einem heilsgeschichtlichen, auf Christus und sein Erlösungswerk sich beziehenden Zusammenhang. Dann würden sich die Worte „Das ist mein Leib“, „Das ist mein Blut“ auf Leib und Blut des Priesters beziehen: es käme mit Sicherheit keine Wandlung zustande.

Die Intention des Priesters muß sich auf das beziehen, was die Kirche tut, nämlich das Opfer Christi zu vergegenwärtigen, Brot und Wein in Leib und Blut des Herrn zu verwandeln. Und diese Absicht manifestiert sich in all den Gebeten, die die „direkten“ Worte „Das ist mein Leib“, „Das ist mein Blut..,“ umgeben. Nicht ein „neues“ Ereignis soll gesetzt werden, sondern das Heilsereignis schlechthin soll im Heute gegenwärtig werden.

Wenn es daher bei der Einsetzung des Meßopfers lautet „Tut dies zu meinem Andenken“, so bedeutet das: das Tun des Priesters setzt keine neue Wirklichkeit, die Messe als solche ist „memoria“ und nur so kann sie „sacrificium“ sein. Hervorgehoben hat dies mit treffenden Worten Leo Scheffczyk: „Das Heilswerk Christi, das in Kreuz und Auferstehung gipfelte, darf in seiner Fortführung durch das Tun der Kirche keine Wiederholung erfahren. Es muß nicht nur in seiner geschichtlichen Einmaligkeit stehen bleiben, wenn es nicht zum Mythos werden soll, in dem das, was immer ist und war, sich wiederereignet; es muß auch wegen seiner absoluten Vollkommenheit und Fülle unwiederholbar bleiben, weil es sonst durch die Menschen ergänzt werden könnte und diese dem Erlöser gleichberechtigt an die Seite träten. Daran wird deutlich, daß das Gedächtnis die einzig entsprechende Form ist, um das Heilstun Christi in seiner Einmaligkeit und Einzigkeit zu bewahren und es nicht durch ein etwaiges Wiederholen zu einem beliebigen irdischen Geschehen zu degradieren.“[52]

Die Überzeugung von einer „Wirklichkeit in Form des Gedächtnisses“ findet sich im Alten und Neuen Testament[53], in der Zeit der Väter z.B. bei Justin in seiner um 150–155 n.Chr. verfaßten 1. Apologie[54] und beim hl.Cyprian (+258)[55] und besonders deutlich beim hl.Johannes Chrysostomus (+407), der über die Unzulänglichkeit der alttestamentlichen Opfer und das Genügen des einen Opfers Christi schreibt, um dann die Frage zu stellen: „Was nun? Opfern nicht auch wir täglich? Wir opfern zwar, aber indem wir die Anamnese (anámnesin) seines Todes vollziehen (poioúmenoi): und es ist eine Opfergabe, nicht viele. Auf welche Weise eine, und nicht viele? Weil sie einmal dargebracht wurde, wie auch jene im Allerheiligsten. Diese ist Typos für jene und jene für diese: denselben opfern wir immerdar, nicht einmal dieses Schaf, morgen ein anderes, sondern immer dasselbe: daher ist es ein Opfer.“[56]

Das „Gedenken“ schließt in sich ein „Darbringen“ ein,[57] wobei wir in die Selbsthingabe des Sohnes mithineingenommen werden. Luther konnte aufgrund seiner rein moralischen Interpretation des hl. Johannes Chrysostomos die Verbindung von Anamnese und Wirklichkeit des Ereignisses in sakramentaler Weise nicht mehr verstehen.[58] Somit wurde für ihn das Wort “Gedächtnis”, mit dem die Väter die Eucharistie als Opfer begründeten, ein Mittel, um gegen den Opfercharakter vorzugehen. Aus dem “Realgedächtnis” wurde bei ihm ein bloßes Sich-Erinnern, eine “nuda commemoratio.” Diese Auffassung wurde vom Konzil von Trient verurteilt (DS 1753), nicht aber die in der ganzen Tradtion vorhandene von der Messe als “memoria”. „Unter dogmatischem Aspekt ist es nicht gering zu achten, daß das Tridentinum die hl. Messe zunächst als ‚Wiederdarstellung‘ (repraesentatio) des Kreuzesopfers bezeichnet, dabei aber von ihr sofort als ‚Gedächtnisfeier‘ (memoria) spricht, wobei zu bedenken ist, daß im Grunde auch die Wiederdarstellung in der Kraft des Angedenkens und des Gedächtnisses geschieht.“[59]

Und um nochmals den hl. Thomas von Aquin zu zitieren: Wir bringen keine andere Opfergabe dar, „sondern es ist das Gedächtnis jener Opfergabe, die Christus dargebracht hat“.[60] „Was täglich in der Kirche dargebracht wird, ist nicht verschieden vom Opfer, das Christus selbst dargebracht hat, sondern dessen Gedächtnis.“[61]

Daher wird in allen Liturgien der Heilsereignisse „gedacht“ – sie sollen ja wirksam werden. Aus diesem Grund kommt den Gebeten, die zeigen, was das Geschehen der Wandlung eigentlich in sich schließt, eine große Bedeutung zu. Sie dürfen nicht der Willkürlichkeit preisgegeben werden. Sie drücken die Intention der Kirche aus, der sich der Priester anzugleichen hat. Vielleicht hat sogar ein zu minimalistisches, nur scheinbar „dogmatisches“ Denken („Hauptsache, die [expliziten] Wandlungsworte sind noch vorhanden“) der Liturgie und ihrer Wertschätzung geschadet und den Wildwuchs gefördert.

Somit ist die Entscheidung zur „Anaphora von Addai und Mari“ auch ein Argument für die Bedeutung eines Ritus, einer Liturgie, deren Gebete jeder Willkür entzogen sein müssen und ein Ansporn, sich inniger mit deren Gehalt zu beschäftigen. Für die Priester sollten sie nie einfach Texte sein, sondern mit Andacht und Innigkeit zu verrichtende Gebete.


[1] Der englische Originaltext mit dem Titel „Guidelines for admission to the Eucharist between the Chaldean Church and the Assyrian Church of the East“ wurde im „L‘Osservatore Romano“ vom 26.10.2001 auf Seite 7 veröffentlicht.

[2] Die etwa 120.000 Assyrer dürfen gegebenenfalls an der hl.Messe der Chaldäer teilnehmen und die heilige Kommunion empfangen.

[3] „Guidelines“, a.a.O., 7, (4. Guidelines for admission to the Eucharist, nr.3).

[4] Vgl. „Guidelines“, a.a.O., 7 (3. The Anaphora of Addai and Mari).

[5] Vgl. Leo Scheffczyk, Qualifikationen, LThK3 (1999) 8, 755–757.

[6] AAS XC (1998/1) 457.

[7] Im CCEO findet sich dieser Text im Can.598. Die Sanktionen sind im CIC im Canon 1371, im CCEO im Canon 1436 angeführt.

[8] AAS XC (1998/1) 459.

[9](Original 13) Vgl. PAUL VI., Enzykl. Humanae vitae, 4: AAS 60 (1968) 483; JOHANNES PAUL II., Enzykl. Veritatis splendor, 36–37: AAS 85 (1993) 1162–1163.

[10] (Original 14)Vgl. II. VAT. KONZIL, Dogm. Konst. Lumen gentium, 25.

[11] (Original 15) Vgl. II. VAT. KONZIL, Dogm. Konst. Dei Verbum, 8–10; KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Erkl. Mysterium Ecclesiae, 3: AAS 65 (1973) 400–401.

[12] (Original 16) JOHANNES PAUL II., Motu Proprio Ad tuendam fidem vom 18. Mai 1998.

[13] AAS XC (1998/1) 546s.

[14] (Original 37) Vgl. DH 3315–3319.

[15] S.Th. III, q.65 a.3 c.

[16] So unterstreicht die Glaubenskongregation: „Die Absicht des ordentlichen und allgemeinen Lehramtes, eine Lehre als endgültig vorzulegen, ist im allgemeinen nicht an eine technische Formulierung von besonderer Feierlichkeit gebunden; es reicht aus, daß dies von der Sprechweise und aus dem Kontext klar hervorgeht“, AAS XC (1998/1) 548, Anm. 17.

[17] (Original 30) Dazu L. Scheffczyk, Verantwortung und Autorität des Theologen und der Dissens zu Humanae Vitae, in: Theologisches 20 (1990) 239–252.

[18] Leo Scheffczyk, Grundlagen des Dogmas. Einleitung in die Dogmatik, Aachen 1997, 100f.

[19] Wobei auch die anderen Bedingungen, nämlich die geeignete Materie, ein gültig geweihter Priester und die Absicht, das zu tun, was die Kirche tut, vorliegen müssen.

[20] „Sextum est sacramentum ordinis, cuius materia est illud, per cuius traditionem confertur ordo: sicut presbyteratus traditur per calicis cum vino et patenae cum pane porrectionem; diaconatus vero per libri Evangeliorum dationem; subdiaconatus vero per calicis vacui cum patena vacua superposita traditonem; et similiter de aliis per rerum ad ministeria sua pertinentium assignationem“, DS 1326.

[21] „Quod si ex Ecclesiae voluntate et praescripto eadem aliquando fuerit necessaria ad valorem quoque, omnes norunt Ecclesiam quod statuit etiam mutare et abrogare valere“, DS 3858.

[22] Von Papst Johannes Paul II. approbierte und zur Veröffentlichung angeordnete Entscheidung vom 5.Juni 2001, abgedruckt in den AAS XCIII (2001) 476.

[23]Ordo benedicendi olea et conficiendi chrisma, AAS 63 (1971) 711.

[24]Veröffentlicht in Notitiae 31 (1995) 608–610.

[25] Joseph Kardinal Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine einer Fundamentaltheologie, München 1982, 105.

[26] Damit sind die ersten ökumenischen Konzilien gemeint.

[27] „If the definition proposed for assent were non manifestly a legitimate interpretation of biblical faith and in line with orthodox tradition, Anglicans would think it is a duty to reserve the reception of the definition for study and discussion“, Authoritiy in the Church II 29 (Final report of ARCIC, Windsor 1981).

[28] AAS LXXIV, 2, 1982, 1060–1074, hier 1072s.

[29] Joseph Kardinal Ratzinger, Kirche, Ökumene und Politik, Einsiedeln 1987, 73.

[30] Die „Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien“ bildete sich nach dem Konzil von Chalzedon (451) im römisch-byzantinischen Syrien und wurde später von Jakob Baradai geprägt, weshalb sie auch die Kirche der „Jakobiter“ genannt wurde. Heute umfaßt diese Gemeinschaft etwa 260.000 Gläubige im Nahen Osten und 150.000 in der Diaspora. Sitz des Patriarchen ist Damaskus.

[31]Common Declaration of H.H. John Paul II. and H.H. Mar Ignatius Zakka I Iwas of June 23rd 1984, englischer Text im L‘Osservatore Romano vom 24.Juni 1984, französische Übersetzung in DC N° 1880 (2.9.1984), 824–826.

[32] Anaphoras. The Book of the Divine Liturgies According to the Rite of the Syrian Orthodox Church of Antioch. Translated from the original Syriac by Archdeacon Murad Saliba Barsom. Hg. Mar Athanasius Yeshue Samuel. Lodi (o.J.) 1991.

[33] Anaphoras, a.a.O., 300; übersetzt von Peter Hofrichter, Die Anaphora nach Addai und Mari in der “Kirche des Ostens” – Eucharistie ohne Einsetzungsbericht?, Heiliger Dienst 49 (1995) 143–152, hier 146.

[34] „First of all, I welcome in your person the head of the very ancient Syrian Church which has its roots in the apostolic community of Antioch“, AAS LXXVI (1984) 848.

[35] Gerhard Rauschen, Eucharistie und Bußsakrament in den ersten sechs Jahrhunderten der Kirche, Freiburg i.Br. 1910, 240f.

[36] Liturgiegeschichtlich wird noch genauer zwischen supplikativen (Gott wird direkt angesprochen) und optativen (Gott wird in der dritten Person angerufen) unterschieden. Vgl. dazu Herbert Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, HdDG IV/3, Freiburg i.Br. 1978, 102.

[37] „Finally, the words of Eucharistic Institution are indeed present in the Anaphora of Addai and Mari, not in a coherent narrative way and ad litteram, but rather in a dispersed euchological way, that is, integrated in successive prayers of thanksgiving, praise and intercession“, OR (ital.) vom 26.10.2001, 7, nr.3.

[38] Eine deutsche (die textkritische Ausgabe von Macomber berücksichtigende) Übersetzung der Grundform der Anaphora findet sich bei Johannes Betz, Eucharistie – In der Schrift und Patristik, HdDG IV/41, Freiburg i.Br. 1979, 61f.

[39] „Domine, Deus potens, suscipe hanc oblationem [de manibus tenuitatis meae] pro tota Ecclesia sancta catholica, pro omnibus patribus rectis et iustis...“, lateinische Textausgabe in: Anton Hänggi, Irmgard Pahl, Prex Eucharistica, Fribourg 1968, 378.

[40] „Adoro, Domine, tuam benignitatem et gratias ago tuae misericordiae quod me, licet indignum propter peccata mea, ad te accedere fecisti in tua clementia et posuisti [tamquam] ministrum et mediatorem horum mysteriorum gloriosorum et sanctorum...“ in: Hänggi, Pahl, Prex Eucharistica, a.a.O., 378.

[41] Vgl. Klaus Gamber, Beracha, Regensburg 1986, 72 (aus diesem Grund hat er es auch nicht in seine deutsche Übersetzung aufgenommen, obwohl er sonst der Edition von Hänggi-Pahl folgt, ebd., 73f.).

[42] „Tu, Domine, per miserationes tuas multas et ineffabiles (repetit), fac memoriam bonam et acceptabilem de omnibus patribus rectis et iustis, qui coram te placiti sunt, in commemoratione corporis et sanguinis Christi tui, quae offerimus tibi super altare tuum purum et sanctum, sicut docuisti nos“, in: Hänggi, Pahl, Prex Eucharistica, a.a.O., 379. Der erste Teil ist bei Gamber, Beracha, a.a.O, 74 zu frei übersetzt. Die direkt aus dem Syrischen vorgenommene englische Übersetzung von Gelston ist hier viel genauer (und der lateinischen Ausgabe entsprechend). Vgl. A.Gelston, The eucharistic prayer of Addai and Mari, Oxford 1992, 51–53 (Zeilen 36–40 des syrisch-englischen Textes).

[43] „And we also, O my Lord, thy unworthy, frail, and miserable servants, who are gathered and stand before thee, and have received by tradition the example which is from thee, rejoicing and glorifying and exalting and commemorating and celebrating this great and awesome mystery of the passion and death and resurrection of our Lord Jesus Christ“, Text bei A.Gelston, The eucharistic prayer of Addai and Mari, a.a.O., 53–55. Hänggi-Pahl folgen an dieser Stelle nicht den ältesten Handschriften.

[44] Johannes Betz, Eucharistie – In der Schrift und Patristik, a.a.O., 63.

[45] Thomas Elavanal, The Memorial Celebration. A Theological Study of the Anaphora of the Apostles Mar Addai and Mari, Oriental Institute of Religious Studies, India Publications, Kottayam 1989, 27.

[46] Anthony Gelston, The eucharistic prayer of Addai and Mari, a.a.O., 11.

[47] Ebd., 76.

[48] W.F. Macomber, The Oldest Known Text of the Anaphora of the Apostles Addai and Mari, OCP 32 (1966) 335–371. Das Manuskript heißt: Mar Esh‘aya, Mosul, fos. 4R – 5R.. Das zweitälteste stammt aus dem 12.Jahrhundert: Diarbekir (Mardin-Diarbekir 31.47), fos. 208V – 211R. Die weiteren zahlreichen Handschriften stammen aus dem 15. und den folgenden Jahrhunderten (vgl. die Tabelle bei A.Gelston, The eucharistic prayer of Addai and Mari, a.a.O., 30–35).

[49] „‘Memorial‘ was, for the Israelites, a pledge or sign given by God which guarantees the continuity of the goodness and saving actions of God. It was not merely a remembrance or a record of the past but rather a sign of an objective reality made present – the saving deeds of God“, Thomas Elavanal, The Memorial Celebration. A Theological Study of the Anaphora of the Apostles Mar Addai and Mari, a.a.O., 118f.

[50] Englische Übersetzung von Gelston: “And because he was about to be taken up from our place and exalted to the place of the spiritual beings from which he had come down, he left in our hands a pledge of his holy body, that through his body he might be near to us and at all times be united to us through his power. For before the times of his crucifixion and the hour in which he was about to be glorfied he took bread and wine which his will had made, (and) made it holy with a spiritual blessing. And he left this awesome mystery to us, and allowed us a good likeness, that we should continually do as he did, and live through his mysteries”, ebd., 75.

[51] Ausführlichere Darstellung in meinem Artikel „Eine Anaphora mit Wandlungsworten – aber in anderer Form“ – Historische, liturgische und dogmatische Anmerkungen zur Anaphora von Addai und Mari, KU 5/11 (2002) 11–14, hier 13.

[52] Leo Scheffczyk, Die Heilszeichen von Brot und Wein. Eucharistie als Mitte christlichen Lebens, München 1973, 69f.

[53] Vgl. Deut 5,5.15. Im „Gedächtnis“ des Paschas (vgl. Ex 12,14) sollte das befreiende Handeln Gottes wirksam werden und die Hoffnung auf das endgültige Pascha wach gehalten werden, eine Hoffnung, die in Christus Wirklichkeit geworden ist. Er ist, wie der hl.Paulus betont, „unser Pascha“ (vgl. 1 Kor 5,7).

[54] 1.Apologie, 41,1; PG 6,564, R 135.

[55] Ep.63, c.14, CSEL III/1, 713.

[56] In epist. ad Hebreos, cap. X, hom. XVII, PG 63, 131.

[57] Vgl. dazu J.A. Jungmann, OBLATIO und SACRIFICIUM in der Geschichte des Eucharistieverständnisses, Zeitschrift für Katholische Theologie 92 (1970) 342–350, besonders 349f.

[58] Vgl. WA 57,218,5ff.

[59] Leo Scheffczyk, Die Heilszeichen von Brot und Wein, a.a.O., 66 (er bezieht sich dabei auf die Sessio XXII des Konzils von Trient, cap.1, DS 1740).

[60]„Item hoc quod hic dicitur, quod non iteretur [sc. oblatio Christi]: contra, quia nos quotidie offerimus. Dicendum est, quod non offerimus aliam quam illam quam Christus obtulit pro nobis, scilicet sanguinem suum. Unde non est alia oblatio, sed est commemoratio illius hostiae quam Christus obtulit“, In Hebr., X, lect.1, nr.482 (Marietti).

[61] „Quod quotidie in Ecclesia offertur, non est aliud a sacrificio quod ipse Christus obtulit, sed eius commemoratio“, S.Th. III, q.22 a.3 ad 2.