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Liturgie im Geist des Glaubens
Rezension zu Joseph Kardinal Ratzinger: "Der Geist der Liturgie" (17. April 2000)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Joseph Kardinal Ratzinger: Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg 2000 (Verlag Herder), ISBN 3–451–27247–4

Im Titel anknüpfend an das für die Liturgische Bewegung in ihrer besten Ausprägung grundlegende Büchlein von Romano Guardini „Vom Geist der Liturgie“ (1918) legt der Präfekt der Glaubenskongregation ein wichtiges Werk zur Liturgie vor. Bereits 1981 hatte er mit dem Buch „Fest des Glaubens“ wichtige Anstöße für die liturgische Feier und eine ihr entsprechende und sie begründende Theologie gegeben.

Es geht Joseph Kardinal Ratzinger „nicht um Anleitung zur liturgischen Praxis, sondern um Einsichten in den Geist der Liturgie“ (178), die er hier vorlegen und dem gläubig-verständigen Leser vermitteln möchte. Freilich wird die rechte Sicht des Mysteriums Christi, das sich in der Liturgie der Kirche vollzieht, gleichsam von selbst Auswirkungen auch für die liturgische Praxis zeitigen.

In vier wesentlichen Teilen sucht der Bischof und Theologe Ratzinger sein Ziel zu erreichen: Nachdem anfangs das „Wesen der Liturgie“ (9 ff) erspürt und erschlossen wird, geht es dann um „Zeit und Raum in der Liturgie“ (45 ff), weiters um „Kunst und Liturgie“ (97 ff) und schließlich um „Liturgische Gestalt“ (135 ff). Literaturhinweise (194 ff) und ein gut aufgeschlüsseltes Register (200 ff) runden das Buch ab.

Was wohltuend auffällt, ist die theologische Fundierung aller Einzelaussagen. Ratzinger stellt die großen Linien authentischen liturgischen Verständnisses im Einklang mit dem Glauben heraus. Als dessen lebendigen Ausdruck sieht er die würdige Feier der Erlösungsgeheimnisse in heiligen Zeichen und Riten.

So bestimmt er in „Liturgie und Leben“ (11 ff) den Ort der Liturgie in der Wirklichkeit in der Weise, daß der Kult in seiner wahren Weite und Tiefe „über die liturgische Aktion hinausreicht“ (17) und die Ordnung des ganzen menschlichen Lebens umfaßt. Christliche Liturgie steht immer in Beziehung zu Kosmos und Geschichte. Schöpfung wartet auf den Bund des Heiles, den Gott in der Geschichte des auserwählten Volkes und durch die Sendung seines Sohnes Jesus Christus mit der Menschheit geschlossen hat, was in der Liturgie – und hier vor allem in eucharistischen Opfer – anamnetisch präsent gehalten wird.

„Die vom biblischen Glauben bestimmte Grundgestalt christlicher Liturgie“ hebt die Vorläufigkeit der Tempelopfer auf ins Neue der Hingabe Christi. Dieser nimmt uns in seiner Stellvertretung auf und führt „uns in jene Verähnlichung mit Gott, in jenes Liebe-Werden hinein, das die einzig wahre Anbetung ist“ (40). So kann der christliche Kult als wahrhaft „logosgemäß“ bezeichnet werden.

Die Inkarnation des Sohnes Gottes nimmt die menschliche Zeit auf in den Raum der Ewigkeit, sodaß sich in der Eucharistiefeier wie auch im Martyrium die „äußerste Realisierung der Gleichzeitigkeit mit Christus“ (51), das Einssein mit ihm, vollzieht. Christi Opfer als Stellvertretung will im „Semel“ („einmal“) sein „Semper“ („immer“) erreichen und die Welt zum Raum der Liebe neuschaffen.

Auch im Kirchengebäude („Heilige Orte“, 55 ff) wird die Einheit der biblischen Testamente deutlich: Der „innere Zusammenhang von Synagoge und Kirchengebäude“ drückt sich durch Kontinuität und Neuheit aus. Die synagogale Ausrichtung auf den Tempel zu Jerusalem wird zur Ausrichtung gen Osten, hin auf den wiederkommenden Christus, was auch Konsequenzen für die bevorzugte Richtung der Zelebration hat. „Wo die direkte gemeinsame Zuwendung zum Osten nicht möglich ist, kann das Kreuz als der innere Osten des Glaubens dienen. Es sollte in der Mitte des Altares stehen und der gemeinsame Blickpunkt für den Priester und für die betende Gemeinde sein.“ (73)

Die „Aufbewahrung des Heiligsten Sakraments“ soll die bleibende Gegenwart des Herrn herausstellen und zu dessen anbetender Verehrung auch außerhalb der Messe einladen. „Damit die Gegenwart des Herrn uns konkret anrührt, muß der Tabernakel auch in der Architektonik des Kirchenbaues den gebührenden Platz finden.“ (79)

Im Kirchenjahr ereignet sich „Heilige Zeit“ (80 ff), in der der Anruf der Gnade an uns ergeht, sich dem „Jetzt“ der göttlichen Einladung zu öffnen.

Als „Grundprinzipien einer dem Gottesdienst zugeordneten Kunst“ (113) können herausgestellt werden: 1. Bilder dürfen nie ganz fehlen, da Gott „in seinem geschichtlichen Handeln in unsere Sinnenwelt eingetreten“ ist, „damit sie durchsichtig werde auf ihn hin.“ 2. Ihre Inhalte findet sakrale Kunst in den Bildern der Heilsgeschichte. 3. Das Christusbild ist in seinen verschiedenen Ausgestaltungen immer das paschatisch zentrierte Bild und Ikone der Eucharistie, „das heißt, es verweist auf die sakramentale Gegenwart des Ostergeheimnisses“ (114). 4. Ziel ist das innere Sehen des Glaubens, das hineinführt in die Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht in der himmlischen Herrlichkeit. 5. Obwohl die Kirche des Westens ihren eigenen Weg nicht zu verleugnen braucht, den sie in der Bilderfrage gegenüber dem Osten gegangen ist, sollten doch auch für sie „die Grundlinien dieser Theologie des Bildes“ (115) als normativ angesehen werden. Somit besteht ein Unterschied zwischen der sakralen, auf die Liturgie bezogenen Kunst und einer allgemein religiösen Kunst.

Die gesangliche und musikalische Form im Rahmen der Liturgie erwuchs zunächst aus der Praxis der jüdischen Synagoge. Die Psalmen wurden christologisch gedeutet und neue Hymnen komponiert. Auch die Musik der Liturgie muß „logosbezogen“ bleiben: Sie ist wortbezogen, d.h. „daß die biblischen und liturgischen Texte die maßgebenden Worte sind, an denen sich die liturgische Musik zu orientieren hat“ (128). Es muß eine Musik sein, die den Geist des Menschen erhöht und ihn befähigt, ihn mit dem Heiligen Geist zu vereinen. Liturgische Musik besitzt auch einen „kosmischen Charakter“: Sie verleiht der unbelebten und unter dem Menschen stehenden Kreatur eine Stimme und ist ein Miteinstimmen in das Lob der Engel.

„Liturgische Gestalt“ drückt sich aus in den anerkannten Riten als „Gestalten apostolischer Überlieferung und ihrer Entfaltung in den großen Traditionsräumen“ (141). Gerade hier zeigt sich, daß auch die sich auf die Weitergabe und Auslegung der göttlichen Offenbarung beziehende Vollmacht des Papstes Grenzen hat, da sie „im Dienst der heiligen Überlieferung“ steht. „Noch weniger kann eine sich in Beliebigkeit verkehrende allgemeine ‚Freiheit’ des Machens mit dem Wesen von Glaube und Liturgie vereinbart werden“ (143). Denn die Liturgie lebt nicht von menschlichen Einfallen; sie ist vielmehr „der Ein-Fall Gottes in unsere Welt, und der befreit wirklich“ (145).

Die besondere Einbezogenheit des Leibes in die Liturgie wird abschließend noch erörtert. „Tätige Teilnahme“ (149 ff) im Sinn des 2. Vatikanums zielt nicht primär auf äußere Aktion, sondern auf inneren Mitvollzug des Opfers Christi und der Kirche. Der innere Sinn des Kreuzzeichens wird aufgeschlossen: Es ist Bekenntnis zu Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, und zum Dreifaltigen Gott. Als Haltungen des Christen bei der Liturgie sind das Knien (die Prostratio), das Stehen und Sitzen in Schrift und Tradition verankert. Doch der „Tanz ist keine Ausdrucksform christlicher Liturgie“ (170). Denn was „man in der äthiopischen Liturgie oder in der zairesischen Form der römischen Liturgie so nennt, ist rhythmisch geordnetes Schreiten, das der Würde des Vorgangs gemäß ist, die verschiedenen Wege in der Liturgie innerlich in Zucht nimmt und ordnet, ihnen so Schönheit und vor allem: Gott-Würdigkeit gibt“ (171). Als Ausdrucksform der Volksfrömmigkeit findet der Tanz je nach kulturellem Hintergrund hingegen seinen Ort.

„Gebärden“ (174 ff) wie die Orantenhaltung, das Falten der Hände oder das Klopfen an die Brust drücken existentielle menschliche und christliche Haltungen aus. Weiters wird auf die Bedeutung des liturgischen Wortes und des Schweigens hingewiesen. „Wer je eine im stillen Kanongebet geeinte Kirche erlebt hat, der hat erfahren, was wirklich gefülltes Schweigen ist, das zugleich ein lautes und eindringliches Rufen zu Gott, ein geisterfülltes Beten darstellt“ (185). In dieser Feststellung liegt eine gewisse Kritik an der liturgischen Praxis des ausschließlich lauten Vortrags des Hochgebets. Diese Aussage Ratzingers ist als wichtige gedankliche Anregung bei der Vorbereitung einer allfälligen „Reform der Reform“ zu werten.

Im „liturgischen Kleid“ (187 ff) stellt der Priester Christus dar, den die Christen durch die Taufe „angezogen“ haben (vgl. Gal 3,22). Abschließend geht Ratzinger noch auf elementare materielle Zeichen bei der Spendung der Sakramente ein: auf Wasser, Brot und Wein sowie auf das Öl.

Man muß Kardinal Ratzinger dankbar sein, daß er in diesem Buch wichtige Einsichten liturgischer Theologie wieder ins allgemeine Bewußtsein gehoben hat. Dem Werk sind viele aufmerksame Leser zu wünschen, damit es so seine Früchte trägt für eine wahre liturgische Erneuerung, die dem 2. Vatikanischen Konzil verpflichtet ist und zugleich in der Tradition des Glaubens und organischer liturgischer Entfaltung steht!