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Das pastorale Anliegen von „Amoris laetitia“ setzt die Lehre der Kirche voraus
(26. November 2016)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Dieser Beitrag von Prof. Dr. theol. habil. Josef Spindelböck wurde in Kurzform am 22.11.2016 auf kath.net publiziert. Aufgrund von Reaktionen der Zustimmung, aber auch der Kritik wird hier eine modifizierte und erweiterte Fassung vorgestellt.

Im nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Amoris laetitia“ geht es – entgegen den als „Dubia“ vorgebrachten Befürchtungen mancher Kardinäle (die Papst Franziskus der Klarheit halber in aller Form einer verbindlichen Antwort würdigen sollte) – weder um eine über die bisherigen sittlichen und rechtlichen Normen hinausgehende Öffnung des Kommunionempfanges für sog. Wiederverheiratet Geschiedene, noch um eine Aufhebung jener sittlichen Normen, die in sich schlechte Handlungen ausnahmslos verbieten, noch um eine Infragestellung des Faktums, dass sich bestimmte Menschen in einer objektiven Situation der habituellen schweren Sünde befinden, noch um eine Aufhebung der Lehre von „Veritatis splendor“, wonach auch mildernde Umstände und gute Absichten einen in sich unsittlichen Akt nie in einen subjektiv sittlichen und als Wahl vertretbaren verwandeln können, noch um eine Akzeptanz einer kreativen Interpretation des Gewissens in der Weise, dass eben dieses Gewissen Ausnahmen von in sich schlechten Handlungen legitimieren könnte.

 

  • Das pastorale Anliegen

Was aber ist dann das Anliegen insbesondere des 8. Kapitels von „Amoris laetitia“? Papst Franziskus nimmt unter Voraussetzung dessen, was seine Vorgänger im Petrusamt gelehrt haben und zur konstanten Lehre der Kirche gehört, eine dezidiert pastorale Perspektive ein: Diese zielt darauf, auch Menschen in sog. irregulären Situationen mit der Liebe des Guten Hirten vertraut zu machen und auf diese Weise einen Bekehrungsprozess zu ermöglichen, der von der Trias „Begleiten – Unterscheiden – Integrieren“ geleitet ist.

Diese pastorale Perspektive ist an sich nicht neu. Sie steht in der besten Tradition des großen Papstes der Familie und Barmherzigkeit, des heiligen Johannes Paul II., dessen nachsynodales Apostolisches Schreiben „Familiaris consortio“ durch „Amoris laetitia“ keineswegs überholt ist, sondern eine Bestätigung erfahren hat.

Dass in einem letzten Schritt des Bekehrungsprozesses, wenn die Voraussetzungen vorliegen, „in gewissen Fällen“ vonseiten der Kirche auch die „Hilfe der Sakramente“ angeboten werden kann (Fußnote 351 zu Nr. 305 von „Amoris laetitia“), stellt eine Aussage dar, die auch missverstanden werden kann. Sicher darf sie nicht im Sinne einer unterschiedslosen Öffnung der Zulassung zum Kommunionempfang für Menschen in einer Situation, die objektiv den Geboten Gottes widerspricht, gedeutet werden.

 

  • Hermeneutik des Bruches oder der Reform in Kontinuität?

Die tiefergehende Problematik einer Interpretation von „Amoris laetitia“ als Bruch mit dem bisherigen Lehramt der Kirche ist in einer falschen Hermeneutik (= Auslegung) begründet. Dann werden gewisse Formulierungen von „Amoris laetitia“ plötzlich zum Problem.

Das kirchliche Lehramt der Päpste, Konzilien und Bischöfe stellt ein „nahtloses Gewand“ dar (vgl. Joh 19,23–24). Wer es an einer Stelle aufreißt und so einen Bruch herbeiführt, zerreißt das ganze Gewand. Die einzig angemessene Hermeneutik für ein richtiges Verständnis lehramtlicher Texte ist daher eine Hermeneutik der Reform in Kontinuität und nicht eine Hermeneutik der Diskontinuität oder gar des Bruches.

Wird diese Hermeneutik der Reform in Kontinuität auf „Amoris laetitia“ konsequent angewandt, heißt das: Die Lehre der Kirche gilt weiterhin, und alle unklaren, scheinbar im Widerspruch zur konstanten Lehre der Kirche stehenden Stellen von „Amoris laetitia“ müssen im Sinne dieser Lehre interpretiert werden.

 

  • Aus der Perspektive des Beichtvaters

Wesentlich für das rechte Verständnis von „Amoris laetitia“ ist die von Papst Franziskus eingenommene pastorale Perspektive, die für die Begleitung von Menschen hilfreich und nötig ist. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, wie sehr Franziskus das Bußsakrament und dessen oftmaligen Empfang betont. Dabei will er Brücken bauen auch zu Menschen, die sich schwer tun mit der Bekehrung. Denn ein menschlich gering erscheinender Ansatz des guten Willens kann vor Gott groß sein. „Die Priester erinnere ich daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn, die uns anregt, das mögliche Gute zu tun. Ein kleiner Schritt inmitten großer menschlicher Begrenzungen kann Gott wohlgefälliger sein als das äußerlich korrekte Leben dessen, der seine Tage verbringt, ohne auf nennenswerte Schwierigkeiten zu stoßen. Alle müssen von dem Trost und dem Ansporn der heilbringenden Liebe Gottes erreicht werden, der geheimnisvoll in jedem Menschen wirkt, jenseits seiner Mängel und Verfehlungen.“ (Evangelii gaudium, Nr. 44).

Zu bedenken ist die Unterscheidung, dass es objektiv schwere Sünden gibt, die aus Gründen der Einschränkung subjektiver Erkenntnis und Freiheit nicht voll anrechenbar sind. Letztlich kann dies für eine Person nur Gott selbst beurteilen, und doch gibt es gewisse Konstellationen, wo ein Beichtvater auch – mit aller Vorsicht – mit urteilen muss. Zwei Beispiele:

  • Ein habitueller Trinker, der sich bekehrt hat, aber es dennoch nicht schafft, vom Übermaß des Alkoholkonsums los zu kommen. Was ist, wenn er ehrlich beichtet und man zugleich weiß, er wird es wieder nicht schaffen? Der Papst würde sagen: Lossprechen! Ich stimme dem zu.
  • Ein Mensch, der von der Selbstbefriedigung nicht loskommt. Auch hier ist objektiv eine schwere Sünde gegeben, und doch spricht der „Katechismus der Katholischen Kirche“ (in Nr. 2352) im Einzelfall von Faktoren, welche die Schwere der Schuld mindern können. Wer als Seelsorger bestimmte Menschen kennt, die sich mit dem Kampf gegen diese Sünde schwertun, wird sie dennoch in der Beichte lossprechen. Ja, er wird sogar zum Betreffenden sagen, er brauche nicht immer gleich zur Beichte gehen, wenn es wieder einmal schiefgegangen ist, sondern könne – Reue vorausgesetzt – die hl. Kommunion empfangen und die Sünde bei der nächsten regulären Beichte vorbringen.

 

  • Der kirchliche Status des Sakraments der Ehe

Freilich ist es bei der Verletzung des Ehebundes, also beim Ehebruch nochmals anders, vor allem, wenn hier eine fortdauernde quasi-eheliche Verbindung begründet wird, die zur aufrechten gültigen Ehe in Widerspruch steht:
Hier handelt es sich abgesehen von der subjektiven Anrechenbarkeit dieser objektiv schweren Sünde auch um einen öffentlichen Status, der verletzt wird. Und solange die Verletzung des ehelichen Bundes objektiv besteht, sagt die Kirche, darf der Betreffende nicht zur Kommunion gehen (auch wenn diese Person vielleicht subjektiv nicht immer voll verantwortlich ist).

So erklärt Papst Johannes Paul II. in „Familiaris consortio“, Nr. 84: „Die Wiederversöhnung im Sakrament der Buße, das den Weg zum Sakrament der Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt werden, welche die Verletzung des Zeichens des Bundes mit Christus und der Treue zu ihm bereut und die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das nicht mehr im Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe steht. Das heißt konkret, dass, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen – zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder – der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können, ‚sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind‘ (Johannes Paul II., Homilie zum Abschluss der VI. Bischofssynode (25.10.1980), 7: AAS 72 (1980) 1082).“ D.h. nur beim Vorsatz zur Enthaltsamkeit kann die Lossprechung in der Beichte gegeben werden und in der Folge die Kommunion empfangen werden (unter Vermeidung von Ärgernis).

Es stellt sich die weitergehende Frage: Kann der Beichtvater im „forum internum“ (d.h. im Gewissensbereich) bei Würdigung des guten Willens der Betroffenen in einem Einzelfall auch dann die Lossprechung geben, wenn sie (noch) nicht enthaltsam leben (können)? Papst Franziskus scheint dies für möglich zu halten.

Die dabei nötige Unterscheidung kann niemals von den Erfordernissen der Wahrheit und der Liebe des Evangeliums, die die Kirche vorlegt, absehen. „Diese Haltungen sind grundlegend, um die schwerwiegende Gefahr falscher Auskunft zu vermeiden wie die Vorstellung, dass jeder Priester schnell ‚Ausnahmen‘ gewähren kann oder dass es Personen gibt, die gegen Gefälligkeiten sakramentale Privilegien erhalten können. Wenn ein verantwortungsbewusster und besonnener Mensch, der nicht beabsichtigt, seine Wünsche über das Allgemeinwohl der Kirche zu stellen, auf einen Hirten trifft, der den Ernst der Angelegenheit, die er in Händen hat, zu erkennen weiß, wird das Risiko vermieden, dass eine bestimmte Unterscheidung daran denken lässt, die Kirche vertrete eine Doppelmoral.“ (Amoris laetitia, Nr. 300)

Dieser Vorschlag bedarf der Klärung, aber nicht notwendigerweise durch das Lehramt der Kirche. So stellt der Papst zu Beginn von „Amoris laetitia“ fest: „Indem ich daran erinnere, dass die Zeit mehr wert ist als der Raum, möchte ich erneut darauf hinweisen, dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen. Selbstverständlich ist in der Kirche eine Einheit der Lehre und der Praxis notwendig; das ist aber kein Hindernis dafür, dass verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden, weiterbestehen.“ (Nr. 3)

 

  • Mit dem Papst und nicht gegen ihn katholisch bleiben

Ich gehe (mit Kardinal Müller und anderen) bis zum Erweis des Gegenteils davon aus, dass Franziskus in „Amoris laetitia“ keine substanzielle Änderung in der Lehre und Disziplin der Kirche vorgenommen hat – denn er will ja die diesbezüglichen Bestimmungen der Kirche nicht außer Kraft setzen oder gar neue vorlegen (vgl. Amoris laetitia, Nr. 300). Solange der Papst nicht explizit sagt, er vertritt anderes als seine Vorgänger, gilt es, ihn so zu interpretieren, wie in diesem Beitrag zum Ausdruck gebracht: gemäß einer „Hermeneutik der Reform in Kontinuität“ und nicht in einer „Hermeneutik der Diskontinuität“ oder gar des Bruchs. Es geht um die Verteidigung der katholischen Lehre mit dem Papst und nicht gegen ihn!

 

Lesen Sie den ausführlichen Kommentar zu „Amoris laetitia“, wie ihn Prof. Josef Spindelböck in der Zeitschrift „Theologisches“ 46 (2016) 203–220 veröffentlicht hat!