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Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche
Rezension zur Dissertation von Joseph Kardinal Ratzinger (März 2005)

Bernhard Sirch

Hinweis/Quelle: Dissertation des jetzigen Papstes Benedikt XVI., vormals Joseph Kardinal Ratzinger

Der damalige Verlagsdirektor des EOS Verlages, Dr.P.Bernhard Sirch, hat 1992 die Habilitation (Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura) und Dissertation von Joseph Kardinal Ratzinger nachgedruckt. Wer den Theologen Josef Ratzinger kennen lernen will, muss sein grundlegendes Werk, seine Dissertation: Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche lesen. Kardinal Ratzinger hat zur Neuauflage ein bedeutendes Vorwort geschrieben.

Ratzinger, Joseph / Benedikt XVI.
Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche.
Dissertation.
Neuauflage EOS Verlag März 2005
Münchener Theologische Studien, Systematische Abteilung
Bd. 7, 356 S.

Pater Bernhard Sirch schreibt:
 

In der theologischen Periode zwischen den beiden Weltkriegen war der Begriff Kirche als Leib Christi neu entdeckt worden als Überwindung eines einseitig juri­stischen und institutionellen Verständnisses von Kirche. Das Wort vom Leib Christi rückte die Kirche aus allem bloß Rechtlichen und Äußerlichen heraus in den Raum des Geheimnisses mit Christus als Mittelpunkt hinein; in der Enzyklika »Mystici Corporis Christi« Pius‘ XII. fanden diese Gedanken ihren Höhepunkt und Abschluss.

Im Katechismus des Trienter Konzils wird der hl. Augustinus zitiert, wonach die Kirche »das über die Erde zerstreute Volk der Glaubenden« sei. Ratzingers Lehrer, der Münchener Fundamentaltheologe G. Söhn­gen, gab seinem Schüler die Aufgabe, an Augustinus exemplarisch das Denken der Väter über die Kirche zu erforschen. Der Begriff »Volk Gottes« galt als neuer hermeneutischer Schlüssel zur Klärung dessen, was Kirche nach den Vätern ist.

Für Augustinus war »Volk Gottes« fast ausschließ­lich das Volk Israel, also die »Kirche« des Alten Te­stamentes. Volk Gottes wird erst Kirche, wenn es von Christus und vom Heiligen Geist neu versammelt wird. Erst durch eine christologisch-pneumatologische Lek­türe und nicht in seiner buchstäblichen Direktheit wird Volk Gottes zu einem Begriff für Kirche. Menschen werden Volk Gottes, zu »Söhnen Abrahams«, durch die Gemeinschaft mit Christus im Heiligen Geist. Ein Ge­brauch des Begriffes Volk Gottes für Kirche ist vom Neuen Testament und von den Vätern her ohne die christologische und pneumatologische Transposition nicht möglich; die Christologie gehört in den Kirchen­begriff unverzichtbar hinein. Der Kern der Väterexegese ist die von Christus im Heiligen Geist vermittelte Concordia testamentorum.

Ratzinger korrigierte somit die bisherige Ansicht, dass das Wort »mystisch« im Sinne der Väter keines­wegs als Innenschau des Göttlichen, als geheimnisvolle innere Gemeinschaft mit Gott ausgelegt werden kann (was wir heute unter »mystisch« verstehen), sondern »mystisch« im Sinne der Väter ist gleichbedeutend mit dem, was wir unter »sakramental« verstehen.

Die beiden tragenden Elemente von Augustins Vi­sion der Kirche sind die christologische relecture des Alten Testaments und das sakramentale Leben mit sei­nem Zentrum in der Eucharistie.

Zu den umstrittensten Fragen der Augustinus-Interpretation gehört der Begriff »Civitas Dei«: Bürgerschaft Gottes. Diesem Begriff ist unser neuzeitli­cher Idealismus ebenso fremd wie jede theokratische Auslegung im Sinn einer Politisierung der Kirche. Die pneumatologische Einheit der Testamente ist der Schlüssel zum Verständnis von »Civitas Dei«, die nicht irgendeine unbestimmte Gemeinschaft aller Redlichen besagt, sondern die real-historische Gemeinschaft, das »Volk«, das Gott sich konkret in der Welt sammelt: die Kirche, die immer nur in dem pneumatischen Über­schritt über alles empirische Volksein hinaus Gottes Bürgerschaft ist. Als Sakrament ist die Kirche nie ohne institutionelle Form, sie geht aber auch nie in der fassbaren juridischen Struktur auf.

Im 2. Vatikanischen Konzil finden wir die Gedan­ken Ratzingers wieder. Das Konzil hat dem Begriff »Volk Gottes« neues Gewicht gegeben und ihm ein ganzes Kapitel der Konstitution über die Kirche ge­widmet. Die Benennung der Kirche als Sakrament be­zeichnet klar die christologisch-pneumatologische Transposition des Volk-Gottes-Begriffs. Alle Deutun­gen der Texte des Konzils sind irreführend, die eine Absage an eine christologische Konzeption oder eine Relativierung der hierarchischen Gestalt von Kirche herauslesen und die Kirche nur noch soziologisch be­trachten wollen.

Der Wunsch des Kardinals ist: »Wenn die Neuauf­lage zu einer vertieften Besinnung auf die biblische und patristische Überlieferung führen und so auch zu einem besseren Verstehen des Zweiten Vatikanischen Konzils beitragen kann, hat sie ihre Aufgabe reichlich erfüllt.«