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Fjodor M Dostojewski
Schuld und Sühne
Rezension

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Fjodor M. Dostojewski Rodion Raskolnikoff. Schuld und Sühne München-Zürich 1999 Sämtliche Werke (bestellen bei Amazon)

Der Roman „Schuld und Sühne“ des russischen Dichters Dostojewski ist auch heute, 140 Jahre nach seinem ersten Erscheinen, noch durchaus lesenswert. Denn das Dargestellte betrifft trotz seines zeitgeschichtlichen Kolorits das allgemein menschliche Denken, Empfinden und Erleben, und somit wird an der Gestalt des Rodion Raskolnikoff und der anderen mit seinem Lebensschicksal verbundenen Personen Grundsätzliches aufgezeigt.

Die brennenden Fragen, die im Lauf der Erzählung eine gewisse Erhellung und Beantwortung erfahren, lauten: Wie wird jemand zum Verbrecher? Wie geht es ihm nach der Tat, und wie kann es zu einem derartigen inneren Wandel kommen, daß in der Perspektive der Hoffnung sogar ein neuer Anfang möglich wird? „Schuld und Sühne“ – das ist das zentrale Thema, das nicht nach Art eines Moralisierens nahegebracht wird, sondern durch die innere Spannung des Geschehens und der leitenden Ideen der beteiligten Personen.

Das Erstaunliche und zugleich für jeden Leser auch Bedenkliche liest sich dann so: Rodion ist kein Unmensch, und doch ist er fähig, eine alte geldgierige Pfandleiherin und ihre Schwester zu ermorden. Er wird dazu getrieben und veranlaßt sowohl durch seine psychische Verfassung wie auch durch äußere Umstände. Die Verantwortungsdimension ist dadurch zwar eingeschränkt, aber nicht ausgeblendet: Rodion handelt bis zu einem gewissen Grad als sittlich zurechnungsfähiger junger Mann.

Es gibt zwei unterschiedliche Kategorien von Menschen, so lautet die Überzeugung des jungen Rodion: das „Material“ und die „Auserwählten“. Diese wenigen Auserwählten bräuchten sich nicht an die Gesetze zu halten; sie könnten um höherer Ziele willen sogar Verbrechen begehen wie Napoleon, ohne daß ihnen diese angerechnet würden. Nur so wäre es möglich, daß sie den Lauf der Welt veränderten. Rodion zählt sich selbst dazu – zumindest vor seiner grausamen Tat, mit der er „lebensunwertes Leben“ vernichten will, um „lebenswertes Leben“ zu erhalten. Nachher plagen ihn große Gewissensbisse, und Zweifel quälen ihn. Die Antwort auf die ethische Fragestellung: „Darf man in einer existentiellen Notsituation oder aus Gerechtigkeitsgefühl einen anderen Menschen töten?“, kann auf dem Hintergrund dieses Romans nur „Nein“ lauten.

Rodion Raskolnikoff wäre aufgrund der Zeugnisse des Tathergangs einfach der skrupellose Raubmörder. Der scharfsinnige Untersuchungsrichter bringt den ehemaligen Studenten Raskolnikoff dazu, seine Motive offen zu legen und sich selbst anzuklagen. Hier ergibt sich nun ein Bild von der seelischen Not des Mörders. Von dort aus ist es freilich noch weit bis zu jener inneren Einsicht in die Schlechtigkeit seiner Tat, die es ihm ermöglicht, bewußt und freiwillig die verhängte Strafe als Sühne auf sich zu nehmen.

Den Zugang dazu eröffnet ihm schließlich seine Freundin Sonja, die bereit ist, mit ihm nach Sibirien zu ziehen, wo Raskolnikoff im Arbeitslager die Jahre der Wiedergutmachung verbringen wird. Letztlich ist es deren tiefe und zarte Liebe, die ihm das Herz wieder aufschließt für die wahren Werte des Menschseins und auch für die Erneuerung der Verbindung mit dem lebendigen Gott. Die biblische Erzählung von der Auferweckung des Lazarus, die Sonja dem Mörder Rodion vorgelesen hat, ist ein Zeichen dafür, daß auch ihm Auferstehung aus seiner Schuldbeladenheit verheißen ist.

Abschließend sei noch angemerkt, daß der Roman das Verständnis des Mitteleuropäers für die russische Seele neu wecken kann. Die kurz vor dem 300-Jahr-Jubiläum stehende Zarenstadt Sankt Petersburg steht im Mittelpunkt; und die Menschen dieses Landes werden sowohl in ihren dunklen wie auch in ihren edlen Anlagen und Eigenschaften meisterhaft dargestellt. Alles in allem: Ein psychologischer, aber auch philosophisch-religiöser Krimi der Extraklasse!