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Der Papst fleht um Vergebung für das Verbrechen der Sklaverei
(22. Februar 1992)

Johannes Paul II.

Hinweis/Quelle: Der Apostolische Stuhl 1992. Ansprachen, Predigten und Botschaften des Papstes; Erklärungen der Kongregationen. Vollständige Dokumentation, Vatikan-Köln, 240–243.

Sklaverei läßt an Konzentrationslager denken

(Gedanken auf Gorée (Senegal), dem Sklavenhaus Afrikas)

Diese Generationen von Negern, von Sklaven, lassen mich daran denken, daß Jesus Christus sich zum Sklaven machen wollte und daß er Knecht geworden ist. Er hat das Licht in die Sklaverei gebracht, dieses Licht nennt sich die Anwesenheit Gottes, die Offenbarung Gottes, die bedeutet: Gott ist die Liebe. Hier an diesem Ort denkt man vor allem an die Ungerechtigkeit. Es ist ein Drama der Zivilisation, die sich christlich nannte. Sokrates, der große Philosoph der Antike, sagte, daß diejenigen, die die Ungerechtigkeit erleiden, in einer besseren Lage sind als die, die sie verursachen.

Also dies ist die andere Seite der Wirklichkeit der an diesem Ort erfahrenen Ungerechtigkeit. Es ist ein Drama, ein menschliches Drama. Der Schrei von unzähligen Generationen fordert, daß wir uns für immer von diesem Drama befreien, denn seine Wurzeln sind in uns, in der menschlichen Natur, in der Sünde.

Ich bin hierhergekommen, um allen unbekannten Opfern Ehre zu erweisen. Man weiß nicht genau, wieviele es waren. Man weiß nicht genau, wer sie waren. Leider ist unsere Zivilisation, die sich christlich nannte und nennt, auch in unserem Jahrhundert eine Zeitspanne lang zur Praxis der Sklaverei zurückgekehrt. Wir wissen, was die Konzentrationslager waren. Hier ist ein erstes Beispiel davon. Wir können nicht in der Tragödie unserer Zivilisation, unserer Schwäche, der Sünde, untertauchen. Wir müssen einem anderen Ruf treu bleiben, dem des heiligen Paulus, der gesagt hat: „Wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden.“

 


 

Das Verbrechen der Sklaverei: Der Papst fleht um Vergebung

(Ansprache an die katholische Gemeinschaft auf der Insel Gorée (Senegal))


Liebe Brüder und Schwestern!


1. Von ganzem Herzen grüße ich euch.
Laßt mich meine Freude und meine Rührung darüber zum Ausdruck bringen, euch auf dieser berühmten Insel Gorée zu besuchen, die aufgrund ihrer Geschichte und der architektonische Qualität ihrer antiken Bauwerke Teil des Weltguts der Menschheit ist.

Wie an meiner Freude, so lasse ich euch an meinen innigen Gefühlen teilhaben, Gefühle, die man in einem Ort wie diesem empfindet, der tief gezeichnet ist durch die Unstetigkeit des menschlichen Herzens, Schauplatz eines ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse, zwischen Gnade und Sünde. Gorée, das Symbol der Ankunft des Evangeliums der Freiheit, ist leider auch das Symbol der schrecklichen Verwirrung derer, die Brüder und Schwestern, für die das Evangelium der Freiheit bestimmt war, zu Sklaven gemacht haben.

Der Papst, der die Freuden und Hoffnungen wie auch die Trauer und Ängste der Menschen zutiefst mitempfindet, kann nicht unberührt bleiben von all dem, was Gorée darstellt.

2. Wenn ich hierherkomme, liebe Brüder und Schwestern, so ist es zunächst, um eine Pilgerfahrt zu den Quellen der katholischen Kirche in Senegal durchzuführen. Gorée hat nämlich seit dem 15. Jahrhundert die ersten katholischen Priester, und zwar die Schiffsgeistlichen der portugiesischen Karavellen, die hier Zwischenstation machten, aufgenommen. Gewiß, die Frohbotschaft des Heiles in Jesus Christus hat sich auf dem Kontinent nicht sogleich ausgebreitet, doch in der Folge wurden Gorée und Saint Louis wahre Brennpunkte der Evangelisierung; der Papst freut sich, ihrer Ausstrahlung Ehre zu erweisen. Gorée kann sich außerdem rühmen, der Kirche die ersten senegalesischen Priester der Neuzeit geschenkt zu haben; von Gorée zogen auch die Missionare des Dieners Gottes Pater Libermann aus, um 1848 die Mission in Dakar zu gründen.

In dieser Kirche, die dem hl. Karl Borromäus gewidmet ist, einem Heiligen, der mir persönlich sehr am Herzen liegt, ist es gut, uns zu sammeln und uns der großen Gnade der Ankunft des Gottesreiches auf diesem Teil der Welt bewußt zu werden. Wir freuen uns, daß nach dem Maß des geheimen Ratschlusses der göttlichen Vorsehung das Gebet des Herrn Erhörung findet, das wir soeben gehört haben und das die Kirche in allen Zeiten unablässig wiederholt: „Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme“ (Mt 6,9–10). Ja, wir danken Gott dafür, daß er seine Apostel hierhergesandt hat; wir loben ihn dafür, indem wir die Worte des Psalmisten wiederholen, denn: „ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde“ (Ps 19,5).

Als Christus seinen Jüngern das anvertraute, was er „sein“ Gebot nannte: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe“, fügte er hinzu: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13). Er verkündete hiermit, was er selbst durch seinen Tod am Kreuz erfüllen sollte, durch sein Blut, das er für uns und für alle Menschen vergossen hat. Die Apostel und die Märtyrer, die dem Herrn im Leiden verbunden waren, haben es ihm in diesem Zeugnis gleichgetan, so wie auch die Heiligen aller Zeiten, die ihr Leben für das Gottesreich hingegeben haben. Zu diesem glorreichen Geschlecht der Vorreiter des Evangeliums gehören auch die Pioniere des Glaubens, die in dieses Land gekommen sind, um hier den Samen des göttlichen Wortes auszustreuen und ihr Leben für ihre afrikanischen Freunde hinzugeben. Mit euch danke ich von Herzen für all das, was Generationen von Missionaren hier verwirklicht haben; es waren Priester, Katechisten, Ordensleute, von denen die selige Anne-Marie Javouhey mit vielen anderen ein bemerkenswertes Beispiel wahrer Gottes- und Nächstenliebe gegeben hat. Diese Arbeiter und Arbeiterinnen des Evangeliums haben für seine Verwurzelung feste örtliche Rahmenbedingungen geschaffen. Heute hat die katholische Kirche ihren zwar bescheidenen, doch unleugbaren Platz in Senegal, und sie bezeugt echten apostolischen Eifer, wie es die Synode eurer Erzdiözese beweist, der ihr als katholische Gemeinschaft der Insel Gorée euren Beitrag leistet.
Wenn ich an das Erbe der Vergangenheit denke sowie an alles, was in der Gegenwart geschieht, so wiederhole ich von Herzen die Worte des Apostels Paulus, dieses feurigen Missionars: „Dank sei Gott für sein unfaßbares Geschenk“ (2 Kor 9,15).

3. Doch wird man in Gorée, wo man sich so ganz der freudigen Danksagung hingeben möchte, beim Gedanken an andere Geschehnisse, die dieser Ort in Erinnerung ruft, von Trauer eingeholt. Der Besuch des „Sklavenhauses“ erinnert uns an den Negerhandel, den Pius II., als er 1462 an einen nach Guinea abreisenden Missionsbischof schrieb, als „großes Verbrechen“, als „magnum scelus“, bezeichnete. Während einer ganzen Epoche der Geschichte des afrikanischen Kontinents sind schwarze Männer, Frauen und Kinder, ihrer eigenen Erde entrissen und von ihren Nächsten getrennt, auf diesen engen Raum geführt worden, um hier als Ware verkauft zu werden. Sie kamen aus allen Ländern und wurden von hier aus in Ketten in ungewisse Richtungen verschifft; das letzte Bild, das sie von ihrem heimatlichen Afrika im Blick behielten, waren die großen Basaltfelsen von Gore. Zweifellos bleibt diese Insel im Gedächtnis und im Herzen der ganzen schwarzen Diaspora.

Diese Männer, diese Frauen und Kinder wurden Opfer eines schändlichen Handels, an dem sich Menschen beteiligt haben, die getauft waren, aber ihren Glauben sicherlich nicht lebten. Wie kann man das namenlose Leid vergessen, das unter Mißachtung der elementarsten Menschenrechte den aus dem afrikanischen Kontinent verschleppten Völkern zugefügt wurde? Wie kann man die Menschenleben vergessen, die in der Sklaverei vernichtet wurden?

In aller Demut und Wahrheit muß diese Sünde des Menschen gegen den Menschen, diese Sünde des Menschen gegen Gott eingestanden werden. Wie lang ist doch der Weg, den die Menschenfarnilie gehen muß, bevor ihre Glieder es lernen, sich als Ebenbilder Gottes zu erkennen und zu achten, um sich schließlich als Söhne und Töchter eines einzigen himmlischen Vaters zu lieben?

Von diesem afrikanischen Heiligtum des schwarzen Schmerzes aus flehen wir um die Vergebung des Himmels. Wir bitten darum, daß die Jünger Christi in Zukunft das ihnen vom Herrn auferlegte Gebot der gegenseitigen Liebe in aller Treue erfüllen mögen. Wir bitten darum, daß sie niemals wieder, auf welche Weise auch immer, die Unterdrücker ihrer Brüder und Schwestern sein mögen, daß sie stets versuchen, das Mitgefühl des barmherzigen Samariters des Evangeliums nachzuahmen und den Menschen zu helfen, die in Not sind. Wir bitten darum, daß die Geißel der Sklaverei wie auch ihre Folgen für immer verschwinden mögen: Fordern uns Ereignisse jüngster Zeit auf eben diesem Kontinent nicht dazu auf, die lange und mühselige Umkehr der Herzen weiterzuführen? Wir müssen uns ebenso den neuen, oft heimtückischen Formen der Sklaverei entgegenstellen, wie die organisierte Prostitution, die auf schändliche Weise das Elend der Bevölkerung der Dritten Welt ausnutzt.

In dieser Zeit der entscheidenden Wandlungen leidet Afrika stark an den noch offenen Wunden, die ihm früher zugefügt wurden. Seine Bevölkerung ist in gewissen Gebieten über lange Zeit geschwächt worden. Auch die Hilfe, die es dringend braucht, gebührt ihm zu Recht. Möge Gott, daß eine Solidarität gegenüber Afrika entsteht, die diesem Kontinent hilft, seine riesigen Schwierigkeiten zu überwinden! Zum Abschluß dieses Treffens, dieser weltweiten Gebetsbegegnung, rufen wir Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, an.

In tiefer Reue über die Sünden der Vergangenheit, insbesondere jener, an die uns dieser Ort erinnert, wollen wir sie bitten, „unsere Fürsprecherin“ bei ihrem Sohn zu sein. Wir wollen zu ihr beten, damit Gewalt und Ungerechtigkeit unter den Menschen aufhören, keine neuen Gräben des Hasses und der Rache entstehen, sondern Achtung, Eintracht und Freundschaft unter den Völkern zunehmen.

Nun, da in Afrika, in Europa, in Amerika und in allen Gebieten der Welt die Frohbotschaft Christi durch hochherzige Initiativen mit neuem Schwung verkündet werden soll, tragen wir ihr unsere Bitten vor, damit das Reich ihres Sohnes kommen möge, das „Reich des Lebens und der Wahrheit, der Gnade und Heiligkeit, dem Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“ (vgl. Präfation zum Christkönigsfest).