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Botschaft an die Teilnehmer des vierten Internationalen Priestertreffens in Jerusalem
Zum ontologischen Charakter der priesterlichen Berufung (22.-27.06.1999)

Johannes Paul II.

Hinweis/Quelle: Die Tagespost, Nr. 137, 16.11.1999, S. 6; Übersetzung: Claudia Reimüller

Meine lieben Priester!

1

Mit tiefer Zuneigung und lebhafter Freude wende ich mich an Euch, die Ihr im Heiligen Land am IV. Internationalen Treffen in Vorbereitung auf das große Jubiläum des Jahres 2000 teilnehmt.

Wir stehen kurz vor dem Beginn eines neues Jahrtausends, des dritten seit der Fleischwerdung des Wortes. Zahlreiche Herausforderungen zeigen sich am Horizont, aber da wir auf Denjenigen zählen können, der die Welt besiegt und uns versichert hat, bis ans Ende der Tage bei uns zu bleiben (vgl. Mt 28,19–20), haben wir keinen Grund, die Ungewißheiten der Zukunft zu fürchten. Wir fürchten eher, Christus nicht so zu bezeugen, wie die Zeiten und die Umstände es erfordern.

Uns sollte einzig die Frage bekümmern, wie treu wir uns jeden Tag nach unserer Identität erneuern, denn Identität ist Wahrheit: Wahrheit des Seins, aus der sich die Wahrheit des Handelns ergibt, die Wahrheit unseres pastoralen Dienstes.

2

Jesus steht vor uns und fragt uns wie einst die Apostel: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Heute besteht angesichts dieser Frage viel Verwirrung. Die Antworten laufen – zumindest praktisch – häufig darauf hinaus, Christus mit einem Erleuchteten, mit einem klugen Morallehrer oder mit einem faszinierenden Menschenfreund zu identifizieren.

Die Identität Jesu ist nicht ein Problem unter vielen: es ist die fundamentale Frage, denn von der Antwort auf sie hängt die Gesamtansicht auf den Menschen, auf die Gesellschaft, auf die Geschichte, auf das Leben, auf den Tod und auf das, was darüber hinausgeht, ab.

Was die Kirche betrifft und was uns betrifft, steht und fällt alles mit dem Glauben an Jesus von Nazareth. „Ihr aber“ – und Jesus ruft uns hier an – „für wen haltet ihr mich?“ Wir kennen die Antwort, die Simon Petrus im Gebiet von Cäsarea Philippi im Namen aller Jünger gab: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ So hat Petrus also geantwortet, und so hat er durch die Jahrhunderte mittels seiner Nachfolger fortgefahren zu antworten. So antwortet er auch heute aus Rom in Euer aller Namen: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“. Das ist die Identität Christi, und diese Identität ist die Grundlage der unsrigen.

3

Meine Lieben! Ihr seid ontologisch nach dem Priester Christus gestaltet, nach Ihm, dem Oberhaupt und Hirten, so daß man in aller Wahrheit und mit der ganzen Tradition sagen kann, daß jeder Priester ein „alter Christus“ (lat. für „zweiter Christus“, Anm. d. Übs.) ist. Auf diese Eure Ontologie gründet sich die daraus folgende Deontologie.

Christus hat sich sehnlich gewünscht, sein einzigartiges Priestertum mit den Menschen zu teilen. Deshalb hat er, als er am Tisch des Letzten Abendmahls saß, zu seinen Aposteln gesagt: „Ich habe mich sehr danach gesehnt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen.“ Dann nahm er das Brot, dankte, brach es und reichte es ihnen mit den Worten: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lk 22,15–19). Aus dem Mund unseres Herrn bedeuten diese Worte, daß er die mit Verpflichtung verbundene Vollmacht verleiht, das Geschehen im Abendmahlssaal zu wiederholen und in jeder Zeit der Geschichte gegenwärtig zu machen.

Auf diese Weise ist Christus, dank Euch Priestern, stets sakramental in seiner Kirche präsent (vgl. Sacrosanctum Concilium, 7). Ihr handelt „im Namen und in der Person Christi“ (Lumen Gentium, 28). Ihr verkündet glaubwürdig das Evangelium. Christus spricht durch Euch: so geschieht es, daß „Christus Christus verkündigt“. Wer bringt das Opfer der Eucharistie dar? Ihr, aber nicht allein: es ist Christus, der durch Euch handelt, „derselbe bringt das Opfer jetzt dar durch den Dienst der Priester, der sich einst am Kreuz selbst dargebracht hat“ (Konzil von Trient, Sess. XXII, 17. Sept. 1562, Doctr. De ss. Missae sacrif., c. 2; vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Konst. Sacrosanctum Concilium, 7). Wer erteilt die sakramentale Absolution von begangenen Sünden? Ihr Priester, aber nicht allein: es ist Christus, der durch Euch vergibt. Ihr seid die „Verwalter von Geheimnissen Gottes“ (1 Kor 4,1)!

Durch die Weihe seid Ihr in ontologischem Sinn Zeugen Christi im Dienst am Wort und an den Sakramenten; gleichzeitig seid Ihr das reale Zeugnis von Christus, dem einzigartigen Priester. Im Augenblick der Weihe habt Ihr eine neue Art zu sein erhalten. Ihr seid durch das Priester-Sein gekennzeichnet, das ein wirkliches spirituelles Zeichen und unauslöschbar ist. Dieses Priester-Sein trennt Euch nicht von der Menschheit; im Gegenteil, es stellt Euch in ihr Zentrum, damit Ihr Euch in ihren Dienst stellen könnt. Denn das Priester-Sein fügt Euch in das Priestertum Christi ein, das „der Schlüssel, der Mittelpunkt und das Ziel der ganzen Menschheitsgeschichte“ ist (Gaudium et spes, 10), „Alpha und Omega“ (ebd. 45) der sichtbaren und unsichtbaren Wirklichkeit.

4

Meine Lieben! Wie könnte das heilende Wasser der Auferstehung zu allen Generationen fließen, wenn Ihr nicht wärt. Aus der Klarheit und der Sicherheit Eurer Identität erwächst das Bewußtsein Eurer absoluten Unersetzbarkeit in der Kirche und in der Welt.

Der Gute Hirte kann durch Euch weiterhin die Völker aller Kulturen auf jedem Kontinent und zu jeder Zeit lehren, heiligen, führen und lieben. Daher steht die Bezeichnung Hirte nur Euch zu, und da außerhalb von Christus kein Heil ist und Er überall auf der Welt verkündigt werden muß, ist es nicht möglich, die Schwelle des Dritten Jahrtausends zu überschreiten, ohne eine Priorität für die Berufungspastoral zu setzen. Wenn die Welt nicht ohne Christus leben kann, so kann sie auch nicht ohne seine Priester leben.

Liebe Priester, verkündet allen aus dem Land, in dem das Wort Fleisch geworden ist, aus dem Land, das Er durchschritten hat, eingetaucht in die Luft, die Er geatmet hat, erleuchtet von der Sonne, die seine Schritte erleuchtet hat, wer Jesus von Nazareth ist, sagt, daß in Ihm allein der Mensch seine vollkommene Verwirklichung findet, in Ihm allein den wahren Fortschritt, in ihm allein umfassenden Frieden und Gerechtigkeit, in Ihm allein Freude ohne Schatten, in Ihm allein die wahre und umfassende Menschlichkeit, die ihre Krönung im Ewigen Heil findet.

Schon durch Eure Präsenz macht Ihr deutlich, was der Priester und was seine Identität ist, Ihr zeigt Eure Unersetzbarkeit, die Notwendigkeit der vollen Entfaltung Eures pastoralen Dienstes innerhalb des Presbyteriums in enger Gemeinschaft mit dem Bischof. Bemüht Euch darum, jedem Menschen zu erklären, daß, wenn die Eucharistie in der Gemeinschaft einen absolut zentralen Platz einnimmt, die Person des Priesters gerade im Hinblick darauf ebenso zentral ist. Dort, wo es an Priestern mangeln sollte, können diese nicht ersetzt werden, sondern müssen vielmehr mit großer Beharrlichkeit von der ganzen Gemeinschaft herbeigefleht werden, im persönlichen und im gemeinsamen Gebet, durch die Buße und durch die besondere Heiligkeit der Priester.

5

Meine Lieben! In der vollen Erfüllung des petrinischen „munus“ („Dienstes“, Anm. d. Übs.) möchte ich Euch in diesem Glauben an die Identität Christi bestärken und in Eurer Identität als „zweiter Christus“. Seid in heiligmäßiger Weise stolz darauf, „berufen“ zu sein und seid im Bewußtsein der menschlichen Schwachheit besonders demütig im Blick auf diese hohe Würde.

Dank an Euch Priester, die Ihr wie ein Licht diejenigen erleuchtet, die sich Euch nähern, die Ihr wie Salz dem Leben Würze gebt. Danke für das, was Ihr tut und vor allem für das, was Ihr seid. Besonders bewegt möchte ich all den Priestern danken, die in der Treue zu ihrer eigenen Identität und Mission unter den verschiedensten Umständen zu leiden haben. Danke für Euren Schweiß, danke für Eure Mühe, danke für Eure Kraft, danke für Eure Tränen, danke für Euer Lächeln. Ein Dank an Gott, daß es Euch gibt!

Ein Dank auch an Euch Priester der beiden vergangenen Jahrtausende, die Ihr treu bis zum Martyrium an Eurer Identität und an Eurer Mission festgehalten habt. Wie kostbare Weihrauchkörner habt Ihr Euch im glühenden Feuer der pastoralen Liebe verbraucht und seid jetzt unsere Mittler in der Herrlichkeit der himmlischen Kirche. Danke für Euer bewunderungswürdiges Beispiel! Aber mein Dank richtet sich vor allem an „Te Deum“ für das Geschenk des Priestertums, und ich möchte Euch dazu auffordern, immer mehr in der Welt, aber immer weniger von der Welt zu sein, damit Ihr Euch immer allen in demütigem Stolz, auch mit dem gebührenden äußerlichen Zeichen, als das zeigen könnt, was Ihr seid: Es ist das Zeichen eines Dienstes, der keine Erholungspausen und kein Alter kennt, da er in Euer „Sein“ eingeschrieben ist.

Ich vertraue jeden von Euch mit besonderem Wohlwollen der Jungfrau Maria an, die uns vom Ewigen Priester auf einzigartige Weise als Mutter gegeben wurde. In ihre gefalteten Hände lege ich für jeden die demütige Bitte, ausdauernd zu sein und sich darum zu bemühen, den Brüdern als Erbe wenigstens einen Nachfolger dieses einzigartigen Priestertums zu vermachen, das in uns lebt und nach Liebe drängt.

Gemeinsam mit Euch segne ich alle Seelen, die der Höchste und Ewige Priester Euch anvertraut hat und die Er noch auf Euren Weg senden wird!

 

Aus dem Vatikan, 19. Juni 1999
Johannes Paul II.