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Richtlinien für die Ausbildung der Priesteramtskandidaten im Hinblick auf die Probleme von Ehe und Familie
(19. März 1995)

Kongregation für das katholische Bildungswesen

Einführung

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Die eben abgeschlossene Begehung des Jahres der Familie in der Kirche hat dieser Kongregation eine gute Gelegenheit geboten, die Aufmerksamkeit der Bischofskonferenzen auf die besondere Bedeutung hinzulenken, die in der Priesterausbildung den Problemen um Ehe und Familienleben zukommt. Auch wenn dieses Thema in den Ausbildungsprogrammen vorhanden ist und darum weder in der praktischen Ausbildung noch bei den Studien übergangen wird, so erfordert es doch neue lehrmäßige, moralische, spirituelle und pastorale Entfaltungen sowie neue Akzente, die seiner vollen Aktualität und Dringlichkeit entsprechen. Nach den Worten von Papst Johannes Paul II. ist es heute nämlich notwendig, daß die Familie und das Leben »in den Mittelpunkt der neuen Evangelisierung« gestellt und »Objekt eines gründlichen und systematischen Studiums und Überlegens in den Seminaren, den Ausbildungshäusern und -instituten werden« (Ansprache an die Präsidenten der Kommissionen der Bischöfe für die Familie in Lateinamerika vom 18. März 1993).

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Wie sich aus zahlreichen amtlichen Dokumenten der Kirche, aus verschiedenen Kongressen und Gesprächen in letzter Zeit zum Thema ergibt, sind die Aufgaben, welche die künftigen Priester auf diesem Gebiet ihres Dienstes im Unterschied zur Vergangenheit erwarten, sehr viel heikler, anspruchsvolle und vor allem komplexer geworden. Es geht auf der einen Seite um die Verkündigung der Neuheit und Schönheit der ‚göttlichen Wahrheit über die Familie’ (vgl. Johannes Paul II., Brief an die Familien »Gratissimam sane« 18, 23) sowie die Begleitung der christlichen Familie auf dem Weg zur Vollkommenheit der Liebe, und auf der anderen Seite
um das Auffangen von Krisensituationen und der Verbreitung von Lehren mit einer Auffassung von Leben und Sitten, die dem Evangelium und dem wahren Wohl des Menschen zuwiderlaufen. Mit einem Wort: die geistlichen und materiellen Bedürfnisse der christlichen Familie steigen heute erheblich an und erfordern daher den Dienst von Hirten, die nicht nur für diese Probleme aufgeschlossen, sondern auch mit der Wirklichkeit des Lebens vertraut und in der Lehre sicher sind.

Angesichts dieses Standes der Dinge stellen wir hier im folgenden zwei
Fragen: Sind die Priester, die heute aus den Seminaren hervorgehen, ausreichend vorbereitet, um diesen pastoralen Anforderungen zu genügen? Und wenn die Antwort nicht positiv sein sollte: Was ist zu tun, um ihre Vorbereitung zu verbessern, sie immer wirksamer und vollständiger zu machen?

I. Der derzeitige Stand der Ausbildung

Angesichts der großen Unterschiedlichkeit der Situationen auf Weltebene kann auch die Antwort auf die erste der beiden Fragen nur sehr unterschiedlich ausfallen. Bei der Formulierung ihres Urteils zu diesem Punkt stützt sich diese Kongregation auf die Ergebnisse einer entsprechenden Umfrage, die seinerzeit bei den Bischofskonferenzen durchgeführt wurde, auf die Informationen der Apostolischen Visitatoren der Seminare, auf die »Ad-limina«-Besuche der Bischöfe, auf die direkten Kontakte mit den Verhältnissen am Ort, auf die Befragung einiger Fachleute und auf die Meinungsäußerung der diözesanen und pfarrlichen Gemeinschaften: zumal die letztere ist ein ausgezeichneter Hinweis auf die Qualität der Ausbildung in den Seminaren sowie die entsprechenden Wünsche und Anregungen der christlichen Ehegatten.

Man kann sagen, daß diese Fülle von verschiedenen Daten, als Ganzes und umfassend betrachtet, einige Schlußfolgerungen allgemeiner Art erlaubt, die verschiedene Bedürfnisse und gemeinsame Tendenzen bei der Ausbildung aufzeigen:

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1. Auf den ersten Blick wird das Thema Ehe und Familie bei den kirchlichen Studien nicht vernachlässigt. Es ist gewöhnlich in die Lehre der dogmatischen Theologie (den Traktat über die Schöpfung), der Sakramente (Ehesakrament), der Moraltheologie (Probleme des ehelichen Lebens: Beziehungen zwischen den Ehegatten, zwischen Eltern und Kindern, Erziehung), der Pastoral (im Kapitel über die Familienpastoral), des Kirchenrechtes (Bedingungen für die gültige Feier des Ehesakramentes) und der Liturgie (der Ritus der Eheschließung) eingefügt. Es geht um grundlegende Fächer und Themen, die in einem bestimmten Sinn auch »traditionell« sind und mehr oder weniger in allen Seminaren behandelt werden, auch wenn die Form der Behandlung am einen oder anderen Ort, je nach der strukturellen und organisatorischen Gediegenheit der einzelnen Einrichtungen, unterschiedlich ist.

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Doch was in dieser Hinsicht heute am wichtigsten wird, ist nicht so sehr die materielle Organisation der Lehrvermittlung, sondern vielmehr ihre Qualität und Wirksamkeit. Urteilt man von den gesammelten Erfahrungen aus, aber auch von verschiedenen Kritiken sowie vom Gefühl der Unzufriedenheit her, die hier und dort vom didaktischen, lehrmäßigen und praktisch-pastoralen Gesichtspunkt aus vorgetragen werden, so muß man schließen, daß dieser Stoff nicht so sorgfältig und umfassend dargeboten wird, wie es erforderlich wäre, um der Kirche für diesen Apostolatsbereich gut vorbereitete Hirten zu geben; Hirten, die fähig sind, »die Lehre der Kirche über die Ehe ohne Zweideutigkeit darzulegen« (Paul VI., Enzyklika »Humanae vitae« 28), die Gewissen zu erhellen und zu bilden, sowie eine fachkundige und anregende Zusammenarbeit mit apostolisch aktiven Familien zu fördern und damit der tiefreichenden Erneuerung der gesamten Familienpastoral einen neuen Impuls zu geben.

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2. Was den im engeren Sinn lehrmäßigen, dogmatisch-moralischen und spirituell-liturgischen Aspekt angeht, so besteht der weit verbreitete Eindruck, daß die Lehre auf der einen Seite, zumal in der Moraltheologie, nicht ausgewogen ist und auf der anderen Seite eine klare Vorstellung von ihren Zielen und den Grundsätzen einer echten theologischen Forschung fehlt. Beim Thema Familie und Eheleben wird nicht selten das kirchliche Lehramt angegriffen, es finden sich Tendenzen zu einem übertriebenen Psychologismus und Soziologismus und bestimmte Einseitigkeiten, welche die Behandlung der ganzen Materie auf einige Teilaspekte beschränken, so daß es an Unversehrtheit und Vollständigkeit mangelt. Zugleich wird nicht selten bemerkt, daß einige wichtige, vom II. Vatikanischen Konzil und den späteren amtlichen Dokumenten der Kirche vorgelegte Aufgaben übergangen werden, wie etwa eine sorgfältigere philosophische und biblische Begründung der der Ehe zugrundeliegenden Anthropologie, ein gründlicheres Studium der natürlichen Methoden der Geburtenregelung und vor allem eine vollständigere und tiefer reichende theologische Darlegung der Wahrheit über die Familie und der Spiritualität der Ehe, ohne die die Familie nicht im apostolischen Geist wachsen und zu einer Antriebskraft für die geistliche Erweckung der christlichen Gemeinschaften und damit auch der bürgerlichen Gesellschaft werden können.

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3. Das Gewicht und die Kompliziertheit der ethischen, medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Probleme, die in der heutigen Situation der Familie erörtert werden, zeigen immer deutlicher, daß die Vorbereitung der künftigen Priester für das Apostolat auf diesem Gebiet großenteils von der Qualität der intellektuellen Ausbildung abhängt, die sie in den Seminaren erhalten. Die kirchlichen Studien besitzen jedoch nicht überall das ihnen gebührende Niveau. Ernsthafte Probleme schafft vor allem das Studium der Philosophie, die gerade heute immer häufiger heran gezogen wird, um ihren Beitrag zur Lösung der grundlegenden anthropologischen Probleme wie auch zur Interpretation und Anwendung der Ergebnisse der Wissenschaft anzubieten. Dies macht verständlich, daß eine solide Vorbereitung auf die Familienpastoral ohne eine sehr sorgfältige und vollständige intellektuelle, philosophische und theologische Ausbildung nicht auskommt, die nur von gut organisierten und im Bereich der Studien leistungsfähigen Seminaren garantiert werden kann.

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4. Ganz besondere Probleme stellen sich ferner bei der Vorbereitung der künftigen Priester für den Dienst der Versöhnung, die geistliche Begleitung und die Gewissensbildung der Gläubigen. Hier melden sich recht häufig von seiten der christlichen Eheleute Erwartungen und Fragen an, die in vielen Fällen keine angemessene Antwort finden. Sie suchen Beichtväter und Seelenführer mit sicheren moralischen Grundsätzen, die zugleich in den Wegen zur evangeliumsgemäßen Vollkommenheit erfahren sind, sie erklären aber, daß solche nur schwer zu finden sind. Nach ihren Aussagen treffen sie gelegentlich auf Priester, die sich an diesem Dienst wenig interessiert zeigen oder dafür wenig vorbereitet sind. Nach dem Apostolischen Schreiben »Reconciliatio et Paenitentia« »muß jeder Priester schon in den Seminarjahren für den Dienst der sakramentalen Buße zugleich mit dem Studium der dogmatischen, Moral-, geistlichen und Pastoraltheologie vorbereitet werden (die immer eine einzige Theologie ist), dazu der Humanwissenschaften, der Methode des Dialogs und zumal des seelsorglichen Gesprächs« (n. 29). Diesem nachdrücklichen Aufruf sind in letzter Zeit zahlreiche weitere gefolgt. Wie man jedoch verschiedenen Anzeichen entnehmen kann, wurde die allgemeine Krise der sakramentalen Beichte und der geistlichen Begleitung bisher noch nicht überwunden, obwohl man da und dort neuerdings eine größere Nachfrage danach bemerkt. Diese Feststellung führt zu der Frage, ob für diesen Zustand nicht wenigstens zum Teil auch die Lücken in der Ausbildung und der in den Seminaren praktizierte Lebensstil verantwortlich sind.

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5. Die eigentlich pastorale — theoretische und praktische — Ausbildung für das Familienapostolat hat in letzter Zeit erhebliche Vorteile ziehen können: an erster Stelle aus den Weisungen des Päpstlichen Lehramtes, des Apostolischen Schreibens »Familiaris consortio«, des Päpstlichen Rates für die Familie sowie der nationalen und diözesanen Pastoralpläne, wie auch aus der Tatsache, daß die Familie in der Gesamtpastoral neben den verschiedenen Elementen der Gemeinschaft und der Lebensstände (Männer, Frauen, Jugendliche, Alte usw.) ein spezifisches Profil bekommen hat, so daß sich ihre eigentlichen Probleme erkennen und aufgreifen lassen. Infolgedessen ist die Vorbereitung der Priesteramtskandidaten auf die seelsorglichen Aufgaben in diesem Bereich reicher und realistischer geworden, als dies früher der Fall war.

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Auf der anderen Seite freilich treffen diese verheißungsvollen Entwicklungen auf nicht wenige Hindernisse: es fehlen auf diesem Gebiet spezialisierte Dozenten; nicht alle Professoren verfügen über ausreichende pastorale Erfahrung; die Studienprogramme schließlich sind ohnehin bereits überladen und gestatten keine Behandlung der Probleme um Ehe und Familie in der notwendigen Breite und Tiefe. Hinzuzufügen ist, daß der praktische Nutzen der Lehrtätigkeit oft durch die Unsicherheiten und Schwankungen in der Lehre und die ungenügende Koordinierung der verschiedenen Fächer gemindert wird.

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Die praktischen pastoralen Erfahrungen der Seminaristen, deren Notwendigkeit immer mehr verspürt wird, gelingen besser in Diözesen mit vielen Initiativen zugunsten der Familien (Beratungsstellen, Familiengruppen und -bewegungen), die eine zutreffendere Sicht der Wirklichkeit erlauben und vor allem die Möglichkeit bieten, die kommunikativen Begabungen und die Fähigkeit zu echt menschlichen Kontakten zu erproben und zu verfeinern. Doch haben solche pastoralen Einübungen bisher wenig Erfolg gehabt, einmal weil in vielen Seminaren auf diesem Gebiet die Begleitung, Überwachung („Supervision“) und Auswertung durch die Erzieher fehlt, oder weil die jungen Menschen selber als wenig reif für diese Art von Apostolat angesehen werden und sich davon häufig auch nicht besonders angezogen fühlen. Ferner stören die Ausgänge der jungen Leute am Abend und in der Nacht, um an den Zusammenkünften der Familiengruppen teilnehmen zu können, nicht selten die Ordnung und Disziplin der Seminare.

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6. Neben den erwähnten Lücken und Schwierigkeiten ist freilich auch daran zu erinnern, daß sich in diesem Ausbildungsbereich neue Möglichkeiten und Perspektiven abzeichnen. Es kommen nämlich neue Impulse nicht nur von oben, sondern auch, wenn man so sagen will, von „unten“: aus den Pfarreien und Verbänden, welche die Seminare mit den Familien und ihren Problemen in Kontakt bringen. Es finden daher immer mehr Kurse zur Weiterbildung und Information für die Erzieher und Seminaristen statt, meist mit Hilfe der Verantwortlichen für die Familienpastoral und verschiedener Apostolatsgruppen organisiert, wobei die Aufmerksamkeit auf die Hilfen gerichtet ist, die man hier vom priesterlichen Dienst erwartet. Von diesen bisher eher sporadischen und nur gelegentlichen Angeboten gilt es freilich zur Durchführung von mehr systematischen und anspruchsvollen Programmen überzugehen, die mit der gebührenden Fachkenntnis und dem notwendigen Weitblick gestaltet werden und die die heute am meisten diskutierten lehrmäßigen, spirituellen und pastoralen Probleme berücksichtigen. Doch kann die Vorbereitung auf die Familienpastoral in den Seminaren ihre eigentlichen Ziele erst dann erreichen, wenn alle, die Ausbilder und die Auszubildenden, von ihrer wesentlichen und unausweichlichen Wichtigkeit überzeugt sind und die Familie in wirksamer Weise »zum ersten und wichtigsten« Weg ihres Dienstes machen (vgl. Johannes Paul II. Brief an die Familien »Gratissimam sane«, 2).

In diesem Zusammenhang erscheint daher unsere zweite Frage zur Verbesserung der Situation sehr angebracht:

II. Auf welchen Wegen lässt sich diese Ausbildung vollständiger und wirksamer Gestalten?

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Die zahlreichen und heiklen Probleme um Ehe und Familie lassen sich in einer den heutigen Bedürfnissen angemessenen Weise nur aufgreifen, wenn die Priester von echt pastoralem Geist beseelt sind und wirkliche Fachkenntnis besitzen. Daraus folgt, daß das Ausbildungssystem auf diesem Gebiet einer gründlichen Überprüfung und eventuell eines wirklichen Qualitätssprungs nach vorne bedarf.

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1. Jeder Schritt, den man in dieser Richtung unternimmt, muß geleitet sein von einem klaren Wissen um den Umfang und die Zielsetzungen dieses Bereichs des geweihten Dienstes: das Familienapostolat ist eine Aufgabe, die nicht nur die wenigen Priester angeht, die mit der Familienpastoral beauftragt sind oder werden; sie ist eine heute wesentliche und, man kann sagen, im christlichen Apostolat allgegenwärtige Dimension, die sämtliche Priester, wenn auch in unterschiedlichen Weisen und Graden, engagiert mittragen müssen. Jenen, die sich auf das Priestertum vorbereiten, müssen daher die Bildungsmittel verschafft werden, welche sie für die wirksame Durchführung dieses wichtigen und schwierigen Apostolates befähigen.

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2. Die Vielfalt der Bildungsthemen und -aufgaben auf diesem Gebiet erfordert eine sorgfältige Koordinierung der anfänglichen Ausbildung im Seminar und der ständigen Fortbildung. Mit aller Klarheit ist festzulegen, was in den Kursen im Seminar zu behandeln ist und was auf die Zeit nach der Priesterweihe verschoben werden kann. Bei der Auswahl der Themen muß notwendig unter anderem der Reifegrad der Alumnen berücksichtigt werden. Verschiedene Themen zum Eheleben können nämlich nur im Kontakt mit der pastoralen Praxis entsprechend ausführlich und konkret behandelt werden. Doch auch während der ersten Jahre des geweihten Dienstes gilt es entsprechend schrittweise bei den Aufgaben vorzugehen und den Neupriestern reifere und erfahrenere Hirten an die Seite zu stellen.

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3. Wenn man das Thema Familie weiter entfalten und vertiefen will, muß man möglichst die Vermehrung von Spezialkursen und -fächern vermeiden. Es empfiehlt sich hier vielmehr die fächerübergreifende Zusammenarbeit der bereits vorhandenen Lehrstoffe und eine solche Organisation des gesamten Lehrbetriebs, daß das Thema Familie eine innere Dimension der intellektuellen und pastoralen Ausbildung werden kann. Eine solche sorgfältige didaktische Koordinierung, die übrigens auch vom Dekret »Optatam totius« (Nr. 17) und der »Ratio fundamentalis« (Nrn. 80, 90) vorgesehen ist, gelingt freilich nur mit Hilfe und mittels Kontrolle eines echten Spezialisten für die Probleme von Familie und Ehe. Auf diese Weise tritt das Thema Familie und Ehe ins rechte Licht und läßt die Versuche weniger ratsam erscheinen, einen Spezialkurs anzubieten, der sich mit dem Thema unter sämtlichen Aspekten beschäftigt, wie es da und dort überlegt wird.

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4. Besondere organisatorische Probleme ergeben sich für die theologischen Fakultäten, an denen eine ziemliche Anzahl von Seminaristen ihre Studien macht. Die akademischen Kurse des ersten Zyklus sind gewöhnlich überladen und beschäftigen sich vorwiegend mit dem wissenschaftlichen Studium der hauptsächlichen theologischen Stoffe. Ihre vorrangige Aufgabe besteht daher darin, den Alumnen eine vom spekulativen und positiven Standpunkt aus gründlichere Darlegung der lehrmäßigen und moralischen Grundsätze, die Ehe und Familie betreffen, anzubieten, um sie zu befähigen, deren Gültigkeit zu vertreten und zu verteidigen und sie auf das konkrete Leben anzuwenden. Gleichzeitig ist ein gewisses Bemühen angebracht, in die Programme einige unerläßliche pastorale Hilfswissenschaften und Seminare einzubauen, und zwar trotz der bekannten räumlichen und zeitlichen Grenzen. Würden sich trotz guten Willens hier Lücken ergeben, sind sie im zweiten Zyklus (eventuell im »Pastoraljahr«, wie es von Art. 74 § 2 der Apostolischen Konstitution »Sapientia christiana« vorgesehen ist) oder aber mit ergänzenden internen Vorlesungen, die in den Seminaren oder Kollegien organisiert werden sollten, aufzufüllen.

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Es ist ferner Vorsorge zu treffen, daß Themen zu Ehe und Familie von den Studenten noch häufiger als Gegenstand der Spezialisierung oder für Diplom-, Magister- oder Lizentiatsarbeiten oder für Doktorarbeiten gewählt werden.

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5. Die Auswahl der einzufügenden, zu erneuernden oder in den Programmen noch weiter zu entfaltenden Themen und Gegenstände hängt von den konkreten kulturellen und pastoralen Verhältnissen am Ort ab. Nützliche Hinweise dazu können die Bischofskonferenzen bieten, konkret die nationalen und diözesanen Pläne für die Familienpastoral.

Nach diesen Problemen allgemeiner Art gehen wir nun zu einigen besonderen Aufgaben der intellektuellen, geistlichen und pastoralen Ausbildung über.

a) Die intellektuelle Ausbildung

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1. Allem voran ist die Verantwortung zu betonen, die den Lehrkräften bei der Darlegung der vollen und echten Wahrheit über den Menschen zukommt, besonders aber über die beiden grundlegenden Berufungen des christlichen Lebens, nämlich zur Jungfräulichkeit und zur Ehe, und über ihr gegenseitiges Verhältnis; ferner über »die beiden Dimensionen der ehelichen Vereinigung, die einigende und die zeugende Dimension«, die »nicht künstlich getrennt werden können, ohne die innerliche Wahrheit des ehelichen Aktes anzugreifen« (Johannes Paul II., Brief an die Familien »Gratissimam sane« 12). Vom gleichen Papst wird ausdrücklich unter Bezugnahme auf die Enzyklika »Veritatis splendor« betont: »Nur wenn die Wahrheit über die Freiheit und Gemeinschaft der Personen in Ehe und Familie erneut ihren Glanz gewinnt, kommen wir wirklich dem Aufbau der Zivilisation der Liebe näher, und man kann, wie es das Konzil tut, wirksam von einer ‚Aufwertung der Würde von Ehe und Familie sprechen’« (ebd. 13). Von einer lehrmäßig sicheren Darlegung, die an das kirchliche Lehramt gebunden und in ihrem spekulativen und positiven Aspekt entfaltet ist, hängt daher auch die Qualität der Ehespiritualität und des pastoralen Wirkens des Priesters ab.

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2. Die wohldurchdachte und vertiefte Kenntnis der Wahrheit über Ehe und Familie setzt eine gediegene und in gesunden Prinzipien begründete philosophische Reflexion voraus. Sie muß die Grundbegriffe der Anthropologie ans Tageslicht bringen, wie zum Beispiel die Person, ihre Selbstverwirklichung in der Intersubjektivität, ihre Bestimmung, ihre unveräußerlichen Rechte und den »bräutlichen Charakter« als eine der vorrangigen Äußerungsformen der menschlichen Natur, die auch konstitutiv sind für die Gesellschaft. Empfohlen wird, diesen Themen bei den philosophischen Kursen die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen und damit der ganzen Lehre über Familie und Sexualität eine sichere metaphysische Grundlage zu geben.

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3. Bei der Lehre der Philosophie, ergänzt mit Daten aus der Geschichte, der Soziologie und Ethnographie, wird man zu erklären versuchen, daß die derzeitige Krise der Ehe und der Institution Familie ihre Wurzeln in den Denkströmungen der Vergangenheit hat und nur ein klarer Ausdruck der tiefen Krise der geistigen, ethischen und kulturellen Werte ist, die heute die ganze Menschheit durchzieht. In diesem Zusammenhang betrachtet, gewinnen die pastoralen Aufgaben, auf die sich die jungen Menschen in den Seminaren vorbereiten, ihre wahre Dimension, wobei sie sich unter anderem auch als ein ernsthafter und intelligenter Dienst an der Wahrheit und am Aufbau einer neuen, des Menschen würdigeren Zivilisation erweisen.

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4. Die Auswahl der Themen der Bioethik wissenschaftlicher und philosophischer Natur wird im Hinblick auf die Bedürfnisse der Moraltheologie zu treffen sein, die sorgfältig erhobene wissenschaftliche Daten für die fachkundige Behandlung der aktuellsten Probleme des Lebens in Ehe und Familie braucht. Einige Themen dieser Art können eventuell der Pastoralmedizin zugewiesen werden, um die Beiträge der medizinischen Wissenschaft nutzen zu können.

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Bei der Moraltheologie sind nämlich »mehr als bei den anderen theologischen Fächern die Ergebnisse der Natur- und Humanwissenschaften, ferner die der menschlichen Erfahrung zu berücksichtigen; auch wenn diese Ergebnisse offensichtlich die moralischen Normen nicht begründen oder gar schaffen können, so vermögen sie doch viel Licht zu werfen auf die Situation und das Verhalten des Menschen« (Kongregation für das Katholische Bildungswesen: Dokument über »Die theologische Ausbildung der künftigen Priester«, 22. Februar 1976, 99; vgl. auch 54–58).

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5. Zahlreiche Elemente für eine angemessene thematische Erneuerung der verschiedenen Fächer für dieses Gebiet (dogmatische, Sakramenten-, Moral- und Pastoraltheologie und Kirchenrecht) sind großenteils in den Dokumenten des Päpstlichen Lehramtes enthalten: den Enzykliken »Humanae vitae« und »Veritatis splendor«, den Apostolischen Schreiben »Familiaris consortio« und »Christifideles laici«, im Apostolischen Brief »Mulieris dignitatem«, im Brief an die Familien »Gratissimam sane« und in zahlreichen weiteren Erklärungen des Papstes und der Dikasterien des Heiligen Stuhles (vgl. besonders die Erklärung »Persona humana« sowie die Instruktion »Donum vitae« und den Brief an die Bischöfe der katholischen Kirche über die pastorale Betreuung homosexueller Personen, veröffentlicht von der Kongregation für die Glaubenslehre). Es liegt hier ein eindrucksvolles ‘corpus‘ für Lehre und Pastoral vor, das in seiner organischen Einheit betrachtet je nach der Natur der einzelnen Themen in die verschiedenen Disziplinen integriert werden muß, um unterschiedliche theologische Konzepte zu klären und zu entfalten: d.h. um die eigentliche Natur und Identität der Familie zu erläutern, um die Theologie der »Familie als Hauskirche« zu bereichern, aber auch um treffende und wohlüberlegte Antworten auf die verschiedenen heute diskutierten Probleme zu geben wie die Berufung zur Vollkommenheit im Sinn des Evangeliums, die Unverletzlichkeit des Ehebandes und die Verteidigung des Lebens.

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6. Die Lehre der dogmatischen und Sakramententheologie muß, wenn die Vorbereitung der künftigen Priester auf die Familienpastoral organischer und prägnanter werden soll, das Licht des Glaubens auf ihr Objekt und ihre Zielsetzungen werfen. Sie müssen angeleitet werden, immer besser die wahrhaft christliche und übernatürliche Würde von Ehe und Familie kennenzulernen, wobei diese in den Zusammenhang des Schöpfungs- und Erlösungswerkes sowie des Geheimnisses der Kirche eingeordnet wird. Auf diese Weise leuchtet nämlich die wesentliche Rolle der christlichen Ehegatten in der gesamten Heilsökonomie auf, mitsamt allen Auswirkungen auf ein intensives sakramentales Leben und die Berufung zur Heiligkeit. Es geht hier um die Neuheit des Lebens in Christus, das aus dem Paschamysterium erfließt als Teilhabe an der Liebe des dreifaltigen Lebens selber, das den Ehegatten selbst, aber auch den künftigen Seelsorgern den großen Reichtum und die Vervollkommnung enthüllt, die sich daraus für die natürliche menschliche Liebe ergibt, wobei zugleich die wahren und letztendlichen Zielsetzungen deutlich werden, um die sich jedes Apostolat auf diesem Gebiet bemühen muß.

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7. Die Lehre der Moraltheologie, die eng mit der Lehre der Dogmatik verknüpft wird, ist in höherem Maße dafür verantwortlich, in den künftigen Priestern Überzeugungen und Grundhaltungen zum Familienapostolat auszuprägen. Sie muß wissenschaftlich ernsthaft und lehrmäßig sicher sein, so daß sie in ihnen die pastoralen Haltungen aufbauen kann und ihren apostolischen Eifer zu nähren vermag. Während sie bemüht ist, die objektiven Normen der Ehemoral darzustellen, wird sie sich zugleich mit den »besonderen Umständen« (vgl. das Apostolische Schreiben »Familiaris consortio« 77 ff.) und den schwierigen Fällen befassen und dafür den künftigen Seelsorgern pastorale Weisungen und Antworten zugleich mit Hinweisen für die kluge Heranziehung der Humanwissenschaften geben. Die Treue zum Lehramt wird ihnen gestatten, »mit allem Eifer für die Einheit ihrer Urteile zu sorgen, um den Gläubigen Gewissensängste zu ersparen« (ebd. 73).

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8. Das Kirchenrecht, das die Grundsätze des Glaubens und der Moral auf das konkrete Leben anwendet, bildet mit seinen Normen über die Bedingungen für die gültige Feier des Ehesakramentes und mit seinem Schutz des Ehebandes ein wichtiges Element der Familienpastoral. Sein fleißiges und für die vom modernen Leben sowie von dem Fortschritt der Humanwissenschaften, der Biologie und Medizin gestellten Probleme in rechter Weise offenes Studium soll den künftigen Priestern die nötigen Hilfen an die Hand geben, um sowohl die sich anbahnenden Ehen begleiten und ihnen helfen zu können, wie auch die schon geschlossenen Ehen und jene, die sich in der Krise befinden. Man muß ihnen daher auch einige Kenntnis über die Ehenichtigkeitsprozesse und die Praxis der kirchlichen Gerichtshöfe vermitteln, endlich auch über die bürgerlichen Gesetze, die direkt oder indirekt die Familie betreffen. Empfohlen wird daher auch ein aufmerksames Studium der »Charta der Familienrechte« des Heiligen Stuhles.

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9. Die soziale Dimension der Ehe- und Familienprobleme, zumal jener, die als Krisensituationen zu bezeichnen sind, ist besonderes Objekt der Soziallehre der Kirche. Bei den Fragen, die in der Moraltheologie vom Standpunkt der personalen Ethik her behandelt werden, wie z.B. Ehescheidung, Empfängnisverhütung, Abtreibung, künstliche Befruchtung usw., kommen hier zahlreiche weitere mit wirtschaftlichem und sozio-kulturellem Charakter hinzu (Arbeitslosigkeit, Familieneinkommen, Rechte der Familie, Frauen- und Kinderarbeit, neue Formen des ehelichen Zusammenlebens, Änderung der »Rollen« in der Familie, Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft, Unterricht und Schule, Wohnungsnot, Drogen, Behinderung, zwangsmäßige Auswanderung, Freizeit usw.), wobei diese im Licht der bleibenden Grundsätze und Werte, Urteilskriterien und Aktionsnormen studiert werden müssen. Diese Disziplin besitzt zahlreiche Berührungspunkte mit der Pastoraltheologie (zumal mit der »Sozialpastoral«) und erfordert daher eine gute fächerübergreifende Koordination.

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Für ihre Forschungen bedient sie sich des Beitrags der Human- und der positiven Wissenschaften (Biologie, Medizin, Psychologie, Wirtschaftswissenschaft, Ethnologie) wie auch der Ergebnisse der verschiedenen soziologischen und demographischen Analysen und Umfragen. Bei der Verwendung dieser Daten ist freilich »die Gefahr zu vermeiden, in die Fallstricke von Ideologien zu geraten, welche die Interpretation der Daten manipulieren, oder in den Positivismus, der die empirischen Daten zum Schaden des Gesamtverständnisses von Mensch und Welt überbewertet« (Kongregation für das Katholische Bildungswesen: »Leitlinien für das Studium und den Unterricht der Soziallehre der Kirche« 68; vgl. auch 10).

b) Geistliche Ausbildung

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1. Erste und notwendige Voraussetzung für die geistliche Betreuung der christlichen Ehegatten und ihrer Familien ist die menschliche und christliche Reife der Seelsorger. Erforderlich ist also, daß diesen beiden Aspekten der Persönlichkeit der künftigen Priester aufmerksam nachgegangen und von den ersten Jahren des Lebens im Seminar an für sie Sorge getragen wird. Vor allem muß für sie das Verhältnis zwischen der Berufung zur Jungfräulichkeit und jener zur Ehe als den zwei Dimensionen der einen Berufung zur Heiligkeit in ihrer ganzen Neuheit und Schönheit hervorleuchten, die stets im Lichte der Tradition und des beständigen Lehramtes der Kirche zu betrachten sind (vgl. Pius XII. Enzyklika «Sacra Virginitas»‚ 25. März 1954).

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2. Als künftige Beichtväter und Seelenführer müssen die Alumnen so gebildet werden, daß sie immer mehr die Schönheit und Wichtigkeit des Bußsakramentes und der Seelenführung entdecken, um selber als erste deren fleißige und regelmäßige Empfänger zu werden. Nach dem Apostolischen Schreiben »Reconciliatio et Paenitentia« können die Priester nämlich nicht würdig und fruchtbar diesen Dienst ausüben, ohne ihn selber vorher empfangen zu haben: »Bei einem Priester, der nicht mehr oder nur schlecht beichtet, würde sein priesterliches Sein und Tun sehr bald leiden, und das würde auch die Gemeinde merken, deren Hirte er ist« (Nr. 31,VI).

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3. Aufgrund der konkreten Erfahrungen wird festgestellt, daß die menschlichen Haltungen der künftigen Priester gegenüber dem Familienapostolat oft durch die nicht normale Situation der Familien gestört werden, aus denen sie selber stammen. In diesen Fällen machen verschiedene psychologische Faktoren den Seminaristen ihren Einsatz auf diesem Tätigkeitsgebiet schwer. Es ergibt sich daher die Notwendigkeit, ihnen geeignete Hilfen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten durch feinfühliges erzieherisches Eingreifen anzubieten. Ein wirksames Heilmittel wird für sie später die gemeinschaftliche Erfahrung in der Priesterschaft der Diözese sein, in der sie eine neue geistliche Familie für sich finden können und damit auch die Möglichkeit, ihre Beziehungs- und Kontaktfähigkeit zu den ihnen anvertrauten christlichen Familien zu vervollkommnen. Ja, ihre früheren persönlichen Erfahrungen können sie sogar geeigneter machen, mit echt menschlichem Taktgefühl auf verschiedene schwierige pastorale Situationen zu antworten.

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4. Die Vorbereitung auf die geistliche Begleitung der Familien beschränkt sich nicht einseitig auf die Probleme sexueller Art, und sie darf das auch nicht. Doch erfordern diese wegen ihrer Wichtigkeit und Kompliziertheit vom künftigen Priester über ein solides Wissen hinaus einige unerläßliche menschliche Qualitäten: »Jene, die sich mit der Sexualerziehung zu beschäftigen haben ..., müssen sexuell reife Persönlichkeiten sein und ein echtes sexuelles Gleichgewicht besitzen. Mehr noch als Kenntnis der Methode und des Inhalts ist der Persönlichkeitstyp wichtig, den der Erzieher darstellt, und die Perspektive, in der die Sexualerziehung, bevor sie noch erteilt wird, sich im Leben ausprägt, ferner der Lebensstil, den die Erziehung inkarniert. Wissen, Ratschläge und Sorge des Erziehers sind wichtig, doch viel mehr zählt sein Verhalten« (Kongregation für das Katholische Bildungswesen: »Leitgedanken für die Erziehung zum priesterlichen Zölibat« 39).

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5. Erstes Ziel der geistlichen Begleitung durch den Priester ist es, den Ehegatten zu helfen, damit ihre Familie immer mehr »Hauskirche« und »erste evangelisierende Gemeinschaft« sein kann (vgl. Dokument von Santo Domingo, 64), »der erste Raum für sozialen Einsatz«, »der hauptsächliche Ort der Humanisierung der Person und der Gesellschaft« (vgl. das Apostolische Schreiben »Christifideles laici« 40). Daher muß der künftige Priester angeleitet werden, die Familien bei ihrem apostolischen Bemühen zu begleiten und anzuregen, vor allem bei ihrer gegenseitigen Hilfe auf dem Weg der dem Evangelium gemäßen Vollkommenheit und Heiligung. Die innere Festigung zahlreicher Familien erfordert, daß der künftige Priester lernt, vor allem Lehrer des Gebetes zu sein, darum bemüht, daß man in den Familien betet, sich gegenseitig zu beten lehrt und die Werke der Liebe übt; daß man am eucharistischen Opfer mit der Kommunion teilnimmt und das Bußsakrament empfängt; daß man Initiativen ergreift, um die Kinder im Katechismus zu unterweisen, und sie auf den ersten Zutritt um Bußsakrament und zur Eucharistie vorbereitet. Ferner ist in den Familien die Aufgeschlossenheit der Kinder für den Ordens-, Missions- und Priesterberuf zu schaffen und zu pflegen.

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6. Immer größere Bedeutung gewinnt bei der geistlichen Formung der Familien heute die Notwendigkeit, sie nicht nur als Objekt, sondern auch als aktives Subjekt apostolischer Initiativen zu betrachten: »Der apostolische Einsatz der gläubigen Laien geht besonders dahin, die Familie ihrer Identität als erster sozialer Kern und ihrer ursprünglichen Rolle in der Gesellschaft bewußt zu machen, damit sie selber immer mehr aktive und verantwortliche Trägerin des eigenen Wachstums und ihrer Beteiligung am sozialen Leben wird« (Apostolisches Schreiben »Christifideles Iaici« 40). Kontakte mit verschiedenen Familiengruppen und -bewegungen sowie Informationen über ihr Leben und ihre Tätigkeit werden Seminaristen nützliche Hinweise geben, um solche geistlichen Ziele zu erreichen, die zur Gestaltung ihres zukünftigen priesterlichen Dienstes dienen können.

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7. Eine echte geistliche Hilfe für die Familien setzt eine gute Kenntnis ihrer Situation und der dazugehörigen Probleme voraus. Dazu müssen die künftigen Priester vor allem über die Schwierigkeiten und die Dringlichkeit der Erziehungsaufgaben gut unterrichtet sein: wie man Spannungen mit der Autorität, zwischen dem geforderten Gehorsam und einer berechtigten Freiheit überwindet; wie man Beziehungen gegenseitigen Vertrauens und der Hingabe zwischen Eltern und Kindern aufbaut; die Erfordernisse einer klugen und schrittweisen sexuellen Erziehung, eines verantwortlichen Umgangs mit dem Fernsehen und den anderen Massenmedien (Kino, Presse, Zeitschriften usw.); das Problem einer angemessenen und freien Wahl des Lebensstandes. Nach Meinung des Papstes muß man beten und sich dafür emsetzen, »daß die Familien dem erzieherischen Bemühen mutig, voll Vertrauen und Hoffnung treu bleiben« (Brief an die Familien »Gratissimam sane« 16), und ihnen helfen, damit sich bestimmte »starke Überzeugungen« bilden, die oft der einzige Schutz gegen die unvermeidlichen Schwierigkeiten des Lebens sind.

c) Pastorale Ausbildung

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Aus allem oben Gesagten ergibt sich, daß das Thema Ehe und Familie in der theoretischen und praktischen pastoralen Ausbildung einen erstrangigen und wirklich zentralen Platz einnehmen muß:

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1. Die tief im Dogma und in gesunden moralischen Grundsätzen verwurzelte Pastoraltheologie wird die praktischen Anwendungen der theologischen Lösungen studieren und dabei die konkreten Situationen berücksichtigen. Ihre Aufgabe besteht darin, Grundlagen für ein gut geordnetes Wirken zu schaffen, wobei Furchtsamkeit auf der einen und ungeeignete oder verfehlte Schritte auf der anderen Seite vermieden werden. Wenn sie also eine sichere Linie für das Familienapostolat aufzeigt, wird sie zugleich bemüht sein, verschiedene pastorale Haltungen zu korrigieren, die nicht dem Lehramt entsprechen und da und dort verbreitet sind.

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2. Bei der Ausarbeitung des Lehrprogramms ist das Material- und Formalobjekt dieses Faches zu berücksichtigen, um sein Gebiet gegenüber den anderen theologischen Disziplinen, die an Ehe und Familie unter anderen Aspekten interessiert sind, abzustecken.

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3. Für den Nutzen und die praktische Wirksamkeit der Lehre ist eine sehr realistische »pastorale Sicht« der heutigen Krise der Familien außerordentlich wichtig, die einige ihrer typischeren Züge berücksichtigt, wie z.B. die religiöse Unwissenheit, das Fehlen der Erziehung, die Zerrissenheit des staatlichen Schulsystems und die moralische Richtungslosigkeit, die dahin führt, daß man im Leben nach dem Muster »Versuch und Irrtum« (»Trial and Error«) vorgeht, den dominanten Einfluß der Massenmedien, die zunehmende Zahl der Ehen »auf Probe« und der freien Verbindungen, die Beziehungsschwierigkeiten in der Ehe, die Loslösung von den traditionellen Formen und die spontane Erfindung neuer Lebensformen, dazu Zwänge, die in bestimmten kulturellen Gebieten von alten Stammesgewohnheiten und Überlieferungen der Ahnen herrühren, Situationen äußerster materieller Not usw.

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Die künftigen Priester müssen diese Wirklichkeiten in ihren Auswirkungen für die Pastoral kennen, damit sie den Gläubigen zu einer entsprechenden Bildung und zu ihrer Entscheidungsfindung innerhalb eines starken normativen Rahmens, der ihr Leben zu beeinflussen vermag, verhelfen können.

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4. Was die zu behandelnden konkreten Themen angeht, so wird der Unterricht vorrangig jene auswählen, die heute im allgemeinen den Familien am meisten Sorge machen und daher eine besondere Aufmerksamkeit von seiten des Seelsorgers erfordern, z.B.:

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— die religiöse Praxis der Kinder: wie es anstellen, daß sie mit den Eltern zu beten lernen, frei und schrittweise, so daß, wenn sie größer und selbständig werden, eine Zurückweisung vermieden wird. Das gleiche Problem betrifft den Besuch der heiligen Messe und den Empfang der Sakramente;

45

— die Situation der katholischen Schule und der Einsatz für ihre Verteidigung und Förderung;

46

— der kritische und verantwortliche Umgang mit den Medien der sozialen Kommunikation. Dieses Thema ist sehr wichtig für die moralische Gesundheit der Familien, weil heute ein Großteil der Bildung, die Eltern und Kinder wie auch die Priester tatsächlich besitzen, stark von den kulturellen Vorbildern und Verhaltensmustern beeinflußt ist, welche die Medien anbieten (Kongregation für das katholische Bildungswesen: »Leitlinien für die Ausbildung der künftigen Priester in den Medien der sozialen Kommunikation«);

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— die Schwere gewisser wirtschaftlicher und sozialer Situationen und die Bemühungen um ihre Überwindung;

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— ein kluges Zusammenwirken zugunsten der Familien von Personen, deren berufliche, politische, soziale, wirtschaftliche usw. Tätigkeit in Beziehung zur Familie sowie ihren Lebens- und Entwicklungsbedingungen steht (vgl. die Pastoralkonstitution »Gaudium et spes« 52b). Dieser wichtige Dienst erfordert viel Zeit und Hochherzigkeit sowie eine spezifische Vorbereitung des Priesters, der ihn wirksam ausüben will. Hier trifft sich die Lehre der Pastoraltheologie mit der der Soziallehre der Kirche;

49

— die pastorale Behandlung des Problems der verantwortlichen Elternschaft und der Geburtenregelung: wie kann man der Empfängnisverhütung und der Praxis der Abtreibung entgegenwirken, wie ist die Tätigkeit der Familienberatungsstellen zu bewerten (die Notwendigkeit genauer Informationen und gesunder Unterscheidung); Information über die Zentren für die Verbreitung der natürlichen Methoden, ihre Tätigkeit und die entsprechenden Ergebnisse: das Vertrauen auf die Möglichkeit positiver Lösungen des Problems.

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5. Besonders sorgfältig müssen die künftigen Priester für die Vorbereitung und die Feier des Ehesakramentes ausgebildet werden: für die vor der Ehe zu erteilende Katechese über die Voraussetzungen, die menschlichen und geistlichen Erfordernisse und das Wesen der christlichen Ehe; die Unterweisung der Verlobten über Pflichten und Rechte der Ehegatten; die Katechese nach der Eheschließung; den liturgischen Ritus der Feier der Eheschließung; die zuweilen entscheidende Wichtigkeit dieser pastoralen Handlungen für das ganze weitere religiöse Leben der Ehegatten und ihrer Familie.

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6. Pastorale und rechtliche Aspekte der Mischehen: die Form ihrer Feier; Rechte und Pflichten des katholischen Teils, zumal was die Taufe und religiöse Erziehung der Kinder angeht, das Problem der seelsorglichen Betreuung (vgl. das Apostolische Schreiben »Familiaris consortio« 78).

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7. Die Pastoral der Geschiedenen, speziell der zivil Wiederverheirateten: ihre Stellung innerhalb der Pfarrgemeinschaft. »Da der Kommunionempfang für die Wiederverheirateten ausgeschlossen ist, bleibt die Notwendigkeit ihrer Unterweisung, damit sie nicht meinen, ihre Beteiligung am Leben der Kirche sei ausschließlich auf die Frage des Empfangs der heiligen Eucharistie beschränkt. Die Gläubigen brauchen Hilfe bei der Vertiefung ihres Verständnisses des Wertes der Teilnahme am Opfer Christi in der heiligen Messe, der geistlichen Kommunion, des Gebetes, der Betrachtung des Wortes Gottes, der Werke der Liebe und der Gerechtigkeit« (Kongregation für die Glaubenslehre: Brief an die Bischöfe der Katholischen Kirche über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen vom 14. September 1994, 6; vgl. das Apostolische Schreiben »Familiaris consortio« 84).

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8. Die pastorale Betreuung von Familien in schwierigen Situationen: Drogen, Behinderung, AIDS, andere unheilbare Krankheiten im Endzustand; wirtschaftliche Schwierigkeiten; alleinstehende alte Eheleute, die ohne Kinder oder von ihren Kindern alleingelassen sind usw. (vgl. das Apostolische Schreiben »Familiaris consortio« 71). Es handelt sich um Themen, die unter anderem die Kenntnis einiger Grundelemente der Pastoralmedizin und -psychologie erfordern.

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9. Trotz der verschiedenen Schwierigkeiten muß die praktische pastorale Ausbildung der künftigen Seelsorger auf diesem wichtigen Gebiet angemessen mit neuen Hilfen und Impulsen verstärkt und angereichert werden. Der besonders für die pastoralen Tätigkeiten Verantwortliche im Seminar wird in Zusammenarbeit mit dem Dozenten für Pastoraltheologie Erfahrungen und Apostolatsfelder auswählen, die dem Reifegrad der Alumnen entsprechen, und sie bevorzugt auf jene Bereiche hinweisen, die am meisten zur Vervollkommnung ihrer pastoralen Haltungen beitragen können: geleitete Kontakte mit Familienbewegungen und -verbänden; Besuche diözesaner Gerichtshöfe, der Beratungsstellen und anderer Zentren für die Familienpastoral; Einladung von Führungskräften des Familienapostolates und von Ehepaaren, die im Apostolat tätig sind, ins Seminar, um ihre Erfahrungen kennenzulernen; gemeinsame Überlegungen zu verschiedenen pastoral bedeutsamen Fällen und ihre Analyse im Licht der Dokumente des Heiligen Stuhles und der Ortskirchen. Ein hohes Maß an Aufmerksamkeit ist auch dem Problem der angemessenen Sprache und der Vermittlung zu schenken.

III. Praktische Empfehlungen

Damit die Seminare und anderen Institutionen für Priesterausbildung für die geistliche Erneuerung der Familien jenen Beitrag leisten können, den die heutigen Verhältnisse erfordern, wie sie der Heilige Vater mit so vielen Einzelheiten dargelegt hat, scheint es notwendig:

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1. Diesem Thema einen wichtigen Platz in den »Rahmenordnungen für die Priesterausbildung« und in den entsprechenden Studienprogrammen zuzuweisen und gegebenenfalls besondere Erziehungsschwerpunkte für verschiedene Aspekte der Ausbildung zu formulieren, die den Situationen der einzelnen Diözesen oder Regionen angepaßt sind.

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2. Damit das Thema Ehe und Familie in den verschiedenen Fächern mehr präsent wird und dabei eine wirksame fächerübergreifende Zusammenarbeit erfolgt, braucht es in jedem Seminar einen wirklichen Fachmann auf diesem Gebiet, der an einem Institut für spezielle Studien ausgebildet worden ist, wie z.B. am Institut für das Studium über Ehe und Familie an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom.

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Wo die Priesteramtskandidaten die theologischen Fakultäten besuchen, muß notwendig für eine angemessene Koordinierung der pastoralen Ausbildung zwischen diesen Fakultäten und den Seminaren gesorgt werden.

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3. Verstärkt werden muß die gesamte Wirksamkeit der Ausbildung in den Seminaren, insbesondere die Organisation der Studien. Die Professoren der einzelnen philosophischen und theologischen Fächer sollen sich nicht nur durch ihre wissenschaftliche Fachkenntnis auszeichnen, sondern auch durch ihre Anhänglichkeit an das kirchliche Lehramt und einen lebendigen Sinn für die Kirche. Es sollen für sie Kurse zur didaktischen und wissenschaftlichen Weiterbildung unter Leitung der bischöflichen Kommissionen für die Seminare und für die Glaubenslehre veranstaltet werden.

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4. Die Bischofskonferenzen und die Diözesanbischöfe sollen die Dozenten an die pflichtgemäße Treue zum feierlichen und zum ordentlichen kirchlichen Lehramt erinnern (LG, 25) und ihnen vor Augen halten, daß eventuelle Mängel darin mit dem »munus docendil« in den Institutionen für Priesterausbildung unvereinbar sind. Die Professoren müssen sich auch noch mehr bewußt werden, daß die Einheitlichkeit der Urteile und Kriterien in der Ehemoral für eine pastoral gültige Ausbildung der künftigen Priester und für ein ruhiges Gewissen der christlichen Eheleute eine unverzichtbare Voraussetzung ist.

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5. Die ständige Weiterbildung ist ein wesentliches und unersetzliches Element der Ausbildung für das Familienapostolat, und sie muß daher systematisch, wirklich effizient und koordiniert mit dem Studienprogramm des Seminars erfolgen.

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6. Die Bibliotheken der Seminare und theologischen Fakultäten müssen mit Büchern, Zeitschriften und verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema ausgestattet sein, damit die Dozenten und Seminaristen über die Entwicklungen auf wissenschaftlichem und pastoralem Gebiet auf dem laufenden gehalten werden. Auch entsprechende didaktische Hilfen und Lehrbücher müssen ihnen zur Verfügung gestellt werden.

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7. In jedem Seminar ist das systematische Studium der amtlichen Dokumente der Kirche zu fördern, wobei besondere Aufmerksamkeit auch den Hinweisen des Päpstlichen Rates für die Familie sowie der nationalen und diözesanen Kommissionen für die Familie zu schenken ist.

8. Die hochwürdigsten Ortsordinarien mögen nach einem vernünftig bemessenen Zeitabschnitt der Kongregation für das Katholische Bildungswesen über die Maßnahmen berichten, die sie ergriffen haben oder ergreifen wollen, um die hier vorliegenden Weisungen zur Ausbildung umzusetzen.

Abschluss

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Bei der Formulierung der vorliegenden Forderungen nach einer tiefgreifenden Erneuerung der Vorbereitung der künftigen Priester auf das Familienapostolat ist sich diese Kongregation wohl bewußt, daß sie sich nur zum Echo der Wünsche des Papstes und der Bischöfe, aber auch zahlreicher Familien macht, die, um den erheblichen Schwierigkeiten, gewachsen zu sein, vor denen sie heute stehen, geistliche Führer brauchen, die erfahren und sicher in der Lehre sind. Zweifellos kann die gewünschte Aufrichtung einer moralischen Ordnung, die den christlichen Forderungen mehr entspricht, nur in Zusammenarbeit mit echten Seelsorgern gelingen, die für die menschlichen Schwächen Verständnis haben, sich aber zugleich ernsthaft um die Achtung vor den unverletzlichen göttlichen Gesetzen bemühen. Die Schwierigkeit der heutigen Situation, auf die der Papst bei zahlreichen Gelegenheiten aufmerksam gemacht hat, ruft alle auf den Plan, besonders aber die für die Priesterausbildung Verantwortlichen. Sie fordert dazu auf, nicht so sehr irgendeinen Teilbereich des Seminarlebens als vielmehr das ganze Werk der Ausbildung in seinem intellektuellen, geistlichen und pastoralen Aspekt zu überprüfen.

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Im vorliegenden Dokument wurde versucht, nur einige der dringendsten erzieherischen Bedürfnisse herauszustellen, und es bleibt der pastoralen Sorge der hochwürdigsten Herren Bischöfe überlassen, diese Hinweise im Hinblick auf ihre besonderen örtlichen Verhältnisse zu vertiefen und anzupassen. Es geht im wesentlichen darum, dem Problem der Familienpastoral im gesamten System der Ausbildung jene zentrale Stellung zuzuweisen, die die gewünschte geistliche und moralische Erneuerung der Kirche und damit der ganzen Menschheitsfamilie ins Werk setzen kann. Diese Aufgabe legt sich nicht nur im Interesse der Sicherung des geistlichen Wohles der Gläubigen nahe, sondern auch, um die unerläßliche Grundlage für einen sicheren sozialen Fortschritt und für eine bessere Zukunft der Menschheit zu legen.

Rom, am Sitz der Kongregation, den 19. März 1993, am Hochfest des hl. Joseph.

Pio Kard. LAGHI, Präfekt

+ José SARAIVA MARTINS
Titularerzbischof von Tiburnica, Sekretär