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Kleineres Übel

Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 892-894

2. Eine ohne Rücksicht auf die konkreten Gegebenheiten operierende „Gesinnungsethik“ mag sich mit der Begründung, man müsse das Übel auf allen Linien bekämpfen, dagegenstellen und denen, die den Gesichtspunkt des k.n. Ü.s anwenden wollen, vieleicht vorwerfen, sie folgten dem Satz: „Der gute Zweck heiligt die Mittel“. Damit verkennen sie aber den Charakter des Zuredens zum k.n Ü. Dieses Raten entspringt nicht einer Gleichgütligkeit gegenüber der Sünde, sondern der verantwortungsbewußten Überlegung („Verantwortungsethik“), wie weit der Mensch, wenn er unter den gegebenen Umständen schon nicht zur Vollverwirklichung seines sittl. Sollens gebracht, doch dieser Verwirklichung entgegengeführt werden kann. Der zum k.n. Ü. Ratende handelt richtig, wenn er den zur Sünde entschlossenen Mitmenschen, da er ihm sein Vorhaben nicht ganz ausreden kann, wenigstens so weit davon abzieht, daß nur ein geringer Rest der Sünde bleibt. Er brücksichtigt damit, daß der Mensch in seinem sittl. Wert allmähl. wächst (vgl. Richtungssittlichkeit) und für gewöhnl. nicht jäh von sittl. Unvollkommenheit zur Vollkommenheit überzugehen vermag.

In der Heilsgeschichte des AT zeigt sich des öfteren, daß Gott das auserwählte Volk für die höchsten sittl. Forderungen in langer Entwicklung reif macht, auch unter einstweiliger Belassung sittlicher Mängel (z.B. der Ehescheidung).

3. Diese Richtung der Verkleinerung der Sünde hält das Raten des k.n. Ü.s ein, wenn das größere und das k.Ü. durch die geschädigte Person oder durch die betroffenen Güter miteinander verbunden sind. In diesem Fall darf der Ratende dem Sünder zwar nicht sagen, gegen das k. Ü. sei überhaupt nichts einzuwenden, wohl aber, daß es doch noch besser oder weniger schlecht als das ursprüngl. Beabsichtigte sei; in diesem Sinn darf er ihn beeinflussen. „Da sprach Juda zu seinen Brüdern: Welchen Vorteil haben wir davon, wenn wir unseren Bruder töten und sein Blut zudecken? Kommt, wir wollen ihn an die Ismaeliter verkaufen und nicht Hand an ihn legen. Er ist doch unser Bruder, unser eigenes Fleisch“ (Gen 37,26 f).

Wenn aber das k. Ü. nicht irgendwie auf der Linie der ursprüngl. beabsichtigten Sünde liegt und deren Verkleinerung darstellt, scheint sein Anraten den Charakter nicht der Eindämmung des ursprüngl. Übels, sondern der unerlaubten Verführung zu einer neuen Sünde zu haben (man darf nicht, um jemanden vom Mord an einer Person abzuhalten, ihn zur Verletzung einer anderen Person anstacheln).


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