Delegiertentag beim Dialog für ÖsterreichTrendwende mit Dreiviertelmehrheit (Oktober 2010)
Robert Bösner
Hinweis/Quelle: Gedächtnisprotokoll: Delegiertentag d. „Dialogs für Österreich“ vom 23.10. 1998 Abend bis Montag, 26.10. 1998 Nachmittag in Salzburg
Bei der Behandlung der Prioritäten, die die 12 Arbeitsgruppen („Themenkörbe“) dem Plenum des Delegiertentages in Salzburg zur Erstellung eines „Meinungsprofiles“ für die Beratungen der Bischofskonferenz vorlegten, ergab sich ganz unbemerkt eine Trendwende.
Statutenmäßig war für den Dialog-Vorgang des Delegiertentages folgendes vorgesehen: man kann beim „Dialog“ über „alles“ reden. Wenn dann die für ein Thema beauftragten Arbeitsgruppen (zu denen man sich über das „Dialogbüro“ selbst anmelden konnte) zu bestimmten – von ihnen mit wenigstens 51% der Mitglieder – ausformulierten Anträgen dem Plenum ein Votum vortrugen, war nach offener Diskussion eine anonyme Stimmenabgabe in dem Sinn möglich, daß jene, die dem Antrag zustimmen wollten, ihre positive Meinung „mit Knopfdruck“ abgeben konnten. Diese „Meinungsbilder“ werden den Bischöfen übergeben, damit sie laut Statut des Delegiertentages darüber befinden und je nach Übereinstimmung mit dem Glauben der Kirche sie durch Beschlußfassung zur Anregung für die Diözesen annehmen oder ablehnen werden.
Als der Arbeitskreis 6: „Berufung, Dienst und Leben der Priester“ seine Prioritäten vorlegte, kam es zu einer Überraschung für die Mitglieder des Plenums. Nicht „Abschaffen des Priesterzölibates“, sondern ihn aufwerten und seine Übernahme empfehlen, das war die mehrheitliche Meinung des vorbereitenden Arbeitskreises. Und auch angesichts eines absehbaren (dem überkommenen österreichischen Kirchenbild ungewohnten) Mangels an geweihten Mitarbeitern im apostolischen Dienst der Bischöfe (d.h. einer geringeren Anzahl von Mitgliedern in ihren sakramentalen Priestergemeinschaften der jeweiligen Diözesen; presbyterium) und der hauptamtlich mitarbeitenden ständigen (sowohl verheirateten als auch unverheirateten) Diakone empfahl der Arbeitskreis, daß die freiwillige Übernahme der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen „von den Gläubigen gerschätzt, in der Öffentlichkeit aufgewertet und von den Berufenen angenommen werde.“ „Allerdings“, wenn der Priestermangel größer werden sollte, dann empfiehlt der AK den Delegierten, für „die Zulassung von geeigneten und entsprechend ausgebildeten verheirateten Männern zur Priesterweihe“ zu stimmen , d.h. den Bischöfen zu empfehlen, daß sie bei den zuständigen Stellen der Kirche dafür eintreten, daß auch verheiratete Männer durch die Weihe in die sakramentale Priestergemeinschaft einer Diözese aufgenommen werden können. (Über die konkrete Durchführung müßte man sich erst noch Gedanken machen).
Es war den bunt gemischten Mitgliedern des AK bewußt, daß die ganze – von den Meinungsinstrumenten präparierte – Öffentlichkeit vom AK „erwartete“, daß er der vordergründigen Meinung „aller“ entsprechen und den Trend, das Versprechen der Übernahme der Ehelosigkeit vor der Priesterweihe abzuschaffen, bestätigen sollte.
Es wurde im AK intensiv – sogar auf (Zeit-) Kosten des ersten Themenfeldes „Berufung zum priesterlichen Dienst“ – über diese Frage diskutiert. Vom Ergebnis her zu schließen, standen folgende Motivenbereiche im Vordergrund:
In der Ostkirche muß der Bischof immer (!) ehelos leben, um die Bischofsweihe empfangen zu können. Die Priester der Ostkirche übernehmen bei der Weihe alle priesterlichen Vollmachten des Bischofs für die pastorale Zusammenarbeit mit ihm und untereinander, nicht aber (!) die Ehelosigkeit seiner Lebensführung. Aus diesem Grund sind auch alle Elemente der kollegialen Vollgestalt des Weihesakramentes in der Ostkirche beim Ritus der Priesterweihe stillgelegt und die Priester werden ohne Mitbeteiligung der mitfeiernden Priester geweiht. Sie stehen nur betend dabei. Die sakramentale Gemeinschaft des Presbyteriums tritt in der Ostkirche nur als „Summengröße“ in Erscheinung. Das heißt, daß die geweihten Priester eine Summe vieler Einzelner sind, nicht aber Priester, die von vornherein für die Zusammenarbeit mit dem Bischof und untereinander in ein sakramentales Kollegium („ das eine presbyterium“, LG 28) „hinein“-geweiht wurden. Zum Ausgleich dafür wurde aber in der Liturgie der Ostkirche die sakramentale Einheit der Priester in der eucharistischen Konzelebration ungebrochen durchgehalten. Auch der ständige Diakonat half in der Ostkirche mit, die dreistufige Vollgestalt des Ordo durch 1000 Jahre lebendig zu erhalten.
In der lateinischen Westkirche hat erst das 2.Vat. Konzil die Vollgestalt des apostolischen Dienstamtes, wie es in der frühen Zeit der Kirche bestand, wieder belebt: durch die Wiedereinführung der eucharistischen Konzelebration und des ständigen Diakonates.
“Lumen gentium“, die Kirchenkonstitution des 2. Vat. Konzils, weist im Hinblick auf die Wichtigkeit des Diakonates auch darauf hin, daß „bei der gegenwärtig geltenden Disziplin der lateinischen Kirche in zahlreichen Gebieten“ manche „für die Kirche in höchstem Maße lebensnotwendige Ämter“ ... „nur schwer ausgeübt werden können“. (LG 29). Mit anderen Worten: weil es oft nur wenige Priester gibt, kann „es angebracht sein (auch verheiratete) Diakone „für die Seelsorge zu bestellen“.
Es würde die Gestalt des sakramentalen Dienstamtes in der katholischen Westkirche grundlegend verändern und starke Auswirkungen für die „eine, heilige, katholische und apostolische (Welt-) Kirche“ (siehe Meßcredo, GL 356) haben, wenn man ohne Kenntnis dieser tieferen Zusammenhänge einfach aus unbedachter „Vereinfachung“ (Bequemlichkeit?) eine so tiefgreifende Angelegenheit oberflächlich abschaffte, wie die Herausforderung, das Versprechen, vor der Diakonen- bzw. Priesterweihe aus übernatürlicher Glaubenseinstellung zum apostolischen Amt die freiwillige Ehelosigkeit des Bischofs bei der Weihe – zusammen mit allen geisterfüllten Priestergnaden – mitzuübernehmen und sie Christus zu weihen.
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wenn wir unserer Verantwortung entsprechen, müssen wir ein positives Signal den Gläubigen und den in lebenslanger Treue wirkenden Priestern geben. Die Mitglieder des AK spürten auch die Verantwortung, daß sie den – nach vielen Auseinandersetzungen zu einer positiven Entscheidung gekommenen – Seminaristen ein ermutigendes Echo auf ihre Bereitschaft geben müssen. Haben sie doch zu ihrer Berufung unter den heutigen erschwerenden Umständen ihr großmütiges Ja gesprochen. Oft genug mußten sie sich in der Familie, im Freundeskreis und bei den Arbeitskollegen gegen großes Unverständnis und Spott bewähren. Was soll der AK der kommenden Generation von Kandidaten raten bzw. was sollte der Delegiertentag den Bischöfen anderes vorschlagenen ?
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Von den Mitgliedern des AK, die mit der Berufungspastoral praktisch oder lehrhaft befaßt sind, wurde darauf hingewiesen, daß die Bereitschaft zur ausschließlichen und persönlichen Ganzhingabe in der Nachfolge Christi ein unverzichtbares Erkennungszeichen ist, in der die Radikalität des Evangeliums volle Gestalt gewinnt: konkret auch in der freiwilligen Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen. Es ist sowohl für den Berufenen selbst (!) als auch für die jeweils Verantwortlichen ein Erkennungskriterium und Hilfsmittel für die Klärung der Motive der inneren Berufung (vocatio divina), die ein Kandidat spürt. Wie geht der Kandidat mit dem Willen Gottes in seinem Leben um, wenn sich dieser in der Gestalt der priesterlichen Berufung offenbart? Kann man den jungen Mann für den äußeren Bereich der Glaubensgemeinschaft der Kirche (vocatio ecclesiastica) als einen von Gott Berufenen annehmen und ins Heiligtum einführen? Das sind die Fragen , die vor einer Weihe geklärt sein müssen.
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Die Auseinandersetzung mit dem öfters vorgebrachten Verweis auf die 350jährige Tradition der katholischen (!) Ostkirchen und die lange Tradition der orthodoxen apostolischen (!) Kirchen hat im AK gezeigt, daß bei uns in der landläufigen Diskussion über die Freigabe des Zölibates (d.h. des Versprechens der Kandidaten v o r der Diakonen- bzw. Priesterweihe) dieser gewöhnlich nur einseitig disziplinär gesehen wird. Vielen ist der sakramententheologische Aspekt des Zölibates unbekannt, nämlich, daß der Zölibat in der lateinischen Westkirche, zu der wir gehören, mit dem tiefen Verhältnis der diözesanen Priestergemeinschaft zum Bischof verbunden ist.
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Abgesehen von diesen tieferen sakramententheologischen Zusammenhängen oder gerade weil man mit einer allzu eilfertigen Aufhebung der evangelischen Großherzigkeit auf der Oberfläche bliebe, würden jene, die – ohne diesen Apell an ihre Ganzhingabe, der der Radikalität des Evangeliums entspricht – den priesterlichen Dienst wählten, mit der Zeit nur „Diener“ der Kirche mit verbürgerlichter und beamteter Lebensgestaltung werden und – gemäß der Schwerkraft menschlicher Verfaßtheit – in der Versuchung sein, die Kirche, die Braut Christi, ihren Interessen unterzuordnen.
Wo dieser Zustand heute schon bei dem einen oder anderen (oder bei vielen?) Priestern eingerissen ist, ist es sicher angebracht, die Appelle der Oberhirten, der Ordensgemeinschaften und der geistlichen Erneuerungsbewegungen „zu Vertiefung und Heiligung“ ernst zu nehmen, statt alle anderen Mitchristen auf die verschiedenste Weise in diese – die heiligen Anfänge vergessende – verbürgerlichte Plausibilität der Beliebigkeit herabzuziehen, um so das dem weihenden Bischof gegebene Zölibatsversprechen vergessen zu können.
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Was hat nicht diese mangelnde Heilighaltung des Weiheversprechens für unfruchtbare Auswirkungen für die priesterliche Seelsorge z.B. bei den Ehepaaren, die einander ja auch aus übernatürlicher Zugehörigkeit zur apostolischen Kirche Jesu ein heiliges Versprechen vor Gott gegeben haben! – mit all der Zeichenhaftigkeit für das treue Verhältnis zwischen Christus und der erlösungsbedürftigen Menschheit.
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Eine echte Rückbesinnung in dieser Thematik auf das 2. Vat. Konzil kann schwer an dem Apell vorbeigehen, den die Bischöfe mit großer Mehrheit vor 32 Jahren an die ganze Kirche gerichtet haben (PO 16): „... Je mehr in der heutigen Welt viele Menschen ein Leben in voller Enthaltsamkeit für unmöglich halten, umso demütiger ...wird die ganze Kirche die Gabe der Beständigkeit ... erflehen....So bittet die Heilige Synode nicht nur die Priester, sondern alle Gläubigen, sie möchten sich die kostbare Gabe des priesterlichen Zölibates ein wirkliches Anliegen sein lassen und alle (auch die Mitglieder eines katholischen Delegiertentages; Anm. d. Verfassers) mögen Gott bitten, daß er dieses Geschenk seiner Kirche stets in Fülle zukommen lasse.“
Des öfteren wurde im persönlichen Gespräch gefragt, ob die Kirche – angesichts der vielen Veränderungen in der Gesellschaft und des größer werdenden Priestermangels – dreißig Jahre danach noch so sprechen würde?
Es ist sicher hilfreich, einen Blick in diese vergangenen Jahrzehnten zu machen..In der Bischofssynode 1971 hat z.B. Papst Paul VI. bei der Veröffentlichung ihrer Dokumente bestätigt, daß „... in der lateinischen Kirche auch weiterhin mit Gottes Hilfe die momentane Gesetzgebung des priesterlichen Zölibates voll und ganz beobachtet werde.“ Es ist das eine Aussage, die die Meinung der Mehrheit der Synodenväter aufgreift. 55% der Teilnehmer hatten bei einer Abstimmung für die ausnahmslose Beibehaltung des Zölibatsgesetzes plädiert, während 44% erst für die weitere Zukunft eine Änderung dieser Regelungen vorschlugen. Daß diese Zeit für heute noch nicht da ist, sagt uns Papst Johannes Paul II., der im Jahre 1992 bezüglich der „Aus- und Weiterbildung der Priester unter den heutigen Lebensumständen“ (Pastores dabo vobis) zur ganzen Kirche gesprochen hatte. In seinem postsynodalen Schreiben gibt er wörtlich eine Resolution der Synodenteilnehmer wieder, die sagten: „Die Synode will bei niemanden den geringsten Zweifel an der festen Entschlossenheit der Kirche aufkommen zu lassen, an dem Gesetz festzuhalten, das den zur Priesterweihe nach dem lateinischen Ritus ausersehenen Kandidaten den frei gewählten, ständigen Zölibat auferlegt ... Die Synode drängt darauf, daß der Zölibat in seinem vollen ... Reichtum dargestellt und erläutert wird ... ,so daß er als positive Bereicherung des Priestertumes angesehen werden kann.“ (PDV 29) „Vor Jahrhunderten hat die Kirche des Abendlandes eine Entscheidung getroffen und daran bis heute festgehalten trotz aller Schwierigkeiten und der Einsprüche, die im Laufe der Zeit dagegen erhoben wurden ...“(ebd.)
Ob der Delegiertentag in seinem Verlauf richtig in der Presse dargestellt wird, wenn behauptet wird, daß er für die Abschaffung des Zölibates war ? Genaugenommen haben 199 von 267 (d.h 74,5% der Anwesenden ! ) für die Aufrechterhaltung des Zölibates gestimmt und dieses Thema laut Geschäftsordnung so den Bischöfen zur Beschlußfassung vorgelegt. Trendwende ? Jedenfalls nicht im Sinne des Kirchenvolks-Begehrens, sondern – um mit Diözesanbischof Dr. K. Krenn von St. Pölten zu sprechen – im Sinne des Bekehrens.
Es wird heute soviel von Wertebegründung gesprochen. In dieser Herausforderung durch den Zeitgeist und durch das sogen. „Kirchenvolksbegehren“ sind wir alle, Priester und gläubige Frauen und Männer, aufgerufen, einen (noch) bestehenden Wert betend und opfernd zu verteidigen. Die positive Trendwende dafür ist jedenfalls in diesem Punkt auf dem Delegiertentag – entgegen (!) den Zeitungsberichten – stillschweigend geschehen!
P.Robert Bösner OSB
Delegierter der Diözese St. Pölten.
Mitglied des Arbeitskreises 6
„Berufung, Dienst und Leben der Priester“