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Die hl. Caterina von Siena
Kirchenlehrerin und Patronin Europas (5. April 2000)

Werner Schmid

Hinweis/Quelle: Vortrag, gehalten am 5. April 2000 in Gmünd im Rahmen des Initiativkreises St. Pölten

Am 1. Oktober 1999 ernannte Papst Johannes Paul II. drei heilige Frauen zu Schutzpatroninnen Europas: Birgitta von Schweden, Caterina von Siena und Edith Stein. Seine Wahl fiel auf diese drei, weil sie sich durch die „tatkräftige Liebe zur Kirche“ und durch das „Zeugnis für sein Kreuz“ ausgezeichnet haben und weil die „Heiligkeit mit weiblichem Antlitz“ gerade für unsere Zeit „besonders bedeutsam“ ist.

Das Ende der päpstlichen Universalherrschaft

Zu Beginn des Jahres 1377 schrieb die hl. Caterina an Papst Gregor XI.: „Der eigentliche Schatz der Kirche ist das Blut Christi zur Erlösung der Seelen. Und dieses Blut wurde nicht vergossen um des weltlichen Besitzes willen, sondern zur Erlösung der Menschheit ... Es ist also viel besser, das Gold des weltlichen Besitzes fahren zu lassen als das Gold des geistlichen Besitzes. Tun Sie also Ihr Möglichstes ... und Sie werden Ihre geistliche wie weltliche Macht wieder erlangen.“

Das Mittelalter war gekennzeichnet von der Idee der Einheit von geistlicher und weltlicher Herrschaft. Wie Seele und Leib, so sind auch Kreuz und Krone aufeinander bezogen. Ein- und derselbe Mensch ist Bürger dieser Welt und zugleich Kind Gottes.

Christus allein ist der Herr der Christenheit, und seinem Repräsentanten auf Erden, dem Papst, kommt deshalb eine besondere Stellung zu. Aus der Erhabenheit des Geistlichen über das Leibliche wird im Mittelalter die Überordnung der Kirche über den Staat abgeleitet. Der daraus entstehende Konflikt mit dem Imperium dauerte zwei Jahrhunderte und endete zunächst mit einem Sieg des Papsttums.

In Wahrheit war dies aber der Anfang vom Ende der abendländischen Einheit. Denn in dem Maße wie die kaiserliche Autorität im Reich geschwächt wurde, fühlten sich die lokalen Regenten in ihrer Macht gestärkt. Den aufstrebenden Nationalstaaten gegenüber konnte der Papst zur Durchsetzung seiner Herrschaft nichts entgegensetzen.

Als der französische König den Papst in dem italienischen Städtchen Anagni handstreichartig gefangennehmen ließ, war es mit der päpstlichen Weltherrschaft vorbei. Aus der bisherigen Freiheit der Kirche wurde eine politische Abhängigkeit von Frankreich, und zwar so sehr, daß der Papst seine Residenz von Rom nach Avignon verlegte. 70 Jahre dauerte diese „babylonische Gefangenschaft“, die für die Kirche ungemein schädlich war.

In München war inzwischen Ludwig der Bayer an die Macht gekommen. Als Johannes XXII. von Avignon aus gegen seine Wahl protestiert, ist Ludwig nicht mehr bereit, seine Regentschaft vom Papst genehmigen zu lassen. Er zieht nach Rom, macht sich selbst zum Kaiser und setzt vorübergehend einen Gegenpapst ein.

Um sein Vorgehen auch intellektuell und theoretisch abzusichern, schart er um sich die Papst- und Kirchenkritiker seiner Zeit. Bekannt sind der englische Franziskanerpater Wilhelm von Ockham und der Magister der Pariser Universität Marsilius von Padua. In seinem berühmten Werk „Defensor pacis“ unterzieht er die Kirche und das Papsttum einer scharfen Kritik. Diese Ideen haben Einfluß genommen auf die späteren Jahrhunderte und wirken sich aus bis zum heutigen Tag: Die Macht geht vom Volk aus. Das Wort von der „Volkssouveränität“ wird geboren. Die Kirche sei nicht göttlichen Ursprungs, das Papsttum nicht göttlichen Rechts, die Hierarchie eine menschliche Erfindung, und oberste Autorität in der Kirche sei nicht der Papst, sondern das Konzil.

Die deutschen Kurfürsten legen fest, daß ein von ihnen gewählter Kandidat von nun an keine päpstliche Bestätigung mehr braucht. Siesind jetzt die eigentlichen Königsmacher. 10 Jahre später wird in der goldenen Bulle die Wahlordnung der dt. Könige festgelegt, worin der Papst mit keinem einzigen Wort mehr vorkommt. Die Macht der ma. Papsthoheit war damit definitiv zu Ende.

Ludwig der Bayer, der zuvor noch das Kloster Ettal gegründet hatte, stirbt auf einer Bärenjagd in Fürstenfeldbruck bei München. Er hat sich mit dem Papst zwar nicht mehr versöhnt, aber er starb in den Armen eines einfachen Bauern mit dem Gebet auf den Lippen: „Süße Königin, unsere Herrin, steh mir bei in meinem Sterben.“ Es war das Jahr 1347.

In diesem Jahr 1347 wird in Siena das 24. Kind der Färbersfamilie Benincasa geboren. Und damit sind wir – nach dieser notwendigen Einleitung – beim eigentlichen Thema unseres Abends.

In der Zeit also, wo durch Marsilius von Padua die Idee beginnt, der Mensch könne sich von Gott emanzipieren und die Kirche sei nur eine menschliche Institution, wird Caterina von Gott damit beauftragt, den Menschen ihre Geschöpflichkeit und Gottebenbildlichkeit wieder bewußt zu machen, die Heilsnotwendigkeit der Kirche vor Augen zu stellen und die Hirten zu ermahnen, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zu besinnen.

Die hl. Caterina von Siena

In der hl. Caterina von Siena begegnen wir einer der wunderbarsten Gestalten der Weltgeschichte. Papst Paul VI. hat sie im Jahre 1970 zur Kirchenlehrerin erhoben. 10 Jahre später nennt sie Papst Johannes Paul II. einen „Schutzengel der Kirche“, und im Herbst letzten Jahres erfolgte – neben der hl. Birgitta von Schweden und der hl. Sr. Theresia Benedicta a Cruce, Edith Stein, ihre Ernennung zur Mitpatronin Europas.

Vom hl. Franziskus heißt es, daß er in seiner Gestalt das Leben des Herrn noch einmal auf Erden sichtbar gemacht hat. Wenn es eine Frau gibt, von der man Ähnliches sagen könnte, dann ist es die hl. Caterina von Siena. Sie wird durch Gottes Gnade in eine solche Vertrautheit und Liebe zu Christus geführt, daß es für uns schwer ist, sich dies irgendwie annähernd vorzustellen. Ihr Leben dauert – wie das Leben des Herrn – nur 33 Jahre. Sie stirbt im Gehorsam gegenüber Christus aus Liebe zur Kirche.

Caterina ist zuallererst Mystikerin. Und zwar im wahrsten Sinn des Wortes, weil sie dem Mysterium, dem Geheimnis aller Geheimnisse, dem unendlichen Gott, selbst begegnet ist. Sie hat als 27-jährige in Pisa vor dem Bildnis des Gekreuzigten an ihrem Leib die Wundmale des Herrn empfangen, und 5 Jahre zuvor erlebt sie in einer Vision, wie ihr Christus das Herz aus der Brust nimmt, um ihr sein eigenes einzusetzen.

Was der hl. Paulus den Galatern geschrieben hat: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“ (Gal 2,20), ist bei Caterina erlebbare Wirklichkeit geworden. Für Caterina ist dies der Beginn einer ungewöhnlichen Sendung. Nun soll sie mit dem Herzen Jesu hinausgehen zu den Menschen. Christus führt sie zu den Sündern, zu den Armen, zu den verfeindeten Familien und Parteien, zu den Großen des öffentlichen Lebens, der Politik und der Kirche. Dabei begleitet sie eine Jüngerschar, bestehend aus Anhängern und Verehrern, für die sie sich als geistliche Mutter verantwortlich weiß und die ihr wie blind gehorchen.

Als sie bei einem Aufstand in Florenz von den Häschern gesucht und schließlich betend in einem Garten gefunden wird, bietet sie bereitwillig ihr Leben an und bittet nur um Schonung für ihre Jünger. Unwillkürlich erinnert diese Szene an die Gefangennahme Christi im Ölgarten. Wie bei Christus wichen auch bei Caterina die Soldaten zurück und ließen ihre Waffen sinken. Für den Herrn begann mit Getsemane die Erfüllung seines Auftrages vom Vater. Für Caterina war diese Stunde noch nicht gekommen.

Fünf Orte werden für Caterina bestimmend: die Heimatstadt Siena, die Kulturmetropole Florenz, die Hafenstadt Pisa, das päpstliche Avignon in Frankreich und Rom. Diese fünf Städte bilden sozusagen die Eckpunkte bzw. den Rahmen, zwischen denen ihr Leben ausgespannt war.

Das 14. Jahrhundert

Die Zeit, in die wir uns zurückversetzen müssen, ist das 14. Jahrhundert. In Italien ist es bereits die Frührenaissance, künstlerisch und kulturell hochbedeutend. Als Caterina 1347 in der Mitte des Jahrhunderts geboren wird, schreiben Petrarca und Bocaccio ihre großen Werke, Pisa, Florenz und Siena erweitern und vollenden ihre Dome, und die Maler Botticelli, Donatello, Masaggio, Mantegna und Filippo Lippi verewigen sich durch ihre berühmten Werke. Im Herzogtum Österreich regiert Rudolf der Stifter, und im deutschen Sprachraum entstehen die großen Universitäten Prag, Wien, Heidelberg und Köln.

Die Mitte des 14. Jhdts. ist aber auch eine Zeit großer Unruhen und Ängste. Ein Jahr nach Caterinas Geburt bricht über Europa die Pest aus, der fast die Hälfte der Einwohner zum Opfer fallen; zwischen Frankreich und England tobt der Hundertjährige Krieg, in Italien bekämpfen sich die Adelsparteien, und das Land wird von plündernden Söldnerbanden verwüstet.

Die Versuche der Päpste, nach ihrem Weggang aus Rom den Kirchenstaat von Frankreich aus irgendwie zu regieren, brachten keinen Erfolg. Ebenso erfolglos war der kurze Versuch einer Rückkehr von Papst Urban V. Die französischen Legaten und Vikare waren in Italien nicht beliebt. Außerdem störten sie die aufstrebende Selbständigkeit und das eigenmächtige Regieren der Stadtrepubliken.

Als sich Florenz und Mailand verbünden und zum Aufstand gegen den Papst drängen, folgen im Kirchenstaat 80 Städte diesem Aufruf. Die Antwort des Papstes – nach ergebnislosen Verhandlungen mit den Florentinern – war das Interdikt über Florenz und die mit ihm verbündeten aufrührerischen Städte. Das Interdikt ist eine Kirchenstrafe, die besagt, daß für eine Stadt oder ein ganzes Gebiet jegliche gottesdienstliche Handlungen untersagt sind. Ausgesetzt waren damals auch alle Verträge und Handelsbeziehungen.

Caterinas politische Tätigkeit

In dieser dramatischen Stunde tritt Caterina auf die Bühne der politischen Geschichte. Caterina ist bereits 28. In ihrem ersten uns erhaltenen Brief an Papst Gregor XI. erinnert sie ihn an die Wunden der Kirche und an seine notwendige Rückkehr nach Rom: „Wenn Sie bisher nicht recht entschlossen gewesen sind, so bitte und beschwöre ich Sie, von nun an als mutiger Mann zu handeln und Christus nachzufolgen, dessen Stellvertreter Sie ja sind. Fürchten Sie nichts, liebster Vater, weder die Stürme, die Sie bedrohen, noch den grollenden Aufruhr. Wachen Sie über die Angelegenheiten der Kirche, setzen Sie gute Hirten und in den Städten gute Obrigkeiten ein, denn die schlechten Hirten und die schlechten Obrigkeiten sind die Ursache der Auflehnung. Kehren Sie nach Rom zurück .. .zögern Sie nicht mehr. Ihre Säumigkeit hat schon viel Verwirrung entstehen lassen, und Satan versucht alles, um ihre Rückkehr zu verhindern. Mut, Heiliger Vater, keine Nachlässigkeit mehr!“

Mit den rebellischen Florentinern spricht sie in einem anderen Ton. Eine Auflehnung gegen den Papst ist für Caterina wie eine Auflehnung gegen Christus. An ein Regierungsmitglied der Stadt schreibt sie: „Ihr wißt, daß ein Glied, das von seinem Haupte getrennt ist, kein Leben in sich haben kann. Weil es nicht vereint ist mit dem, was ihm Leben mitteilt. So sage ich, geht es der Seele, die geschieden ist von der Liebe und Gnade Gottes, den Seelen derer, die ihrem Schöpfer nicht folgen, sondern vielmehr mit vielen Beleidigungen und schweren Sünden ihn verfolgen ... Wenn ihr mir sagt, wir handeln nicht gegen Gott!, so sage ich: Ihr handelt gegen den, der seine Stelle vertritt.“

Und die Tatsachen? Die Heilige mahnt zum Frieden. Die Politiker dagegen benützen sie zunächst für ihr diplomatisches Spiel. Caterina kommt als Gesandte von Florenz am 23. Juni 1376 nach Avignon. Bereits zwei Tage später wird sie vom Papst empfangen. Doch der Vermittlungsversuch scheitert. Die Regierung in Florenz hat Caterina nur ausgenützt, um Zeit zu gewinnen und die Gegenkräfte zu sammeln. Daraufhin verhängt Papst Gregor über Florenz das Interdikt.

4 Monate bleibt Caterina in Avignon. Gregor XI., ein Franzose, ist verhältnismäßig jung, er ist 47, hoch gebildet, intelligent und fromm, aber zaghaft und wenig fest. Seine Umgebung will eine Abreise nach Rom mit allen Mitteln verhindern. Zu schön ist das Leben hier in Frankreich, in diesem päpstlichen Palast. Caterina ermutigt ihn mit vielen kleinen Briefen und erreicht schließlich, daß er am 13. September Avignon verläßt. Die Galeere des Papste gerät in einen heftigen Sturm, der als böses Omen gedeutet wird. Auf der Zwischenstation ihn Genua, wo ihn Caterina bereits erwartet, versuchen die Gefolgsleute des Papstes ihn erneut zur Umkehr zu bewegen. Sie riegeln ihn hermetisch ab, um eine Begegnung mit der Heiligen zu verhindern. Verkleidet als einfacher Mönch erscheint Gregor XI. nachts vor dem Quartier Caterinas. Von ihr bestärkt setzt er die Reise nach Rom fort. Dort wird er begeistert empfangen und im Triumphzug nach St. Peter geleitet.

Das Interdikt in Florenz hatte inzwischen Wirkung gezeigt. Im Frühjahr 1378 wird Caterina im Auftrag des Papstes nach Florenz geschickt, Gregor bietet die Versöhnung an. Bald darauf stirbt er.

Die Rückkehr des Papstes nach Rom und jetzt der Friede mit Florenz: Diese beiden Erfolge sichern Caterina eine Autorität, die niemand mehr bestreiten konnte. Zum neuen Papst wurde der Erzbischof von Bari gewählt, nach 70 Jahren erstmals wieder ein Italiener. Er nennt sich Urban VI.

Das abendländische Schisma

Urban war ein sittenstrenger Priester, der die Reform der Kirche mit Nachdruck durchführen wollte, dabei aber maßlos und unklug vorging. Gegen alle Widerstände und Schmähungen nimmt ihn Caterina in Schutz. Zugleich aber bittet sie ihn um Mäßigung: „O heiliger Vater, seid geduldig ... ihr seid der Vater und der Herr der ganzen Christenheit; wir sind alle unter den Fittichen eurer Heiligkeit. Eure Autorität erstreckt sich auf alles. Und trotzdem ist euer Blick wie der des Menschen begrenzt ...“ Später wird sie deutlicher: „Um der Liebe des gekreuzigten Jesus willen, mäßigt ein wenig die allzu schnellen Regungen, die die Natur in Euch aufkommen läßt. Da Gott Euch ein von Natur aus großes Herz gegeben hat, so bemüht Euch, es übernatürlich groß zu haben, das heißt ein mutiges und in einer wahren Demut gefestigtes Herz.“ Durch seine schroffe und verletzende Art zogen sich die Kardinäle immer mehr zurück und verweigerten dem Papst schließlich die Gefolgschaft. 5 Monate später wählen sie aus ihren Reihen einen neuen Papst, der sich Clemens VII. nennt und seine Residenz wieder zurückverlegte nach Avignon.

Damit hatte die Kirche zwei Päpste und eine Spaltung, die das ganze Abendland über 30 Jahre lang in größtes Unglück stürzte. Denn dieser Riß der Kirche teilte nicht nur Europa, sondern auch Diözesen, Ordensgemeinschaften und Familien. Die einen hielten zu Clemens, die anderen zu Urban.

In dieser Zeit schreibt Caterina ihre „Kampfbriefe“ an die Könige von Frankreich und Ungarn, an die Königin von Neapel, an die Stadt-Regierungen in Italien und an die kirchlichen Würdenträger. Damit hat sie Urban unschätzbare Dienste erwiesen. Für sie besteht kein Zweifel: Urban ist der einzig rechtmäßige Papst. Dies können die Lügner der Welt nicht bestreiten. Bekannt ist der energische Brief an drei italienische Kardinäle, die zuerst noch zu Urban hielten, dann aber zum Gegenpapst überwechselten: Sie beginnt den Brief: „Teuerste Brüder und Väter in Christus Jesus! Ich, Caterina, Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe Euch in seinem Kostbaren Blut.“ Dann folgt eine lange Abhandlung über die Verblendung, und schließlich schreibt sie: „Ihr wißt und Ihr kennt die Wahrheit, daß Papst Urban VI. der rechtmäßige Papst ist, erwählt in gesetzlicher Wahl und nicht aus Furcht, in Wahrheit mehr durch göttliche Eingebung als durch Eure menschliche Bemühung ... Ihr selbst habt uns diese Wahrheit verkündet. Jetzt habt Ihr als niedrige und erbärmliche Ritter die Schultern gewendet ... Ihr habt Euch abgekehrt von der Wahrheit, die Euch Kraft verlieh und Euch der Lüge zugewandt. Und was ist Schuld daran? Das Gift der Eigenliebe, das die Welt vergiftet hat. Durch sie seid Ihr, die Ihr Säulen der Kirche seid, schwächer geworden als Strohhalme. Nicht duftende Blumen seid Ihr, sondern Gestank, denn die ganze Welt habt Ihr verpestet ... irdische Engel solltet Ihr sein, um die verirrten Schafe zur Kirche zurück zu führen. Und nun seid Ihr selber Teufel geworden. ... Ihr sagt, Ihr hättet Urban aus Angst zum Papst gewählt. Das ist nicht wahr! Wer das sagt, der lügt, wider sein besseres Wissen.“

Caterina in Rom

Urban sieht sich von vielen Seiten bedrängt. Auch militärisch kommt er unter Druck. Die Engelsburg wird von den Anhängern des Gegenpapstes eingenommen und erst nach schweren Kämpfen wieder befreit – ein Sieg, der dem Gebet Caterinas zugeschrieben wird. Aus diesem Grund steht heute seit 1962 neben der Engelsburg das römische Denkmal für die hl. Caterina.

In seiner Not hatte der Papst Caterina gebeten, nach Rom zu kommen. Ihre Nähe bereitete ihm Trost und Ermutigung. Gleich nach ihrer Ankunft läßt er sie vor dem neu ernannten Kardinalskollegium sprechen. Von ihren Worten und ihrem Auftreten sind alle zutiefst beeindruckt und wieder bestärkt.

Caterina weiß, in dieser schlimmen Lage können nur Gebet und Opfer helfen. Sie schreibt an Ordensgemeinschaften und bittet um Gebetsunterstützung, möglichst in Rom selbst. Mit denen, die kommen und mit ihrer Familia lebt sie zusammen in der Via S. Chiara. Sie selbst fühlt sich wie zermalmt und schreibt das Unglück der Kirche ihrer eigenen Sündhaftigkeit zu. Täglich schleppt sie sich die 2 km zum Petersdom, um dort bei der hl. Messe zu sein und dann den Tag über bis zur Vesper im Gebet zu verbringen. Sie bietet ihr Leben an für die Kirche.

Im letzten Brief ihres Lebens – er ist an Papst Urban gerichtet – schreibt sie: „O ewiger Gott, nimm das Opfer meines Lebens in diesem mystischen Leib der heiligen Kirche. Ich kann nichts anderes geben, als was du mir schenktest. Nimm mein Herz und drücke es in die heilige Kirche.“ Und Gott nahm ihr Opfer an. Sie schreibt weiter, indem sie offenbar dem Papst von einer Vision berichtet: „Da wandte der ewige Gott das Auge seiner Güte mir zu und riß mir das Herz aus und drückte es in die heilige Kirche.“

Die hl. Caterina starb am 29. April 1380 in Rom im Alter von 33 Jahren aus Liebe zu Gott und seiner heiligen Kirche. Ihre letzten Worte im Sterben waren: „Herr, du rufst mich ... hab Erbarmen mit mir um des Blutes willen!“ Und zuletzt: „Sangue! Sangue! – Blut! Blut!“

Über die hl. Caterina wurden im Laufe der letzten 600 Jahre schon ganze Bibliotheken geschrieben, und es gibt kaum eine Seite an ihr, die nicht bereits untersucht und kritisch beleuchtet wurde. Dennoch: Vieles im Leben dieser großen hl. Jungfrau ist für uns ein Geheimnis und wird es wohl bleiben.

Das Blut Christi

Eines davon ist gewiß ihre große mystische Schau und Verehrung des Kostbaren Blutes Christi. Es gibt niemand in der Kirchengeschichte, der jemals in dieser Dichte und Fülle darüber gesprochen und geschrieben hat.

Blut ist für Caterina ein anderes Wort für Liebe. Das Erbarmen Gottes wird im Verströmen des Blutes Christi am Kreuz mit äußerster Deutlichkeit sichtbar. Damit wird für Caterina die Betrachtung des Kostbaren Blutes Jesu zur eigentlichen Betrachtung der Liebe Gottes.

Im Blut Christi wird aber auch sichtbar die Einheit von Gottheit und Menschheit, was Caterina zum Ausdruck bringt mit dem immerwiederkehrenden Wortpaar von Feuer und Blut. „Das Feuer der Gottheit wurde eingerührt ins Blut“, wird sie immer wieder schreiben, und darum ist es auch anbetungswürdig und kostbar.

Dieses Blut Christi ist der Kirche anvertraut als ihr größter Schatz, den sie zu verwalten hat.

Die Kirche

Die leidenschaftliche Liebe zur Kirche ist wohl eine zweite geheimnisvolle Seite in ihrem Leben, durch die sie hinausgehoben ist über alle anderen Heiligen und die ihr eine Sonderstellung zukommen läßt. Der hl. Augustinus hat gesagt: „In dem Maße, wie einer die Kirche liebt, hat er den Heiligen Geist.“ Und die hl. Caterina bekannte einmal in einem Brief von sich: „Meine Natur ist Feuer.“ Sie war wirklich ein Feuer. Sie brannte für Christus. Und ihre Liebe zur Kirche ist nur von daher zu verstehen.

Begonnen hat das bereits in ihrer Kindheit. Im Alter von 6 Jahren hatte sie auf dem Heimweg ins Elternhaus eine Vision. Sie sieht über dem Dach der Dominikanerkirche Christus in herrlicher Gestalt, angetan mit priesterlichen Gewändern und der Tiara auf dem Haupt, links und rechts neben ihm die beiden Apostel Petrus und Paulus und der Evangelist Johannes. Und Christus lächelt ihr zu und segnet sie. Diese Vision wird ihre Gewißheit fürs ganze Leben: „Die Kirche ist Christus selber“, und der Papst ist „sein Stellvertreter, der süße Christus auf Erden.“

Alle Briefe sind von dieser Grundeinsicht durchdrungen. An die Herren von Florenz schreibt sie: „Ihr wißt ja, daß Christus einen Stellvertreter zurückließ zum Heil unserer Seele. Wir können unser Heil nicht anders erlangen als im mystischen Leib der hl. Kirche, dessen Haupt Christus ist und dessen Glieder wir sind. Wer den Christus auf Erden – der den Christus im Himmel vertritt – nicht gehorcht, der nimmt am Blut des Gottessohnes nicht teil. Denn Gott hat es so eingerichtet, daß durch dessen Hände Christi Blut und alle Sakramente der Kirche uns zukommen. Es gibt keinen anderen Weg und keine andere Pforte für uns.“ Die Kirche als der notwendige Weg zu Gott – für Caterina ist diese Wahrheit grundlegend. Denn die Kirche wurde auf Golgotha geboren als die schönste Frucht seines Leidens und Sterbens. Wie Eva aus der Seite Adams geboren wurde, so entstand aus der geöffneten Herzwunde Jesu seine Braut, die Kirche: „Das Licht des Geistes hatte ich in der ewigen Dreieinigkeit geschaut. Und ich sah in diesem Abgrund die Würde des Menschen und zugleich das Elend, in das der Mensch durch die Todsünde fällt. Und ich sah die Notwendigkeit der hl. Kirche, die Gott in meinem Herzen offenbarte. Ich sah, daß diese Braut, die Kirche, Leben spendet, und daß sie solche Fülle des Lebens in sich hat, daß niemand sie töten kann; und daß sie Kraft und Licht spendet und daß keiner sie schwächen, noch in ihrer Wesenheit verdunkeln kann. Und ich sah, daß ihr Reichtum niemals versiegt, sondern stets wächst.“ (Durch die Heiligen und Märtyrer).

Der Papst

Weil das Blut des Erlösers in der Kirche strömt – wie in einem geheimnisvollen Leib – deshalb ist die Erlösung des Menschen und sein ewiges Heil an die Kirche gebunden. Dieses Blut, das in den Sakramenten strömt, ist der „Reichtum der Kirche“, und diesen Schatz der Kirche hat der Papst zu hüten. Er ist der „Kellermeister des Blutes“. Indem er von Christus die Gewalt bekam, zu binden und zu lösen, hat er damit die Schlüsselgewalt über das Blut. Und darin liegt seine eigentliche Macht: „Sie allein besitzen die Schlüssel zum Blut. Denn Gott hat es in Ihre Hände gelegt, das Erbe zu verschenken und die Frucht des Blutes auszuteilen. Diese Wahrheit können die Lügner der Welt nicht verwischen.“

Zu Beginn des 14. Jhdts. entstand als Reaktion gegen den äußeren Reichtum der Kirche die verbreitete Vorstellung und der Wunsch nach einer rein geistigen Kirche.

Caterina hat dagegen immer klar Stellung genommen, weil in diesen Ideen das wesentlich Katholische in Frage gestellt wird. Sie sieht das Prinzip der Inkarnation gefährdet und letztlich den Glauben an die wahre Menschwerdung des Gottessohnes. Jede Ablehnung der sichtbaren Gestalt der Kirche ist ein Irrweg: „Nur durch das äußerliche Gewand gelangt man zur Braut.“

Caterinas Kirchenkritik, von der heute gerne gesprochen wird, war etwas ganz anderes als unsere gegenwärtigen Erneuerungs-Plattformen. Niemals ging es ihr um eine Änderung der gottgesetzten Strukturen, sonder stets nur um eine Änderung der sittlichen Haltung ihrer einzelnen Glieder. Es ging ihr um eine Vertiefung unserer Liebe zu Christus. Immer wird der Papst mit „dolce babbo mio“ angeredet, „mein süßes Väterchen“. Und davon läßt sie nicht los: „Selbst wenn die Hirten und der irdische Christus fleischgewordene Teufel wären, statt eines gütigen Vaters, müßten wir dennoch gehorchen. Nicht seinetwegen, sondern Gottes wegen“, schreibt sie an die Herren von Florenz, denn „unsere Ehrfurcht gilt ja nicht ihm, sondern dem Blut und der Autorität, die Gott ihm verliehen hat. Wer gegen den Papst aufsteht, erhebt sich gegen den, dessen Stelle er vertritt.“

Die Priester

Die Priester nennt Caterina „Diener des Blutes“. Sie stehen dem Papst zur Seite. Das Blut gibt dem Priester seine Würde. Alle Ehrfurcht gilt nicht ihnen, sondern dem Blut. Als Kind lief sie auf die Straße, wenn sie unten Dominikanerpatres vorbeigehen sah, um ihre Spuren zu küssen. Und während die Patres nachts schliefen, wachte sie in ihrer Kammer, um für ihre Brüder zu beten. Sie selbst nennt sich in ihren Briefen immer „Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi“.

Drei Laster allerdings sind es, die sich am Priester besonders schwer auswirken: Die Eigenliebe, der Geiz und die Unkeuschheit. Wir könnten mit heutigen Worten auch sagen: der Stolz bzw. Wissensdünkel, das Geld, und die Mißachtung des Zölibats. Zu allen Zeiten sind das die Grundversuchungen des Priesters. Das Heilmittel dagegen – sagt Caterina – ist nur die Betrachtung des Leidens Christi: „Wenn ihr das Blut des Lammes betrachtet, werdet ihr gewiß euer Herz wieder frei machen von all diesen Erbärmlichkeiten.“

Das Blut, das die Priester in den Sakramenten austeilen, ist das Blut der Kirche, und den Schlüssel dazu hat nur der Papst. Deshalb ist der Priester abhängig vom Papst. Ein Priester, der sich gegen den Papst auflehnt, ist daher ein Widerspruch in sich.

Die Sakramente

Heute wird gewiß vieles, oft allzu vieles nur in Gemeinschaft gedacht und gehandelt. Die Dynamik der Gruppe hat sich wie ein sanftes Netz ausgebreitet. Darin fühlen sich die einzelnen scheinbar ihrer Verantwortung entzogen. Aber für Caterina steht fest: Nicht die Gruppe tritt einst vor den Richterstuhl Gottes, sondern der je einzelne Mensch. Gott sagt: Ich habe dich zwar ohne Dich erschaffen, aber ich werde dich nicht ohne dich erlösen. Gott achtet den freien Willen des Menschen. Die Erlösung ist nicht ausschließlich göttliches Tun, sondern auch das Tun eines Menschen, des Gott-Menschen Jesus Christus. Und darin begründet liegt auch das Mitwirken des Menschen an seinem Heil.

Die Sakramente sind die Kanäle, in denen uns die Gnade der Erlösung im Blut Christi zufließt. Die Sakramente verachten hieße das Blut verachten, denn sie haben ihre Wirkung nur durch das Blut. An ein gefallenes Mädchen in Perugia schreibt sie mitfühlend und liebevoll ermutigend: „Eile zu deinem Schöpfer. ER wird dir seine Arme öffnen, wenn du die Todsünden aufgibst und in den Stand der Gnade zurückkehren willst. Er hat dir ja ein Bad aus seinem Blut bereitet. Dein süßer Gott wird dich nicht verstoßen.“ Und weiter: „Selbst wenn wir jeden Tag Krieg gegen Gott begännen, wir könnten doch auch jeden Tag mit Ihm wieder Frieden haben ... weil das Blut stets nach Erbarmen schreit.“

Caterina will, daß wir oft die Sakramente empfangen, um so mit Christus verbunden zu werden. Die hl. Beichte taucht uns unter in das Blut des Erlösers, sie ist wie eine neuerliche Taufe. Und die Eucharistie entreißt unser Leben der Vergänglichkeit, weil sie in uns den Anfang des ewigen Lebens setzt.

Sie selbst ernährte sich die letzten 10 Jahre ihres Lebens fast nur von der Hlst. Eucharistie. Nach der Kommunion war sie oft stundenlang in Ekstase an ihrem Platz in der Kirche, ohne sich von der Stelle zu rühren.

Braut Christi

Im Leben der hl. Caterina gibt es keine großen Sprünge, kein großes Auf und Ab. Alles verläuft geradlinig auf ein Ziel hin. Nach der ersten großen Christusvision mit 6 Jahren erwachte in Caterina eine ausgeprägte religiösen Neigung. Im Alter von 16 Jahren wird sie als Drittordensschwester bei den Dominikanerinnen in Siena aufgenommen. Von nun an trägt sie das weiße Kleid, den Schleier und den schwarzen Mantel. Man nannte diese Terziarinnen deshalb Mantellaten. 3 Jahre lebt sie nun in völliger Zurückgezogenheit von der Welt. Sie schließt sich ein ihr ihre kleine Kammer, ißt fast nichts, schläft wenig, geht nur zur täglichen hl. Messe und verbringt die Zeit völlig schweigend im Gebet und in der Betrachtung.

In diesen stillen Jahren werden ihr die großen mystischen Gnaden geschenkt. Sie spricht mit Christus, der in der Zelle immer wieder erscheint und mit ihr beisammen ist, wie mit einem Freund. Und der Herr besiegelt diese innige Freundschaft: Er erscheint ihr mit den himmlischen Geistern, der Gottesmutter und anderen Heiligen, um sich mit ihr zu vermählen. Christus steckt ihr einen Ring an den Finger, der zeitlebens für sie sichtbar bleibt.

Apostolat

Von nun an soll sie zu den Menschen gehen. Zunächst zu den eigenen Verwandten, dann hinaus zu den anderen, die ihrer Hilfe bedürfen. Sie kann Frieden stiften zwischen den verfeindeten Familien des Adels, sie pflegt Kranke und Aussätzige, sie besucht die Gefängnisse und schreibt den Gefangenen wunderbare Trostbriefe.

Berühmt geworden ist aus diesen Gefängnisbesuchen die durch Caterina erwirkte Bekehrung des jungen Adeligen aus Perugia: Nicolas Tuldo, der wegen einer Bagatelle von der herrschenden Stadtpartei zum Tode verurteilt und dann auf dem berühmten Rathausplatz, dem Campo in Siena enthauptet wurde. Die schwedische Dichterin Selma Lagerlöf hat darüber eine Novelle geschrieben. Aber die wirkliche Kronzeugin ist eine andere.

Caterina erzählt diesen ganzen Hergang ausführlich in einem Brief an ihren Beichtvater Raimund von Capua. Demnach war der Verurteilte zunächst rasend vor Wut. Dann aber fand er durch ihre Besuche im Gefängnis Zuneigung zu ihr. Er durfte seinen Kopf an ihre Brust lehnen, und am Tag der Hinrichtung konnte sie ihn sogar zur Kommunion führen. Dabei erzählt Caterina, daß die Güte Gottes ihn durch diese menschliche Zuneigung zu ihr „überlistet“ habe. Als sie dann noch versprach, ihn am Richtplatz zu erwarten, war er voll Freude und Zuversicht. Caterina war tatsächlich bei ihm, und als er kam, entblößte sie sein Haupt, und er sagte die beiden Worte „Jesus“ und „Caterina“, und dann empfing sie sein Haupt in ihren Händen. Und da sie Gott um ein Zeichen für seine Rettung gebeten hatte, erlebte sie im selben Augenblick seines Todes eine Vision: „Darauf erschien der Gottmensch wie die hellichte Sonne. Er öffnete seine Seite und nahm dies Blut (des Verurteilten) zu seinem Blut ... und wie er es aufnahm, nahm er auch seine Seele auf und schloß sie voll Barmherzigkeit in die offene Kammer seiner Seite. ... Und ich sah, wie die Seele – erkauft mit dem Blut des göttlichen Sohnes – in die Seite des Sohnes einging. Er aber machte eine liebliche Bewegung und wandte sich um und grüßte die, die ihn begleitet hatte und gab ihr ein Zeichen des Dankes.“ Und dann schreibt sie noch: „Und wie er dahingeschieden war, ruhte meine Seele in so großem Frieden und in solchem Duft des Blutes, daß ich es nicht zuwege brachte, das Blut wegzuwaschen, das von ihm auf mich gekommen war.“

Caterina und die Menschen

Die Menschen merken natürlich längst ihre große geistige Ausstrahlung, die sie so anziehend macht. Viele kommen zu ihr, sie zu sehen, sie zu berühren und mit ihr zu sprechen. Spötter verstummen, Zweifler und Kritiker bekehren sich und werden zu Bewunderern der Jungfrau.

Ihre Zeitgenossen beschreiben sie sanft, mit einem leuchtenden und reinen Blick. Sie ist von einer unbedingten Geradlinigkeit, die auch für den kleinsten Winkelzug unfähig scheint. Sie gerät in Feuer, sobald sie von Gott spricht, ohne jemals ihre Sanftmut zu verlieren.

Was die Menschen zu ihr hinzieht, ist gewiß auch das menschlich Feinfühlige, die fraulich-mütterliche Sorge, die von ihr ausgeht, der jugendliche Liebreiz. Aber dies wäre bei tausend anderen auch zu finden. Der einzige Grund ihrer Anziehungskraft ist die Heiligkeit, ihre Verbundenheit mit Christus, sodaß in ihrer Nähe etwas vom Duft des Göttlichen spürbar wird. Das Übernatürliche ist in ihr so stark und mächtig, daß davon alle angezogen werden. Sie war so vertraut mit Gott, der Herr stand so sehr im Mittelpunkt ihres ganzen Lebens, daß man auf sie mit derselben Achtung hörte, wie wenn Christus selbst gesprochen hätte. Von daher kommt ihre Sicherheit bei ihrem Auftreten vor der Welt. Wo es sich um ihre Sendung handelt, duldet sie nicht, daß man sich ihr widersetzt. Vor sich selber aber, vor Gott und vor den Oberen, die Gott ihr gibt, ist sie jene, die nicht ist und die nur Strafe verdient.

Ihre „Familie“

Bald bildet sich ein Kreis von Verehrern um sie, der sie später auf ihren Reisen begleiten wird. Zu diesem Kreis gehörten ihre Freundinnen, die Dominikanerpatres, die sie von Jugend auf kannte, und vor allem Weltleute aus allen Schichten: Politiker, Advokaten, Dichter, Theologen, Maler und junge Lebemenschen. Viele dieser Mitglieder waren aus vornehmen Familien, noch jung, und Caterina war kurz über 20. Dennoch haben sich alle der Jungfrau unterworfen und sie als ihre geistige Mutter betrachtet. Sie ist die fraglos anerkannte Autorität. Weil sie selbst unmittelbar von Gott geführt wird, gibt es für ihre Verehrer nur eine Art von Beziehung: die Jüngerschaft. Diesen Freundeskreis nennt sie ihre Familie, ihre „Truppe“.

Für unser 20. Jahrhundert ist es unvorstellbar, daß eine junge Frau mit einem religiösen Gewand bekleidet durch die Straßen zieht mit einem Trupp junger Leute, Priester und Frauen, die sich alle ihre Kinder nennen.

Man kann das Mittelalter nur verstehen, wenn man bedenkt, daß es eine Zeit des Glaubens war, und die Gesellschaft in ihrer Freiheit biegsam ist wie eine junge Pflanze.

Das bevorzugte Kind, das Gott ihr anvertraut hatte, war der 18-jährige Stefano Maconi, ein Modebürschchen aus vornehmen Haus, der zuerst Skeptiker war und dann zu ihrem größten Verehrer wurde. Er war zeitlebens einer ihrer Sekretäre und wurde entsprechend dem Willen Caterinas nach ihrem Tod Kartäuser. Als Prior und Erneuerer seines Ordens ist er heiligmäßig gestorben.

Die Person, die ihr aber von allen am nächsten stand, war der um 17 Jahre ältere Dominikaner Raimund von Capua, ihr Beichtvater und Seelenführer und ihr späterer Biograph.

Caterinas Schriften

Von Caterina selbst sind uns an die 380 Briefe erhalten. Da sie selbst erst sehr spät ein wenig lesen und schreiben gelernt hatte, wurden ihre Brief alle von ihr diktiert. Sie entstanden in einer Art ekstatischer Entrückung. Dabei waren aus ihrem Freundeskreis stets mehrere Sekretäre beschäftigt, das fließend gesprochene Diktat mitzuschreiben. Mitunter diktierte sie mehrere Briefe gleichzeitig.

Caterina kennt keine Konversation, keine langen Einleitungen. Sie hat nur einen Gedanken, eine Aufgabe und eine Liebe und die heißt: Jesus Christus. Ihre politischen Briefe beginnen alle mit einer Predigt. Der Grundtenor ist immer, die Todsünde zu meiden. Alles läuft auf die Beichte hinaus und auf den oftmaligen Besuch der hl. Messe. Sie spricht vom Glauben, vom Licht, von der Wahrheit und von Christus, der sich für uns zur Brücke gemacht hat, um Himmel und Erde zu verbinden.

4 Jahre vor ihrem Tod diktierte sie eine Art Zusammenfassung ihrer mystischen Schauungen und Einsichten: Ein Gespräch zwischen Gott und der Seele, zwischen Gott und Caterina. Dieses Buch, das ihr so sehr am Herzen lag, nannte sie deshalb den „Dialog“ oder das „Gespräch von Gottes Vorsehung“.

Die Sünde

Noch einen Bereich gibt es, der typisch ist für unsere Heilige: der Umgang mit den Sündern. Beim Umgang mit den Sündern ist die hl. Caterina sozusagen voll in ihrem Element. Kein Heiliger hat mehr wie sie der Sünde der Welt seine Aufmerksamkeit geschenkt. Sie hat sie gesehen, sie hat sie gefühlt, sie hat unter ihr gelitten und ist an ihr gestorben, so wie ihr Meister. Sie beschreibt und zergliedert die Sünde, und sie hat stets größtes Mitleid mit den Sündern. Schwieriger ist es mit den Lauen.

Die Sünde aller Sünden ist für Caterina die Eigenliebe, die maßlose Anhänglichkeit an sich selbst, die dabei vergißt, daß alles Geschenk ist und daß wir Geschöpfe sind. Eigenliebe ist, wenn der Mensch sich so sehr den Dingen zuwendet und sich an ihnen zu sättigen glaubt und dabei den Geber dieser Dinge vergißt. Die Eigenliebe – im Gegensatz zur Gottesliebe – ist die Liebe des Menschen zu sich selbst, zu etwas, das aus sich nichts ist. Und deshalb führt die Eigenliebe ins Nichts zurück, weil Gott allein der ist, der ist.

Die menschliche Eigenliebe widersetzt sich der göttlichen Barmherzigkeit. Sie steht am Ursprung jeder Sünde. Caterina ist überzeugt: „Die Eigenliebe ist es, die die Welt vergiftet hat.“ Denn „die Eigenliebe zerstört die Gottesliebe und macht den Menschen stolz, da sie ihn glauben läßt, daß das Gute, das er an sich hat, von ihm selbst und nicht von Gott her rührt“.

Selbsterkenntnis

Das notwendige Heilmittel gegen die Eigenliebe ist die Selbsterkenntnis. An dieser Selbsterkenntnis des Menschen, daß er nämlich ein Geschöpf ist und aus sich nichts ist, entscheidet sich für Caterina der Weg des Menschen, ob er nämlich Gott als seinen Schöpfer erkennt oder ob er sich der Illusion hingibt, unabhängig von Gott etwas zu sein, was letztlich eine Lüge ist. Und diese Illusion stammt vom Satan, der der Vater der Lüge ist.

Schon der hl. Paulus schreibt an die Korinther: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Hast du es aber empfangen, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ (1 Kor 4,7).

Für Caterina war dies die erste und entscheidende Grunderkenntnis: Christus selbst hatte ihr diese Einsicht geschenkt: „Meine Tochter, weißt du wer du bist und wer ich bin? Wenn du diese zwei Dinge weißt, wirst du glücklich werden. Du bist die, die nicht ist. Ich dagegen bin der, der ist. Wenn du deine Seele von dieser Erkenntnis erfüllt sein läßt, wird dir der Böse Feind nichts anhaben können ...“

Der „gekreuzigte Christus“

Die hl. Caterina kennt nur ein einziges Buch, das ihr Antwort gibt auf alle Fragen: den gekreuzigten Christus. Das Kreuz ist für Caterina ein Lehrstuhl, von dem herab Christus seine Wahrheit verkündet.

Die Grundeinsicht aller ihrer Betrachtungen war die Erkenntnis:

Der Mensch ist aus sich selbst nichts. Sein Dasein hat er allein von Gott. Von ihm bekommt er alles, was er braucht. Nur wenn der Mensch sich mit seinem Schöpfer vereinigt, erhält er Anteil an den göttlichen Eigenschaften: nämlich Liebe, Wahrheit und Weisheit. Nur wenn der Mensch Gott liebt, wird er auch fähig, den Nächsten zu lieben und wird er so zum Segen für die Mitmenschen. Liebe zum eigenen Ich, zu etwas, das in Wirklichkeit nicht ist, führt zum Abgrund des Nichts und schließlich in die äußerste Gottferne.

Caterina hat uns nur das gelehrt, was sie auch selbst gelebt hat. Ihre „Theologie“ ist auf das Wesentliche bezogen, lebendig und frei von abstrakter Spekulation. Ihre Sprache ist bilderreich. Sie hat eine äußerste Abneigung gegen Gedankenspielerei. Gott ist nicht ein unpersönliches, geistiges Sein, sonder der lebendige, dreipersönliche Gott, der ganz Liebe ist. Es ist der „süßeste, vielgeliebte, ewig junge und gütigste Vater“, der seine „Wahrheit“, den eingeborenen Sohn gesandt hat, um ihn durch die „feurige Fessel der Liebe“, durch den Heiligen Geist, ans Kreuz zu binden.

Der Mensch

Wer und was ist der Mensch? Auch das ist eine der Grundfragen. Und die Antwort Caterinas: Das wird nur in Christus erkennbar. Der Mensch ist aus Liebe und für die Liebe geschaffen. Er ist geschaffen nach dem Bildnis und Gleichnis Gottes. Caterina sagt: „Gott schuf den Menschen in Freiheit, einzig gezwungen von seiner Liebe, indem er in sich hineinblickte und erglühte über seine Herrlichkeit und über das Werk seiner Hände. ... Er verliebte sich in die Schönheit seiner Geschöpfe und zog das Sein des Menschen aus sich heraus“ ins Dasein.

Und warum schuf er den Menschen? „Um uns teilnehmen zu lassen an Ihm, an seiner Schönheit, an seinem ewigen Gut, an seinem ewigen Leben. Denn Gott will nur unser Glück. Das ist die Wahrheit.“

„Denn hätte Gott uns nicht geliebt und nicht unser Glück gewollt, dann hätte er uns keinen solchen Erlöser geschenkt.“ Das ist der immer wiederkehrende Beweis bei Caterina.

Der Kreuzzug

Ein letzter geheimnisvoller und eher befremdender Zug im Leben Caterinas sei noch kurz erwähnt: Ihr entschiedener Einsatz für einen neuen Kreuzzug. Sie will den Kreuzzug aus mehreren Gründen: Erstens: damit der hl. Ort unseres süßen Erlösers den Händen Satans entrissen wird und damit die Ungläubigen teilnehmen könnten am Blut des Gottessohnes wie wir, „da sie doch wie wir im Blut erlöst wurden“. Zweitens: damit die Kämpfe in Italien aufhören. Denn es ist unerträglich, daß hier Christen gegen Christen kämpfen. Was dadurch am hl. Leib der Kirche geschieht, ist eine Beleidigung Gottes. Und drittens ist sie überzeugt: Wenn auch die äußere Schlacht im Heiligen Land ergebnislos sein sollte, die innere Schlacht geht trotzdem siegreich aus, da durch den Einsatz für Christus im Vergießen des eigenen Blutes Leben gewonnen ist. Und darauf allein kommt es Caterina an. Sie denkt in allem nur aus der Sicht der Ewigkeit.

Diese Sichtweise, die uns Menschen so schwer verständlich ist, hat ihr Gott selbst einmal in einer Vision kundgetan (sie schrieb das ihrem Beichtvater in einem Brief). Gott zeigte ihr dabei das Schicksal eines Sünders, indem er zu Caterina sprach: „Du sollst wissen, um ihn vor der Verdammnis zu retten, in die er, wie du gesehen hast, gefallen war, habe ich für ihn diesen Unglücksfall zugelassen, damit er mit seinem Blut in meinem Blut das Leben habe. Denn er hatte die Ehrerbietung meiner süßen Mutter gegenüber nicht vergessen. So habe ich also bei ihm das, was die Unwissenden für Grausamkeit halten, nur aus Barmherzigkeit zugelassen.“

Das ist die Vorsehung Gottes, die für uns Menschen nicht zu durchschauen ist, aber auf die wir voll Zuversicht bauen dürfen.

Die hl. Birgitta von Schweden dachte über den Kreuzzug übrigens ganz anders. In einem Brief an Papst Gregor XI. schrieb sie, daß „Christus nicht will, daß der Papst Banden gottloser Krieger zu seinem Grab schickt.“

Die Kreuzzüge waren im 12. und 13. Jahrhundert. Jetzt im 14. Jhdt. war die Zeit dafür endgültig vorbei.

Schlußbemerkung

Zum Schluß kann man die Frage stellen: Hat Caterina ihre Sendung erfüllt?

Der Papst kam nach Rom zurück. Mit Florenz wurde Frieden geschlossen. Der Kreuzzug kam nicht zustande. Und statt der Erneuerung in der Kirche entstand das abendländische Schisma. Caterina ist daran letztlich zerbrochen. Aber dieses „Zerbrechen“ war wie das Brechen einer Hostie am Altar. Zeit ihres Lebens hat sie durch ihr Beispiel Hunderten den Weg gewiesen in die engere Nachfolge Christi. Und für Generationen wurde sie zur geistlichen Mutter und Führerin. Heute ist sie Lehrerin der Kirche und das christliche Gewissen des Abendlandes.

Der Gedanke der Einheit und der Ordnung, wie er das mittelalterliche Denken geprägt hat, ist mit der beginnenden Neuzeit verlorengegangen. Der Individualismus wirft den Menschen auf sich selbst zurück und macht ihn zum Kritiker seines eigen göttlichen Ursprungs. Damals zerfiel die Einheit Europas in eine Nationalstaatlichkeit. Heute ist man bestrebt, wieder zu einer Einheit Europas zurückzukommen. Diese Einheit aber, so erinnert uns der Heilige Vater immer wieder – ist nur möglich auf den Grundlagen der christlichen Werte. Eine Einheit Europas ohne Christus ist nicht möglich. Die heilenden Kräfte heute wie damals sind die von Caterina verkündeten großen Themen der Erneuerung: Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes. Er ist erschaffen aus Liebe und für die Liebe. Die Sünde ist das einzige Unglück, die Kirche aber das alleinige Mittel zum Heil.