Die hl. Teresia Benedicta a Cruce (Edith Stein)(6. Juni 2000)
Raimund Bruderhofer
Hinweis/Quelle: Vortrag vom 4. Mai 2000 in Horn. Veranstalter: Initiativkreis katholischer Laien und Priester in der Diözese St. Pölten
1987 litt in den Vereinigten Staaten ein zweijähriges Mädchen mit Namen Benedicta McCarthy an einer Vergiftung mit akutem Leber- und Nierenversagen und wartete auf eine Lebertransplantation. Die Eltern baten Edith Stein um Ihre Fürsprache zur Heilung des Kindes. Die – wissenschaftlich nicht erklärbare – Heilung des Kindes erfolgte spontan. Dies war wesentlich für die Heiligsprechung von Edith Stein. Denn als Märtyrerin konnte sie zwar ohne weiteres selig gesprochen werden, die Heiligsprechung darf jedoch erst erfolgen, wenn ein auf die Fürsprache der Seligen zurückgehendes Wunder erwiesen ist. Nach Abschluss aller Untersuchungen legte Papst Johannes Paul II. als endgültiges Ergebnis am 8. April 1997 in Rom fest, dass die Heilung offiziell als Wunder angesehen werden kann.
Geboren wurde Edith Stein als elftes Kind von Siegfried und Auguste Stein in Breslau am 12. 10. 1891 zu Yom Kippur (Versöhnungstag), dem höchsten jüdischen Festtag. Die Familie war gläubig und beging alle jüdischen Feste. Mit vierzehneinhalb Jahren gewöhnte sich Edith bewußt das Gebet ab. Von ihren sechs das Kindheitsalter überlebenden Geschwistern (vier Kinder starben im Kindheitsalter) starben drei , Paul, Elfriede und Rosa, – so wie sie selbst – in Konzentrationslagern, Else, Erna und Arno konnten auswandern.
Erst kurz vor der Geburt von Edith übersiedelte ihre Familie nach Breslau. Der Vater betrieb einen Holzhandel, der nach dem frühen Tod des Vaters unter Führung der Mutter Auguste einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Die Mutter war das Zentrum der Familie und für ihre Kinder ein großes Vorbild. 1933 schrieb Edith in ihren Kindheitserinnerungen, daß sie ihr Judentum nie abgelegt hatte und glücklich war, eine Judenchristin zu sein. Bei antisemitischen Begebenheiten gab sie sich auch als Atheistin immer als Jüdin zu erkennen.
Von ihrer Mutter erbte sie die Eigenschaften Disziplin, Entschiedenheit, Genügsamkeit und Intelligenz. Schon als Kind war Edith sehr klug und ehrgeizig. Einer ihrer Lehrer sagte später in Bezug auf sie: „Schlag an den Stein und Weisheit springt heraus!“ Seit ihrer Jugendzeit war sie überall dabei, wo man aufmüpfig sein konnte (in sozialen Angelegenheiten, in der Frauenbewegung, beim Recht auf gleiche Bildung für alle). Ihr inneres Leben gab sie allerdings nie preis.
Als Kind träumte Edith davon, zu etwas Großem bestimmt zu sein und nicht für enge bürgerliche Verhältnisse zu passen. In ihrer Jugend litt sie an Ohnmacht, Fieber und Alpträumen, als Kind unter Nichternstgenommenwerden, was sie durch Schweigen „bestrafte“. Früh kam sie darauf, daß Selbstkontrolle wichtig für die Würde der Person ist.
Mit vierzehneinhalb Jahren wollte sie die Schule nicht mehr weiter besuchen und ging mit Erlaubnis ihrer Mutter nach Hamburg zu ihrer ältesten Schwester Else, die gerade ein Kind geboren hatte. Edith half im Haushalt und bei der Kindespflege und reifte in den zehn Monaten ihres Aufenthaltes in Hamburg so weit heran, daß sie den Entschluß faßte, wieder die Schule in Breslau zu besuchen. Sie lernte die zehne Monate ihrer Abwesenheit nach und schloß schließlich ohne Zeitverzug das Gymnasium mit dem Abitur ab. Allerdings hatte sie sich im Haushalt ihrer Schwester Else in Hamburg, wo der jüdische Glaube nicht gelebt wurde, das Gebet abgewöhnt und den Glauben an einen persönlichen Gott verloren..
Nach dem Abitur faßt Edith den Entschluß, Lehrerin zu werden und beginnt in Breslau Geschichte, Deutsch, Philosophie und Psychologie zu studieren. Das Studium der Psychologie in Breslau befriedigt sie wenig und stößt sie in der Literatur auf die Schriften des Göttinger Professors Edmund Husserl (Begründer der Phänomenologie. Das bewegt sie dazu, nach zwei Studienjahren nach Göttingen zu wechseln.
In der Philosophie sucht Edith nach dem Sinn des Lebens. Besonders beeindruckt war sie von einer einfachen Frau, die mit ihrem Korb in den katholischen Dom in Frankfurt gekommen war und dort – ohne daß ein Gottesdienst stattfand – einige Minuten betete. In Synagogen oder protestantischen Kirchen, die sie besucht hatte, hatte sie das nie erlebt. In Göttingen trifft Edith Stein auch den Philosophen Max Scheler kennen, der ihr die Begegnung mit einer ihr vorher unbekannten Welt – der katholischen – eröffnet. Ihre rationalistischen Vorurteile fielen und die Welt des Glaubens tat sich auf.
Bei der Abfassung ihrer Dissertation über die „Einfühlung“ gelangt Edith an ihre geistigen Grenzen, fällt in eine depressive Krise und gerät in Verzweiflung. Vom Privatdozenten Adolf Reinach wird sie schließlich ermutigt: „Beginnen Sie Ihre eigenen Gedanken niederzuschreiben.“ Im ersten Weltkrieg (1915) stellt sie sich dem Roten Kreuz zur Verfügung und wird im österreichischen Mährisch-Weißkirchen als Schwester in einem Militärlazarett eingesetzt, auch bei Tuberkulosekranken. Nach Beendigung ihrer Tätigkeit in dem Militärlazarett kehrt sie zunächst nach Breslau zurück und widmet sich dann wieder der Arbeit an ihrer Dissertation. 1916 wird sie Doktor der Philosophie summa cum laude.
Seit ihren ersten Glaubensimpulsen in Göttingen dauerte der Prozeß der Glaubensentscheidung etwa 5 – 7 Jahre. Einer dieser Impulse war der Tod Adolf Reinachs im ersten Weltkrieg (1917), als sie die Witwe Anne um die Ordnung seines Nachlasses bat. Sie bereitete sich auf die erste Begegnung mit der Witwe vor, merkte dann aber, daß diese aus ihrem Glauben heraus den Tod ihres Gatten verkraftete und sogar die verstörte Edith trösten konnte.
Mit Philomena Steiger sprach Edith über Religion. Philomena sprach zu Edith über die jüdische Religion, die Propheten, den Messias usw. Als Edith sich Philomena gegenüber als Atheistin bezeichnete, korrigierte Philomena sie: „Sie sind keine Atheistin, Sie sind eine Suchende! Beten Sie zum Hl. Geist! Einfach anfangen!“ In dieser Zeit (ca. 1920) führte Edith eine Art inneren Kampf zwischen Intellekt und Hingezogensein, wobei ihre leidenschaftliche Suche nach der Wahrheit ihr einziges Gebet war, wie sie später sagt.
Im Sommer 1921 hält sich Edith bei ihren Freunden Hedwig Martius und Theodor Conrad in Bergzabern auf. Eines Abends, als die beiden Freunde weggefahren sind, findet sie im Bücherschrank ein Buch mit dem Titel „Leben der Heiligen Teresia von Avila“, von dieser Heiligen selbst verfaßt. Sie fängt an zu lesen und ist von diesem Buch so gefangen, daß sie es in einem Zug bis zur Morgendämmerung ausliest. Als sie es schließt, sagte Edith zu sich selbst: „Das ist die Wahrheit“. Entschlossen, zum christlichen Glauben überzutreten und sich auf die Taufe vorzubereiten, kauft sie sich einen katholischen Katechismus und ein Meßbuch. Sie spürt die Sehnsucht, Karmelitin wie die Hl. Theresa v. Avila zu werden.
Auch mit ihren Freunden spricht sie zunächst nicht über ihren plötzlichen Zugang zum Glauben: „Secretum meum mihi“ – „mein Geheimnis gehört mir“. Am 1. 1. 1922 wird Edith getauft, wobei mit Erlaubnis des Bischofs ihre evangelische Freundin Hedwig Martius Taufpatin ist. Priester, die sie um Rat fragte, rieten ihr, ihre Talente mitten in der Welt einzusetzen und nicht in einen Orden einzutreten. Sie befolgte dies vor allem auch deswegen, um auf ihre Mutter Rücksicht zu nehmen.
Generalvikar Schwind von Speyer, in den ersten Jahren nach der Taufe ihr geistlicher Begleiter, vermittelt ihr eine Stellung als Lehrerin am Institut St. Magdalena (Schule einschließlich Lehrerbildungsanstalt) in Speyer, welches von den Dominikanerinnen geführt wird, wo sie von 1923 bis 1931 unterrichtet. Seit ihrer Taufe verbindet Edith Arbeit & Gebet als Praxis & Anliegen. Ab 1924 übersetzt sie Schriften von John Henry Kardinal Newman aus dem Englischen, später das Werk „Quaestio disputata de veritate“ des Hl. Thomas v. Aquin aus dem Lateinischen.
Zunehmend hält sie Vorträge über verschiedene Themen (auch über die Eucharistie), über Vorschlag von P. Przywara SJ nimmt sie sich der „Frauenfrage der katholischen Frauen in Deutschland“ an und hält ab 1928 einschlägige Vorträge in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie versäumt darüber nicht die regelmäßige Teilnahme am Chorgebet und die Anbetung und fühlt sich auch mit der Gottesmutter Maria immer mehr verbunden.
1931 nimmt sie Abschied von Speyer, um in Breslau ihre Habilitation vorzubereiten. Doch war für sie als Frau und Jüdin die Zeit nicht günstig. Im April 1932 erhält Edith Stein am Deutschen Institut für Wissenschaftliche Pädagogik in Münster einen Lehrauftrag und wohnte in dieser Zeit bei den studierenden Klosterfrauen im „Collegium Marianum“. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland muß sie ihre Lehrtätigkeit in Münster beenden.
Die Karwoche des Jahres 1933 verbringt sie – wie die Jahre zuvor – in der Benediktinerabtei von Beuron. Dort bespricht sie mit Erzabt Raphael Walzer ihre schon seit längerem bestehenden Überlegungen, Papst Pius XI. um eine Privataudienz zu bitten, um ihn dabei zu einer Enzyklika in der „Judenfrage“ zu bewegen, doch rät ihr dieser aufgrund des großen Andranges im Hl. Jahr zu einer schriftlichen Eingabe, die Erzabt Walzer persönlich in Rom übergab.
Von der Hl. Messe am Gründonnerstag in Beuron berichtet Edith Stein folgendes: „Der Priester sprach schön und ergreifend, aber mich beschäftigte etwas anderes tiefer als seine Worte. Ich sprach mit dem Heiland und sagte ihm, ich wüßte, daß es sein Kreuz sei, das jetzt auf das jüdische Volk gelegt würde. Die meisten verstünden es nicht; aber die es verstünden, die müßten es im Namen aller bereitwillig auf sich nehmen. Ich wollte das tun, Er sollte mir nur zeigen wie. Als die Andacht zu Ende war, hatte ich die innere Gewißßheit, daß ich erhört sei“.
Daß sie keine Vorlesungen mehr halten würde, sah Edith auch als barmherzige Fügung, nach Monaten des Gebets entschließt sie sich nunmehr, in den Karmel von Köln einzutreten. Sie mußte diesen Schritt nur im Vertrauen auf die Führung Gottes tun, es blieb für sie eine große Wunde, dass ihre Mutter diesen Entschluss nie verstehen und bejahen konnte. Im Karmel kennt sie niemand und ist sie auch nicht besonders geschickt in den Tätigkeiten, die zu verrichten sind wie Nähen, Kochen, Hausarbeit etc. Sie hat viel Zeit für Gebet, arbeitet aber auch weiterhin wissenschaftlich, auch für den Orden. Sie vollendet ihr Hauptwerk, die philosophische Arbeit „Endliches und Ewiges Sein“.
1938 finden in Großdeutschland (nach dem Anschluß Österreichs) „Wahlen“ statt, aus deren Anlaß die Klosterschwestern nicht – wie sonst – das Kloster verlassen, sondern die „Wahlbehörde“ in den Karmel kommt. Sie steht nicht auf der Liste der Wahlberechtigten und weiß daher, daß den staatlichen Behöörden bekannt ist, daß sich eine „Jüdin“ (Judenchristin) im Kloster befindet. Sie weiß daher, daß sie einerseits nicht sicher im Kloster ist und andererseits ihre Anwesenheit den Karmel gefährden könnte – vor allem nach der „Kristallnacht“ (Novemberprogrom, 9./10. November 1938).
Am 31. 12. 1938 übersiedelt sie daher in den Karmel nach Echt in Holland, einem Kloster, das als „deutsches Exilkloster“ zur Zeit des Kulturkampfes unter Bismarck gegründet wurde. Sie verbringt viel Zeit im Sühnegebet für die Untaten dieser Zeit, überlegt, ob sie Gott ihr Leben anbieten soll wie Esther im Alten Testament und bietet sich am Passionssonntag des Jahres 1939 dem Herzen Jesu als Opfer der Versöhnung für den wahren Frieden an. Ihre Schwester Rosa folgt ihr im Jahre 1940 dorthin. Im gleichen Jahr ersucht sie die Priorin von Echt, anläßlich des bevorstehenden 400. Geburtstages des Hl. Johannes vom Kreuz (1942) eine Biographie zu verfassen. Diese wird ihr letztes großes Werk: „Die Kreuzeswissenschaft“.
Sie hat nicht von vornherein eine Liebe zum Leiden als solches, sie zitiert Mt 10,23: „Wenn man euch in der einen Stadt verfolgt, so flieht in eine andere.“ Am 26. Juli 1942 protestieren die holländischen Bischöfe gegen das Verbrechen der Judenverfolgung, indem sie das Telegramm an den Reichsstatthalter Artur Seyßß-Inquart von den Kanzeln der Kirchen verlesen ließen. In Reaktion darauf verhaften die NS-Behörden in den Niederlanden alle zum katholischen Glauben konvertierten Juden. Am 2. August 1942 kommen zwei SS-Offiziere zum Karmel Echt (während Edith gerade in Betrachtung betet) und lassen Edith und Rosa Stein nur fünf Minuten um mitzukommen.
In der Nacht von 3. auf 4. August 1942 werden beide in das Sammellager Westerbork eingeliefert. In diesem Lager fiel sie durch ihre große Ruhe und Gelassenheit auf und ihre Hilfe und Beistand für die Kinder und die Verzweifelten. In diesem Lager schreibt sie noch einen Brief an die Priorin von Echt, in dem sie um verschiedene Kleidungsstücke bittet und mitteilt: „Konnte bisher herrlich beten“. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde Edith Stein zusammen mit ihrer Schwester Rosa am 9. August 1942 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau vergast.
Als ihre Bedeutung für die Kirche kann lt. P. Dr. Bruderhofer ihr Ökumenismus angesehen werden, auch ihr Beispiel von Versöhnung und Liebe zu den Feinden auch nach ihrer Verhaftung. Bedeutend ist auch ihre philosophische Verbindung von Thomas v. Aquin mit der Phänomenologie.