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Die Kirche bittet Gott um Vergebung
Wortlaut der sieben Vergebungsbitten im Petersdom (12. März 2000)

Johannes Paul II.

Hinweis/Quelle: stjosef.at dokumentiert den Wortlaut der sieben Vergebungsbitten, die bei der feierlichen Messe zum „Tag der Versöhnung“ im Petersdom vorgetragen wurden in der von „Kathpress“ verbreiteten Fassung. • Dokument der Internationalen Theologenkommission: „Erinnern und Versöhnen“ (AuszügeVolltext)
Als Buch ist der Text im Johannes-Verlag Einsiedeln erschienen.
•Der Kirchenhistoriker Prof. Konrad Repgen über die Vergebungsbitte
Interview mit Kardinal Ratzinger (Radio Vatikan)

Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns vertrauensvoll zu Gott unserem Vater rufen, der barmherzig und langmütig ist, reich an Erbarmen, Liebe und Treue. Er möge die Reue seines Volkes annehmen, das in Demut seine Schuld bekennt, und ihm seine Barmherzigkeit schenken.

I. Allgemeines Schuldbekenntnis

Kardinal Bernardin Gantin:

Lass unser Bekenntnis und unsere Reue vom Heiligen Geist beseelt sein. Unser Schmerz sei ehrlich und tief. Und wenn wir in Demut die Schuld der Vergangenheit betrachten und unser Gedächtnis ehrlich reinigen, dann führe uns auf den Weg echter Umkehr.

Papst Johannes Paul II.:

Herr unser Gott, du heiligst deine Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit immerfort im Blut deines Sohnes. Zu allen Zeiten weißt du in ihrem Schoß um Glieder, die durch ihre Heiligkeit strahlen, aber auch um andere, die dir ungehorsam sind und dem Glaubensbekenntnis und dem heiligen Evangelium widersprechen. Du bleibst treu, auch wenn wir untreu werden. Vergib uns unsere Schuld und lass uns unter den Menschen wahrhaftige Zeugen für dich sein. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn.

(Vor dem Kruzifix wird ein Licht entzündet.)

II. Bekenntnis der Schuld im Dienst der Wahrheit

Kardinal Joseph Ratzinger:

Lass jeden von uns zur Einsicht gelangen, dass auch Menschen der Kirche im Namen des Glaubens und der Moral in ihrem notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit mitunter auf Methoden zurückgegriffen haben, die dem Evangelium nicht entsprechen. Hilf uns, Jesus Christus nachzuahmen, der mild ist und von Herzen demütig.

Papst Johannes Paul II.:

Herr, du bist der Gott aller Menschen. In manchen Zeiten der Geschichte haben die Christen Methoden der Intoleranz zugelassen. Indem sie dem großen Gebot der Liebe nicht folgen, haben sie das Antlitz der Kirche, deiner Braut, entstellt. Erbarme dich deiner sündigen Kinder und nimm unseren Vorsatz an, der Wahrheit in der Milde der Liebe zu dienen und sich dabei bewusst zu bleiben, dass sich die Wahrheit nur mit der Kraft der Wahrheit selbst durchsetzt. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn.

(Vor dem Kruzifix wird ein Licht entzündet.)

III. Bekenntnis der Sünden gegen die Einheit des Leibes Christi

Kardinal Roger Etchegaray:

Lass das Eingeständnis der Sünden, die die Einheit des Leibes Christi verwundet und die geschwisterliche Liebe verletzt haben, den Weg ebnen für die Versöhnung und die Gemeinschaft aller Christen.

Papst Johannes Paul II.:

Barmherziger Vater, am Abend vor seinem Leiden hat dein Sohn darum gebetet, dass die Gläubigen in ihm eins seien: Doch sie haben seinem Willen nicht entsprochen. Gegensätze und Spaltungen haben sie geschaffen. Sie haben einander verurteilt und bekämpft. Wir rufen inständig dein Erbarmen an und bitten dich um ein reumütiges Herz, damit alle Christen sich in dir und untereinander aussöhnen. In einem Leib und einem Geist vereint, sollen sie die Freude über die volle Gemeinschaft wieder erleben dürfen. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn.

(Vor dem Kruzifix wird ein Licht angezündet.)

IV. Schuldbekenntnis im Verhältnis zu Israel

Kardinal Edward Idris Cassidy:

Lass die Christen der Leiden gedenken, die dem Volk Israel in der Geschichte auferlegt wurden. Lass sie ihre Sünden anerkennen, die nicht wenige von ihnen gegen das Volk des Bundes und der Seligpreisungen begangen haben, und so ihr Herz reinigen.

Papst Johannes Paul II.:

Gott unserer Väter, du hast Abraham und seine Nachkommen auserwählt, deinen Namen zu den Völkern zu tragen. Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine Söhne und Töchter leiden ließen. Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen, dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn.

(Vor dem Kruzifix wird ein Licht entzündet.)

V. Schuldbekenntnis für die Verfehlungen gegen die Liebe, den Frieden, die Rechte der Völker, die Achtung der Kulturen und der Religionen

Erzbischof Stefan Fumio Hamao:

Lass die Christen auf Jesus blicken, der unser Herr ist und unser Friede. Gib, dass sie bereuen können, was sie in Worten und Taten gefehlt haben. Manchmal haben sie sich leiten lassen von Stolz und Hass, vom Willen, andere zu beherrschen, von der Feindschaft gegenüber den Anhängern anderer Religionen und den gesellschaftlichen Gruppen, die schwächer waren als sie, wie etwa den Einwanderern und Zigeunern.

Der Heilige Vater:

Herr der Welt, Vater aller Menschen, durch deinen Sohn hast du uns gebeten, auch den Feind zu lieben, denen Gutes zu tun, die uns hassen, und für die zu beten, die uns verfolgen. Doch oft haben die Christen das Evangelium verleugnet und der Logik der Gewalt nachgegeben. Die Rechte von Stämmen und Völkern haben sie verletzt, deren Kulturen und religiösen Traditionen verachtet: Erweise uns deine Geduld und dein Erbarmen! Vergib uns! Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn.

(Vor dem Kruzifix wird ein Licht entzündet.)

VI. Bekenntnis der Sünden gegen die Würde der Frau und die Einheit des Menschengeschlechtes

Kardinal Francis Arinze:

Lasst uns für alle beten, die in ihrer menschlichen Würde verletzt und deren Rechte unterdrückt wurden. Lasst uns beten für die Frauen, die allzu oft erniedrigt und ausgegrenzt werden. Wir gestehen ein, dass auch Christen in mancher Art Schuld auf sich geladen haben, um sich Menschen gefügig zu machen.

Der Heilige Vater:

Herr unser Gott, du bist unser Vater. Du hast den Menschen als Mann und Frau erschaffen, nach deinem Bild und Gleichnis. Die Verschiedenheit der Völker in der Einheit der Menschheitsfamilie hast du gewollt. Doch mitunter wurde die gleiche Würde deiner Kinder nicht anerkannt. Auch die Christen haben sich schuldig gemacht, indem sie Menschen ausgrenzten und ihnen Zugänge verwehrten. Sie haben Diskriminierungen zugelassen auf Grund von unterschiedlicher Rasse und Hautfarbe. Verzeih uns und gewähre uns die Gnade, die Wunden zu heilen, die deiner Gemeinschaft auf Grund der Sünde noch immer innewohnen, damit wir uns alle als deine Söhne und Töchter fühlen können. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn.

(Vor dem Kruzifix wird ein Licht entzündet.)

VII. Bekenntnis der Sünden auf dem Gebiet der Grundrechte der Person

Erzbischof Francois Xavier Nguyen Van Thuan:

Lasst uns beten für alle Menschen auf der Erde, besonders für die Minderjährigen, die missbraucht wurden, für die Armen, Ausgegrenzten und Letzten. Lasst uns für diejenigen beten, die am wenigsten Schutz genießen, für die ungeborenen Kinder, die man im Mutterleib tötet, oder jene, die gar zu Forschungszwecken von denen benützt werden, die Missbrauch getrieben haben mit den von der Biotechnologie gebotenen Möglichkeiten. So haben sie die Ziele der Wissenschaft entstellt.

Papst Johannes Paul II.:

Gott unser Vater, du hörst stets auf den Schrei der Armen. Wie oft haben dich auch die Christen nicht wiedererkannt in den Hungernden, Dürstenden und Nackten, in den Verfolgten und Gefangenen, in den gerade am Anfang ihrer Existenz schutzlos Ausgelieferten. Für all jene, die Unrecht getan haben, indem sie auf Reichtum und Macht setzten und mit Verachtung die „Kleinen“ straften, die dir so am Herzen liegen, bitten wir um Vergebung. Erbarme dich unser und nimm unsere Reue an. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn.

(Vor dem Kruzifix wird ein Licht entzündet.)

Schlussgebet

Papst Johannes Paul II.:

Barmherziger Vater, dein Sohn Jesus Christus, der Richter über Lebende und Tote, hat in der Niedrigkeit seines ersten Kommens die Menschheit aus der Sünde befreit. Wenn er wiederkommt in Herrlichkeit, wird er für alle Schuld Rechenschaft fordern von unseren Vätern, von unseren Brüdern und Schwestern und von uns, deinen Dienern. Vom Heiligen Geist bewegt, kehren wir mit reumütigem Herzen zu dir zurück. Schenke uns dein Erbarmen und die Vergebung der Sünden. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn.

Papst Johannes Paul II. hat am Sonntag bei der Messfeier im römischen Petersdom zum „Tag der Vergebung“ in seiner Predigt zur kirchlichen Schuldgeschichte Stellung genommen. Es folgen Auszüge aus dieser Predigt, bereitgestellt von „Kathpress“:

... Vor Christus, der unsere Sünden aus Liebe zu uns auf sich genommen hat, sind wir alle zu einer tiefen Gewissenserforschung eingeladen. Ein charakteristisches Moment des Großen Jubiläumsjahres besteht in der „Reinigung des Gedächtnisses“. Als Nachfolger Petri habe ich gebeten, dass sich die Kirche – stark in der Heiligkeit, die sie von Gott empfängt in diesem Jahr des Erbarmens vor Gott hinkniet und Verzeihung für die vergangenen und gegenwärtigen Sünden ihrer Kinder erfleht. Der heutige erste Fastensonntag schien mir die geeignete Gelegenheit für die Kirche – geistig um den Nachfolger Petri versammelt – die göttliche Vergebung für die Schuld aller Gläubigen zu erflehen. Wir vergeben und bitten um Vergebung!

Dieser Appell hat in der kirchlichen Gemeinschaft eine tiefe Reflexion ausgelöst, die in den vergangenen Tagen zur Veröffentlichung eines Dokuments der internationalen Theologenkommission geführt hat, mit dem Titel „Erinnern und Versöhnen. Die Kirche und die Verfehlungen in ihrer Vergangenheit“. Ich danke allen, die an der Ausarbeitung dieses Textes mitgewirkt haben. Er ist sehr nützlich für das richtige Verständnis und die Umsetzung der Vergebungsbitte. Diese beruht auf der objektiven Verantwortung, die die Christen verbindet, da sie Glieder des Mystischen Leibes Christi sind, und die die Gläubigen von heute dazu drängt – im Licht einer genauen historischen und theologischen Kenntnis – zusammen mit der eigenen Schuld auch die der Christen von gestern anzuerkennen. Auch wenn wir keine persönliche Verantwortung haben, und ohne das Urteil Gottes – der allein die Herzen der Menschen kennt – ersetzen zu wollen, tragen wir doch die Last der Irrungen und der Schuld derer, die uns vorangegangen sind. Die Verfehlungen der Vergangenheit anzuerkennen, trägt auch dazu bei, unsere Gewissen angesichts der Herausforderungen der Gegenwart wieder zu wecken, und jedem den Weg der Versöhnung zu öffnen.

Wir vergeben und bitten um Vergeben! Indem wir Gott loben, der in seiner erbarmenden Liebe in der Kirche eine wunderbare Ernte der Heiligkeit erweckt hat, des missionarischen Eifers, der totalen Hingabe an Christus und den Nächsten, so können wir doch die Untreue gegenüber dem Evangelium nicht leugnen, zu der bestimmte Brüder, insbesondere im zweiten Jahrtausend, sich haben hinreißen lassen. Wir bitten um Vergebung für die Spaltungen unter den Christen, für die Gewalt, die einige im Dienst der Wahrheit angewandt haben. Wir bitten um Vergebung für die Haltung des Misstrauens und der Feindseligkeit gegenüber den Anhängern anderer Religionen.

Wir bekennen umso mehr unsere Verantwortung als Christen für die Übel von heute. Angesichts von Atheismus, religiöser Gleichgültigkeit, Säkularismus, ethischem Relativismus, angesichts von Verletzungen des Rechts auf Lebens und der Gleichgültigkeit gegenüber der Armut in vielen Ländern müssen wir uns fragen, was unsere Verantwortung ist.

So weit jeder von uns durch sein Verhalten Ursache für diese Übel ist, bitten wir demütig um Vergebung, da wir so beigetragen haben, das Antlitz der Kirche zu entstellen.

Gleichzeitig mit unserem Schuldbekenntnis vergeben wir aber auch die Schuld, die andere uns gegenüber begangen haben. Im Lauf der Geschichte mussten Christen unzählige Male Gewalt, Anmaßungen und Verfolgungen aus Glaubensgründen erleiden. Wie die Opfer solcher Übergriffe verziehen haben, so verzeihen auch wir. Die Kirche heute wie auch die Kirche aller Zeiten fühlt sich verpflichtet, ihre Erinnerung an diese traurigen Ereignisse von allen Gefühlen des Grolls und der Rache zu reinigen. Das Jubiläums wird so für alle eine Chance zur tiefen Umkehr zum Evangelium. Aus der Annahme der göttlichen Vergebung fließt die Bemühung, den Brüdern zu vergeben und sich gegenseitig zu versöhnen ...