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Anrechenbarkeit

Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 48-51

1. Ein Verhalten muß dem Menschen angerechnet, d.h. ihm als seinem Urheber und Herrn zugeschrieben werden, soweit es seiner Entscheidung entspringt; für ein solches Verhalten trägt der Mensch Verantwortung. Anrechenbarkeit kommt nur menschl. Akten zu; Anrechnung setzt voraus, daß der Mensch zurechnungsfähig, d.h. der Setzung menschl. Akte fähig, ist (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 1,2 q.21 a.2).

2. Ein Tun ist in seinem objektiven Verhältnis zur sittl. Ordnung dem Menschen anrechenbar (= dessen Wollen wird dadurch sittl. geprägt), soweit es echt menschl. Akt ist, d.h. soweit seine sittl. Beschaffenheit erkannt und zum Willensziel gemacht wird.

a) Ein gutes, d.h. mit der sittl. Ordnung in Einklang stehendes, Objekt (Verhalten) prägt den Willen und kann daher dem Handelnden angerechnet werden, wenn es als solches erkannt und bejaht wird (vgl. Thomas von Aq., S.Th. 1,2 q.19 a.7 ad 3; Sent. 2 d.38 q.1 a.4). Das gilt auch für die einzelnen guten Elemente eines guten Tuns. Die Offenbarung bezeichnet ein solches Tun als des Lohnes würdig. Die Prägung durch den guten Gehalt eines Objektes ist umso tiefer und nachhaltiger, je gründlicher die Verwurzelung dieses Guten bis in Gott hinein erfaßt und bejaht wird. Die Lehrer des geistl. Lebens betonen darum die Wichtigkeit der guten Meinung, die alles gute Tun auf Gott bezieht.

Der gute Gehalt des Objektes (Mittels) ist dem nicht anrechenbar, dem es nur um das Endziel und in keiner Weise um das Mittelziel geht (wer Almosen gibt, wird dadurch in seinem Wollen nur in dem Fall gut geformt, wenn ihm am guten Gehalt dieses Tuns etwas liegt, nicht aber, wenn er nur die Belästigung durch den Bittenden loswerden will).

b) Ein objektiv böses, d.h. der sittl. Ordnung widersprechendes, Verhalten ist dem Handelnden anrechenbar, soweit er es in seinem Charakter (existentiell) erkennt und trotzdem will (vgl. Thomas von Aq., S.Th. 1,2 q.19 a.7 ad 3; Sent. 2 d.38 q.1 a.4 ad 1; a.5 ad 1) (der Trinker, der seine Familie nicht in Not bringen will, aber weiß, daß er es tut, wenn er seinen Lohn vertrinkt, wird an seiner Familie schuldig, wenn er der Versuchung zum Trinken nachgibt).

Psycholog. ist es leichter mögl., über den guten Gehalt eines Objektes flüchtig hinwegzugleiten, ohne daß es eine prägende Spur im Wollen hinterläßt (man kann sogar sosehr vom Streben beseelt sein, den lästigen Bettler loszuwerden, daß das Gute, das im Almosengeben liegt, für die bewußte Entscheidung keine Rolle spielt). Das Böse jedoch, von dem man weiß, daß man es meiden sollte, beansprucht das Wollen stärker; wenn man sich auch nur um des Zieles willen dazu entschließt, muß man doch Hemmungen überwinden und sich damit in einem gewissen Grad dazu bekennen; so drückt es dem Wollen seinen Stempel auf (der Trinker weiß, daß er im Hinblick auf seine Familie nicht trinken sollte, schiebt aber das Bedenken beiseite).

3. Eine Handlung wird in ihrem sittl. Charakter wesentl. von ihrer naturgemäßen Wirkung bestimmt (vgl. Handlung mit zweierlei Wirkung). Der Mensch wird durch das Wollen einer Handlung mit guter oder böser Wirkung schon in dem Augenblick, in dem das Wollen die Wirkung bejaht, gut oder böse, also schon beim Entschluß zur Handlung auf die Wirkung hin, nicht erst dann, wenn die Wirkung eintritt; der sittl. Wert oder Unwert des Tuns ist dem Menschen schon in diesem Augenblick anrechenbar.

Wenn jemand, der die Ursache mit Voraussicht einer bösen Wirkung schuldbar (durch deren Anstreben oder ungerechtfertigtes Zulassen) gesetzt hat, vor Eintritt der bösen Wirkung aber seine böse Absicht zurückzieht, hört sein Wollen auf, böse zu sein. Falls er die böse Wirkung nicht mehr aufhalten kann, entspringt sie nicht jetziger Sünde, sondern ist Folge früherer Sünde. Obwohl die innere Schuld mit der Wendung des Willen zum Guten aufgehört hat, bleibt er doch zur Wiedergutmachung des Schadens, den er etwa durch die Wirkung seines früheren Entschlusses seinem Mitmenschen ungerecht zugefügt hat, verpflichtet, da er diesen Schaden in verantwortl. Weise verursacht hat.


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