Askese
Karl Hörmann: LChM 1969, Sp. 50-52
Unter Askese verstehen weite Kreise etwas Negatives: Verzicht auf Annehmlichkeiten, ja sogar bewußtes Übernehmen von Unangenehmem. Christl. Askese (wie sie von der Aszetik dargelegt wird) hat positiven Charakter: Sie besteht im Üben der sittl. Fähigkeiten hin auf die Vollgestalt des christl. Menschen. Paulus, der das griech. Wort askein (üben), das die stoischen Philosophen gebrauchten, in den christl. Sprachschatz aufnahm („Deshalb bemühe ich mich [asko], vor Gott und den Menschen jederzeit ein reines Gewissen zu haben“, Apg 24,16), verwendete gerne Bilder aus dem sportl. Leben seiner Zeit, um durch sie das Wesen und die Eigenart der christl. Askese (im heutigen Sprachgebrauch entspricht ihr etwa der Ausdruck Training) zu kennzeichnen: „Wißt ihr nicht, daß die Läufer in der Rennbahn zwar alle laufen, daß aber nur einer den Siegespreis empfängt? Laufet so, daß ihr ihn erringet“ (1 Kor 9,24 f; vgl. Phil 3,12–14; 2 Tim 4,7; Hebr 12,1).
Auch die christl. Askese braucht Strenge und Verzicht. Zwar treten diese im Leben Jesu nicht so auffällig in Erscheinung wie im Leben mancher atl. Propheten oder Johannes des Täufers. Dennoch führt der Herr ein entbehrungs- und verzichtreiches Leben („Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, der Menschensohn aber hat nichts, wohin er sein Haupt legen kann“, Lk 9,58) und mutet es auch seinen Jüngern zu (vgl. Lk 9,57–60; 14,26; Mk 8,34–38; 13,12 f). Paulus spricht geradezu vom Gekreuzigtwerden und Sterben mit Christus (Röm 6,3–11; Gal 2,19; Phil 3,10 f; Kol 2,12). Im besonderen ist die in den evon Räten aufgezeigte Art der Nachfolge Christi von der Entsagung nach dem Beispiel des entsagenden Herrn gekennzeichnet. Der Verzicht wird aber nicht um seiner selbst willen gefordert, sondern hat einem positiven Ziel zu dienen. Der Unwert der Sünde ist aufzugeben, damit an ihre Stelle der von ihr verhinderte Wert treten kann. Die Drangabe niederer Werte soll die Verwirklichung höherer ermöglichen. „Jeder Wettkämpfer aber übt gänzliche Enthaltsamkeit; jene tun es, um einen vergänglichen Kranz zu erlangen, wir aber einen unvergänglichen“ (1 Kor 9,25; vgl. 2 Tim 2,4 f). Der Verzicht ist nicht mehr christl., wenn er mit einer gnostischen Verteufelung gottgeschaffener Werte begründet (vgl. Kol 2,20–23; 1 Tim 4,1–4; Tit 1,14 f) oder als Selbstzweck oder zur Selbsterhöhung des Menschen geübt wird. Christl. Askese ordnet ihn einzig auf die immer vollkommenere übernatürl. Ausformung des Menschen nach dem Bilde Gottes hin. Deren wesentl. Zug aber macht die Liebe aus, „die das Band der Vollkommenheit ist“ (Kol 3,14).
Zur Askese, zum Streben nach christl. Vollkommenheit und ihrer ständig fortschreitenden Einübung, sind alle Menschen verpflichtet. „Seid ihr also vollkommen wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48; vgl. Eph 4,13). Auf Erden kann diese Vollkommenheit immer nur eine wachsende und noch zu steigernde sein. Ihren Abschluß und ihre Vollreife erreicht sie erst im Jenseits. Im unermüdl. Durchhalten auf dieses Ziel hin allen Schwierigkeiten zum Trotz bewährt sich die christl. Tapferkeit.