Predigt:
Kann denn Gott so viel von uns verlangen?
28. Sonntag im Jahreskreis B (13.10.2024)
L1: Weish 7,7-11; L2: Hebr 4,12-13; Ev: Mk 10,17-30
Josef Spindelböck
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
Ein ideal gesinnter Mann wendet sich im Evangelium nach Markus an Jesus. Sein Anliegen ist es nicht, einen Ehrenplatz unter den Jüngern Jesu zu erhalten; auch strebt er nicht nach Macht und irdischen Genüssen. Er will vielmehr von Jesus, den er als „guten (Lehr-) Meister“ bezeichnet, wissen, was er tun soll, „um das ewige Leben zu erben“.
Großartig! So möchten wir sagen. Endlich jemand, der Ideale hat und vorbehaltlos das Gute will, welches uns Gott schenkt und ermöglicht.
Auch Jesus ist erfreut und gibt gerne Auskunft. Vielleicht aber hat sich dieser Mann da doch etwas anderes vorgestellt, als Jesus ihm dann antwortet. Denn die Antwort Jesu ist so klar und einfach, dass sie der im jüdischen Gesetz unterwiesene Mann sicher auch selbst hätte geben können. Jesus verweist nämlich auf die allseits bekannten „Zehn Gebote“, die Gott dem Volk Israel durch Mose am Berg Sinai gegeben hat. Wer sie in lauterer Gesinnung des Herzens erfüllt, wird das ewige Leben erben.
Und tatsächlich: Der Mann, welcher diese Frage gestellt hat, kann von sich selbst bezeugen, er habe „all diese Gebote ... von Jugend an befolgt.“ Wir möchten diesem Mann hier noch einmal von Herzen gratulieren. Denn es ist damals wie heute eben keine Selbstverständlichkeit, sich an alle diese Gebote Gottes in ihrem wahren Sinngehalt auszurichten und das Leben danach zu gestalten. Darin liegt ein hohes Ethos und große Weisheit. Gott selbst hat dieses Große an ihm gewirkt, und der Mann war bereit, das Seine zu tun, also Gott in Freiheit zu dienen und dadurch auch den Menschen Gutes zu tun. So ist er bereits auf dem Weg des Heils, auf dem Weg zum ewigen Leben bei Gott, das er einst erben will.
Ein schönes und gutes Ende – oder nicht? Der Mann selber und auch wir sind überrascht, vielleicht auch etwas irritiert, als Jesus nach all dem Lob und aller Freude, die er über den Mann empfindet, doch sagt: „Eines fehlt dir noch.“ Ja, was kann dies wohl sein? Gibt es noch mehr, noch Größeres als das Halten der Gebote Gottes? Kann Gott noch mehr verlangen? Verlangt er gerade von diesem Menschen, der so ideal gesinnt ist, vielleicht doch mehr als von den übrigen?
Es geht Jesus hier um nichts weniger als um den vollkommenen Verzicht des Mannes auf die Anhänglichkeit an irdischen Besitz: „Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ Der Mann ist nach diesen Worten Jesu nicht erfreut. Denn damit hat er offenbar nicht gerechnet. Jesus verlangt von ihm die Ganzhingabe an das Himmelreich, und dazu ist er noch nicht bereit, weil er in seinem Herzen nicht wirklich frei ist. Er ist sehr reich und kann sich nicht vorstellen, die Worte Jesu zu verwirklichen. Traurig wendet er sich ab und geht weg.
Ist das Evangelium hier zu Ende? Sollen wir uns mit einem so traurigen Ende abgeben? Nein, denn Jesus lädt seine Apostel und dann auch uns ein, seine Worte auf sich selbst zu beziehen und sie auf positive Weise „fortzuschreiben“, also eine Antwort zu geben, die dem entspricht, wozu Jesus einlädt. Nun sehen aber auch die Apostel ein Problem angesichts des Reichtums der Menschen und der faktischen Unmöglichkeit der meisten, auf ihren ganzen Besitz zu verzichten. Ihre bange Frage lautet: „Wer kann dann noch gerettet werden?“ Jesus macht ihnen und auch uns Mut. Für Menschen sei dies unmöglich, doch für Gott ist alles möglich!
Übersetzt in unser Leben könnte dies heißen: Angesichts so mancher Überforderungen sollten wir den Blick auf Gott richten und ihm unsere Schwierigkeiten anvertrauen. Dann werden wir innerlich frei und gewinnen den Blick für das Wesentliche. Wir werden es wagen, unser Herz Gott ganz zu schenken, ob wir nun in diesem oder jenem Lebensstand sind. Nicht jeder kann alles hergeben und an die Armen verschenken. Das Herz aber soll frei sein für die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Denn der Liebe zu Gott darf man keine menschliche Grenze setzen. Wer sich darauf einlässt, wird erfahren dürfen, dass sich Gott der Herr an Großzügigkeit von niemandem übertreffen lässt. Er ist der Spender alles Guten; so empfangen wir von ihm das ewige Leben und vieles andere dazu, so wie es uns zum Heile dient! Und all diese guten Gaben gilt es einzusetzen im Dienst an den Mitmenschen. Dann werden auch wir im Herzen reich beschenkt. Amen.