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Predigt:

Palmsonntag 2023 (02.04.2023)

L1: Jes 50,4-7; L2: Phil 2,6-11; Passions-Ev: Mt 26,14-27,66


Pater Dr. h.c. Stefan Havlik OT

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

„Hosianna!“ rufen sie begeistert, die Menschenmenge in Jerusalem, die sich darüber freut, dass der langersehnte Messias in die Stadt einzieht, der verheißene König, der die Besatzungsmacht vertreiben und das alte Israel wieder herstellen wird. Unser Blick auf diese jubelnde Menge ist dabei ein zweifacher: Denn wir sehen im Jubel der Menge wie einen Schatten das, das diese Menschen in wenigen Tagen wütend und aggressiv rufen werden: „Ans Kreuz mit ihm!“, sie werden sogar die Freilassung eines Mörders fordern, um den hingerichtet zu sehen, der da in Jerusalem eingezogen ist: Jesus Christus.

Auch unsere Erfahrungen mit Menschenmengen sind sehr unterschiedlich: Wir wissen, wie schön es ist, sich mit einer Menge anderer Menschen gemeinsam zu freuen. Im Fußballstadion, beim Einzug eines olympischen Medaillengewinners in seine Heimatstadt, im Rathaus, wenn der von uns präferierte Kandidat die Bürgermeisterwahl gewinnt oder mit vielen anderen Sängern in einem großen Chor: Menge kann uns stärken. Wir fühlen uns getragen und tragen durch unseren Gesang, unseren Jubel die Freude der Anderen mit.

Aber es gibt auch die ganz und gar gegenteilige Erfahrung: Eine Menschenmenge kann aggressiv, bösartig, hysterisch werden. Die Gewalt, von einem Einzelnen begonnen, kann in der Menge immer stärker werden. Was sich ein Mensch alleine nicht trauen würde, das gelingt ihm in der Masse, Böses bricht sich Bahn. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts steht in besonders blutiger Weise dafür, was geschieht, wenn Masse Aggression übernimmt, wenn der Mensch nicht mehr als Inidividuum, sondern nur noch als Menschenmenge gesehen und bewertet wird. Und diese Ideologien gibt es auch heute noch: Der Sozialismus denkt den Mensch in Mengen, der radikale Kapitalismus spricht nur noch von „Humankapital“ oder „Verbraucher“, beides sind schreckliche Begriffe.

Das Christentum ist von Anfang an auch Gemeinschaftsreligion. Die Gemeinschaft der Jünger, die über zwei Jahrtausende wachsende Kirche: Unser gelebter Glaube braucht auch das Gemeinsame. Die Sonntagspflicht ist nicht dazu da, Christen in ihrer Freizeit zu belästigen, sondern drückt eben dies aus: An dem Tag, an dem wir in besonderer Weise an die Auferstehung unseres Herrn denken, sollen wir uns auch als Gemeinschaft der Gläubigen versammeln.

Was ist also im Sinne unserer Religion, unserer Gottesbeziehung wichtiger: Die Gemeinschaft oder der Einzelne? Die Antwort auf diese Frage finden wir als Christen, wenn wir einmal darüber nachdenken, was an den beiden Tagen unseres Lebens geschieht, die keine 24 Stunden eigenständigen Lebens kennen: Der Tag unserer Geburt und der Tag unseres Todes. So, wie wir einzeln geboren werden (und selbst eine Zwillingsgeburt kennt einen Erst- und einen Zweitgeborenen), werden wir auch einzeln sterben und, so lehrt es die Kirche, dann auch einzeln und selbst verantwortlich vor Gott treten. Weil wir glauben, dass jeder Mensch ein persönlicher Gedanke Gottes ist, war, ist und bleibt es auch die Aufgabe der Kirche in besonderer Weise, den Einzelnen zu schützen, auch vor den Gefahren der Masse. Menschenwürde ist für uns nicht verhandelbar, das altgewordene, pflegebdürftige, eingeschränkte, entstellte Leben hat für uns keinen geringeren Wert als das starke, erfolgreiche, sportliche. Nur aus diesem unbedingten Schutz und Wert des Einzelnen kann in der Gemeinschaft der Menschen eine Menge werden, die sich niemals der Gewalt, dem Hass und der Dunkelheit anschliesst, sondern auch in der Summe Aller eine bleibt, die die Freiheit und die Würde des Menschen konsequent achtet und schützt.

Auch in den kommenden Tagen der Heiligen Woche werden wir in den Gottesdiensten Gemeinschaft erleben. Aber: Über dieser besonderen Zeit des Kirchenjahrs steht stets die persönliche Begegnung mit Leiden, Tod und Auferstehung. Am Gründonnerstag denken wir an die Einsetzung des Priestertums – Gott beruft Männer, deren Aufgabe es ist, meine Seele in den Himmel zu führen. Am Karfreitag gilt der Opfertod Christi mir ganz persönlich, in meinem ganzen Fehlen und Versagen. Und das „Halleluja“ der Osternacht ist keine Glaubenslehre unter Vielen, sondern es reißt mich ganz persönlich heraus aus der Dunkelheit der Vergänglichkeit und des Todes.

Liebe Schwestern und Brüder, so sehr uns das „Hosianna“ der Menschenmenge des Palmsonntags erschaudern lässt, weil wir um ihre rasche und brutale Wende wissen, so sehr brauchen wir heute Menschen, die bereit sind, sich gegen Hass und Gewalt zu stellen und die Meinungen nicht einfach übernehmen, weil sie ihnen durch Menschenmengen geliefert werden. Möge uns die Begegnung mit dem auferstandenen Christus, den wir in wenigen Tagen feiern werden, ganz persönlich Trost und Zuversicht sein: Nicht das „Kreuziget ihn!“ siegt, sondern das Halleluja.