Predigt:
Gottes übergroße Liebe kommt uns zuvor
31. Sonntag im Jahreskreis B (03.11.2024)
L1: Dtn 6,2-6; L2: Hebr 7,23-28; Ev: Mk 12,28b-34
Josef Spindelböck
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
Das Hauptgebot besteht in der Gottes- und Nächstenliebe. Dies wird uns am heutigen 31. Sonntag im Jahreskreis C im Evangelium nach Markus verkündet.
Alle übrigen Gebote lassen sich auf dieses Hauptgebot hin zusammenfassen und erhalten von ihm ihren wahren Sinn. Wer Gott liebt, der erweist ihm die gebührende Ehre. Wer den Nächsten liebt, tut ihm nichts Böses, sondern sucht nach Wegen, das Gute zu tun und das Wohl und Heil der Mitmenschen zu fördern. Zugleich ist auch die rechte Selbstliebe eingeschlossen, denn wir sollen unseren Nächsten lieben wie uns selbst.
Die Liebe zu Gott bedeutet Ganzhingabe, denn wir sollen Gott lieben mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele, mit unserem ganzen Denken und mit unserer ganzen Kraft. Der Glaube an Gott und die Hoffnung auf ihn sind hier die Voraussetzung.
Wie aber sollten wir Gott lieben, wenn nicht er uns zuerst geliebt hat? Unsere menschliche Liebe kann nur eine Antwort auf die zuvorkommende, bedingungslose Liebe Gottes sein, die uns in seinem Sohn Jesus Christus offenbart worden ist. Gott hat uns hier gezeigt, dass er uns bis zum Letzten liebt. Denn der Sohn Gottes hat sein irdisches Leben für uns hingegeben am Kreuz, um uns zu erlösen. Stellvertretend nahm er die Schuld der Menschen auf sich, um uns die Vergebung der Sünden zuzusprechen. Weil Gott uns so sehr geliebt hat, gleichsam über alle Maßen, soll auch unser Herz von der Liebe ergriffen werden und eine Antwort der Liebe und der Hingabe geben.
Wagen wir diesen Ganzeinsatz der Liebe gegenüber Gott? Oder sind wir innerlich geteilt, indem wir sagen: „Ich schenke Gott zwar etwas Zeit und tue auch Gutes, doch ganz möchte ich mich ihm nicht ausliefern. Denn dies erscheint mir zu riskant. Wer weiß, was er dann mit mir vorhat!“
Ein derartiges berechnendes Denken ist der wahren Liebe fremd. Auch unter Menschen, die sich wirklich lieben in wahrer Freundschaft oder besonders im Ehebund, darf nicht das Kalkül bestimmend sein, in der Art: Was bringt mir das? Was habe ich davon? Welchen Nutzen kann ich erwarten? Da würden wir die geliebte Person herabsetzen und gleichsam instrumentalisieren, aber nicht in ihrem Eigenwert, in ihrer wahren Würde achten und anerkennen.
In der Liebe werden wir zum Geschenk füreinander. Wir sagen Ja zu einem geliebten Menschen, und wir sind bereit, unser Leben einzusetzen im Dienst am Nächsten.
Jesus Christus, der Herr, ist für uns wie ein Sklave geworden. Er erniedrigte sich um unseres Heiles willen und hat als der ewige Hohepriester das Opfer seines Leibes und Blutes am Kreuz vollbracht, wie es die Lesung aus dem Hebräerbrief zum Ausdruck bringt. Diese Liebeshingabe Christi wird bei jeder heiligen Messe erneuert und vergegenwärtigt. Wir sind eingeladen, in diese Hingabe mit einzutreten, sodass auch unser Leben zu einer Gabe für Gott und die Menschen wird. Dort, wo das eigene Herz noch eng und verschlossen ist, kann es Gott in seiner Liebe öffnen und verwandeln.
Wer so wie der Schriftgelehrte im Evangelium begreift, dass die Liebe das Größte ist, der ist tatsächlich nicht mehr fern vom Reich Gottes.
Die Heiligen weisen uns den Weg. Alle haben sie auf ihre Weise das Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe verwirklicht. Ihr Beispiel ermutigt uns, und ihre Fürbitte bei Gott bestärkt uns auf dem guten Weg, den auch wir gehen sollen. Nehmen wir die Einladung des Herrn an und werden wir zu Menschen, die mit ganzer Bereitschaft auf den Ruf der Liebe zu Gott und zum Nächsten antworten! Amen.