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Predigt beim Trauergottesdienst für die Opfer der Katastrophe vom Kitzsteinhorn
(17. November 2000)

Georg Eder

Hinweis/Quelle: “Nichts Unökumenisches ist geschehen!“ – Kommentar von Dr. Josef Spindelböck

Liebe Brüder und Schwestern in Trauer und Leid!

„Es war um die sechste Stunde.“ Am hellen Tag war es, in der Mittagsstunde, „da brach eine Finsternis über das ganze Land herein“ (Lk 23,44). Lukas berichtet natürlich über den Tod Jesu auf Golgotha vor beinahe 2000 Jahren, aber er beschreibt gleichzeitig mit verblüffender Genauigkeit den Samstag mittag in der vergangenen Woche in Kaprun. „Es war um die sechste Stunde, da brach eine Finsternis über das ganze Land herein“, vom sonnenumleuchteten Kitzsteinhorn über das ganze Land. Namenlose Trauer herrscht.

Was sollen wir tun, was soll ich tun, als Priester, als Bischof? Ich bete. Ich bete! Und ich gehe zu dieser einmaligen, modernen Pietà unter den südlichen Dombögen. Geht hin! Das ist sie, die „Mater dolorosa“ aller Menschenkinder auf der ganzen Welt. Keine schöne Maria, die ihren toten Sohn auf den Knien hält und mit süßem Schmerz seine Wunden betrachtet – nein! Der Leichnam Jesu ist nicht mehr da. Die Mutter hat auch keine Hände mehr, und kein Gesicht – auch ihr Leib ist nicht mehr da! Nur der Mantel ist geblieben, der vor Schmerz erstarrte Mantel. „Mater dolorosa“ am Abend des Karfreitags, als dann um die neunte Stunde wieder die Sonne durch die Wolken bricht –, dort bete ich jetzt jeden Tag, dort draußen.

Die Todesschreie aus dem Tunnel im Kitzsteinhorn hörte niemand. Aber der Todesschrei Jesu ist noch aus dem Lukasevangelium zu hören: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“ (Lk 23,46) Der Evangelist Markus aber weiß, daß der Herr vorher noch lauter geschrien hat: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mk 15,34) Das ist genau diese Frage, die jetzt im Dom über allen hängt. Jesus hat sie schon gestellt. „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du sie verlassen?!“ Diese bohrende, schneidende Frage – Jesus hat sie am Ende seines Lebens in der höchsten Not an Gott gestellt. In der Heiligen Schrift steht nichts davon, ob Jesus eine Antwort erhalten hätte. Aber er hat ganz sicher eine Antwort erhalten! Nur hat sie niemand von denen, die beim Kreuz standen, gehört. Albrecht Dürer aber und andere, die einen „Gnadenstuhl“ darstellen, haben sie erahnt. Der Vater nimmt das Kreuz mitsamt dem geopferten Sohn und hebt es zu sich empor. Und ich glaube daran, daß der Vater-Gott dies am Samstag in Kaprun auch getan hat! Er hat die 155 vom Feuertod Überraschten in seine Arme genommen und zu sich emporgehoben.

„Es war um die sechste Stunde“ am Karfreitag. Auch heute ist Freitag. Es ist um die sechste Stunde. Was tue ich jetzt hier? Ich feiere als Priester die heilige Messe, das Kreuzesopfer Jesu Christi, die Eucharistie für die Toten. Sie ist für uns, für die Katholiken, das einmalige Kreuzesopfer Jesu Christi, nein, nicht die blutige Wiederholung! Das hat er, der einzige Priester und Hohepriester des Neuen Bundes, ein für allemal getan, als er sich selbst dargebracht hat für die Sünden des Volkes, steht im Hebräerbrief (vgl. Hebr 7,27).

Aber Jesus hat der Kirche beim Letzten Abendmahl die Vollmacht gegeben, das Opfer von Golgotha hereinzuziehen in die Gegenwart. Das ist kein Mirakel, das ist Gottes Macht! Er, der allerorten und allezeit gegenwärtig ist, macht jenes geschichtliche Ereignis auf dem Kreuzeshügel von Jerusalem jetzt wahr, für die Toten von Kaprun und für die Überlebenden, für die Helfer, für uns alle. Darauf gründet sich meine Hoffnung auf das ewige Heil der Verunglückten: Jesus ist der Retter, er ist der alleinige Erlöser der Welt!

Aber: Haben sie an ihn geglaubt, haben sie zu ihm gerufen in jener Stunde, in der letzten Sekunde? Liebe Brüder und Schwestern, Gott braucht vom Menschen her nur ein kleines Zeichen der Liebe, ein „Ja“, ein Wort, wie Jesus es auch gesprochen hat: „Abba – Vater“. Nicht mehr!

Im Römerbrief steht geschrieben: „Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben. Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Röm 8,32) Aber ich weiß schon, es gibt noch viele andere Fragen: Hat er, der Herr über Leben und Tod, ihnen nicht das Leben genommen? Man kann es so sagen. Aber man kann auch anders sprechen. Ich sehe es etwas anders: Der Vater im Himmel hat den Verunglückten in dem Augenblick, da sie ihr Leben verloren, das ewige Leben geschenkt. Das ewige Leben! Sie sind jetzt wissend, sie „sehen“, nur für uns hier dauert die Finsternis noch an. Sie sehen, sie sind im Licht.

Nun bitte, liebe, geliebte trauernde und leidende Brüder und Schwestern, Mütter, Väter, Gatten, Kinder, Schwestern und Brüder der Verstorbenen! Schaut auf das Kreuz! Die 155 Rosen sind ein kleines Zeichen, und dann bitte: Schaut vom Kreuz auf den Hochaltar, nach Osten! Unser Dom ist keine Grabeskirche, sondern eine Auferstehungskirche.

Und jetzt möchte ich – und ich tue es in diesen Tagen längst mit allen Kräften – darum beten, daß Ihr an die Auferstehung glauben könnt! Daß Ihr glauben könnt an die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus, an die Auferstehung der Toten vom Kitzsteinhorn und an unsere eigene Auferstehung. Ihr glaubt da nicht an irgendeine Ursehnsucht, an einen Wunsch nach einem unbestimmten Weiterleben nach dem Tod, sondern: Ihr glaubt ihm, dem Gekreuzigten und Auferstandenen!

Ein paar Tage vor seinem eigenen Tod stand der Herr selbst weinend am Grab seines verstorbenen Freundes Lazarus, aus dem schon starker Verwesungsgeruch drang. Ich brauche nicht alles zu schildern ... Wir könnten ja heute das elfte Kapitel des Johannesevangeliums noch einmal lesen – es wäre gut für uns alle. „Dein Bruder wird auferstehen“, spricht Jesus zu Martha. „Ja, ich weiß, am Jüngsten Tag!“ – „Nein, jetzt. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“ Martha glaubte und sah ihren Bruder aus dem Grab hervorgehen, und nach einer Woche hörte sie die Botschaft: „Der Herr ist auferstanden!“ Ob sie ihn selbst noch gesehen hat, wissen wir nicht, ist auch nicht wichtig. Sie glaubte daran, und Glauben ist ein sichereres Wissen als das, was unsere Augen und Ohren uns sagen.

Liebe Brüder und Schwestern im Leid, in der Trauer! Glaubt mir: Sie leben! Sie leben! Denkt nicht mehr an die verstümmelten Leiber, denkt an die Liebe und die Sehnsucht, mit der sie Euch erwarten, uns erwarten!

Ja, sie erwarten uns! „Was wir bergen in den Särgen, ist der Erde Kleid, was wir lieben, ist geblieben, bleibt in Ewigkeit.“ So steht auf einem Grabstein. Das ist nur der Erde Kleid, das, was wir lieben, ist geblieben!

Im Februar des Jahres 1998 wurde der berühmte Popstar aus Österreich Hans Hölzel, bekannt unter dem Namen „Falco“, bei einem Unfall getötet. Einer seiner letzten Songs lautet: „Muß ich denn sterben, um zu leben?“ Ja! Genau das ist es. Ich muß sterben, um zu leben! Leben wir, so leben wir dem Herrn, und sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Keiner von uns lebt sich selber und stirbt sich selber.

Liebe Brüder und Schwestern! Nur wer für sich selber lebt, der stirbt auch für sich selber, und dann kräht kein Hahn mehr danach ...! Wer aber Christus lebt und für die Menschen lebt, leidet und stirbt, der stirbt hinein in die Auferstehung Jesu Christi. Wir beten: „Herr, laß die Verunglückten am Kitzsteinhorn aufsteigen zum heiligen und herrlichen Berg und schenke uns allen den unzerstörbaren Glauben an die Auferstehung!“

Der Heilige Vater – ich darf es Euch sagen – hat von Anfang gebetet und mich noch gefragt: „Sind es junge Menschen, die dort umgekommen sind?“ „Ja, Heiliger Vater“, sage ich, „leider! Viele junge Menschen.“ – „Ich bete und leide mit“, sagte er.

Liebe Brüder und Schwestern im Leid und Trauer! Ein letztes Wort: Sonja Hager aus Abersee in unserer Erzdiözese – so habe ich gestern in einer Tageszeitung noch gelesen – telefonierte ihrem Bruder, der mitfahren wollte, aber die Abfahrt versäumt hatte: „Wir sehen uns oben!“ Was hat sie gesagt? „Wir sehen uns oben“? Was hat sie gemeint? Liebe leidende und trauernde Brüder und Schwestern, ich deute es so: Im Glauben glauben wir: Wir sehen sie oben!, beten wir: Wir sehen uns oben! Und: Freuen wir uns schon ein wenig darüber: Wir sehen uns droben wieder. Diese Freude wird groß sein und nie enden. Amen.